Beiträge von Sturm

    Bis vor fünf Monaten wusste ich nicht, wie einnehmend Trauer sein kann und wie wenig Platz für's Menschsein sie lässt. Wenn ich zurückdenke, wird mir klar, dass ich es mir damals nicht einmal annähernd hätte vorstellen können. Was ich mittlerweile weiß: Trauer bringt das Schlechteste in mir hervor. Mitgefühl ist in beide Richtungen kaum möglich, aufrichtige Empathie für die Probleme anderer empfinden? Es fällt so schwer. Sich mit anderen freuen? Ich kann's nicht mehr. Noch schlimmer, ich bin eifersüchtig und neidisch auf das Glück anderer, es ist wirklich grässlich. Vor allem bilde ich mir in ganz schlimmen Momenten ein, zu wissen und zu erkennen, dass sie ihr Glück gar nicht richtig zu schätzen wissen. Und dazu, so denke ich rational, habe ich kein Recht, egal wie beschissen mein eigenes Leben jetzt auch sein mag. Nein, so war ich früher nicht.


    Ich will auch nicht so sein, liebe Tigerlily. Aber tatsächlich ist keine Kraft übrig, mich darum zu kümmern, wie ich für andere fühle und zu anderen bin. Keine Kraft, kein Fundament, nichts. Zugleich kenne ich auch die Schuldgefühle, sich vielleicht nicht genug anzustrengen, um sich zusammenzureissen, es nicht genug zu wollen, wieder einen Sinn in diesem gottverdammten Leben zu finden. Um ehrlich zu sein: ich weiß nicht, ob das berechtigte Gedanken sind, wie sehr man es in der Hand hat und wie viel man dazu beitragen kann, sich besser zu fühlen. Subjektiv erlebe ich es so, dass ich rein gar nichts unter Kontrolle habe und alles, was noch übrig ist vom Scherbenhaufen der mein Leben geworden ist, zwischen meinen Fingern zerrinnt. Deswegen habe ich keine Ahnung, wie man etwas beitragen kann und was. Es bleibt ja auch immer die (für mich) entscheidende Frage: wofür? Wozu? Es ist schwer sich Mühe zu geben und anzustrengen für ein Leben, das man gar nicht haben will. Das Bizarre, ja fast Geschmacklose: das einzige, was mich manchmal ein bisschen tröstet, ist tatsächlich nicht alleine damit zu sein und zu wissen, dass es Menschen gibt, die ähnlich empfinden.


    Liebe Grüße, Sturm

    Geht es euch auch so, dass ihr den Tod eurer/eures Liebsten immer noch nicht fassen könnt?

    Ja, sehr, sehr oft.

    Am schlimmsten sind die Reflexe. Der Reflex, sie anzurufen, wenn "irgendetwas ist". Nachts im Halbschlaf oder morgens nach dem Aufwachen nach rechts zu fassen und nur durch eine ganz kleine, kurze Bewegung festzustellen: sie ist da (bzw. jetzt: das Gegenteil). Automatisch zwei Tassen Tee zu füllen oder beim Einkaufen Dinge mitzunehmen, die sie mochte, das passierte mir schon ein paar mal unbewusst und ich merkte es erst zu Hause beim Auspacken. Alles so tief eingebrannt, weil dieses gemeinsame Leben einfach richtig war.


    Kohlrabenschwarz, ich kann auch nichts weggeben und ich werde auch nicht, solange ich nicht muss - aus welchen Gründen auch immer. Ein paar Sachen fehlen leider auf Grund der Umstände und das ist schlimm für mich. Alles andere werde ich behalten, beschützen und verteidigen. Mach das auch so, wenn es für dich richtig ist. Für mich ist auch jede Kleinigkeit eine Kostbarkeit geworden und ich sehe mir ständig alles an.

    Zitat

    Das jemand, der so gerne gelebt hat, das Leben genossen hat, so klug, besonnen, friedliebend, liebevoll und herzensgut war, einfach nicht mehr da ist und nicht mehr wiederkommt, nein, ich kann es einfach nicht verstehen.

    Ganz ehrlich, das ist auch nicht zu verstehen. Es ergibt keinen Sinn. Es ist falsch, so entsetzlich und vollkommen falsch und es tut mir unfassbar leid für dich, für euch und für eure Familie. Ich finde es schön, dass ihr morgen gemeinsam auf deinen Mann anstoßen möchtet und doch ist das alles so traurig und unfair.


    Es hilft zwar kaum, aber du bist nicht alleine. Ich kann deine Gedanken nachvollziehen. Trost habe ich leider nicht.


    Alles, alles Gute für morgen. Ich weiß nicht richtig, was das sein soll - "alles Gute" - und dieser Wunsch kommt mir seltsam vor, wenn ich daran denke, wie schwer und wie traurig der morgige Tag wohl für dich sein muss. Was ich vielleicht eher meine: ich denke an dich und es tut mir leid, sehr. Liebe Grüße, Sturm

    Liebe Markiin,


    es tut mir sehr leid, dass es dir gerade schlecht geht.

    Wenn ich merke, dass ich unmittelbar davor stehe von meinen Gefühlen überrollt zu werden, hilft oft leider gar nichts, aber manchmal tatsächlich (und ich weiß, das klingt profan und wie aus dem "Trauer für Dummies"-Ratgeber): Bewegung. Ich gehe dann raus und laufe ziellos durch die Straßen (nachts) oder auch die Natur (tagsüber), habe dann neben allem anderen so einen komischen "Fluchtdrang" in mir und irgendwie nimmt es mir ein wenig von dem Gefühlsstau, wenn ich einfach losgehe, an der frischen Luft und in der Kälte bin. Ändert alles nichts an den Gedanken und Gefühlen, die hochkommen, aber mir geht es damit zumindest ein bisschen besser.


    Ich hoffe, du kommst gut durch die Nacht. Liebe Grüße, Sturm

    Lieber Robert,


    es tut mir leid, dass zu hören. Leider kann ich auch nichts Tröstendes sagen, weil es einfach nichts gibt. Ich glaube, das Ernüchternde daran, den Dezember überstanden zu haben, ist, dass die Erleichterung ausbleibt. Ja, diese früher so schönen und jetzt so schrecklichen Tage sind vorbei, man konnte sie hinter sich bringen und sie irgendwie überleben, aber warum erleichtert sein? Jeder neuer Tag und jeder neue Monat ist für sich schrecklich, es bleiben neue Tage und neue Monate ohne unsere Liebsten. Und dann bist du auch noch eineinhalb Jahre ohne deine Christie. Ich kann mir nicht vorstellen, wie schlimm sich das anfühlen muss. Es tut mir so leid.


    Alles, alles Liebe für dich. Für dich auch, liebe Flora!


    Liebe Grüße, Sturm

    Lieber Robert, wie geht es dir?


    (Bitte entschuldige, die Frage klingt so falsch und so platt. Ich meine sie keinesfalls platt und auch nicht oberflächlich. Bloß sah ich dich eben online und mir fiel auf, schon eine Weile nicht mehr von dir gelesen zu haben. Ich hoffe, du bist okay. So okay, wie eben möglich.)

    Es gibt keine falschen oder richtigen Erinnerungen. Erinnerungen sind auch immer eine Art Interpretation. D.h. wir sehen etwas schlechtes oder gutes oder nehmen einfach ein Wort aus einem Gespräch raus.


    Ohne eine Interpretation wuerden wir einfach eine Situation sehen ohne sie zu bewerten... also wie ein Film ohne Kommentator.

    Genau das ist leider das Problem.

    Es geht nicht um eine Interpretation. Zumindest nicht nur um eine Interpretation. Für mich geht es wirklich um falsche und richtige Erinnerungen und um Realität und Nicht-Realität. Also (auch, aber) weniger um: wie empfinde und sehe ich das, was war, heute - sondern mehr um: war das, was ich heute denke zu sehen (/ zu erinnern), wirklich? War es nicht? Ist das zwischen uns so passiert? War sie so, war ich so? Ich verstehe, dass es für Außenstehende vollkommen verrückt klingt, aber da sind so viele Lücken und schwarze Löcher und dann eben Erinnerungen, bei denen ich wirklich nicht mehr sagen kann, ob das so stattgefunden hat oder anders oder gar nicht.

    Anders: wenn mir jemand, der uns beide kannte, sagt: "Ich habe euch zusammen so wahrgenommen.", kann ich weder bejahen noch verneinen. Kein Gefühl dazu, klingt alles gänzlich fremd und nicht nach uns. Das ist so schrecklich. Aber vor allem geht es mir natürlich um all jenes, das nur zwischen uns beiden war. Und leider ist man, die hier gebliebene, übriggebliebene Hälfte, nun der einzige von zwei Zeugen. Wahrscheinlich sind es am Ende einfach die ganz elementaren Fragen, die man so sehnlichst beantwortet haben möchte und deren Antworten man in den Erinnerungen sucht. Wusste sie, dass ich sie liebe und wie sehr? War sie noch glücklich mit unserem Leben? Wollte sie das alles noch? Hat sie mich noch geliebt? Kann sie mir verziehen? Aber ich befürchte, das bleibt ein ewiges Sich-im-Kreis-drehen.


    Liebe Grüße, Sturm

    Wieder zum Thema, entschuldigt schon vorab, ich fürchte das wird gleichermaßen wirr wie selbstfokussiert, aber mich interessieren eure Gedanken dazu.


    Ich hatte vor ein paar Tagen einen Termin bei einer Therapeutin, in erster Linie wegen meiner Schwierigkeiten mit meinem Bewusstsein und meinen Erinnerungen. Es ist die zweite Therapeutin, die ich deswegen aufsuchte.


    Die erste Therapeutin, mit der ich darüber sprach, war leider gar nicht mein Fall. Wahnsinnig freundlich, für mein Empfinden beinahe übertrieben freundlich, nervtötend gut gelaunt und primär daran interessiert, ihren Schreibtisch aufzuräumen und parallel dazu aufzumuntern, zu trösten, gute Energie zu versprühen (- ihre eigene Aussage) und jeden auch nur ansatzweise negativen Gedanken, den ich versuchte in Worte zu fassen, sofort mit einer plüschigen Metapher im Keim zu ersticken, die sicher tröstlich gemeint war, aber mir absolut nichts bringt. Schwer genug mit einer fremden Person über all das zu sprechen, aber dieser Frau ging es gar nicht darum zuzuhören und darauf einzugehen. Für mich hat das überhaupt nicht gepasst.


    Nun vor zwei Tagen die zweite Therapeutin. Vom ersten Eindruck her ganz anders, sehr zurückhaltend, fast distanziert und kühl, schon beim Klären der Formalitäten sehr analytisch. Cool, dachte ich, das brauche ich. Analytisches Feedback von jemandem, der Ahnung und Distanz hat. Ich versuchte also zu erzählen und zu erklären. Fällt euch das eigentlich auch so verdammt schwer? Wann immer ich versuche, zu erklären, was mir meine Freundin bedeutet und was folglich ihr Verlust bedeutet, fällt mir entweder gar nichts ein oder aber ich rede und rede und brauche und verbrauche hunderte, tausende, zehntausende Worte, aber weiß genau, dass sie niemals den Kern treffen werden. Kennt ihr das?

    Wie auch immer. Die Therapeutin hörte sich erst meinen Versuch einer Erklärung an, überwiegend ging es eben um das Problem mit verschwommenen, fehlenden, vielleicht falschen Erinnerungen und meine Unfähigkeit einzuschätzen, wie unser Leben und unsere Beziehung tatsächlich war. Ich habe nichts Konkretes über meine Freundin gesagt, nichts Konkretes über unsere Beziehung und nichts Konkretes über mich. Es ging erstmal nur um die Tatsache, dass sie nicht mehr da ist, und die Problematik mit den verzerrten Erinnerungen. Als ich fertig war, mit dieser Erklärung und auch ein bisschen mit den Nerven, sagte die Therapeutin im Grunde genommen sinngemäß, meine Verwirrung wäre kein Symptom von Trauer (- ich sagte zuvor, dass das alles vielleicht so ist, weil ich so traurig bin und es sich insgesamt sehr auf mein Denkvermögen schlägt), sondern ein Symptom, das auf eine Schieflage in unserer Beziehung hinweisen würde. Denn hätte es dieses Ungleichgewicht nicht gegeben, gäbe es keinen Grund für mich rückblickend an allem zu zweifeln. Es hätte auch nichts mit Denken zu tun, sondern einem Gefühl, das bislang im Unbewussten lag. Dass ich zweifle und unsicher bin, würde beweisen, dass unsere Beziehung nicht glücklich und nicht okay war, was man - steckt man mittendrin - oft nicht wahrhaben will und alles, was dafür spricht, erfolgreich ausblendet und verdrängt. Dann sprach sie über das Stockholm-Syndrom und erzählte, dass man es vom Prinzip her auch auf unglückliche Beziehungen umformen kann. Man arrangiert sich und verherrlicht und erst viel später und danach sieht man die deutlich schlechtere Realität. Sie sagte noch einiges mehr, aber an der Stelle ging mein Gehirn in den Standby-Modus und konnte einfach nicht mehr aufnehmen, was sie sagte.


    Bis jetzt weiß ich nicht, was ich darüber denken soll. Fakt ist, die Frau kennt uns nicht. Ich habe ihr nichts über uns erzählt, nichts über uns als Menschen, nur über die Tatsache, dass ich nicht weiß, ob mein Erinnerungsvermögen gestört ist oder nicht. Alles in mir wehrt sich gegen ihre Aussagen, aber zugleich kommen mir schon Gedanken wie: vielleicht hat sie recht? Wäre alles gut gewesen zwischen uns und hätten wir keine Probleme gehabt, könnte ich mir jetzt sicher sein, gut zu meiner Freundin gewesen zu sein, alles für sie getan zu haben, sie geliebt zu haben wie sie es verdient. Aber vielleicht bin ich so unsicher und verwirrt, weil es tatsächlich anders war und ich versagt habe. Nach diesem Termin war für mich klar, dass ich nicht wieder dahin gehen möchte, aber jetzt bin ich auch diesbezüglich unentschlossen, weil ich vielleicht einfach Angst vor der Wahrheit habe. Was ich jedenfalls bereue: ihr Vergleich mit dem Stockholm-Syndrom, mir wurde das erst viel, viel später klar, sollte aussagen, dass ich die Geisel meiner Freundin war und erst jetzt, nach der Befreiung aus der Beziehung, sehe, was schlecht war. Das ist nicht nur falsch (absolut und vollkommen falsch!), sondern eine bodenlos unverschämte, schlimme, respektlose Aussage und ich habe meine Freundin nicht in Schutz genommen und verteidigt. Ich will mich nicht rausreden, aber in der Situation war ich wie paralysiert. Aber allein deswegen werde ich wahrscheinlich noch einmal dahingehen. Um das richtigzustellen.


    Parallel zu dieser Erfahrung las ich in den letzten Tagen viel über die Funktionsweise des Gedächtnisses, Erinnerungsverfälschung und False Memory Syndrome. Das kam mir eigentlich ganz hilfreich vor, dieser Versuch zu verstehen, was im Gehirn und im Gedächtnis in Sachen Erinnerungsvermögen schief laufen kann. Maike hatte das ja auch schon vorgeschlagen.

    Am Ende hilft es aber wahrscheinlich auch nur begrenzt, wenn man einfach nicht weiß, was mit dem eigenen Gedächtnis los ist und ob es wirklich ein kognitives Problem ist. Bei Interesse kann ich trotzdem ein paar Links hier einstellen.


    Liebe Grüße und danke für's Lesen. Sturm

    Liebe Bine, auch wenn sich dein Beitrag konkret an Markiin, Dieter und Schatzale richtet, tut er auch allgemein und losgelöst von den vorhergehenden Beiträgen gut. Danke dafür.


    Dazu kommt mir etwas in den Sinn, das ich vor ein paar Tagen in einem Buch las. Ich schrieb den Satz ab, weil ich ihn nicht vergessen wollte:


    "Dort begann der Trauerfluss oder die Trauerquelle, oder wie man es nennen mag, zu sprudeln und würde in gewisser Weise mein ganzes Leben lang strömen."

    Leider habe ich nicht weiter abgeschrieben und mir den nachfolgenden Wortlaut nicht richtig gemerkt, aber sinngemäß schreibt der Schriftsteller weiter, die Trauerquelle wäre anfangs schwarz gewesen, weil er so wütend auf [...] war, weil er ihn verlassen hatte. Später wurde sie klarer.


    Ich mag das Bild, weil darin nicht nur die trostlose Gewissheit liegt, dass man für immer traurig sein wird, sondern auch die Akzeptanz, dass es okay ist, und die Hoffnung, dass sich diese Traurigkeit im Laufe der Zeit immer wieder verändern wird. Mal tiefschwarz und stark und alles niederreissend, mal heller, klarer, erträglicher, mal ganz anders, immer wieder wechselnd. Aber diese Wechsel liegen außerhalb unserer Kontrolle und ganz versiegen wird diese Quelle vermutlich nie.


    (Achso, der Satz stammt aus dem Buch "Durch deine Augen." von Peter Høeg. Das ist keine Empfehlung, aber ich will dennoch denjenigen nennen, von dem das Bild der Trauerquelle stammt.)

    Liebe Helena,


    schlimm und schön, dass du hier hergefunden hast. Der Titel deines Threads berührt irgendetwas in mir. Sogar sehr. Es tut mir so leid, dass ihr euch nicht verabschieden konntet.


    Liebe Grüße und willkommen, Sturm

    ich habe gerade nochmal intensiv nachgedacht. Du hast völlig recht, dass man jeden Morgen eine Fassade aufbaut um den Tag zu überstehen. Das ist auf Dauer sehr anstrengend. Mein berufliches Umfeld ist auch (denke ich) der Ansicht , dass nach fast 2 Jahren die Trauer vorbei ist. Das ist aber definitiv nicht so. Wahrscheinlich bin ich an meiner aktuellen Situation nicht unschuldig weil ich die Trauer lange lange unterdrückt habe. LG ik

    Liebe ik,

    ich glaube nicht, dass ich recht habe - ehrlich gesagt, weiß ich selbst nur selten, was für mich gut und was nicht gut ist. Man muss das vielleicht, zumindest merke ich das an mir, auch immer wieder neu ausloten. Oft ist das, was grade gut ist, auch nur eine Momentaufnahme und fühlt sich später nicht mehr richtig an.

    In den ersten, sehr, sehr schlimmen Wochen "danach", war ich zu gar nichts fähig und irgendwann hat mir die Struktur im Job geholfen, wieder zurück aus der Trance zu kommen. Vor allem auch die Tatsache, dass ich während der Arbeit vollkommen beansprucht werde und an gar nichts anderes denken kann. Mit der Zeit hat das Gefühl, mir würde das helfen, aber wieder abgenommen und der Job wurde bis jetzt mehr zur Be- als zur Entlastung. Sich zusammenreißen, bis zu einem gewissen Grad funktionieren und natürlich auch einen akzeptablen Job liefern - was schwierig ist, wenn einem plötzlich alles egal ist.

    Derzeit fühlt es sich für mich irgendwie besser an, nichts zu müssen. Müdigkeit und Schlaf kommen zu lassen oder auch nicht, nicht für andere funktionieren. Aber vielleicht empfinde ich es auch bald wieder anders und fühle mich mit Alltagsroutine besser. Irgendwie ist es auch nicht einfach, das zu erspüren und zu wissen. Meist stolpere ich eher in diese Phasen und merke erst dann, ob das besser oder schlechter ist als vor diesem Stolperer.

    Wenn du merkst oder glaubst, dass grade die Anstrengung überwiegt, kannst du dich vielleicht für ein paar Tage krankschreiben lassen (oder freinehmen, je nachdem, wie du das lieber handhaben möchtest) und schauen, ob dir das gut tut. Wenn nicht, war es zumindest einen Versuch wert.


    Ja, dass dein berufliches Umfeld wenig oder kein Verständnis hat, kann ich mir gut vorstellen. Wie sollen sie auch verstehen, ihr Leben läuft ganz normal weiter und was dein Leben, wie es vorher war, für immer verändert und beendet hat, ist für viele nicht mehr als eine Randnotiz. Sie nehmen es wahr, registrieren es, sind betroffen, fühlen mit - und dann geht alles wieder seinen gewohnten Gang. Irgendwie kann man das wahrscheinlich auch niemandem zum Vorwurf machen, aber trotzdem fühlt man sich gerade dadurch so abgeschnitten und abgekapselt von allen und allem. Wie ein Außerirdischer in einer plötzlich so fremdartigen Welt.


    Liebe Grüße, Sturm

    Liebe Katarina,


    danke für das Zitat von Christine. Es macht mich sehr nachdenklich und sehr traurig, auch wenn ich natürlich erkenne, dass ihr Gedankengang die Chance enthält, sich ein wenig loszumachen und zu befreien von der Schuld. Für mich persönlich ist das, was sie schreibt, gerade kaum erträglich. Es ist schwer die eigene Machtlosigkeit zu akzeptieren, vor allem wenn man innerlich einfach nicht wahrhaben möchte, was passiert ist und dass es nun tatsächlich Realität sein soll. Alles in mir wehrt sich dagegen, das zu akzeptieren und hinzunehmen.

    Trotzdem ist hier ein guter Platz für Christines Worte, sie sind bestimmt wahr und vielleicht erreichen sie jemanden, der sie gerade dringend braucht und als hilfreich empfindet.


    Danke auch für deine sehr persönlichen Zeilen. Dass du Frieden schließen konntest: wow. Das ist groß und viel und erscheint mir in meiner Position und aus meiner Perspektive wie ein unerreichbares und unmögliches Ziel. Nein, eigentlich anders: ich weiß gar nicht, ob ich Frieden schließen möchte. Meine Enttäuschung und Wut über diese Ungerechtigkeit, auf das Leben und auf mich sind einfach viel zu groß. Natürlich sehne ich mich auch nach Ruhe und Frieden und einer Pause von allen Gefühlen und Gedanken, aber derzeit erscheint es wirklich unerreichbar. Wie auch immer: sagen zu können, dass man Akzeptanz und Frieden gefunden hat, ist sehr wertvoll und ich bin für dich froh. Es war bestimmt nicht einfach, an diesen Punkt zu kommen.


    Liebe Grüße, Sturm

    Lieber Matthias, lieber, lieber Matthias,

    ich verspüre sie nicht und das treibt mich jeden Tag an die Grenze zum Wahnsinn.

    Ihr physischer Körper der ist für immer verloren, nie wieder werd ich ihn spüren, sehen gar anfassen können und das treibt mich ohne Mittel

    jeden Morgen praktisch in den Wahnsinn.

    ich verstehe dich. Mir geht es oft sehr ähnlich und in diesen schlimmen, schlimmsten Momenten des neuerlichen Realisierens habe ich genau wie du, das Gefühl, darüber wahnsinnig zu werden und den Verstand zu verlieren.


    Aber zu eng verbunden? Nein. Nicht zu eng. Es war alles richtig so mit Dorit und dir. Das jetzt, dass ihr getrennt wurdet, ist falsch. Eure enge Verbindung war richtig, so wie sie war und ich will mit dir daran glauben, dass sie weiterhin besteht und du Dorit sehr bald und sehr deutlich spüren kannst, wie und auf welchem Weg auch immer. Ich wünsche es dir so sehr!


    Liebe Grüße, Sturm

    Liebe Tereschkowa,

    Doch diese Lösung ist mit Abstand die hässlichste, bösartigste, herz- und gnadenloseste Art von Lösung,

    die ich je in meinem Leben erleben musste bzw. überleben musste.

    ja. Und ja, immerhin nicht alleine damit sein, selbst wenn es nur über einen dämlichen Computerbildschirm so ist, und sich der Wunsch, mit dieser grausamen Situation nicht alleine zu sein, zum Teil auch absurd und bösartig anfühlt. Das Wissen, dass es euch ähnlich oder genauso geht, macht mich sehr, sehr traurig, aber zugleich denke ich auch: immerhin nicht alleine und das ist vielleicht ein absurder und bösartiger Gedanke, aber trotzdem ein gutes Gefühl.


    Liebe Grüße, Sturm

    Liebe Kornblume,

    Liebe Sturm,

    vielleicht empfindest Du Deine Partnerin als so entsetzlich weit weg und entsetzlich fremd, weil Du Dir

    selbst durch diesen großen Schmerz, fremd geworden bist. Du bist von Deinem wahren Selbst

    (wie es vor dem Verlust war) sehr, sehr weit entfernt.

    ja. Ja, das bin ich.

    Tatsächlich weiß ich gar nicht, wer ich bin ohne sie. Ich habe sie kennengelernt, als ich achtzehn war. Bin mit ihr zusammen, seit ich 21 Jahre alt bin. Ich weiß nicht mehr, wer ich vorher war und ich weiß nicht, wer ich ohne sie bin. Sie ist so untrennbar mit meiner Identität verbunden, dass ich einfach nicht weiß wie ich ohne sie sein kann und vor allem: wer. Zumindest, dass ich nie wieder so sein werde, wie vorher, ist mir klar. Das will ich auch gar nicht.


    Sorry für diesen ausschließlich selbstbezogenen Beitrag. Das war hier so nicht geplant, aber zugleich wollte ich dir, Kornblume, auch aufrichtig antworten, wie es mir eben in den Kopf kommt.

    Liebe Grüße, Sturm

    Liebe ik,

    es tut mir sehr leid, dass dein Mann sterben musste. Dennoch willkommen hier!

    Irgendwie habe ich den Rhythmus verloren.

    Entschuldige die womöglich blöde Frage, aber musst du (derzeit) einen Rhythmus aufrecht erhalten? Du schreibst, du würdest sehr viel arbeiten. Klar, Alltag, Arbeit, irgendwie muss das alles sein und wenn es dir gut tut, ist das sicher auch richtig so. Aber vielleicht gibt es auch die Möglichkeit, eine Auszeit zu nehmen? (Falls das für dich in Frage kommt.)


    Ich frage das, weil ich an mir gerade merke, dass ich mich körperlich etwas besser fühle, wenn ich nicht den Druck habe den alten oder auch nur irgendeinen Rhythmus zu leben. Momentan habe ich frei und daher die Möglichkeit, den Rhythmus selbst zu bestimmen. Morgens kein Weckerklingeln, nicht unter größter Anstrengung eine Außenfassade aufbauen und über den Tag hinweg aufrecht erhalten, abends rechtzeitig einschlafen, um das ganze am nächsten Tag wieder von vorne zu beginnen. Heute Nacht war ich fast drei Stunden spazieren, wenn es später nötig ist, kann ich einfach tagsüber schlafen und dann vermutlich besser, als wenn ich mich gestern Abend dazu gezwungen hätte. So bekommt zumindest der Körper das, was er braucht, zu dem Zeitpunkt an dem er es braucht. Dass es in so einer Extremsituation keine alltagstauglichen Zeitpunkte sind, finde ich nicht verwunderlich.

    Vielleicht ist das ein blöder Gedanke, es ändert ja nichts an deiner Traurigkeit und schon gar nichts an deinem schlimmen Verlust.


    Liebe Grüße, Sturm

    Liebe Maike,

    es tut mir so, so leid, dass es dir ähnlich geht.

    Leider weiß ich nicht, ob es in meinem Fall falsche Erinnerungen sind. Ich kann es nicht ausschließen, aber für mich auch nicht davon ausgehen. Aber ich gebe dir recht, dass ein rationaler, wissenschaftlicher Zugang wahrscheinlich der einzig hilfreiche sein kann.

    Wollen wir zusammen versuchen, wissenschaftlich zu arbeiten? Ich weiß auch, dass ich meine Freundin geliebt habe und weiterhin über alles liebe. Immerhin das weiß ich. Derzeit lese ich ein Buch, allerdings kein primärwissenschaftliches, über das menschliche Bewusstsein und die Bedeutungen von in unserem Bewusstsein verankerten Erinnerungen. Momentan verwirrt es mich vor allem, aber eine kleine Passage daraus fand ich für mich in ihrer Trostlosigkeit auch irgendwie hilfreich: "Trauer hat ihr eigenes Leben. Dagegen kann man nicht so richtig etwas ausrichten."

    Einerseits ist das natürlich schwierig, denn diese Sichtweise bringt den Trauernden in eine sehr passive, hilflose Position und wer möchte schon passiv und hilflos sein? Andererseits nimmt es mir auch ein wenig Druck, diese hässlichen Gedanken und Zweifel selbst zu verursachen, und es gibt mir auf merkwürdige Weise auch ein bisschen Hoffnung, die ich gar nicht näher beschreiben kann. Trauer ist jedenfalls stark und mächtig, es wundert mich nicht, dass sie sogar unser Gehirn besetzen und einnehmen kann.


    Liebe Grüße, Sturm

    Liebe Katarina,

    Heute... nach vielen Jahren sehe ich es doch anders... es war so wie es ist und ich kann es nicht rueckgängig machen. Wir haben uns geliebt und ganz egal wie wir uns gegenseitig verletzt haben oder gebremst haben... die Liebe zueinander war da. Und das ist das Wichtigste<3

    weißt du noch, wodurch du es inzwischen anders sehen kannst? Was für dich passieren musste oder was du für dich erkennen musstest, um es so sehen zu können?


    Manches, was du beschreibst, kommt mir sehr bekannt vor. Wir hatten vor allem am Anfang unserer Beziehung viel zu kämpfen und leider auch im letzten Jahr oder vermutlich in den letzten anderthalb Jahre. Leider lag das vor allem an mir, fürchte ich, und inzwischen stelle ich ähnlich wie von dir formuliert, alles in Frage. Haben wir überhaupt zueinander gepasst? War ich richtig für sie? Habe ich ihr geschadet und wie sehr? Konnte sie mich überhaupt noch lieben? Wollte sie weg von mir und war das ihr einziger Ausweg? Was ist passiert und wieso konnten wir zuletzt nicht mehr miteinander reden? Hilfe, es tut weh, das aufzuschreiben. Aber schlimmer als der Schmerz ist die Tatsache, dass man niemals Antworten bekommen kann. Ich fürchte, egal wie sehr ich alles drehe und wende, egal wie sehr ich mich drehe und wende, es wird sehr, sehr schwierig bis unmöglich darüber zur Ruhe zu kommen.


    Liebe Grüße, Sturm

    Liebe Kornblume,

    Auch ich hatte sehr lange Schuldgefühle in mir, was meine geliebte Mutti betrifft. Ich hätte alles viel besser machen

    können, war oft zu ungeduldig mit ihr und hab ihr auch weh getan. Diese Gedanken fraßen mich innerlich zusätzlich

    zu meiner Trauer auf. Es ging soweit, dass ich sogar glaubte, alles falsch gemacht zu haben.

    diese Gedanken kenne ich sehr gut. Allerdings sind es nicht nur Schuldgefühle und Vorwürfe an mich selbst, das Ganze hat eine weitere Ebene. Das, was du hier beschreibst

    Dann habe ich mir noch vorgestellt, dass meine Mutti neben mir steht und ich ihr alles erzähle, was mich

    so fertig macht und mir diese Schuldgefühle einfach zu schwer wurden. Und ich hörte sie sagen: Kind, was plagst du

    Dich mit solchen Gedanken herum, Du warst für mich da. Du hast alles richtig gemacht. Bitte vergiss diese Schuldgefühle

    und lass sie los. Alles was zählt ist unsere Liebe zueinander.

    ist für mich nämlich gänzlich unmöglich. Es ist seltsam, denn früher hätte ich ohne zu zögern gesagt, dass ich meine Freundin kenne. Ihr Wesen, ihr Innerstes, alles, was sie mich jemals von sich sehen und erleben ließ, und sie dementsprechend gut und relativ sicher einschätzen kann. Ich hätte ohne zu zögern gesagt, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass sich Menschen näher sein können, als wir uns waren. Wir hatten beide sehr großen Anteil am Leben und Innenleben des jeweils anderen.


    Aber jetzt empfinde ich es plötzlich ganz anders. Ich empfinde sie als entsetzlich weit weg und entsetzlich fremd und habe keine Ahnung, was sie denken oder sagen würde. Das spitzt sich zu in teils vollkommen absurden, bizarren Theorien in meinem Kopf. mit denen ich ihr am Ende auch Unrecht tue.

    Ein Teil von mir (- ist das die Ratio? Oder eher mein trauriges Herz? Ich weiß es nicht.) kann meine Freundin schon in etwa einschätzen, aber ich fürchte die ganze Zeit, dass es Wunschdenken ist und nicht, was meine Freundin tatsächlich sagen würde. Versuche ich das zu erahnen, fühle ich mich eher mit Vorwürfen konfrontiert, die sie mir früher nie in der Form machen konnte oder vielleicht sogar gemacht hat, aber ich das so nicht wahrnehmen wollte, weil ich zu egoistisch und ignorant gewesen bin.

    Mir ist klar, dass mir an dem Punkt auch niemand weiterhelfen kann. Aber es sind tatsächlich nicht nur Selbstzweifel und Schuldgefühle. Mir fehlt die Verbindung zu meiner Freundin und ich habe Angst, dass sie mir zurecht fehlt, weil ich sie schon kaputt gemacht habe, als sie noch da war und wir noch ein Paar waren. Damit wäre die Situation, in der ich jetzt bin, also nichts anderes als die Konsequenz von ganz, ganz vielen Fehlern und einer monatelangen Schieflage unserer Beziehung.


    Mich freut aber, dass du deine Mutter so gut und deutlich spüren kannst. Das ist ein großes Geschenk und ich wünsche mir sehr für dich, dass es so bleibt, falls irgendwann wieder negative Gefühle aufkommen sollten (- hoffentlich nicht!). Was dein Bruder sagt, ist sehr klug und bestimmt sehr wahr.

    Natürlich ist ein gemeinsamer Alltag nicht perfekt, natürlich ist auf zwischenmenschlicher Ebene nie alles gut und natürlich gehören Konflikte und Probleme zum Leben. Über diesen Gedanken muss ich noch intensiver nachdenken, aber er ist auf jeden Fall hilfreich. Danke dafür.


    Liebe Grüße, Sturm

    Liebe Tereschkowa,

    Momentan fehlen mir leider die Worte und die Kraft mehr dazu z schreiben,

    daher nur meine kurze Zustimmung und mein Mitgefühl.

    das verstehe ich gut. Aber schon deine kurze Zustimmung lässt mich weniger alleine damit und, ja, auch ein bisschen weniger entrückt und verrückt fühlen. Danke dafür, auch wenn ich wünschte, dass es anders für dich wäre. Schreib hier gerne, wann immer du das Bedürfnis und die Kraft hast.


    Liebe Grüße, Sturm



    Liebe Karin,

    Ihr Lieben,

    ich bin bestürzt und traurig ,dass ihr euch solche Fragen stellt.

    danke dir, für dein Mitfühlen.


    Ich habe mich auch schon gefragt, ob ich das alles so empfinde, weil meine Freundin so plötzlich und unerwartet starb und es keine Gelegenheit für einen Abschied gab. Wahrscheinlich hat dieser Umstand sehr großen Anteil daran. Keine Möglichkeit für ein letztes Bekenntnis zueinander, aber auch keine Möglichkeit für eine letzte Aussprache, Entschuldigung oder Wiedergutmachung zu haben, ist sehr schlimm. Was nicht bedeuten soll, dass ein langer Abschied in irgendeiner Form einfacher wäre. Mir jedoch fehlt das sehr. Dass ich ihr nicht nochmal sagen konnte, was ich für sie empfinde, was sie mir bedeutet, wie unfassbar dankbar ich für so vieles bin. Und natürlich wie leid mir sehr vieles tut, wie gerne ich vieles anders gemacht hätte und wie schlimm und dumm es ist, dass ich das erst jetzt erkenne.


    Karin, ich bin unbekannterweise sehr froh, dass dir zumindest diese Fragen erspart bleiben. Schlimm und furchtbar genug, gemeinsam den Abschied kommen zu sehen und schlimm und furchtbar genug, jetzt getrennt zu sein.


    Liebe Grüße, Sturm