Liebe Sverja,
genau wie du schreibst, mein Herzensthread ist auch mein Ventil.
Ich bemühe mich darin möglichst authentisch wiederzugeben, was mich bewegt.
Du hast eine sehr schöne, gereifte Art zu formulieren, die ich jetzt erst nach zwei Jahren Trauer mehr und mehr zu verstehen beginne.
Wir alle sind auf einem schmerzhaften, aber auch sehr lehrreichen Weg und so kommt es, dass unsere intimen Gedanken, auf spontane und dennoch kontrollierte Art und Weise geschrieben auch anderen Trauernden Anregung und Trost sein können.
Dass dieses Forum öffentlich ist, ist Vorteil und Nachteil in einem.
Der Vorteil ist zweifellos die viel größere Reichweite, was bedeutet, auch verzweifelte Menschen, die sich nicht aus ihrer Deckung wagen können hier lesen und möglicherweise allein dadurch Hilfe erfahren.
Ich sehe es nicht als Nachteil, dass jeder der möchte unsere intimsten Ergüsse lesen kann, denn es wird sich kaum ein Mensch, der nicht vom Thema Tod betroffen ist für dieses Forum interessieren. Und wenn doch, wenn jemand aus purer Neugier hier liest, kann er etwas Gutes für sich mitnehmen, denn das Herz liest immer mit und verarbeitet Geschriebenes auf eigene Weise.
Den einzigen Nachteil, den ich sehe, ist der, dass sich Trauernde im Bewusstsein öffentlich zu schreiben, scheuen aus sich herauszugehen und sich wirklich ihren Kummer von der Seele zu schreiben. Die enorm entlastende Wirkung des Schreibens wird dadurch verhindert und das ist schade.
Dennoch ist dieses Forum ein Segen für alle.
Weißt du, solche Texte von Menschen, die an wirklich schrecklichen Erfahrungen gereift sind, kann ich erst seit kurzem vorsichtig annehmen. Zuvor klang in solchen Zitaten immer ein stiller Vorwurf in mir. Dass Menschen, die Unaussprechliches erfahren haben, wieder zurück ins Leben gefunden haben und stärker aus der Hölle hervorgegangen sind, bedeutet für mich eine Zurechtweisung meiner eigenen Gefühle und Gefühlsäußerungen.
Welches Recht habe ich, mich im Angesicht derartigen Leids in meiner eigenen Situation derart schlecht zu fühlen? Ich hätte und habe immer noch ein gutes Leben, so gut, dass ich immer wieder staune, wie jemand wie ich, die das Leben noch nie, auch in der Kindheit nicht, voll und ganz bejahen konnte, zu so einem nahezu perfekten Leben kommt.
Ich war mein Leben lang aus diesem Grund von Schuldgefühlen begleitet, weil ich immer dachte, so ein schönes Leben verdiene ich mit meiner Einstellung gar nicht.
Ich dachte auch bis vor Kurzem immer, dass meine abgrundtiefe Trauer in gar keinen Verhältnis zur Ursache steht. Hatte doch mein Mann sechsundsiebzig Jahre lang ein wunderbares Leben, das durch einen Tod, der schöner und passender gar nicht sein könnte, beendet wurde. Und er hat seine Angelegenheiten in meinem Sinne liebevoll geordnet und alles aufs Beste geregelt.
Müsste ich mich nicht glücklich schätzen?
Und dennoch ...
Inzwischen bin ich zu der Aufassung gelangt, dass ich auch um mich trauere und dass ich mich besser von Schuldgefühlen verabschiede, weil ich es eben nicht besser kann, als immer wieder in tiefer Trauer zu versinken.
Ich lass es zu, beschreibe meine Gefühle und meine Aufgabe ist es nie aufzugeben, niemals!
Daher danke, liebe Sverja auch für diesen Buchausschnitt, der mich sehr zum Nachdenken angeregt hat.