Wir sind nicht krank, wir trauern
Lieber Frank,
dem Satz von Wagi ist in seiner klaren Knappheit eigentlich unübertrefflich. Es ist was es ist: Trauer.
Gelesen habe ich auch nicht alles, weil ich gemerkt habe, dass all das Leid, über das hier geschrieben wird, mich oft noch mehr 'runterzieht. Es geht mir nicht besser, wenn ich weiß, dass es anderen auch schlecht geht.
Darüber habe ich auch bereits nachgedacht.
Allerdings kam ich für mich zu der Einschätzung, dass es mir besser geht mit dem Wissen, dass es das Forum und die Menschen im Forum gibt.
Keinen Moment möchte ich mir vorstellen, wie es "vor Internet-Zeiten" gewesen wäre (obwohl ich ansonsten schon einigen Entwicklungen diesbezüglich mehr als kritisch gegenüberstehe).
Es wäre wahrscheinlich so wie Uwe ein Mal ein Treffen mit Berta und Elisabeth schilderte... die sagten, dass sie eben Glück hatten, dass jemand in ihrem Dorf gerade in der gleichen Situation war...
Wäre ich auf mein Umfeld ( und meine Therapeuten) alleine angewiesen gewesen, dann hätte ich mich viel stärker in die Defensive oder in die Krankheit drängen lassen, da ich keinen Vergleich gehabt hätte ...
Natürlich gibt es Tage an denen jede/r von uns mit sich beschäftigt ist oder eben das Leid der anderen die eigenen Schmerzen noch stärker werden lässt... Hier in unserem virtuellen Dorf ist zum Glück niemand beleidigt, wenn wir uns zurück ziehen... nicht schreiben oder auch nicht mitlesen (Uwe: Wir sind frei, denn wir trauern. Dieser Satz gilt hier wenigstens wirklich.)
Es kann auch passieren, dass es plötzlich fast allen gleichzeitig noch schlechter geht - das scheint vor ca. zwei Wochen passiert zu sein... das spüren wir dann auch. Wobei mein Eindruck war, dass es bei allen durch unterschiedliche Situationen in der Realität ausgelöst wurde, nicht durch ein gemeinsames im Virtuellen... es kam dann halt hier spürbar zusammen.
meint mein Arzt, dass es sich bei mir offenbar um eine "anhaltende Trauerstörung" handelt
Was meint denn Dein Arzt weiter dazu? Welche Art der Konsequenz hat das denn nun für die Art seiner Behandlung?
Und was folgt für Dich daraus nach dieser Feststellung?
Wenn alles im Leben sich verändert - ja, wirklich alles! Denn alles im "vorherigen Leben" hing miteinander zusammen - dann sind sechs Monaten nicht mal genügend Zeit es zu realisieren. Und ein Jahr ist kein Zeitraum um ein komplettes Leben "neu" (sic!) aufzubauen, noch dazu unter emotional erschwerten (unerwünschten) Bedingungen. Wir alle haben ein (erwünschtes!) Leben gemeinsam mit unseren Geliebten aufgebaut, auch dafür haben wir lange gebraucht. Viel länger als ein Jahr. Mich macht es immer fassungslos zu lesen, dass es die Vorstellung gibt nun für ein unerwünschtes Leben unter schwierigeren Bedingungen plötzlich weniger als ein Jahr zu brauchen... gerade wer geliebt hat, wird sich nicht mit "irgendeinem" Leben plötzlich abspeisen lassen ... Man beleidigt sein glückliches vorheriges Leben eben nicht mit einem "irgendwas" Leben ... Diese Vorstellung soll in den meisten Fällen ja ohnehin nur denen dienen, die mit Trauernden in Kontakt kommen. Sei es als Arbeitgeber, Familie oder Bekannte und/oder "äh" Freunde...
Sollten wir denn deswegen tatsächlich krank sein?
Ja, angenommen sind wir das tatsächlich. Es fühlt sich zumindest für mich schon auch so an ... als "gesund" würde ich es jedenfalls auch nicht begreifen wollen... aber wir sind nicht in dem Sinne "krank", dass wir diesen Zustand nicht schaffen schneller zu beenden, damit man uns für "gesund" hält.
Das war nun mal wieder einer meiner sperrigen Texte, die ich mir hier im Forum etwas abgewöhnen wollte - verzeih' manchmal überkommt es mich...
Lieber Frank,
ich sende Dir Kraft.
Umarmung,
Tereschkowa