Beiträge von Hayat

    Liebe Claudia Amitola,


    das Buch kenne ich! Es hat mich vor Jahren durchgetragen. Ich mag Pemas kackfreche und geradlinige Art - sie birgt Weite, Tiefe, Klarheit und Humor in sich, der weiterbringt und nicht einsacken lässt.


    Übrigens - auch ans Forum -, wo wir hier in Sachen Trauer unterwegs sind - zwei buddhistisch inspirierte Bücher, die mich in 2011 und 2012 sehr lange begleitet haben - sofern die Titel hier nicht sowieso schon irgendwo kursieren:


    - Joan Halifax "Im Sterben dem Leben begegnen"

    - Philip Kapleau "Das Zen-Buch vom Leben und Sterben"


    Vor allem bei Joan Halifax habe ich eine Gänsehaut-Meditation gelesen, die ich auch am Grab meiner Eltern anwende, die sehr eindringlich die verschiedenen Stadien der menschlichen Verwesung anspricht. Heftig und sie geht mir nie leicht über die Leber. Sie hat sich in mich eingeschlichen und bringt mich wieder und wieder auf den Boden der nackten Tatsachen zurück.


    Aber mein allergrößter Liebling ist "Am Ende ist nicht Schluss mit lustig" von Harald Korp über Humor angesichts von Sterben und Tod. Ich sah dieses Buch auf dem Büchertisch einer Hospizfachtagung und es zog mich neben all dem Meditativen, Intensiven, Erhabenen was dort herumlag, magisch an. Ich habe diesen schrägen Humor und finde, der gehört einfach absolut zu mir und es wäre irgendwie nicht ok, den im Hospizdienst auszublenden und ich merke von der ersten Begleitung an - da ist mir jemand unter der haltenden Hand weggestorben, welches Geschenk das ist. Ich erinnere noch sehr eindringlich, dass mit dieser Begleitung verbale Kommunikation nicht mehr möglich war, aber ein Augenkniepsen und kleiner Flirt immer noch irgendwie ging. Da habe ich erfahren dürfen, wie gut es ist, "ich" zu sein. Dieses Buch ist sogar unglaublich tief, es ist voller Wärme und Herz - und eben Humor und Frechheit. Der Autor selbst ist Ehrenamtler und weiß, worüber er schreibt.


    Soweit... Schönen Abend Euch allen und einen guten Start in die Woche, so wie wir alle für uns "gut" interpretieren.


    Herzgrüße von

    Hayat

    Hej Ihr 2,


    ja, Ihr habt mir für den heutigen Nachmittag einiges zu denken mitgegeben. Beide Ansätze bewegen mich, arbeiten in mir. Mich begleitet die Haltung, dass wir alle "Gewordene " sind - was keine Verbrechen dieser Welt entschuldigt. Es gehört zu meinem Forscherdrang, zu verstehen, zu wissen, dahinter zu schauen, zu begreifen, zu erfassen - vielleicht auch das, was nicht fassbar ist.


    Jahrzehnte später sehe ich aus der Vogelperspektive, dass im Moment des Geschehens viele unglückselige Drähte zusammengelaufen sind und ich bleibe bei der Haltung der Verantwortung. In großer Not mag ich wirkliche Scheiße bauen, die vielleicht unumkehr ist - doch ich habe immer die Möglichkeit, ein Zeichen, eine Geste, ein Wort der Verantwortung zu setzen und sei es nur ein schlichtes "Bitte verzeih mir!"


    In diesem Sinne kam heute Nachmittag in einer Bahnhofsbuchhandlung ein Buch zu mir "Solange wir leben, müssen wir uns entscheiden" von Jehuda Bacon und Manfred Lütz. Manfred Lütz ist relativ populär - Jehuda Bacon sagte mir erstmal nichts. Er ist Künstler, wurde als 13jähriger nach Theresienstadt deportiert und von dort aus nach Ausschwitz - und hat überlebt. Er antwortet auf eine der Fragen Manfred Lütz, was ihn durch diese Hölle gebracht hat, sinngemäß an einer Stelle, dass in jedem Menschen ein göttlicher Funke angelegt sei, der auch beim größten Verbrecher hervorblitze. So gab es für ihn von einer gefürchteten SS-Schlägerfrau statt Stock eine warme Süßspeise oder ein Kapo entpuppte sich als Kinderfreund und rettete vielen Kindern durch Extrarationen Nahrung oder das Durchsetzen des Appells im Kinderblock das Leben... Ich kann gar nicht mehr aufhören zu lesen, habe das Buch bereits zur Hälfte durch. Es beeindruckt mich ähnlich wie Viktor Frankls "Und trotzdem Ja zum Leben sagen". Beiden Persönlichkeiten ist AUCH gemeinsam, dass sie in einem liebenden Umfeld aufgewachsen sind. Denn ich glaube zusätzlich, dass wir, wenn wir als geliebte Menschen ins Leben treten und als geliebte Menschen aufwachsen dürfen, ein enormes Rüstzeug mitbekommen, Schlimmes durchzustehen. Mein wirklich ganz großes Glück waren meine beiden Großmütter, ein Cousin und dessen Mutter, die mir so viel an Willkommen und Zuflucht geschenkt haben, dass ich eben nicht zum emotionalen Zombie mutiert bin.


    Und nochmal - wir alle sind nicht Schwarzweiß - wir alle bergen das gesamte Universum mit all seinen Facetten in uns.


    Ich bin mir meiner Komplexität durchaus bewusst :evil::saint::95::/<X:8: und kann mich damit grundsätzlich auch schon mal ganz gut leiden...

    Von Herzen und eine sehr nachdenkliche

    Hayat,


    die diesen Faden sicher nochmal aufnehmen wird, wenn sie denn ausmeditiert hat... Wofür ich Euch jedenfalls danke, ist ein Gefühl der Ermutigung.

    Liebe Katharina,


    ganz herzlichen Dank für diese Rückmeldung! In der Tat, ich fühlte mich heute früh, nachdem ich meinen Beitrag in der Ursprungsfassung gelesen hatte, ganz elend. Meine inneren Anteile quakten wild umeinander und es ging nicht anders, ich geriet einfach in Not, hier zuviel preisgegeben zu haben und nie zu wissen, wer "von außen" in dieses Forum guckt. Mit der neuen Fassung bleibe ich immer noch bei mir und fühle mich dennoch etwas geschützter und da von Dir klar geschrieben zu sehen, war einfach entlastend.


    Ich bin restlos ambivalent mit meinen Gefühlen. Sinngemäß schreibt Eva Zurholst ja, dass auch die Hoffnung stirbt, nochmal etwas zu verändern, rückgängig zu machen. Bis zuletzt hatte ich ja gehofft und ich mir dafür den Hintern aufgerissen, noch etwas zu retten, zu ändern, zu erlösen. Die Erinnerungen verwischen - manchmal sind sie klar, oft traue ich ihnen nicht - sie sind so verwaschen und unklar, wie es auch das Atmosphärische war. Ich weiß und dennoch ist es verschleiert.


    Ja, ich glaube, ich will wieder zurück an einen Punkt, wo alles gut und richtig war. Bloß, hat es den je gegeben? Ich glaube nämlich nicht. Das ist vielleicht der größte Stopfen auf meinem hermetisch abgeriegelten Trauerfass. Es ist ein Teil, über seine Lebensgeschichte zu schreiben, zu reden und es ist der andere Teil, sie zu fühlen - und der hinkt sehr schwer bei mir. Was es schwer macht, vielleicht auch bei Dir, ist dieses nicht Schwarz, nicht Weiß. Mein Leben hat die Momente und es hat die Momente. Es gibt Leid, es gibt Wut, es gibt Freude nur die Trauer wird tabuisiert.

    Vielleicht ist es das, was Du schreibst, wo ich nicht hinspüren will - dass die allumfassende, emotionale Erkenntnis über das, was passiert ist, unerträglich wäre und wir uns so hinter "der Liebe zu..." noch verstecken? Vielleicht auch deshalb nur meine häppchenweisen Emotionen.


    Ich kann damit leben und umgehen, wenn Dinge falsch laufen, wenn menschliche Fehler passieren, wenn Menschen aus der Not heraus handeln wie sie handeln (wer wirklich frei von Schuld ist, der werfe den ersten Stein...) Ich könnte keinen Stein aufheben... Doch womit ich überhaupt nicht umgehen kann ist, wenn wir für unser Tun keine Verantwortung übernehmen.


    Für hier belasse ich es mal. Ich bin mir noch sehr unsicher im Umgang mit diesem Forum - gibt es auch eine Möglichkeit, quasi undercover zu kommunizieren?


    Herzliche Grüße,

    Hayat

    Hey wie schön... ich sitze gerade auf meinem Sofa und stöbere ein bisschen im Forum umher und stoße auf solch feine Sachen! Das erinnert mich an mein knallrotes Pippi-Langstrumpf-Freudentagebuch, das vergessen im Regal vor sich hin staubt...


    Heute freute ich mich am Frühkaffee aus der Stempelkanne, am rituellen Morgenschreiben und ich freue mich darauf, gleich meine Vorfrühstücksrunde zu drehen und ich freue mich enorm an der Vorstellung , am Dienstag bereits wieder Wochenende zu haben, das Wohnmobil zu satteln und eine zweietappige Kurzreise zu starten, mit der ich vielleicht das Bleikissen aus meinem Hirn vielleicht etwas zersetzt bekomme .


    Euch einen Sonnentag, wie er stimmig sein mag...


    Hayat

    Vorsicht, Inhalt mag etwas schwer verdaulich sein!



    Guten Abend,


    ich schreibe hier einfach weiter - es ist ja meine fortgeführte Trauergeschichte.


    Astrid, ich möchte Dir von ganzem Herzen für die Buchempfehlung danken. Eva Terhorst wird mir gerade zur echten Begleiterin. Ich fühle mich mit meiner seltsamen Gemengelage gerade oft unverstanden und habe die Phantasie, Menschen total zu überfordern.


    Nenne ich Traumatherapie und Geschehenes beim Namen, dann habe ich die Mitfühlenden und -leidenden natürlich voll hinter mir und sage ich aber anschließend, dass ich diesen Menschen als Kind so (restlos erfolglos) angebetet und so angehimmelt habe, dass mir die ersten Ahnungen dessen, was folgte, wie Privilegien erschienen und er dennoch mein Vater ist und es Anteile in mir gibt, die ihn heute noch aus unschuldigem Herzen heraus lieben, dann ist die Irritation groß (von einigen Dingen wissen nur Wenige). Aber ansonsten reicht unsere Story sowieso schon genügend aus - das andere toppt die ganze Chose nur noch ein wenig).


    Erst heute erhielt ich von seiner Vermieterin noch eine Rückmeldung, wie gelungen und ansprechend die Trauerfeier doch gewesen sei. Ich hätte ihm einen würdigen Abschied geschenkt und unglaublich, dass ich auch die zweite Trauerrede gehalten und musiziert hätte... Habe ich alles. Und spürte alles gleichzeitig in mir, während ich da vorne neben dem Sarg stand, den ich am Tag zuvor auch noch selbst zugeschraubt habe, um eine Lebensphase ganz konkret zu beenden. Trauer, bleierne Schwere, Aufregung, eine Anspannung, die mich fast zerriss und ein Gefühl, jede Sekunde ohnmächtig zusammen zu brechen, während meine Stimme laut, klar, deutlich und fehlerlos meinen Text verlas, der auf dem Boden des väterlichen Wunsches entstand, bei seiner Trauerfeier nicht zu lügen und nicht zu heucheln.


    Ein Kapitel, das mir bei Eva Terhorst seltsame Gefühle macht einerseits und beruhigt andererseits ist das Weinen. Ich kann nicht wirklich, nicht richtig weinen. Ein bisschen ja, doch während beider Trauerfeiern meiner Eltern kam mir keine Träne ins Auge. Bei meiner Mutter war nichts als Erleichterung und bei meinem Vater begleitet mich seit der Todesnachricht am Urlaubsort diese bleierne Schwere und eine bei mir völlig ungewohnte Antriebslosigkeit.

    In den letzten Jahren habe ich einmal wirklich richtig geweint - das war, als eines meiner Kinder sein Weltenbummlerdasein antrat. Der Abschied hat mir richtig den Boden unter den Füßen weggerissen. Ich habe in meinem ganzen Leben noch niemals so sehr geweint wie in den ersten Tagen nach dem Abflug. Auch jetzt gehe ich ganz selten in sein Zimmer. By the way - natürlich sind wir über die üblichen Medien im Kontakt, mehr sogar noch als früher, als wir zusammenlebten.

    Bei dem kürzlich verstorbenen Vater jedoch keine Träne. Die Beisetzung taucht regelmäßig in unterschiedlicher Weise in meinen Träumen auf, ich bin täglich am Grab, mittlerweile gesellt sich meine Mutter zu meinen stillen Plaudereien dazu und ich habe das beruhigende Gefühl, dass die beiden nun miteinander sind. Doch was ist mit mir? Die beiden haben sich wieder und ich stehe da, mit schrägen Gefühlen, verrrückten Gedanken und einer Dumpfheit, die vermutlich heftige Gefühle zudeckelt und abpolstert.


    Ich fühle mich von Eva Terhorst einfach verstanden, das ist es wohl. In der Therapie werden wir uns demnächst wohl des Themas "Trauer" widmen. Vor der Hospizhelfer-Schulung sollten wir eine Abschiedsbiographie erstellen - darin enthalten auch Abschiede von Menschen, die noch leben. Zunächst dachte ich mir, ist ja locker und staunte nicht schlecht über eine etwa dreiseitige Liste... Und eines fiel mir damals wie Schuppen aus den Haaren - die meisten Abschiede sind mir vorgelatzt worden. Waren es nun tatsächliche Tode, waren es als Freunde betrachtete Menschen, die sich entweder einfach so aus meinem Leben gestohlen haben - oder waren es vorherige dramatische Konflikte. Letzteres gab es weniger - meist waren die Personen auf einmal weg und ich hatte zu akzeptieren.


    Schwer nage ich an dem Weggang meiner Schwester. Sie lebt noch, hat sich jedoch nach den familiären Ereignissen entschieden, zu gehen und jedweden Kontakt abzubrechen. In den ersten Jahren war ich froh - wir hassten einander. Mittlerweile hat sich das in mir vollständig gewandelt und geblieben sind Respekt und Verständnis für sie. Vielleicht rührt meine Sehnsucht nach Kontakt zu ihr vom Wunsch nach einer Zeugin. Jemand aus der Familie, der Zeugnis ablegt, wie beschissen das alles gewesen ist - und wie krass krank (ich benutzte jetzt einmal diesen zeitgeistigen Begriff...) die Fotos aus dieser Zeit. Einer Zeit, als meine Mutter eine längst dorfbekannte Säuferin war und das alles dennoch mit eiserner Disziplin im Außen verbarg. Wir Kinder sahen auf den Sonntagsfotos immer frisch, adrett und gepflegt aus, wir durchliefen artig die Kirchenschulung, meine Eltern beide im Außen immer adrett gekleidet - und unter dem Teppich drückten sich die imaginären Scheißhaufen bis dorthinaus hoch.


    Auch jetzt plagt mich das schlechte Gewissen, mich hier so derart auszubreiten. Bitte seht es mir nach - es schreibt aus mir heraus und ich bin einfach nur dankbar, dass das Internet eine solche Möglichkeit bietet, anonymisiert mit Menschen in Kontakt zu sein, auch wenn ich beim Unterschreiben immer noch etwas stocke. Meinen originären Namen möchte ich dennoch nicht preisgeben. Zumindest nicht hier, wo eben auch Externe draufschauen können. Die, die wissen, würden "mich" vermutlich eh herauslesen.


    Genau, Stichwort Therapie. Irgendwo in diesem Forum habe ich heute darüber gelesen. Nachdem viele Jahre Therapie irgendwie nicht wirklich gefruchtet hatten bei mir, war das Thema eigentlich durch für mich, kochte jedoch im Zuge der Pflege meines Vaters massiv hoch - leider ließ es sich nicht vermeiden, dass ich ihm aus einigen Malheuren heraushelfen musste und das ging mir ehrlich über die Kräfte. Ich habe es hinbekommen, irgendwie. In dieser Zeit ging es mir einfach wahnsinnig schlecht und der Pflegedienst drückte sich davor, den Auftrag zu erweitern und erst als ich ihnen die Pistole auf die Brust setzte und sehr klar schrieb und schilderte, dass ich kurz vor einem Vatermord stehen würde, wenn nicht bald und andernfalls eben den Vertrag kündigen, kam dann endlich die Unterstützung. Wenig später begann ich dann auch die nun hoffentlich letzte Therapie, die allem Anschein nach anschlägt.


    Was ich mit vielen Worten eigentlich nur sagen will: Ich glaube, dass bei einer Trauer bei Menschen mit einem gesunden Familienleben und intakten sozialen Netz vielleicht keine Therapie nötig ist - ich frage mich manchmal sogar, ob es überhaupt nötig ist? Bin mir allerdings unsicher. Ich besitze keine intakte Familie, außer meiner kleinen, feinen mit Mann und Kindern, die ich mit diesen Geschichten jedoch nicht unnötig belasten will. Es gibt ein paar gute Freundinnen mit ähnlichem Lebenshintergrund, die in etwa ticken wie ich - ohne sie wäre mein Leben sehr viel ärmer und vielfach ersetzen Telefonate oder Musikabende mit ihnen die beste Psychotherapie. Mir geht es hinterher einfach gut. Oftmals hilft es einfach nur zu benennen, was ist - und Musik ist für mich schon immer der aufrichtigste Seelentröster gewesen.


    Nun aber wirklich Schluss - das Instrument lauert...


    Hayat

    Liebe Sandra,


    herzlich willkommen!


    "Auch wenn sie 84 war..." - bitte nimm Dir keine gesellschaftlichen Plattitüden zu Herzen! Ich finde, Ein Mensch ist ein Mensch, ist ein Mensch ist ein Mensch... Es ist Deine Mama, die gegangen ist. Das ist eine Zäsur, das ist ein Einschnitt und verursacht Schmerz, den es unbedingt und unter allen Umständen zu würdigen und wertzuschätzen gilt.


    Hayat

    Liebe Claudia ,


    Dein Erzählen berührt mich sehr und in allererster Linie: Trauer hat und braucht ihre Zeit und nimm sie Dir. So viel nur geht und möglich ist!


    Bei mir ist akute Familientrauer noch ganz frisch. Doch bereits jetzt, noch keine 4 Wochen danach, spüre ich, dass die Menschen zum Teil abschalten. Kraft Lebensgeschichte gibt es viel zu betrauern, das nun, wo ich "frei und Waise" bin nochmal eine Nummer höher kocht. Eine Begleitung empfinde ich als absolut wichtig und einen geschützten Ort zum Erzählen. In diesem Sinne ein herzliches Willkommen von einer ebenfalls Neuen.

    Guten Morgen ins Forum,


    mich machen Beiträge wie dieser sehr leise und demütig, erzeugen Gänsehaut.


    Die Vorstellung, ungefragt irgendwann diesen Planeten verlassen zu MÜSSEN, macht mir Angst und gerade Rabeleins Beiträge lösen in mir Respekt und Ermutigung aus.


    Werde ich mich jemals so mutig zum Thema auseinandersetzen und dann im Außen öffnen können?


    Der Hospizdienst ermutigt mich, doch letztendlich bin ich eine Nicht-Betroffene, die sich einfühlen kann und kein bisschen mehr. Ich kann bei Sterbenden sein, doch mit der Barke übersetzen müssen sie wohl im Sichtbaren allein. Mit dieser Grenze umzugehen, fällt mir nicht leicht.


    In meinem Haus erwacht der Tag...


    Ahoi in die Runde .


    Hayat

    Guten Abend ins Forum (ich stelle mir gerade einen sonnenbeschienenen Platz vor, an dem sich Menschen treffen, um zu schnacken, sich auszutauschen...),


    nach meinem ozeanischen Tiefseetauchgang vom gestrigen Abend unter mir völlig unbekannten Menschen grübelte ich heute schon etwas darüber nach, ob ich vielleicht zu offen und damit nicht ganz dicht gewesen bin... Nun isset raus, ich habe mich mit meinem seltsamen Innenleben geoutet, der Boden öffnete sich nicht unter meinen Füßen - und wenigstens bin ich ehrlich gewesen dabei.


    Ich habe in einige Beiträge hineingeschaut, mich berühren lassen, auch gestaunt, wie viel Offenheit und durchaus Kontroverses hier kursiert und spüre, "Alle Achtung!" - und manchmal auch einen stockenden Atem.


    Dies und das. Heute begleitete mich tagsüber eine unglaubliche Müdigkeit und Erschöpfung. Die Arbeit ging mir schwer von der Hand - jede vollzogene Tat eine absolute Errungenschaft. Ich bin sehr dankbar und erleichtert, relativ frei und unbehelligt arbeiten zu können. Mir sitzt kein Chef direkt im Nacken - momentan umkreist man mich sowieso etwas, weil viele Kollegen mit Tod, Sterben und Trauer überhaupt nicht umgehen können, was mir relative Ruhe und vor allem eine gute Rückzugsmöglichkeit beschert.


    Dennoch werde ich oft gefragt, "wie es mir geht" und ehrlich gestanden, ich weiß es nicht. Müde bin ich, dumpf fühlt sich mein Spüren und Denken an - oft und nicht den ganzen Tag. Diese Stimmungslage wechselt relativ beständig mit einem Gefühl von Intensität und Tiefe - so, wie man dem Leben wirklich auf dem Grund schaut und das wiederum empfinde ich als sehr stärkend und tröstend. Bereits seit dem Tod meiner Mutter und dem davor gelagerten "Trauerjahr" 2011, in dem einige Menschen aus unserem Lebenskreis verstorben sind und die Entscheidung zur Hospizausbildung heranreifte, stelle ich bei mir einen grundlegenden Wandel in meiner gesamten Weltanschauung fest. Zum einen macht sich in mir das "Leben mit der Bewusstheit über meine Endlichkeit" breit (nein, nicht immer handele ich danach - eher sogar ausgesprochen selten... - doch das Wichtige ist die jederzeitige Bewusstheit darum). Vieles ist mir einfach furchtbar unwichtig geworden. Bürotratsch, wer-mit-gegen-wen, Gesabbel über Gehaltsgruppen - wer welche hat, vor allem, wer welche in den Augen der Betrachtenden zu Unrecht hat - es ist mir egal geworden. Ich verdiene nicht so sehr viel Geld, doch es reicht, mir ein freundliches Leben zu erlauben. Momentan fallen mir mehr Haare aus als üblich und auch die Haut schuppt und blättert vom Körper runter. Ich häute mich und was am und im Kopf zuviel ist, wird eben abgestoßen.


    Auch zu meinen verstorbenen Eltern fühle ich sehr differenziert. In den Jahren nach dem Tod meiner Mutter lebte ich immer ein festes Besuchsritual am Grab: Ich sprach Gebete und Gedichte, die ich für die Trauerfeier ausgewählt hatte und sang bei wirklich jedem einzelnen Besuch auch die ausgewählten Musikstücke. Am Ende ein Vaterunser im hiesigen Dialekt, so wie ich es durch die Tanten und Großmutter immer aufgeschnappt hatte. Dann einen Knutscher aufs Tonherz (jawohl, auch am Grab habe ich gegen die Traurigkeit an immer noch wieder gespielt, meine Mutter zu lieben...) - doch verblüffenderweise brachte mich das ihr wirklich etwas näher. Nun liegt mein Vater im Grab "über ihr" und irgendwie stelle ich in mir einen Ärger fest. Wenigstens auf dem Friedhof komme ich dieser Frau näher. Es ist ein Besuchsritual gewachsen und damit auch die Idee einer Verbindung. Nun liegt der Vater obenauf und ich bin völlig blockiert. Ich stehe vor dem Grab und bin sprach- und irgendwie hirnlos. Ich fühle etwas, aber kann unmöglich benennen was. Ein Glück, dass es wenigstens Nacktschnecken gibt, an denen ich meinen Zorn leben kann. Die fraßen in Windeseile die Blüten einer Petunie weg - fette, schleimige Sabberschnecken auf filigranen Petunienblütchen und Zwergrosen. Geht gar nicht! Naja, Schnecken umzubringen schaffe ich auch nicht, also angele ich sie vorsichtig alle runter und befördere sie in umliegende Büsche. Macht wirklich Spaß.


    Astrid, Dein Buchtip ist hervorragend! Ich habe mir das Buch gestern noch bestellt und heute abgeholt. Es ist einer der wenigen Trauerbegleiter, die sich auch dem Schatten der Trauer annehmen. Zumindest habe ich bislang immer nur davon gelesen, wenn geliebte Menschen gehen und fühlte mich - auch unter den Menschen um mich herum - oft so seltsam undankbar, komisch irgendwie, auch unwürdig und "schuldig". Ich gewöhne mir mehr und mehr das "Aber" ab und ersetze es durch das "Und". Ich habe meine Eltern geliebt und zeitweilig wirklich gehasst. Sie haben mich oftmals so enttäuscht und verletzt und auch ich habe sie enttäuscht und verletzt. An ihnen lerne ich, dass es kein Richtig und kein Falsch gibt. Es gibt leider wieder und wieder wörtlich "unaussprechliches Leid", das wir einander nicht mitteilen und das uns so oft versteinert und die Ohren füreinander betäubt.


    Verzeiht, der Text wird schon wieder lang und länger... Ich bin so voll mit Trauer, gelebter und ungelebter, eigener und fremder und ich bin so voll und inspiriert von Sterbeprozessen, vom Umgang mit Sterbenden, von der Gestaltung von Trauerfeiern, von Texten, Literatur, Gesang und Klang... Vielleicht bin ich morbid oder durchgeknallt - ich weeß et einfach nich - und ich bin bewegt, ich bin interessiert, Euch, Eure Hintergründe, Eure Geschichten hier kennenzulernen - mit der Zeit...


    Darum jetzt einfach nur eine gute Nacht - ich lege mich nun mit der neuen Lektüre zur Ruhe.


    Hayat

    Liebe Julia,


    aus eigener Erfahrung weiß ich, dass der Tod von Freunden mindestens genauso, wenn nicht sogar viel schmerzlicher sein kann als der naher Verwandter. In meinem Fall habe ich mir schon in jungen Jahren oftmals "extern" das gesucht , was intern fehlt(e). Ich bin, ebenfalls aus Erfahrung, überzeugt davon, dass es ganz besondere Seelen- und Herzensverbindungen gibt, die völlig unabhängig von Familie usw in uns wirken und wenn diese Menschen aus unserem Leben gehen, dann ist das ein unaussprechlicher Verlust, der zu respektieren, zu würdigen und zu betrauern ist! Ich habe einige wenige Freundinnen, die mir zur Herzensfamilie geworden sind. Die Älteste könnte kraft Geburtsjahr meine Mutter sein und wenn von ihnen jemand ginge, wäre das ein unvorstellbarer Schmerz für mich.


    Du bist hier sicherlich goldrichtig!


    Herzlichst,

    Hayat

    Guten Abend allseits,


    was mir jetzt erstmal wichtig ist:


    Ich bin berührt und von Herzen dankbar für Eure Rückmeldungen, für Eure Offenheit, Eure Freundlichkeit und Euer Verstehen. So vieles aus Euren Beiträgen springt mich nahezu an und geht mir durch den Sinn - und Zeit ist begrenzt, der Arbeitstag war voll und lang und ich bin müde... Und freue mich dennoch schon den ganzen Tag lang auf diesen Abendgruß hier.


    Ich bin noch neu hier, muss mich erst ein bisschen einfinden und schauen, wie das alles so funktioniert und bitte zu entschuldigen, wenn ich vielleicht erstmal nur bei mir bleibe - das gesamte Gehötter rund um Beisetzung, Kosten, Friedhof usw. usf. ist noch ganz frisch, den Bestatter haben wir gerade mal gestern bezahlt und ich bin noch völlig im Betreuungsrhythmus gefangen und noch nicht so sehr offen für die Außenwelt. Ich werde vielleicht in den nächsten Wochen, Tagen, die Fühlerchen nach Euch anderen hier ausstrecken und schauen. Bitte seht mir meinen grauen Kokon noch etwas nach!


    Vieles, was Ihr mir rückgemeldet habt, wirkt noch nach - ich fange einfach mal an, das ein oder andere herauszupicken, was dennoch sofort herausstach:


    @ Astrid und Christine:

    Nein, ich habe mich von den Eltern nicht geliebt gefühlt. Für meine Mutter muss ich das lang ersehnte Prinzesschen gewesen sein, das sich erst einstellte, nachdem bereits ein Mädchen an Kindes statt angenommen worden war. Dieses angenommene Kind wurde emotional vernachlässigt, als ich als das eigentlich gewollte Kind geboren worden war. Aufgrund verschiedener Umstände, die hier zuviel Raum einnähmen, würde ich sie auch noch schildern, war ich in den ersten Lebensjahren ein pflegeaufwendiges Kind mit vielen ärztlichen Behandlungen und einigen Krankenhausaufenthalten. Ich wurde per Kaiserschnitt geboren und meine Mutter bekam mich in den ersten Tagen nur durch eine Glasscheibe zu Gesicht. Von Anfang an mochte ich diese Frau nicht. Ich weiß nicht warum, ich mochte sie nicht wirklich, habe mir immer Mühe gegeben, "gespielt", meine Mutter zu lieben - aber da war nichts. Nur Ablehnung. Und dass ich ihr geliebtes, lang ersehntes Töchterchen gewesen sein soll, hat sie zumindest perfekt getarnt - gespürt habe ich es nie. Natürlich kann ich hier nur das schildern, was ich konkret erinnere - und die ersten Fragmente datiere ich etwa auf mein zweites Lebensjahr - sehr dunkel allerdings. Vermutlich habe ich mir vorher erfolglos alle Mühe gegeben, von meiner Mutter geliebt zu werden und irgendwann muss ich vielleicht die nonverbale Botschaft begriffen haben.


    Meinen Vater hingegen habe ich angebetet und mich nach nur einem Fünkchen Zuwendung von ihm gesehnt - aber da kam nicht viel. Im Außen hat er sich das nicht anmerken lassen, doch ich habe einfach gespürt, dass von ihm zu mir nichts ist. Kurz nach dem Tod meiner Mutter gestand er, dass er in der Tat meine Schwester mehr geliebt habe - sie habe ihm leid getan, weil mit meiner Geburt meine Mutter nur noch Augen für mich gehabt haben soll.


    Lieblos aufgewachsen bin ich zum Glück nicht - es gab das Großelternhaus, das ich unendlich geliebt habe - mit all seinen Bewohnern. Diese Menschen sind für mich Schutzengel auf Erden gewesen. Ohne diesen Teil der Familie wäre ich vielleicht wirklich zum emotionalen Zombie verkommen.


    Zu meiner Mutter bestand und besteht kaum eine emotionale Bindung. Respekt mittlerweile ja, sehr sogar, auch ein großes Verstehen und Verständnis, Mitgefühl (ich habe mich im Zuge einer Fortbildung sehr mit dem Thema Tod/Sterben usw. auseinandergesetzt und darüber sehr viel Heilendes zu meiner Mutter erfahren dürfen - doch eine emotionale Bindung/Verbindung gibt es kaum. Schreibe ich jetzt.


    Bei meinem Vater sitzen großer Schmerz und noch größere Wut, die jedoch dankenswerterweise nahezu atombombensicher verkapselt sind und immer nur in homöopathischen Dosen ins Leben gelassen werden. "Fühlen" ist in der Therapie ein immenses Thema. Ich kann meine Gefühle, wenn sie erstmal wieder durch sind, hervorragend und nadelspitz-pointiert analysieren, darüber seitenlang schreiben - doch aktiv FÜHLEN - das geht nur begrenzt. Freude, ja - bis zu einem gewissen Grad, aber bitte nicht übertreiben. Wut kann ich im Kopf denken, doch damit aktiv umzugehen ist superheikel und Trauer - das geht für mich ganz alleine, doch sobald jemand um mich ist,friert sie in der Regel sofort ein. Es sei denn, ich bin mit jemandem ganz konkret in dieser Sekunde im Kontakt, der/die mir persönlich sehr nahe steht. Oft denke ich, wie schade! Auf alten Kleinkinderfotos muss ich ein wirklich witziges, fröhliches Kind gewesen sein und heute blitzt sowas auch in mir durch, äußert sich jedoch eher im Sarkasmus. Fühlen ist für mich mit tiefer Angst verbunden. All in all bin ich, was das Leben von Emotionen angeht, ein sehr kontrollierter Mensch. Im Innen ist es anders. Ich bekomme oft zu meiner Belastung sehr viel unterschwellig mit, was man nicht so sieht. Vielfach kann ich es nicht benennen, spüre einfach hin, wenn was schräg oder auffällig oder "irgendwie ist".


    Ich würde grundsätzlich schon sagen, einen guten Zugang zu meinem Fühlen zu haben, doch Fühlen ist gleichzeitig für mich anscheinend auch brandgefährlich und das wird mit Sicherheit seinen ganz konkreten Ursprung haben. Wo ich mir ein Fühlen erlaube, ist in der Musik - und darüber bin ich sehr dankbar. Ich habe spät damit angefangen und werde vermutlich aufgrund meines Alters keine gute Musikerin mehr werden. Ich betreibe es für mich zum Spaß und eigentlich vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht mit dem Instrument gewesen bin


    Generationenübergreifende Traumata:


    Belastung durch die beiden Weltkriege sind eigentlich viel zu kurz gefasst. Ich bin für mich zu einer sehr eigenen Erkenntnis gelangt, die jetzt hier auszubreiten zuviel wäre und vielleicht auch überfordern würde. Ich versuche es einigermaßen kurz zu umreißen, fürchte jedoch, dass es mir nicht gelingen wird. Ich ganz persönlich bin der tiefen Überzeugung, dass kein einziges Wesen in diesem Universum "böse oder schlecht" geboren wird. Wir werden zu dem was wir sind, unsere Umwelt formt uns. Sehr grob gesagt, müssen wir nomadisierenden Zweibeiner irgendwann in unserer Frühgeschichte durch Naturgewalten oder was auch immer so nachhaltig traumatisiert und geschädigt worden sein, dass für uns Nahrung und Sicherheit das höchste Ideal und Gut geworden sind und mit Beginn der Sesshaftigkeit und dem Verlassen unserer eigentlichen Bestimmung, nämlich umherziehend dafür zu sorgen, dass das Leben auf dieser Erde weiterbesteht, ging das Elend los. Nahrungsgründe wurden überwirtschaftet, Besitz erzeugt Neid und Gier und daraus resultierend das gesamte menschliche Galama, das sich heute in einem unvorstellbaren Wahnsinn weiterentwickelt... Ich bin mir sehr sicher, dass diese traumatischen Grunderfahrungen in unseren Genen/DNA - was auch immer festgeschrieben sind wie die Grundbedürfnisse nach Nahrungsaufnahme, Fortpflanzung und Ausscheidung.


    Was konkret die Kriegsschäden für meine Familie angeht, so erlebten alle vier Großeltern beide Weltkriege sowohl als Kinder (I) als auch Eltern/Soldaten (II) die Geschehnisse hautnah mit. Alle vier Großeltern hatten kein einfaches Leben und "Liebe", Empathie usw. waren in deren Leben sicher nicht die Schlagworte wie sie es heute bei mir sind. Es gab viele Kinder und wenig Geld - meine Mutter musste als älteste Tochter ihre jüngeren Geschwister bei Bombenalarmen in Sicherheit bringen, während ihre Mutter irgendwo zum Betteln nach Essbarem unterwegs war - sie war damals vielleicht 16 Jahre alt.

    Vor allem: Für uns heute ist es beinahe schon normal, zum Therapeuten zu gehen, wenn es drückt - doch sämtlichen Kriegsgenerationen blieb dieser Luxus weitgehend verwehrt und sie mussten mit dem, was sie erlebt, gefühlt und gesehen hatten, irgendwie zurechtkommen und wurden nicht selten aufgrund ihrer seelischen und körperlichen Schäden noch verhöhnt und mißachtet obendrein. Ich bin mir sehr sicher, dass einiges von dem, was mich heute unterschwellig belastet, gar nicht mal mein eigenes ist. Ich bin, wie oben erwähnt, sehr sicher, dass zum einen grundlegende Traumata der Menschheit generell in uns angelegt sind und ich glaube weiter, dass unerlöstes Seelenleid von einer Generation auf die nächste übertragen wird - durchaus mit der immer neuen Chance, stellvertretend auch Leid zu heilen.


    Das Wort "Trauer-Unkultur" spricht mich sehr an. Wenn wir nicht den Mut finden, uns unserem eigenen und darüber hinaus dem gesellschaftlichen Schatten zu stellen, dann können wir auch gar nicht die Fähigkeit der Trauer und des würdigen Umgangs mit Trauer entwickeln. Und daraus resultieren dann oft fröstelnde Trauerfeiern, liebloses Einsargen und alleingelassene Trauernde.


    Zur Trauerkultur im besten Sinne zähle ich Euer Forum, das ich im Grunde seit Jahren schüchtern umkreise - ebenso wie ich mich andererseits und scher menschenlnd schwer tue und ungeduldig bin im Umgang mit Trauernden (die ja nur meinen eigenen unerlösten Schmerz antriggern...). Ich bin ehrenamtliche Hospizhelferin und wirklich fasziniert vom Sterbeprozess, der für mich nichts anderes ist als die Umkehrung einer Geburt und es ist für mich etwas Besonderes, Menschen hierbei unterstützen zu dürfen - doch die Trauer der Hinterbliebenen zu begleiten, überfordert mich. Allerdings spüre ich hier leise Bewegung. Erstmal ist jetzt meine eigene, vielschichtige Trauer dran und ich könnte mir jedoch vorstellen, mich auch in der Trauerbegleitung fortzubilden, ohne sie tatsächlich ausüben zu müssen. Es wäre ein Mutsprung.


    Es ist sehr viel geworden, verzeiht, doch Schreiben ist auch Heilung, finde ich. Die Taubheit ist für heute Abend jedenfalls weg und ich fühle mich geklärt. Wenn ich mich hier nicht konkret zu anderen Rückmeldungen geäußert habe, dann hat das gar nichts mit mangelnder Wertschätzung für Eure Worte zu tun! Und noch einmal Danke für den Raum, den Ihr trauernden Menschen eröffnet!


    Gute Nacht Euch allen!


    Hayat

    Ein herzliches Dankeschön von einer Parkbank aus der Mittagspause und darum etwas gestrafft.


    Eure Rückmeldungen tun gut und entsprechen meiner intuitiven Anmeldung gerade für dieses Forum.


    Traumatherapie mache ich, jedoch kein EMDR. Betz ist mir ein Begriff - ich bin für mich ein bisschen bei Frau Reddemann angedockt.


    Es ist vielleicht kein direktes Chaos, das mich umgibt, sondern ein angestautes Vielzuviel, das jetzt natürlich nochmal neu befeuert wird. In der Tat gibt es in meiner Familie mit all ihren Verstrickungen auch mindestens einen Schattentoten, der an jeder Wand hing und von dem ich lediglich weiß, dass er an einer Herzerkrankung verstorben ist, etwa 5 Jahre vor meiner Geburt. Meine mir bekannten Ahnen sind von beiden Weltkriegen belastet gewesen.


    Mehr evtl. später, die Pause neigt sich dem Ende zu ...


    Hayat

    Ja, liebe StillCrazy,


    die Geschichte ist schon sehr speziell, doch welche Trauer ist das nicht? So wie wir Menschen mit unseren Beziehungen untereinander völlig unterschiedlich sind, so ist es auch unser Umgang mit Verlusten, Tod und Sterben. Als meine Mutter ging, war ja trotz allem noch jemand übrig und deren Haushalt - und damit ein Teil meiner Herkunft - existierte weiter. Es kocht derzeit vieles, was noch keinen Abschluss hatte, hoch und wird mit den hinterlassenen Hypotheken meines Vaters neu aufgemischt. Hinzu kommt, dass allmählich Stressfaktoren wie Pflege, Todesnachricht, Beisetzung etc von mir anfallen und das zutage tritt, was unter alldem begraben lag. Ich fühle mich auch physisch sehr mitgenommen gerade.


    Dir vielen Dank für Zulesen und Rückmeldung .


    Hayat

    Hallo,


    angesichts der fortgeschrittenen Stunde wird es kein allzulanger Text werden. Vor jetzt drei Wochen ist mein Vater verstorben - er hatte meine Mutter um sechs Jahre überlebt. Die Familiengeschichte kann und will ich hier nicht ausbreiten - es wäre einfach zuviel. Meine Mutter war Alkoholikerin, die Jahrzehnte nach ihrem Entzug trocken, jedoch ohne jegliche therapeutische Begleitung und nachhaltig durch ihre Kriegserlebnisse traumatisiert war. In der Familie gab es eine Adoptivschwester, aufgenommen nach ebenfalls traumatischen Ereignissen und mein nunmehr verstorbener Vater ist in spezifischer Weise übergriffig gewesen an uns beiden. Ich war nicht die geliebte Tochter, bis zuletzt nicht, aber diejenige, die in den letzten Jahren den elterlichen Haushalt führte und zwei Jahre lang mit Unterstützung eines Pflegedienstes täglich bei meinem Vater war. Meine Schwester verließ die Familie vor Jahrzehnten - der Kontakt ist abgebrochen.


    Beim Tod meiner Mutter bin ich bis heute klar. Mit ihr habe ich den Frieden hinbekommen und seit ihrem Tod spüre ich einfach nur Erleichterung und Entlastung. Was ich ihr von Herzen wünsche ist, dass die ihr entwichene Lebensenergie irgendwowiehin in guter Weise transformiert wurde.


    Mein Vater ist nun der letzte meiner Wurzeln, die gegangen sind. Sämtliche Großeltern verstorben und mit seinem Haushalt löse ich ein Stück weit auch meine äußere Herkunft auf. Den Akt haben wir an einen Entrümpler abgegeben - ich holte vorher das zu mir, worüber ich selbst entscheiden möchte, ob und wann es ggf. entsorgt wird. Die Trauer ist unspezifisch. Ich betrauere nicht die Person, die gegangen ist - vielmehr betrauere ich für mich und stellvertretend das, was in meinem Clan nie gelebt oder gefühlt wurde. Die Kriegsfolgen wurden weggefeiert und die Schatten verdunkelten am Ende unsere gesamte Familie. Bekunden mir Menschen ihr Beileid, könnte ich weglaufen, beim Mitgefühl ist es aber auch nicht viel anders. Werde ich ignoriert ist es ebenfalls irgendwie nicht richtig und in der Reaktion auf Ansprache lasse ich ähnliche Plattitüden ab, die mich bei den Mitmenschen ärgern...


    Es ist dumpf, es ist taub und es ist auch lebendig in mir. Ich bin üblicherweise ein zerstreuter Professor, sowieso schon, doch momentan übertreffe ich mich selbst noch um Längen. Das Arbeitsleben fällt mir unglaublich schwer - aber noch schwerer ist es, zu Hause zu sitzen und mich auch noch strukturieren zu müssen. Gerade ist alles irgendwie "nicht". Kennt das jemand von Euch? Offensichtlich um irgendetwas im eigenen Leben zu trauern, aber keine wirkliche Trauer zu spüren für die Menschen, die denn tatsächlich gegangen sind - und doch zu merken, dass auch das mit hineinspielt? Und dennoch lebe ich. Ich lache, ich mache Blödsinn - befreit von Elternpflichten gehen wir auf Reisen, ich treffe mich mit Freundinnen etc. Und es liegt irgendetwas schwer über mir, dass ich nicht greifen kann.


    So ist das mit diesem seltsamen Verlustgemisch in mir...


    Hayat