Ja, ich finds schön von unserer Kornblume, diese Aussicht, daß bald unser Herrgott kommt, um von allem Elend zu erlösen. Doch denk ich wieder an diese Menschen, Kornblume, die das jetzige Leben wirklich geniessen. Für die wünsch ich mir schon noch einige Zeit, um das weiter zu erleben. Ich selbst, weisst, schau gern diese Sendung an: Hartz und herzlich oder die Benzbaracken, eigentlich jeden Abend über TV Now. Da komm ich immer wieder runter und denk, meine Güte, wie schaffen die das, da sind einige darunter, die leben einfach und geniessen, obwohl sie fast nichts haben, das find ich so toll. Und dann dieser ganzeZusammenhalt, da kennt einer den anderen. Ich lieb halt so was.
Ich selbst hab seit dem ich 17 Jahre alt war, gearbeitet, ich hatte sehr gute Jobs, war zum Schluß sogar Assistentin vom Personalleiter, aber plötzlich wollte ich selbständig sein, wie mein Bruder. Ab da hab ich mit ihm ca. 20 Jahre selbständig gearbeitet, hab einfach Medikamente ausgefahren, hab aber nebenbei die Buchhaltung für meinen Bruder gemacht. Ja, diese Jahre, von montags bis samstags, auch teilweise nachts, es war schon krass, nachts im Schnee auf der Alp. Aber ich musste durch, ich war Alleinerziehend, wollte meiner Pia vieles ermöglichen, hab damals für sie ihr Auto abgezahlt, ihre Versicherungen usw.
Ich erzähl das nicht, um mich hier gut zu stellen, sondern ich wollt einfach den Menschen, die mir hier am Herzen liegen, was von meiner Person erzählen, daß ich nicht immer so jämmerlich war,
Außerdem schreib ich das gerade unter Tränen, weil es mich einfach mitnimmt. Das war mein Leben, und jetzt?
Mein letzter Urlaub war vor ca. 30 Jahren. Die Ferien mit meiner Pia verbrachte ich im Odenwald bei unseren Verwandten, weil eben dafür kein Geld war und ich wollt auch nicht so allein mit meiner Pia irgendwohin reisen.
Mit meinem Jürgen, wir hatten niemals Urlaub, geschweige, irgend tolle Erlebnisse, wie andere. Auch hatten wir seit 2011 keinen sexuellen Kontakt mehr, nach dieser Herzoperation, als er an dieser Herz-Lungen-Maschin war. Aber ich vermisste nichts, niemals! Mir war es genug, bei ihm zu sein. Er hatte zum Schluss Pflegestufe 4. Aber vom Kopf her immer da. Es waren harte Jahre mit uns beiden, Jürgen und mir, wir liebten uns so sehr. Aber wir hatten nie einen Urlaub, den vermiss ich auch nicht. Ich wollt nur bei ihm sein, und wenns abends nur vom Balkon aus, da saß ich immer, Jahr für Jahr, beobachtete ihn, freute mich über ihn, sobald er sich regte, war ich bei ihm.
Oder wenn wir vom Edeka als mit Aufzug, den ich so verabscheute, hochfuhren, dann vor seiner Wohnungstüre: Jürgen, mach die Bremsen fest (Rollstuhl), er sagte dann: mach ich. Ich: ok. das allein war für mich Glück.
Seit 2016, als mein Jürgen diese drei langen Narkosen hintereinander bekam, war er nicht mehr wie zuvor. Aber wir beide hatten soviel Kraft und Energie, vor allem Liebe, ich, bzw. wir beide haben es nach ca. 1 Jahr geschafft, daß er fast wieder wie früher wurde. Es war ein sehr, sehr mühsames Arbeiten, ohne Ende. Und ab Juni letzten Jahres, nach dieser Zahnnarkose sagte er selbst: Ange, diese Narkose hat mich jetzt fertig gemacht. Bis zuletzt versuchte ich noch, alles wieder gutzumachen, doch zum Schluss musste ich für mich den Notarzt rufen, der attestierte mir: psychische und phychische Überlastung und Schlafmangel. Ab da wußte ich, ich kann ihm nicht mehr helfen. Zuvor waren wir ja noch in vielen Krankenhäusern, als Notfall. Ich sagte immer zu meinem Jürgen: ich bin doch da, bei Dir! Er: ich weiss, mein Herz, aber das reicht nicht! In jedem Krankenhaus hab ich mir ein Bett reinstellen lassen, weil nie wollte ich ihn allein lassen. Ich hab seine Delir mitbekommen, wenn er die ganze Nacht immer wieder die Arme hoch, die Beine Hoch, bin zu ihm rüber, bitte, lass ruhig, er schrieh nur: da ist das Wasser usw. Es muss entsetzlich für ihn gewesen sein. Nachts war dann natürlich niemals Schlaf für uns beide.
Die letzte Woche für ihn: ich war dann nicht mehr nachts da, nur noch tagsüber, über mittags hab ich ihn allein gelassen, damit er zur Ruhe kommt. Aber ständig seine Hand gehalten. Am Sonntag war sie noch fest, ich sagte ihm: bitte, halt meine Hand, wie wir es immer gemacht haben. Am Montag war sie so schwach und feucht, ich erzählte sehr viel, wischte immer seinen Mund ab, zog ihn auf dem Krankenbett hoch, weil er so schief lag, er stöhnte furchtbar, ich nahm in ganz fest in den Arm und sagte: bitte, Du bist ein Engel, Du musst keine Angst haben. hab sehr viel mit ihm geredet. Dann bin ich weg. Dann hat er losgelassen.
Kurz danach war ich wieder bei ihm, ich wollte nur noch bei ihm sein, hab ihn an der Schulter gehalten, hab zum Fenster geschaut, mehr weiss ich nicht mehr.
Er war mein Halt, meine Zuversicht, mein Beschützer, meine einzigste Liebe.