Lieber Robert, ich hoffe das Abschweifen hier bei dir ist okay. Wenn nicht, sag bitte Bescheid!
Liebe Helga,
ich kann dich gut verstehen, vor allem den Gedanken an alle Neuankömmlinge, die in ihrer Trauer und Verzweiflung einen Anker suchen und im Moment stattdessen bildlich gesprochen von hohem Wellengang und tosendem Sturm empfangen werden, mit dem sie gar nichts zu tun haben.
Umso dankbarer bin ich für Sommermond (- sehr coole und starke Reaktion in ihrem Thread), Yanouk und alle anderen Menschen hier, die in ihrem eigenen Schmerz so viel geduldige, freundliche Akzeptanz, Nach- und Rücksicht aufbringen können aber auch wie z.B. Robert oder du Grenzen aufzeigen und in Worte fassen, wenn sie überschritten werden. Ich mag diese Bande an vom Unglück zusammengewürfelten, traurigen Menschen so sehr und die Mischung aus allen Charakteren macht diesen Ort zu so einem angenehmen, sicheren Zuhause für uns Seelenverwundete.
Mir persönlich fällt es sehr schwer, etwas zu Matthias zu sagen. Ich weiß zu wenig. Was ich weiß: Trauer kann blind, egozentrisch und wild machen (- zumindest macht meine Trauer mich oft blind, egozentrisch und wild, leider). Ich verstehe, dass man sich manchmal nur noch um sich selbst dreht, weil die Gedanken nur noch um das eine Thema kreisen und man den Absprung aus dem Karussell einfach nicht schafft. Ich verstehe auch, dass man über der Trauer und Verzweiflung verrückt werden kann und Dinge tut, die einem am nächsten Tag so weit weg vorkommen von seinem normalen Verhalten, dass man es einfach nicht für möglich hält, nur ein paar Stunden vorher getan zu haben, was man offenbar getan hat. Mir selbst ging das schon mehrmals so. Zum Beispiel habe ich einige Wochen nach dem Tod von meiner Geliebten in meiner Verzweiflung einen Einbruch begangen. Die Medikamente und andere Dinge, die ich zu dem Zeitpunkt einnahm, taten ihr übriges. Das war verrückt und dumm und in jeder Hinsicht grenzüberschreitend. Trotzdem hat es nichts, rein gar nichts mit der Person zu tun, die ich eigentlich und unter normalen Umständen bin. Nie, nie, nie hätte ich so etwas getan, niemals würde ich so etwas tun. Aber es waren damals (und sind eigentlich bis heute) eben keine normalen Umstände. Das entschuldigt die Fehler, die man macht, nicht oder nur sehr bedingt. Aber ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schnell man sich selbst entgleitet, wie sehr man außer Kontrolle geraten aber zugleich trotzdem gefangen sein kann. Das ist so schlimm, vor allem wenn andere Menschen mit hineingezogen werden oder dadurch in irgendeiner Form verunsichert oder verletzt werden. Andere Menschen verletzten, das ist etwas, was nicht passieren darf. Und doch passiert es leider manchmal.
Was ich auch weiß: wir sind alle Menschen. Leider sind wir alle sehr, sehr traurige und unglückliche Menschen. Uns allen ist in unserem Leben das für uns schlimmste passiert. Das verbindet und eint, aber zugleich ändert es nichts daran, wie verschieden wir alle sind, denken, fühlen, handeln.
Umso wertvoller ist der respektvolle Umgang miteinander, den hier alle miteinander pflegen, auch wenn er oft auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck kommt, weil wir eben unterschiedlich sind.
Ich habe euch unbekannterweise sehr gern
Liebe Grüße, Sturm