Liebe Gabi,
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Ich habe ja geschrieben, dass ich akzeptiert habe, dass ich noch weiterleben muss, aus Gründen, die bislang im Dunklen liegen.
Ich habe bisher so gut ich konnte versucht, mich zum Weiterleben zu motivieren und einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden, dass ich absolut keinen Sinn mehr in meinem Dasein sehe und auch nicht das Gefühl habe, mein Leben wäre etwas Kostbares, Schützenswertes.
Und dem Wissen, dass ich es erstens nicht fertigbringe mir etwas anzutun und zweitens die Möglichkeit nicht außer Acht lasse, dass ich tatsächlich in der Zukunft noch irgendeine Aufgabe haben könnte, wenn ich mir auch im Moment nicht im Entferntesten vorstellen kann, was das sein könnte.
ich glaube, für die meisten Menschen ist das nicht nur schwer zu begreifen, sondern kommt für sie einem Paradoxon gleich. Natürlich bin ich mir nicht sicher, aber ich glaube (und fürchte), sehr genau zu wissen was du meinst.
Das alles hat nichts mit akuter Suizidalität oder Suizidalität generell zu tun (- der 1. Punkt, den viele nicht verstehen). Es ist einfach ein Weiterleben mit der Gewissheit, dass es keine Basis, keinen Grund, keinen Sinn und kein Ziel mehr gibt, denen dieses Weiterleben zu Grunde liegt (- der 2. Punkt, der oft nicht verstanden wird: diese innere Gewissheit). Natürlich weiß man nicht, was die Zukunft bringt. Auch wenn ich nicht ausschließe, dass noch etwas kommen kann, das mich berührt oder etwas in meinem Leben besser macht, reicht es mir persönlich nicht aus, einen Sinn in eine Eventualität oder eine vielleicht kommende Möglichkeit zu legen, deren Eintreffen absolut ungewiss ist und von der ich auch so gar keine Vorstellung habe, weil es ja nichts Konkretes gibt, was ich mir wünsche oder ich noch erreichen will.
Als ich das für mich erstmals so erkannt habe, hat mich das in einen ganz extremen Zustand von nackter Angst und zugleich Ruhe versetzt. Es war keine Panik, es war eine ruhige, klare, bohrende Angst.
Kennst du die Filme von Lars von Trier? Das ist ausdrücklich keine Empfehlung, sie sind kompliziert, extrem eigenwillig und fragwürdig und laufen tatsächlich stellenweise über ewig erscheinende Minuten in Zeitlupe ab. Die Handlungen der Protagonisten sind oft sinn- und ziellos und man weiß meistens von Anfang an, dass alles mit einer Katastrophe oder im Nichts enden wird. Eigentlich egal, man weiß: es wird enden. Dieses Wissen macht es eigentlich unerträglich, diese Filme anzuschauen, sie werden von diesem zähen Gefühl der zeitlupenlangsamen Hilf- und Sinnlosigkeit getragen. Aber das sind nur Filme, man ist nur Zuseher. Das Gefühl beim Anschauen ist nur ein Schatten eines Gefühls, mehr nicht.
Jedenfalls kommt es mir oft so vor wie dieses Gefühl (- und zwar das echte, reale Gefühl. Nicht sein Schatten), wenn ich realisiere, wie viel übriges Leben noch da ist und, dass ich einfach weiß, dass es nicht mehr gut werden und keinen Sinn, kein Ziel mehr geben kann (- ja, vielleicht kleine Sinne und kleine Ziele, aber nicht den elementaren, lebensnotwendigen Sinn, den ich in meinem Leben mit H. hatte). Oft kommt mir alles so vor, wie in den Zeitlupen-Szenen aus den Lars von Trier-Filmen. Es geht langsam, so schrecklich langsam Richtung Ende, aber das ist gar nicht das Problem. Das Problem ist die Zeit bis dahin und ihre vollkommene Zwecklosigkeit. Es wird einfach nicht mehr gut.
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Die Tatsache, dass alles beendet und absolut nichts zu tun ist in meinem Leben macht mich wahnsinnig.
Das verstehe ich, ich glaube mir ginge es auch so. Vielleicht sind Tereschkowas Tricks wirklich eine gute Idee.
Ich halte mich mit einem vielleicht absurden, dummen "Pflichtgefühl", einer Art Treueschwur an H. über Wasser.
Zu meinen persönlichen Angelegenheiten habe ich fast gar keine Verbindung mehr, leider.
Aber ihre liegen mir am Herzen.
Ihr Patenkind, solange es noch Kontakt gibt. (Leider spüre ich, dass meine Bemühungen bei weitem nicht ausreichen und ich den bereits entstandenen Abstand nicht wieder aufholen kann).
Ihre Katzen (- die auch meine Katzen sind, aber innerlich bin ich manchmal so stumpf und kalt, dass ich selbst ihnen gegenüber nur mechanisch agieren kann. Es tut mir so leid, aber ich weiß nicht, wie ich es ändern kann).
Und dann noch ganz, ganz kindische Kleinigkeiten, zum Beispiel:
Es gibt hier stapelweise ungelesene Bücher. Wir haben immer viel gelesen, vor allem H., aber man kauft nun man schneller Bücher, als man sie lesen kann. Das Wissen, dass sie für immer ungelesen bleiben, ist mir unerträglich und in meinem Kopf hat sich der Gedanke festgesetzt, dass das nicht sein darf.
Die Krux daran ist, dass ich es aber nicht schaffe, eines dieser ungelesenen Bücher auch nur aufzuschlagen. Viele sind von Reisen mitgebracht oder aus Antiquariaten oder von Flohmärkten und ich kann mich bei fast jedem erinnern, woher wir es haben. Ein Buch, um das ich seit Wochen kreise, hat auf der Rückseite noch das Preisschild kleben. Gekauft in einem Buchgeschäft in Berlin. Ich kann mich so gut an diesen Tag erinnern und ich mussmussmuss das Buch (und alle anderen) lesen, aber ich kann's nicht.
Es ergibt keinen Sinn, aber vielleicht ist es unter anderem dieser kleine, kindische, sich spießende Kreislauf aus müssen und nichtkönnen, der ein Bleiben und Ausharren irgendwie rechtfertigt. Ich weiß auch nicht.
Ich wünschte auch, ich wüsste, was zu tun ist.
Liebe Grüße, Sturm