Verzerrte Erinnerungen und Gefühle.

  • Guten Morgen,


    ich stelle diese Fragen bewusst in einem eigenen Thread, weil ich sie gerne allgemein diskutieren würde, wenn jemand mag. Dass das nicht vollkommen losgelöst (oder eher gar nicht losgelöst) von den eigenen Erfahrungen möglich ist, ist mir dabei natürlich klar.

    Trotzdem betrifft es vielleicht auch einige von euch und ihr habt diesbezüglich womöglich auch Redebedarf? Jedenfalls hoffe ich, es ist in Ordnung hierfür ein eigenes Thema zu öffnen. Falls nicht: sorry.


    Mich beschäftigt in den letzten Wochen zunehmend ein Thema und ich habe immer verstärkter damit zu kämpfen: verzerrte oder vielleicht sogar falsche Erinnerungen und Gefühle bezogen auf meine Partnerin und unsere Beziehung.

    Das geht Hand in Hand mit der zum Teil vollkommenen Unfähigkeit, realistisch einschätzen zu können, was tatsächlich wahr ist und was nicht, weil es vielleicht durch die Trauer verfälscht wird.

    Kennt jemand dieses Problem und wie geht ihr damit um?


    Was mich zusätzlich belastet und verunsichert, ist, dass ich merke, wie der allererste Schock über das Geschehen langsam und kontinuierlich abklingt. Dieser eiskalte Schock, die Lähmung, Denkunfähigkeit und Unwirklichkeitsgefühle sind noch da, aber es wird in der Hinsicht auch besser und phasenweise kann ich wieder etwas strukturierter denken. Damit einher geht nun diese plötzlich ganz, ganz andere Wahrnehmung unserer Beziehung und unseres Lebens. Es fühlt sich leider an, als würde ich erst jetzt rückblickend klar erkennen, wie schlecht vieles lief, wie falsch ich mich verhielt und wie wenig ich meiner Freundin gerecht wurde.

    Wenn ich versuche mit jemandem darüber zu reden, der uns beide sehr gut kannte, wird das allerdings negiert. Bisher wurde mir (teils liebevoller, teils unangenehmer, teils genau so) gesagt, dass ich mich in etwas verrenne und hineinsteigere und diese Gedanken Quatsch sind, wir seien doch ein tolles Paar gewesen. Das hilft mir leider nicht weiter und ich möchte mit den Menschen in meinem Umfeld, die es sicher gut meinen, auch nicht mehr darüber sprechen.

    Ich merke zwar tatsächlich, wie diese Gedanken in meinem Kopf kreisen und dabei an Fahrt aufnehmen, aber zugleich habe ich das sehr bittere Gefühl, erst jetzt richtig sehen und realistisch einschätzen zu können, dass ich in unserer Beziehung versagt habe. Wenn mir dann jemand sagt, dass es Quatsch ist, denke ich: was weißt du schon? Du kennst uns zwar, aber nicht das, was nur zwischen uns beiden war.


    Kurz: meine Erinnerungen und Gefühle wirken auf mich einerseits sehr klar und real (- was leider zu unfassbar schmerzhaften und unerträglichen Erkenntnissen führt), andererseits auch verschwommen und verzerrt und seltsam weit entfernt. Selbst in schönen und liebevollen Situationen sehe ich plötzlich so viel Falsches, Schlechtes und das Schlimmste daran: es zwingt mich, alles in Frage zu stellen. Auch unsere Liebe.


    Nun liegt der Fokus meines Textes doch viel zu sehr auf mir und meiner Situation, entschuldigt bitte. Es ist aber wirklich nicht meine Intention hauptsächlich über mich und meine Situation zu sprechen, bloß weiß ich nicht, wie ich das Problem allgemeiner und neutraler beschreiben soll. Natürlich ist es in euren Antworten vollkommen okay, über euch und eure Situation zu schreiben. Mir ist an der Stelle nur sehr wichtig, klarzustellen, dass es nicht primär um meine spezifische Situation gehen soll.


    Ein gemeinsamer Austausch wäre wirklich schön, wenn ihr möchtet, und sich jemand auch in dieser inneren Zerrissenheit, Verschwommenheit, Verwirrtheit wiederfindet und auch gar nicht mehr einschätzen kann, ob man blind ist oder doch klarer sieht als je zuvor.


    Liebe Grüße, Sturm

  • Liebe Sturm,


    Kennt jemand dieses Problem und wie geht ihr damit um?

    Wenn mir dann jemand sagt, dass es Quatsch ist, denke ich: was weißt du schon? Du kennst uns zwar, aber nicht das, was nur zwischen uns beiden war.

    Selbst in schönen und liebevollen Situationen sehe ich plötzlich so viel Falsches, Schlechtes und das Schlimmste daran: es zwingt mich, alles in Frage zu stellen. Auch unsere Liebe.

    Ja.

    Ja.

    Ja.

    Leider.

    Dies quält mich mehr noch als vieles andere.

    Momentan fehlen mir leider die Worte und die Kraft mehr dazu z schreiben,

    daher nur meine kurze Zustimmung und mein Mitgefühl.

    Herzlichst,

    Tereschkowa

  • Ihr Lieben,

    ich bin bestürzt und traurig ,dass ihr euch solche Fragen stellt.

    Es ist so viel Leid auf Euch gekommen.


    Ich stelle mir diese Fragen nicht,vielleicht weil ich über eine lange Zeit Abschied nehmen durfte.

    Vielleicht weil wir zusammen unser Leben Revue passieren lassen durften.

    Vielleicht weil wir beide das Ende nahen sahen.


    Fühlt Euch umarmt.


    Lieben Gruß,

    Karin

  • Liebe Tereschkowa,

    Momentan fehlen mir leider die Worte und die Kraft mehr dazu z schreiben,

    daher nur meine kurze Zustimmung und mein Mitgefühl.

    das verstehe ich gut. Aber schon deine kurze Zustimmung lässt mich weniger alleine damit und, ja, auch ein bisschen weniger entrückt und verrückt fühlen. Danke dafür, auch wenn ich wünschte, dass es anders für dich wäre. Schreib hier gerne, wann immer du das Bedürfnis und die Kraft hast.


    Liebe Grüße, Sturm



    Liebe Karin,

    Ihr Lieben,

    ich bin bestürzt und traurig ,dass ihr euch solche Fragen stellt.

    danke dir, für dein Mitfühlen.


    Ich habe mich auch schon gefragt, ob ich das alles so empfinde, weil meine Freundin so plötzlich und unerwartet starb und es keine Gelegenheit für einen Abschied gab. Wahrscheinlich hat dieser Umstand sehr großen Anteil daran. Keine Möglichkeit für ein letztes Bekenntnis zueinander, aber auch keine Möglichkeit für eine letzte Aussprache, Entschuldigung oder Wiedergutmachung zu haben, ist sehr schlimm. Was nicht bedeuten soll, dass ein langer Abschied in irgendeiner Form einfacher wäre. Mir jedoch fehlt das sehr. Dass ich ihr nicht nochmal sagen konnte, was ich für sie empfinde, was sie mir bedeutet, wie unfassbar dankbar ich für so vieles bin. Und natürlich wie leid mir sehr vieles tut, wie gerne ich vieles anders gemacht hätte und wie schlimm und dumm es ist, dass ich das erst jetzt erkenne.


    Karin, ich bin unbekannterweise sehr froh, dass dir zumindest diese Fragen erspart bleiben. Schlimm und furchtbar genug, gemeinsam den Abschied kommen zu sehen und schlimm und furchtbar genug, jetzt getrennt zu sein.


    Liebe Grüße, Sturm

  • Liebe Sturm


    Ich kann alles auch bejahen... Nach dem Tod sieht man die Beziehung mit ganz anderen Augen.


    Als sie noch lebendig war war ich jeden Tag im siebten Himmel und voller Liebesgefuehle zu ihr. Wir haben sehr viel Leid in unserem Leben gehabt, da eigentlich vieles was wir anpackten permanent schief gelaufen ist. Desweiteren wurden wir nie von der Umgebung akzeptiert und konnten keinen Anschluss oder Freunde finden.


    Wie auch immer... nach dem Tod sah ich unsere Beziehung mit anderen Augen.. wie als ob der Verliebtheits-Liebesschleier weg war (trotz weiterer Liebe im Herzen zu ihr und vermissen) und ich unser ganzes Leben und unsere Beziehung mit anderen Augen sah.


    Ich erkannte sogar, dass ich vielleicht nicht die "richtige" fuer sie war und bereue es sogar, dass wir uns nicht getrennt hatten. Schliesslich waren wir grundverschieden in unseren Vorstellungen und Träumen vom Leben. Natuerlich habe ich alles getan was in meiner Macht stand ihre Träume zu verwirklichen. Mir war es einfach nur wichtig, dass sie gluecklich war. Doch wie konnte ich sie wirklich gluecklich machen, wenn es nicht mein Glueck war welches Leben wir fuehrten? Eigentlich hätte sie eine Frau gebraucht die genauso abenteuerlustig war wie sie.


    Ich habe echt gedacht, dass ich ihr was "genommen" habe...wertvolle Zeit ihres Lebens.


    Heute... nach vielen Jahren sehe ich es doch anders... es war so wie es ist und ich kann es nicht rueckgängig machen. Wir haben uns geliebt und ganz egal wie wir uns gegenseitig verletzt haben oder gebremst haben... die Liebe zueinander war da. Und das ist das Wichtigste<3


    Liebe Stum finde deine Gefuehle und Gedanken aufgrund meiner eigenen Erfahrugnen als vollkommen normal...


    Liebe Gruesse


    Katarina

  • Auch ich hatte sehr lange Schuldgefühle in mir, was meine geliebte Mutti betrifft. Ich hätte alles viel besser machen

    können, war oft zu ungeduldig mit ihr und hab ihr auch weh getan. Diese Gedanken fraßen mich innerlich zusätzlich

    zu meiner Trauer auf. Es ging soweit, dass ich sogar glaubte, alles falsch gemacht zu haben. Einmal redete ich mit

    meinem Bruder darüber und sagte zu ihm, wenn Mutti jetzt zurück kommen würde, ich würde alles anders machen.

    Diese Schuldgefühle fressen mich innerlich auf. Das sagte mein Bruder zu mir: ich liebe meine Söhne sehr, aus ganzem

    Herzen, aber es gibt Tage da könnte ich sie an die Wand klatschen. Und glaub mir, wenn Mutti zurück käme, in spätestens

    einem Vierteljahr, würdet ihr Euch auch wieder anfangen zu zoffen. Das gehört einfach zum Menschsein dazu.

    Ich habe lange über diese Sätze nach gedacht, wollte es leugnen, aber ich erkannte immer mehr, dass mein Bruder

    damit Recht hatte. Wenn einem der Alltag wieder eingeholt hat, würde es wieder geschehen, wie bei allen Menschen

    hier auf Erden. Dann habe ich mir noch vorgestellt, dass meine Mutti neben mir steht und ich ihr alles erzähle, was mich

    so fertig macht und mir diese Schuldgefühle einfach zu schwer wurden. Und ich hörte sie sagen: Kind, was plagst du

    Dich mit solchen Gedanken herum, Du warst für mich da. Du hast alles richtig gemacht. Bitte vergiss diese Schuldgefühle

    und lass sie los. Alles was zählt ist unsere Liebe zueinander. Ja, das hat mir geholfen, zwar nicht sofort, ich musste noch

    öfters ein Zwiegespräch mit meiner Mutti in Gedanken führen und auch Gott hab ich meinen Kummer erzählt und dann

    wurde es endlich gut. Jetzt konnte ich endlich ohne Schuldgefühle trauern. Es wurde leichter in meinem Herzen.

    Es war einfach alles viel zu schwer. Dieses freisein von Schuld, erleichtert die Trauer sehr. Da wo unsere Lieben jetzt

    sind zählt nur noch die Liebe und diese bleibt. Alles andere ist vergessen und vergeben.

    Alles Liebe

    Kornblume

  • Liebe Sturm,


    könnten es nicht falsche Erinnerungen sein?

    Diese Pseudoerinnerung hat jeder Mensch.Manchmal treten Handlungen auf,

    die gar nicht passiert sind

    Höchstes Glück und tiefe Trauer werden quasi eingebrannt. Unser Erinnerungsvermögen

    wird vom Limbischen System bestimmt, dem Sitz der Gefühle.

    Erinnerungen bestehen aus Bruchstücken, aus losen unsortierten Blättern

    Erinnerungen sind ein sehr komplexes Thema.

    Du schreibst: Selbst in schönen und liebevollen Situationen sehe ich plötzlich so viel Falsches, Schlechtes und das Schlimmste daran: es zwingt mich, alles in Frage zu stellen. Auch unsere Liebe.

    Da kann ich leider auch nur zustimmen. In meiner Trauer habe ich sogar gedacht ich bin nicht Beziehungsfähig. Wie an einer Perlenkette reihen sich diese Fehler auf. Momentan kann ich nicht auseinander halten was falsch und richtig ist, war, ich sitz in einem Karussell der Gefühle.

    Eins kann ich sicher sagen, ich habe ihn geliebt, er war die Liebe meines Lebens.

    Um mehr darüber zu erfahren, müssen wir wissenschaftlich arbeiten Bisher überwiegt bei mir das Emotiale.


    alles Liebe Maike

  • Liebe Kornblume,

    Auch ich hatte sehr lange Schuldgefühle in mir, was meine geliebte Mutti betrifft. Ich hätte alles viel besser machen

    können, war oft zu ungeduldig mit ihr und hab ihr auch weh getan. Diese Gedanken fraßen mich innerlich zusätzlich

    zu meiner Trauer auf. Es ging soweit, dass ich sogar glaubte, alles falsch gemacht zu haben.

    diese Gedanken kenne ich sehr gut. Allerdings sind es nicht nur Schuldgefühle und Vorwürfe an mich selbst, das Ganze hat eine weitere Ebene. Das, was du hier beschreibst

    Dann habe ich mir noch vorgestellt, dass meine Mutti neben mir steht und ich ihr alles erzähle, was mich

    so fertig macht und mir diese Schuldgefühle einfach zu schwer wurden. Und ich hörte sie sagen: Kind, was plagst du

    Dich mit solchen Gedanken herum, Du warst für mich da. Du hast alles richtig gemacht. Bitte vergiss diese Schuldgefühle

    und lass sie los. Alles was zählt ist unsere Liebe zueinander.

    ist für mich nämlich gänzlich unmöglich. Es ist seltsam, denn früher hätte ich ohne zu zögern gesagt, dass ich meine Freundin kenne. Ihr Wesen, ihr Innerstes, alles, was sie mich jemals von sich sehen und erleben ließ, und sie dementsprechend gut und relativ sicher einschätzen kann. Ich hätte ohne zu zögern gesagt, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass sich Menschen näher sein können, als wir uns waren. Wir hatten beide sehr großen Anteil am Leben und Innenleben des jeweils anderen.


    Aber jetzt empfinde ich es plötzlich ganz anders. Ich empfinde sie als entsetzlich weit weg und entsetzlich fremd und habe keine Ahnung, was sie denken oder sagen würde. Das spitzt sich zu in teils vollkommen absurden, bizarren Theorien in meinem Kopf. mit denen ich ihr am Ende auch Unrecht tue.

    Ein Teil von mir (- ist das die Ratio? Oder eher mein trauriges Herz? Ich weiß es nicht.) kann meine Freundin schon in etwa einschätzen, aber ich fürchte die ganze Zeit, dass es Wunschdenken ist und nicht, was meine Freundin tatsächlich sagen würde. Versuche ich das zu erahnen, fühle ich mich eher mit Vorwürfen konfrontiert, die sie mir früher nie in der Form machen konnte oder vielleicht sogar gemacht hat, aber ich das so nicht wahrnehmen wollte, weil ich zu egoistisch und ignorant gewesen bin.

    Mir ist klar, dass mir an dem Punkt auch niemand weiterhelfen kann. Aber es sind tatsächlich nicht nur Selbstzweifel und Schuldgefühle. Mir fehlt die Verbindung zu meiner Freundin und ich habe Angst, dass sie mir zurecht fehlt, weil ich sie schon kaputt gemacht habe, als sie noch da war und wir noch ein Paar waren. Damit wäre die Situation, in der ich jetzt bin, also nichts anderes als die Konsequenz von ganz, ganz vielen Fehlern und einer monatelangen Schieflage unserer Beziehung.


    Mich freut aber, dass du deine Mutter so gut und deutlich spüren kannst. Das ist ein großes Geschenk und ich wünsche mir sehr für dich, dass es so bleibt, falls irgendwann wieder negative Gefühle aufkommen sollten (- hoffentlich nicht!). Was dein Bruder sagt, ist sehr klug und bestimmt sehr wahr.

    Natürlich ist ein gemeinsamer Alltag nicht perfekt, natürlich ist auf zwischenmenschlicher Ebene nie alles gut und natürlich gehören Konflikte und Probleme zum Leben. Über diesen Gedanken muss ich noch intensiver nachdenken, aber er ist auf jeden Fall hilfreich. Danke dafür.


    Liebe Grüße, Sturm

  • Liebe Katarina,

    Heute... nach vielen Jahren sehe ich es doch anders... es war so wie es ist und ich kann es nicht rueckgängig machen. Wir haben uns geliebt und ganz egal wie wir uns gegenseitig verletzt haben oder gebremst haben... die Liebe zueinander war da. Und das ist das Wichtigste<3

    weißt du noch, wodurch du es inzwischen anders sehen kannst? Was für dich passieren musste oder was du für dich erkennen musstest, um es so sehen zu können?


    Manches, was du beschreibst, kommt mir sehr bekannt vor. Wir hatten vor allem am Anfang unserer Beziehung viel zu kämpfen und leider auch im letzten Jahr oder vermutlich in den letzten anderthalb Jahre. Leider lag das vor allem an mir, fürchte ich, und inzwischen stelle ich ähnlich wie von dir formuliert, alles in Frage. Haben wir überhaupt zueinander gepasst? War ich richtig für sie? Habe ich ihr geschadet und wie sehr? Konnte sie mich überhaupt noch lieben? Wollte sie weg von mir und war das ihr einziger Ausweg? Was ist passiert und wieso konnten wir zuletzt nicht mehr miteinander reden? Hilfe, es tut weh, das aufzuschreiben. Aber schlimmer als der Schmerz ist die Tatsache, dass man niemals Antworten bekommen kann. Ich fürchte, egal wie sehr ich alles drehe und wende, egal wie sehr ich mich drehe und wende, es wird sehr, sehr schwierig bis unmöglich darüber zur Ruhe zu kommen.


    Liebe Grüße, Sturm

  • Liebe Sturm,

    vielleicht empfindest Du Deine Partnerin als so entsetzlich weit weg und entsetzlich fremd, weil Du Dir

    selbst durch diesen großen Schmerz, fremd geworden bist. Du bist von Deinem wahren Selbst

    (wie es vor dem Verlust war) sehr, sehr weit entfernt. Dass das Du bist und nicht Deine Partnerin.

    Verstehst Du was ich meine?

    So ein schwerer Verlust verändert Dich und stellt Dein ganzes bisheriges Leben auf den Kopf. Du erkennst

    Dich selbst nicht wieder. Aber das pendelt sich wieder ein. Aber das brauch Zeit. Sehr viel Zeit. Aber die, die Du mal warst, wirst Du nie wieder sein.

    Weiß nicht, ob Du damit was anfangen kannst. Es war nur so ein spontaner Gedanke von mir.

    Alles Liebe

    Kornblume

  • Liebe Maike,

    es tut mir so, so leid, dass es dir ähnlich geht.

    Leider weiß ich nicht, ob es in meinem Fall falsche Erinnerungen sind. Ich kann es nicht ausschließen, aber für mich auch nicht davon ausgehen. Aber ich gebe dir recht, dass ein rationaler, wissenschaftlicher Zugang wahrscheinlich der einzig hilfreiche sein kann.

    Wollen wir zusammen versuchen, wissenschaftlich zu arbeiten? Ich weiß auch, dass ich meine Freundin geliebt habe und weiterhin über alles liebe. Immerhin das weiß ich. Derzeit lese ich ein Buch, allerdings kein primärwissenschaftliches, über das menschliche Bewusstsein und die Bedeutungen von in unserem Bewusstsein verankerten Erinnerungen. Momentan verwirrt es mich vor allem, aber eine kleine Passage daraus fand ich für mich in ihrer Trostlosigkeit auch irgendwie hilfreich: "Trauer hat ihr eigenes Leben. Dagegen kann man nicht so richtig etwas ausrichten."

    Einerseits ist das natürlich schwierig, denn diese Sichtweise bringt den Trauernden in eine sehr passive, hilflose Position und wer möchte schon passiv und hilflos sein? Andererseits nimmt es mir auch ein wenig Druck, diese hässlichen Gedanken und Zweifel selbst zu verursachen, und es gibt mir auf merkwürdige Weise auch ein bisschen Hoffnung, die ich gar nicht näher beschreiben kann. Trauer ist jedenfalls stark und mächtig, es wundert mich nicht, dass sie sogar unser Gehirn besetzen und einnehmen kann.


    Liebe Grüße, Sturm

  • Trauer ist jedenfalls stark und mächtig, es wundert mich nicht, dass sie sogar unser Gehirn besetzen und einnehmen kann.

    Liebe Sturm,

    ja.

    Natürlich heißt es: "Trauer ist nicht das Problem, sondern dessen Lösung."

    Doch diese Lösung ist mit Abstand die hässlichste, bösartigste, herz- und gnadenloseste Art von Lösung,

    die ich je in meinem Leben erleben musste bzw. überleben musste.

    Danke, für Deine und Eure Beiträge ich bin ebenfalls "froh", dass ich mir nicht alleine

    so verzerrend, unfähig und auch ungerecht vorkomme.

    Herzlichst,

    Tereschkowa

  • Liebe Sturm


    Hier mal ein Beitrag von Christine, die Bestatterin und Psychologin ist. Sie hat es gut auf den Punkt gebracht.


    Vielleicht sollten wir uns einfach bewusst machen, dass man den Tod einfach nicht in der Hand hat. Früher oder später kommt er zu jedem. Er ist nicht vermeidbar. Schuldgefühle tauchen bei Hinterbliebenen fast immer auf, auch wenn dazu überhaupt kein Grund besteht und zwar, weil wir wünschen, dass wir durch unser Verhalten etwas ändern hätten können, statt dem Schicksal ausgeliefert zu sein. Die Ursache liegt zu eine großen Teil an unserem Hang zu Perfektionierung und Optimierung: Wir neigen dazu, uns auf das zu konzentrieren, was schief gelaufen ist und nicht auf das, was wir gut gemacht haben. Dann versuchen wir es besser zu machen. Den Tod kann man aber nicht optimieren, er kommt in jedem Fall, auch wenn wir uns noch so bemühen ihn zu verhindern, es ist vergeblich. Uns bewusst zu machen, dass wir ihm gegenüber machtlos, kann Angst machen, gleichzeitig ist diese Bewusstwerdung eine Chance, die uns die Last der Schuld wegnehmen kann.


    Zu deinen Fragen an mich:


    Wir haben nicht zusammengepasst und heutzutage kann ich es akzeptieren und habe Frieden damit geschlossen.


    Es war ein Prozess und schlussendlich habe ich auch erkannt, dass ich eine Psychotherapie brauche um endlich zu lernen, dass jeder Mensch fuer sich selber verantwortlich ist.


    Man sollte auch liebevoll und mitfuehlend mit sich selber umgehen was ich lange nicht konnte, was aber an meiner Vergangenheit vor meiner Frau gelegen hat.

    Wir alle haben eine Geschichte, eine Vergangenheit auch vor unseren Partnern, die öfters Elemente von erlebter Gewalt, Verletzungen oder Traumen enthält.


    Genau solche Erfahrungen kommen leider in der Trauer auch wieder hervor. Der TOD also eine neue Krise oder Trauma im Leben öffnet das tiefste Innere und alle Krisen und Traumen aus der Vergangenheit kommen wieder hoch, die nie bearbeitet wurden. Auch Gefuehle der Wertlosigkeit, Selbstzweifel, Schuldgefuehle, Selbsthass usw. usw. Dies sind meine Gedanken und Erfahrungen dazu.



    Sind Dir ganz liebe Knuddlis und sei lieb zu Dir


    Katarina

  • Liebe Kornblume,

    Liebe Sturm,

    vielleicht empfindest Du Deine Partnerin als so entsetzlich weit weg und entsetzlich fremd, weil Du Dir

    selbst durch diesen großen Schmerz, fremd geworden bist. Du bist von Deinem wahren Selbst

    (wie es vor dem Verlust war) sehr, sehr weit entfernt.

    ja. Ja, das bin ich.

    Tatsächlich weiß ich gar nicht, wer ich bin ohne sie. Ich habe sie kennengelernt, als ich achtzehn war. Bin mit ihr zusammen, seit ich 21 Jahre alt bin. Ich weiß nicht mehr, wer ich vorher war und ich weiß nicht, wer ich ohne sie bin. Sie ist so untrennbar mit meiner Identität verbunden, dass ich einfach nicht weiß wie ich ohne sie sein kann und vor allem: wer. Zumindest, dass ich nie wieder so sein werde, wie vorher, ist mir klar. Das will ich auch gar nicht.


    Sorry für diesen ausschließlich selbstbezogenen Beitrag. Das war hier so nicht geplant, aber zugleich wollte ich dir, Kornblume, auch aufrichtig antworten, wie es mir eben in den Kopf kommt.

    Liebe Grüße, Sturm

  • Liebe Tereschkowa,

    Doch diese Lösung ist mit Abstand die hässlichste, bösartigste, herz- und gnadenloseste Art von Lösung,

    die ich je in meinem Leben erleben musste bzw. überleben musste.

    ja. Und ja, immerhin nicht alleine damit sein, selbst wenn es nur über einen dämlichen Computerbildschirm so ist, und sich der Wunsch, mit dieser grausamen Situation nicht alleine zu sein, zum Teil auch absurd und bösartig anfühlt. Das Wissen, dass es euch ähnlich oder genauso geht, macht mich sehr, sehr traurig, aber zugleich denke ich auch: immerhin nicht alleine und das ist vielleicht ein absurder und bösartiger Gedanke, aber trotzdem ein gutes Gefühl.


    Liebe Grüße, Sturm

  • Liebe Katarina,


    danke für das Zitat von Christine. Es macht mich sehr nachdenklich und sehr traurig, auch wenn ich natürlich erkenne, dass ihr Gedankengang die Chance enthält, sich ein wenig loszumachen und zu befreien von der Schuld. Für mich persönlich ist das, was sie schreibt, gerade kaum erträglich. Es ist schwer die eigene Machtlosigkeit zu akzeptieren, vor allem wenn man innerlich einfach nicht wahrhaben möchte, was passiert ist und dass es nun tatsächlich Realität sein soll. Alles in mir wehrt sich dagegen, das zu akzeptieren und hinzunehmen.

    Trotzdem ist hier ein guter Platz für Christines Worte, sie sind bestimmt wahr und vielleicht erreichen sie jemanden, der sie gerade dringend braucht und als hilfreich empfindet.


    Danke auch für deine sehr persönlichen Zeilen. Dass du Frieden schließen konntest: wow. Das ist groß und viel und erscheint mir in meiner Position und aus meiner Perspektive wie ein unerreichbares und unmögliches Ziel. Nein, eigentlich anders: ich weiß gar nicht, ob ich Frieden schließen möchte. Meine Enttäuschung und Wut über diese Ungerechtigkeit, auf das Leben und auf mich sind einfach viel zu groß. Natürlich sehne ich mich auch nach Ruhe und Frieden und einer Pause von allen Gefühlen und Gedanken, aber derzeit erscheint es wirklich unerreichbar. Wie auch immer: sagen zu können, dass man Akzeptanz und Frieden gefunden hat, ist sehr wertvoll und ich bin für dich froh. Es war bestimmt nicht einfach, an diesen Punkt zu kommen.


    Liebe Grüße, Sturm

  • Liebe Sturm


    Es hat 4 Jahre gedauert und wie gesagt gehe ich immer noch zur Psychotherapie.


    Bei mir war es Anruf von der Ärztin die mir mitteilte, dass sie sie nach der Operation nicht mehr zurueckholen konnten. Es hat sich in diesem Moment der Boden unter meinen Fuessen aufgetan und ich bin gefallen.

    Ich konnte keine einzige Nacht mehr schlafen... habe nur noch gezittert, mein Herz hat jeden Tag geschmerzt....


    Ging dann zur Gesundheitszentrale und liess mir Beruhigungsmittel geben, die ich aber nur 1-2 nahm, da ich Angst vor einer Abhängigkeit hatte.


    Fuer mich war auch alles unwirklich... unfassbar.... und jeden Tag war ich so unendlich muede. Jede Arbeit auch wenn es nur paar Pinselstriche waren hat mich wahnsinnig viel Energie gekostet.... Diese Energielosigkeit und die Konzentrationsschwierigkeiten haben fast 2 Jahre gedauert....

    Erst ab dem 3. Jahr bin ich irgendwie ein bisschen wieder im Leben angekommen und jetzt im 4. Jahr habe ich ein neues Leben, das sich fuer mich "gut und friedvoll" anfuehlt.


    Liebe Sturm es fuehrt leider kein Weg an dem Schmerz, der Verzweiflung, der Trauer vorbei.... der einzige Weg zur Heilung ist all diese Gefuehle zu leben. Sei achtsam und lieb zu dir selber!


    Mir hat durch diese schwere Zeit sehr das Forum hier geholfen, viele liebe Freunde und meine neue Partnerin und wenn ich nicht schlafen konnte, habe ich all meine Gefuehle und Gedanken ins Forum oder Tagebuch geschrieben. Desweiteren hat mich die Musik von Tarja Turunen sanft an die Hand genommen und durch meine Trauer gefuehrt.


    Wuensche Dir dass Du jeden Tag ein bisschen mehr Leichtigkeit in verspuerst.



    Liebe Gruesse


    Katarina