Danke für Deine Rückmeldung, liebe Sandra,
jo, wie geht es mir drei Wochen danach...?
Ich weiß nicht wie intensiv Du hier schon hineingelesen hast an den verschiedenen Stellen. Ach, ich schreibe jetzt an dieser Stelle einfach mal drauflos...
Nach dem Tod meiner Mutter (dem binnen eines Jahres einige andere Tode in meinem Umfeld vorausgegangen waren) hatte ich mich entschieden, mit dem Tod oder der Tödin konfrontativ in den Sparring zu treten und meldete mich zu einem Hospizhelferkurs an. Es lag niemals in meiner Absicht, ernsthaft Sterbende begleiten zu wollen - allein der Gedanke war restlose Überforderung! Im Zuge dieses Kurses mussten wir auch eine bestimmte Anzahl praktischer Stunden in einer caritativen Einrichtung ableisten. Bei mir war es ein (hervorragender!) ambulanter Pflegedienst, an den ich klar die Bitte richtete, mich nicht zu schonen - ich wollte so viel mitnehmen, sehen und erfahren wie nur irgend möglich. Das bekam ich denn auch und muss feststellen, dass es das Allerbeste gewesen ist, was ich je mit Blick auf eine nie wahrgenommene und vollzogene Berufung getan habe in meinem Leben. Bei einem dieser Einsätze assistierte ich der Krankenschwester dergestalt, dass ich bei einer sehr alten Dame am Bett saß, während sie im Haus noch ein paar Dinge verrichtete. Die Frau lag für mein Empfinden im Sterben, ich betete mit ihr und sang nichtsdenkend "Bruder Jakob". Im Hintergrund läuteten die Glocken und in der Folgenacht ist sie gestorben. Mein Gesang drang durch das geöffnete Fenster nach draußen und muss Gesprächsstoff in der Gasse gewesen sein. DAS war so ene Initialzündung, vielleicht doch mindestens mal eine Sterbebegleitung auszuprobieren.
Es folgten relativ ruhige Jahre, in denen ich meinen Vater betreute, dessen Haushalt führte, sehr, sehr viel auf der Arbeit um die Ohren hatte, meine Kinder verließen das Nest und rückblickend weiß ich nicht, wie ich durch die Zeit gekommen bin. Ich weiß es einfach nicht mehr. Obenauf denn doch: Sterbebegleitungen. Aufgrund meiner Arbeitszeiten und des Umstandes, rund um die Uhr ständig zu kommunizieren, habe ich im Hospiz darum gebeten, die hoffnungslosen Fälle begleiten zu dürfen - die, wo nichtsprachlich einander begegnet werden muss. Das ging auch immer gut. Dann begannen sich im November letzten Jahres die Sterbefälle in meinem nahen Freundeskreis zu summieren und mein Vater (sehr schwierige Beziehung) starb im Mai, danach noch weitere zwei Personen und vergangenen Freitag nun auch die ältere Dame, die ich seit März begleite.
Das einfach nur die äußeren Umstände. Meine/unsere Tanzfreundin geht darin gefühlt eigentlich fast unter. Immer wieder weht mich im Bruchteil von Sekunden einer dieser Sterbefälle an - ganz hauchfein, fast nicht wahrnehmbar und in diesen Bruchteil Sekunden senkt sich ungefiltert, ungehört die bleierne Traurigkeit auf mich nieder und ich denke, jetzt hab ich sie endlich am Rockzipfel und es tut sich zum Teufel mal was in mir und schon ist alles wieder vorbei und am Ende bleibt keine bleierne Trauer, aber eine kaum auszuhaltende Erschöpfung und Müdigkeit. Zur Zeit stehe ich morgens wie gerädert auf und weiß nicht, wie ich den Tag herumbringen soll. Meine Arbeit ist beängstigend viel geworden und ich bekomme sie nicht geschafft, setze mich mut- und lustlos dran und frage mich täglich mit ansteigender Not, warum ich noch nicht den Abriss des Jahrhunderts bekomme, weil ich nichts vom Tisch bekomme. Naja, vielleicht steht mir irgend ein Schutz- oder Helferwesen zur Seite, auch wenn ich an sowas nicht glaube.
Gestern bekam ich unter der Handy-Nr. eine Nachricht Ihres letzten Lebensgefährten, der wohl alle Kontakte über ihren Tod informierte. Ich gab ihm kurze Rückmeldung, bekam eine sehr freundliche Antwort und ja, sie ist tot. Unabänderbar tot. Wir hatten kurz vor ihrem Tod noch ein paar kurze Schreibereien und Sprachnachrichten her und hin, wo wir nochmal alles Wesentliche ansprachen, natürlich in der gebotenen Kürze und Wortkargheit, doch darin lag die Essenz dessen, was wichtig war. Ich bin mit ihr völlig im Frieden, habe nicht mehr den Drang, zum von mir ungünstig gelegenen Friedhof zu fahren und kann sagen, ja, es ist okay. Sie hat ihr kurzes Leben gelebt, wirklich gelebt. Ihr Thema war die LIebe, wie kann die LIebe zu ihr kommen, wie kann sie ihre unglaubliche Liebesfähigkeit unter die Menschen bringen - und das hat sie geschafft, zuletzt mit ihrem Tod. Für die Angehörigen, insbesondere die Kinder, ist dieser Verlust sicher unglaublich schmerzlich, ein Schmerz, für den es kein Wort gibt - und für mich als Freundin ist ihr Tod, ist ihr Sterben rund und angemessen, ihr Lebensziel, ihr Lebensinhalt erfüllt.
Ich glaube jetzt, dass mich die Rolle als "Sterbegleiterin" im Kontakt mit den Menschen, die Unterstützung durch das Hospiz suchen, schützt. Ich bin sicherlich keine Maschine, die ihr Programm bei den Besuchen abspult - das bestimmt nicht. Doch es gibt einfach klare Strukturen, Besuche ein- bis zweimal die Woche. In der Regel gehe ich in Altenheime, da hat man sich eh ein Stück weit in die Gepflogenheiten der Einrichtung einzufügen, ich hänge nicht in den Familiendramen drin und bin emotional nicht so dicht bei und kann aus dieser Distanz heraus den Betroffenen eine ganz gute Unterstützung oder Fürsprecherin sein.
Sterbende Freunde jedoch sind einfach eine ganz andere Hausnummer. Da ist das Herz mit im Spiel, da besteht eine Verbindung, an die Emotionen geknüpft sind, ich kenne oft die Familie und bin direkt betroffen, weil ja auch jemand aus meinem Leben geht. Je nach Intensität der Bindung kann das einfach entsetzlich weh tun und auch lähmen, wenn man den geliebten Menschen vielleicht leiden sieht. Meine Freundin war zum Glück durch die Therapie nicht entstellt, hatte ihre Haare noch, war nicht abgemagert oder aufgedunsen - einfach nur sichtbar mitgenommen, doch eben noch sie selbst. Das hat mir den Abschied erleichtert - ich durfte sie noch einmal sehen und erleben, wie sie nun einmal ist - eine liebenswerte Frau, jedoch vom Tod bereits markiert.
In dem Fall war ich wirklich dankbar, dass sie nochmal Besuche zugelassen hatte - allerdings galt hier stets, spontan anrufen oder vorbeischauen und gucken, was geht. Bei mir war sie gerade ansprechbar - andere Freundinnen konnten sie nicht mehr besuchen, weil es ihr zuviel war. Ich glaube, eine solche Entscheidung dann zu akzeptieren, ist nicht leicht. Das sind dann die Erfahrungen, die uns vielleicht noch bevorstehen - gut für uns zu sorgen, auch wenn wir wissen, dass es Menschen gibt, die uns noch einmal sehen möchten und dennoch zu differenzieren, was geht und was mich am Ende vielleicht einfach nur noch belastet und noch mehr an die Erde bindet. Tiziano Terzani war am Ende ja sehr radikal und wollte von der Familie in Ruhe gelassen werden - selbst seine geliebte Frau hat er sehr vor den Kopf gestoßen. Als ich diese Passage im Buch las, gingen mir auch erst einmal die Nackenhaare hoch, doch Recht hatte er! Wir haben nur dieses eine Leben - hineinzukommen war schwer und anstrengend und hinauszugehen ist es nicht minder. Hinein brauchten wir viel Unterstützung, weil wir noch so klein und verletzlich waren, doch hinaus, das begreife ich mehr und mehr, geht es ganz radikal darum, uns zu reduzieren, abzugeben, abzustreifen und alles Getüddel, was wohlmeinende Menschen glauben, Sterbenden mitgeben zu müssen, ist vermutlich alles nur hilfloser Tüddelkram.
Diese Erfahrung machte sich in mir in der jetzt beendeten Begleitung sehr breit. Die eigentliche Sterbegegleitung erfolgte durch den Sozialdienst des Altenheimes - ich war eigentlich immer nur für die Lückenphasen da. Die Sozialarbeiterin hatte eine Armada von Zeugs aufgefahren, was alles hilfreich sein soll, überschwemmte mich mit Tips und Ratschlägen und ich wurde genervter und genervter. Letztlich saß ich da, hielt Hand, sang ein bisschen vom wegtragenden Fluss - da wurde sie still, bei Hustenanfällen ob des trockenen Halses gab es ein paar Tröpfchen Wasser auf einen Schaumstoff-Stick und Schluss mit Wahnsinn. Meine Erfahrung ist die, dass die Menschen, die aus dem Leben gehen, einfach nur Ruhe und Stille brauchen und kein hektisches Verwöhnprogramm.
Naja, soweit von mir. Ist viel geworden. Ich habe den Kopf einfach unglaublich voll und weiß nicht, wohin mit all dem Zoigs.
Danke fürs Zulesen - ich hoffe, es war überhaupt etwas Sinnhaftes für Dich und alle Mitlesenden dabei...
Herzgruß und Nacht, all Ihr Waltons!
Hayat