Hallo zusammen,
eben habe ich beim Stöbern im Forum eine beeindruckende Geschichte im Thread "Der ungebetene Gast" von Zeraphine aus dem Jahr 2010 entdeckt. Sie ist wirklich lesenswert, deshalb stelle ich sie hier nochmal ein (hoffe, daß ich das auch darf, sonst lösche ich es wieder)
Die Trauer ist ein unerwarteter Gast.
Eines schönen Tages klopft sie an Deine Tür und fragt nicht
erst,
ob sie hereinkommen darf, sondern sie setzt sich mitten
in Dein
Wohnzimmer und macht es sich bequem und gemütlich.
Am
Anfang denkt man sich *nun gut, irgendwo muss sie ja sein*
und
bleibt gastfreundlich.
Dann kommt der Punkt, wo man sich denkt *nun könnte sie aber
mal
langsam wieder gehen* und versucht, mit allerlei
diplomatischen und
weniger diplomatischen Mitteln, sie
dazuzubringen, aufzustehen und
sich zu verabschieden, weil man
gern mal wieder für sich sein möchte.
Aber nein, sie hockt
da, stumm und unversöhnlich und bewegt sich
keinen Fleck.
Man versucht sie rauszuzerren, rauszuekeln - aber sie sitzt
da
einfach. Jeden Tag versucht man es wieder, doch wie ein Sack
nasser
Zement thront sie auf Deinem Sofa und schaut Dir die
ganze Zeit über
die Schulter. Du fühlst Dich beobachtet und
unwohl - aber sie sitzt
Und schweigt.
und wartet.
Und weißt nicht mal worauf,
geschweige denn wie lang.
Und noch ein Tag und noch ein
Versuch, sie zum gehen zu bewegen.
Herrgott, in unserer
modernen Welt muss es doch möglich sein, der
Lage Herr zu
werden!
Aber nein, dieses Ding hockt da wie eine Spinne im
Netz und wartet.
Ok, raus will sie nicht.
In Deinem Wohnzimmer ist zuwenig
Platz.
Also fängst du an, Dich an sie zu gewöhnen. Stellst
den Tisch ein
bisschen weiter da und den Stuhl ein bisschen
weiter dort - und nun
sitzt sie zwar noch immer da, aber
nicht mehr in der Mitte.
AHA - denkst Du Dir!
Ich kann sie nicht zum Gehen bewegen - aber ich kann mich um
sie
herum bewegen. Ein bisschen Möbel umstellen, ein
bisschen Perspektive
wechseln und schon sieht sie nicht mehr
so bedrohlich aus.
Tatsächlich kannst Du sogar um sie
herumgehen und sie von hinten
anschauen – unspektakulär.
Weitere Tage vergehen und sie setzt schon langsam ein bisschen
Staub
an, bis sie sich plötzlich wieder mal schüttelt, eine
Trauer-
Staubwolke aufsteigt und Dich einhüllt. *hust* . Du
stellst den Tisch
noch ein bisschen mehr dort und den Stuhl
noch ein bisschen mehr da,
und auf einmal ist sie nur noch der
Rand Deines Wohnzimmers und
nicht mehr das Zentrum.
Aber sie sitzt noch immer da.
Manchmal wirft sie Dir einen
vorwurfsvollen Blick zu und Du fühlst
dich versucht, sie
wieder in die Mitte auszurichten.
Manchmal schüttelt sie sich
und hüllt Dich in eine Staubwolke...
Aber irgendwann ist sie
so eins geworden mit Deinem Wohnzimmer, dass
Du sie nicht mal
mehr siehst, außer wenn sie sich grad schüttelt.
Und so hast
Du aus der Not eine Tugend gemacht und dank dem
ungebetenen
Gast, der nicht mehr gehen wollte, eine ganz neue
Perspektive
in Dein Leben gebracht.
Und würde man nun die Trauer aus Deinem Wohnzimmer entfernen -
so
würde ein hässlicher, kahler Fleck bleiben, weil da auf
einmal etwas
fehlt.
Verfasser unbekannt
Ist das so? Würde uns etwas fehlen, wenn die Trauer entfernt würde? Ich würde liebend gerne auf die Trauer verzichten, aber mein lieber Andreas ist nicht mehr da, und so kann ich mir ein Leben "ohne" nicht mehr vorstellen. Denn das würde für mich bedeuten, daß Andreas für mich nicht mehr wichtig wäre, daß der Verlust nicht mehr wichtig wäre, und das wird nie und nimmer so sein.
Liebe Grüße
Lilifee