Beiträge von Silvia S.

    Ihr Lieben


    Heute hat es wirklich in sich. Zu all den widersprüchlichen Gefühlen vom Nachmittag kam heute Abend noch eine richtig schlimme Wut in mir auf. Eine kaum im Zaum zu haltende Wut. Die in mir brodelte. Ich musste mich extrem beherrschen, sie nicht an meiner Tochter auszulassen, und trotzdem ist es passiert, dass ich ungeduldig und laut mit ihr war und von ihr weggehen und auf die Matratze hauen musste, damit ich mich wieder einigermassen beruhigen konnte. Natürlich ist sie erschrocken. Ich fühle mich hundeelend. So eine Wut kenne ich gar nicht von mir. Ich bin nicht sicher, woher die auf einmal herkommt. Hat sie etwas mit meiner Trauer zu tun? Ist es die Wut auf das Schicksal, das mir meinen Vater viel zu früh genommen hat? Ich kann sie gerade nicht richtig zuordnen. Oder hat sich einfach allgemein zu viel Druck in mir aufgebaut?


    Das alles ist so anstrengend. So unvorhersehbar.


    Dann jetzt wieder die Tränen. So eine Sehnsucht nach ihm, ihn noch einmal zu sehen, mit ihm zu reden. Ihn einfach nur anzuschauen. Ihn noch einmal hier zu haben. Ihm zu sagen, wie leid es mir tut, dass ihm niemand helfen konnte, dass ich die letzten Wochen vor seinem Tod so wenig Zeit mit ihm verbracht hatte, obwohl ich ihn fast täglich gesehen habe. Was gäbe ich, das ungeschehen zu machen. Ich kann es nie mehr wiedergutmachen. Ich möchte, dass unsere Familie wieder vollständig ist, aber es geht nicht. Die Vergeblichkeit meiner Gedanken ist mir so sehr bewusst. Ein richtiges Loch im Herz, eine schreckliche Leere tut sich auf.


    Ich habe heute im Auto das Hörbuch "Sara und die Eule" gehört. Ich habe es ein paar Tage nach dem Tod meines Vaters von einem Freund geschenkt bekommen. Es geht in etwas darum, in eine Geschichte verpackt, wie man möglichst immer in der reinen, positiven Energie leben kann, und dass dies unser Geburtsrecht ist. Obwohl ich das nicht glaube und mir das viel zu einseitig ist, habe ich doch reingehört, naja, so nebenbei, eigentlich war ich gedanklich woanders. Und trotzdem ist ein Satz hängengeblieben, der in etwa so lautet: Trotz allem halte ich mein Herz offen. Irgendwie hat mir das gefallen. Dieses "trotz allem". Trotz allem, was passiert ist, habe ich doch noch die Wahl, ob ich mein Herz öffne oder verschliesse. Mit offenem Herzen trauern ist es, was ich möchte. Dann wird das Herz gross und die Liebe kann fliessen. Und dann wird diese Leere wieder ein wenig aufgefüllt. Das spüre ich auch. Die Liebe zu meinem Vater spüre ich so gross und stark wie nie. Und so denke ich an diese Liebe, die ohne Zweifel da ist und die für immer in mir lebendig sein wird und mein Herz wird wirklich offen, trotz all der Trauer und dem Schmerz und den Schuldgefühlen und der Wut.

    Ich stehe heute wirklich ein wenig neben mir. Ich möchte gerne so vieles schreiben, aber ich finde keine Worte mehr. Ich habe den Eindruck, ich wiederhole mich ständig. Immer nur die gleichen, bedrückenden Gedanken, die gleichen schweren Gefühle. In der getrübten, dunklen Welt, in der ich momentan lebe. Im Moment habe ich auch keine Tränen mehr. Es kommt mir gerade wieder einmal alles sinnlos und leer vor. Und das, obwohl ich eine so liebe, kleine Tochter habe, die ich über alles liebe. Obwohl ich noch meine Geschwister und meine Mutter habe und meinen Partner, die ich auch alle sehr, sehr lieb habe. Und liebe Freunde. Ich glaube daran, dass es irgendwann wieder besser und leichter wird. Nur momentan geht es nicht. Eines Tages wird wieder ein bisschen Frieden in mein Herz einziehen und ein bisschen Luft und Leichtigkeit und vielleicht sogar Dankbarkeit. Aber noch ist es nicht soweit. Noch muss ich durch dieses dunkle Tal, und ich habe keine Ahnung, wie lang es noch ist.

    Ihr Lieben


    Ich danke euch für eure mitfühlenden Kommentare. Heute ist wieder ein schwerer Tag. Denn heute hätte mein Vater Geburtstag gehabt, er wäre 72 Jahre alt geworden. Und heute vor drei Wochen war seine Beerdigung. Ich sitze da und die Tränen laufen über mein Gesicht. Es wäre so ein schöner Tag zum Feiern gewesen, die Sonne scheint, alles ist ruhig und friedlich. Stattdessen ist es für mich ein Tag der tiefen Trauer. Wieder einer, aber heute ist es besonders hart.



    Julia W.

    Liebe Julia. Dieser Drang, noch irgendetwas tun zu wollen, um den Lauf der Dinge zu verändern, ist bei mir sehr stark. Mir ist voll bewusst, dass es nichts zu ändern gibt, dass die Ereignisse waren, wie sie waren, und dass alles umsonst ist, was ich mir so ausdenke. Und doch komme ich nicht dagegen an. Es ist wie ein Strohhalm, an dem ich mich festhalte, in der Hoffnung, dass es wider besseres Wissen vielleicht doch noch anders kommt. Es ist absurd.

    Es tut mir so leid, dass deine Mutter so jung und so unerwartet sterben musste. Ich hoffe einfach, dass wir eines Tages mit diesem riesigen, unersetzbaren und extremen Verlust irgendwie wieder Frieden finden können in unserem Leben, das weitergeht, als ob nichts gewesen wäre.


    Nelo

    Liebe Kerstin. Es ist wahrlich Schwerstarbeit. Du hast Recht, im Gehirn muss sich so vieles umstellen. Und da mein Gehirn im Moment die Realität noch nicht annehmen kann, weil die alten Datenbahnen einfach noch alle da sind (da sie ja auch über viele, viele Jahre regelmässig, jeden Tag gefüttert wurden), bin ich gefangen in diesem Niemandsland. Die alten Gewohnheiten sind noch da und wollen gelebt werden, aber die äusseren Umstände in der Realität lassen es nicht mehr zu. Der bewusste Teil im Gehirn versteht, was passiert ist, im unbewussten Teil jedoch ist die Realität noch nicht so richtig angekommen. Kein Wunder, bin ich innerlich zerrissen.

    Liebe Kerstin


    Ja, es ist so schrecklich mitansehen zu müssen, wie jemand, den wir so sehr lieben, leiden muss. Das ist fast nicht zu ertragen. Ich hätte auch alles getan, um meinem Vater zu helfen, aber niemand konnte ihm mehr helfen, keine Ärzte, keine Medikamente, keine Maschinen, keine Gebete. Und am Ende hatte ich das Gefühl, sie lassen ihn einfach so sterben. Mir steigen sofort die Tränen in die Augen, wenn ich daran denke, wie er einsam mit seiner Sauerstoffmaske schwer atmend da lag. Bei mir waren es nur ein paar Tage, bei dir Jahre. Ich kann mir nicht ausmalen, wie unglaublich anstrengend und schwer und unerträglich diese Jahre waren.


    Wir hatten gestern Abend noch Besuch vom Hausarzt unseres Vaters. Er hat den Todesfallbericht vom Krankenhaus, den wir angefordert hatten, persönlich vorbeigebracht. Er war selber auch total schockiert und wollte unsere Fragen zum Bericht so gut er konnte beantworten. Es war ein gutes, offenes Gespräch. Aber es hat bei mir wieder so vieles aufgewühlt. Und obwohl er unsere Fragen beantwortet hat, tauchen immer wieder neue Fragen auf. Es hört einfach nie auf. Schon wieder Stoff, über den ich nachdenken muss. Mein Gehirn lässt mich nicht in Ruhe, ich will alles wissen, alle Möglichkeiten noch einmal durchgehen. Was wäre gewesen, wenn... Ich komme gedanklich gar nicht mehr zur Ruhe. Ich habe später den Bericht dann noch selber gelesen, und das hätte ich besser nicht tun sollen. Schwarz auf weiss in medizinischer Fachsprache zu lesen: Exitus letalis (tödlicher Ausgang einer Krankheit) am 30.03.2020. Das war einfach zuviel für mich.


    Hatte ich gestern noch einen kleinen Hoffnungsschimmer verspürt, dass diese unendliche Trauer, dieser ständige Schmerz sich vielleicht doch eines fernen Tages in etwas Erträgliches wandeln könnte, so stehe ich heute Abend wieder weinend vor einem Scherbenhaufen. Alles macht mich traurig. Warum nur musste alles so kommen? Warum konnte das Wunder nicht geschehen, um das ich Gott angefleht habe? Ich drehe mich im Kreis. Ich kann keinen Frieden finden.


    Gibt es denn wirklich nichts, was diesen Schmerz stillen kann? Nein, es kann nichts geben. Wie denn auch. Der geliebte Papa kommt nie mehr zurück. NIE MEHR. Die Ereignisse waren, wie sie waren. Ich habe überhaupt nichts in der Hand, um irgendetwas verändern zu können. Ich bin gezwungen, mich darin zu schicken und weiterzuleben in einer Welt, die nie mehr die gleiche ist. Und doch ertappe ich mich immer wieder dabei, gedankenverloren davon zu träumen, dass er überlebt hat und wie dann alles wäre. Wie ich Zeit mit ihm verbringen würde, wie wir reden würden über Gott und die Welt, wie er mir seine neuesten Bilder zeigen würde, oder wie wir einfach gemütlich zusammen mit meiner Tochter draussen im Garten auf der Lounge sitzen und die Aussicht geniessen würden. Stattdessen besuche ich ihn auf dem Friedhof, spiele ihm seine Lieblingsmusik vor und versuche irgendwie, eine Verbindung zu ihm aufzubauen. Immer wieder kommen mir die Bilder des Sarges in den Sinn, wie er da unten liegt und wie er jetzt wohl aussieht. Ich will es nicht wissen. Und doch taucht der Gedanke an seinen sich langsam zersetzenden Körper immer noch regelmässig auf. Dass es nur diese Hülle ist, die von einem geliebten Menschen übrig bleibt, wird für mich je länger je mehr unvorstellbar. Es muss sie doch geben, die unsterbliche Seele. Ja, ich wünsche es mir so sehr, dass es sie gibt. Das ist im Moment das einzige, was mich ein bisschen zu trösten vermag. Dass er nicht ganz weg ist, dass es ihn in seiner Essenz noch gibt. Irgendwo. Dass es ihm gut geht dort, wo er jetzt ist. Und dass wir uns wiedersehen.

    Liebe Kerstin


    Ich bin in deinem Beitrag ganz unten hängen geblieben am Buchtitel von Roland Kachler "Meine Trauer wird dich finden". Und ich habe es auch schnell gefunden bei amazon.de, wo es eine kurze Vorschau zum Lesen gibt. So viele Sätze haben mich gleich sofort angesprochen, und ich hab gedacht: Genau so ist es.


    Ich will nämlich meinen Vater auch nicht loslassen, er bleibt für mich der geliebte Papa, der er immer war all die Jahre. Ich will ihm einen Platz in meinem Leben geben, ich will meine Beziehung zu ihm, meine Liebe zu ihm weiterhin spüren. Und Roland Kachler schreibt dazu, dass diese Liebe nicht ins Leere läuft, sondern dass unsere Liebe transformiert wird während der langen Trauer. Die Seele will weiterlieben. Ja!


    Und weiter sagt er, dass die Trauer Ausdruck der Liebe sei, dass wir auch über den Tod hinaus mit unseren lieben Verstorbenen in Verbindung bleiben wollen. Ja! Unbedingt. Er schreibt: "Bildlich gesprochen, ist jede Träne, jedes Seufzen, jeder traurige Gedanke, jeder Teil ihrer Trauer wie eine unendlich wertvolle Perle, die Sie Ihrem geliebten Menschen aus Liebe schenken wollen." Das klingt so schön und gibt der Trauer einen Sinn in all der sonst empfundenen Sinnlosigkeit.


    Und weiter lese ich: "Wenn ich alleine zu Hause bin, ist seine Abwesenheit in der Leere des Hauses mit Händen zu greifen. Zugleich war mir mein Sohn noch nie so nahe." Genau so geht es mir auch. Noch nie war mein Vater so lebendig in mir, so präsent, habe ich so viel über sein Wesen, seine Werte, sein Schaffen nachgedacht. "Er ist da- so intensiv wie nie." Ja!


    Meine Güte, und ich finde noch mehr, wo sich sogleich denke: Ja! Ja! Ja! Zum Beispiel schreibt Roland Kachler über die oft unbeachteten "Schwestern der Trauer". In der Vorschau sehe ich nur zwei: das Mitgefühl und die Liebe. Und beide Abschnitte sprechen mir so aus dem Herzen. Ich möchte gerne noch ein paar Sätze davon teilen, was beim Mitgefühl dazusteht: "Weil wir den Vestorbenen liebten, fühlen wir mit seinem Schicksal. Er musste vielleicht lange leiden, er darf nicht mehr leben - er, den wir so sehr liebten. Das ist so, als hätte ich gelitten, als dürfte ich nicht mehr leben. Das rührt mein Herz, das bekümmert mich, das schmerzt mich. Viele Trauernde fühlen sich so intensiv in den Verstorbenen ein, dass sie ihm mit allen Mitteln unbedingt seinen Tod erspart hätten..." So ist es bei mir. Dieses Bedauern, dass mein Vater so hat leiden müssen während seiner letzten Tage, ist so tief und so gross und so schwer auszuhalten. Deshalb auch meine ständige Suche nach Möglichkeiten, wie ich ihm seinen Tod hätte ersparen können. Diese quälenden Gedanken, wie er seine letzten Stunden hat verbringen müssen. Wie unglaublich anstrengend das für ihn gewesen sein muss. Das quält mich.


    Das Buch ist nun auch bestellt. Vielen Dank, liebe Kerstin, für die Erwähnung dieses Buchs. Ich spüre, dass ich durch das Lesen dieser Bücher ein vertiefteres Verständnis für meine eigene Trauer bekomme, dass es tatsächlich normal ist, was da alles in mir vorgeht, was mit mit mir passiert. Und dass mir das einen Weg eröffnet in eine Welt, in der mein Vater zwar physisch nicht mehr da ist, er aber doch weiterhin einen wichtigen Platz in meinem Leben einnimmt und auch einnehmen darf. Danach sehnt sich meine Seele. Ja, ich spüre im Moment so etwas wie Hoffnung, dass es wirklich möglich ist.


    Mein erster Arbeitstag nach dem Tod meines Vaters war bis jetzt ganz ok. Aber ich begegne auch fast niemanden wegen der Corona-Massnahmen. So ist es doch ein sanfter Einstieg zurück in die Arbeitswelt, wo ich noch viel Zeit für mich allein habe und mir meine Zeit frei einteilen kann. Das tut gut und fordert noch nicht meine ganze Präsenz.


    Und jetzt kommt der Nachmittag, das ist die Zeit im Tag, wo es mir am wenigstens schlecht geht, wo ich gedanklich ein bisschen zur Ruhe kommen kann und Atem schöpfen kann für die emotionalen Abend- und Nachtstunden.


    <3<3<3 an alle

    Kleene-3

    Liebe Kleene, es tut mir so leid, was du durchmachen musst. Ich kann gut nachfühlen, wie es dir geht. Dass du kämpfen musstest, um deine Mama gehen zu lassen, war bestimmt unglaublich anstrengend. Zu all den Gefühlen, dass ihre Zeit gekommen ist, dass sie so hat leiden müssen, hast du noch kämpfen müssen für einen würdigen Tod. Und dass du keine Familie mehr hast, die mit dir mit-trauert, das macht den Verlust noch schwerer und ist so einsam.


    Ich hatte beim Tod meines Vaters eher das Gefühl, dass ich noch mehr hätte machen müssen, um ihn zu retten. Denn anders als bei deiner Mama hatte ich den Eindruck, dass er noch leben wollte, dass er noch nicht bereit war zu sterben. Ich habe mich schon so oft gefragt, ob wir nicht hätten insistieren sollen, dass er an die Beatmungsmaschine kommt, vielleicht hätte so sein Leben gerettet werden können. Ist also genau die gegenteilige Situation. Du musstest dafür kämpfen, dass die lebensverlängernden Massnahmen beendet wurden, und ich mache mir Vorwürfe, dass ich nicht darum gekämpft habe, dass mein Vater solche bekommt. Die Ärzte meinten, dass er so schwach sei, dass er an der Intubierung sterben könnte. Aber vielleicht... Es ist so schwer. Egal wie die Umstände waren, der über alles geliebte Mensch ist weg, und wir bleiben zurück in der Trauer und der Leere und den Gedanken, was noch alles hätte sein können.

    Ihr Lieben


    Ich lag schon im Bett, dachte, heute kann ich mal früh einschlafen, aber Fehlanzeige. Und so bin ich wieder hier, bei euch, wo wir uns alle verstehen, und ich meine Gedanken niederschreiben kann. Ich fange morgen wieder an zu arbeiten, deshalb auch der Versuch, genug Schlaf abzubekommen. Als ich das letzte Mal bei der Arbeit war, war mein Vater zwar schon im Krankenhaus, aber noch am Leben und wir waren noch voller Hoffnung, dass er es schafft. Und jetzt wieder dahin zu gehen, wühlt alles wieder auf. Und so bin ich schlaflos im Bett liegend mal wieder Tag für Tag die Ereignisse gedanklich durchgegangen. Und noch immer suche ich nach Ansatzpunkten, wo wir etwas hätten anders machen müssen, damit mein Vater überlebt hätte. Noch immer, hört das denn nie auf. Es ist so sinnlos und so quälend.


    Heute vor drei Wochen ist mein Vater gestorben. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Und doch so kurz erst. Gerade war er noch da.


    Ohne Vater zu sein ist so schwer. Mein Leben fühlt sich nicht mehr richtig an, nicht mehr vollständig. Meine Familie ist nicht mehr vollständig, mein Vater fehlt und kommt nie mehr zurück. Ich schüttle den Kopf beim Schreiben, so sehr widerstrebt mir diese Tatsache. Es kann einfach nicht sein.


    Seit dem Tod meines geliebten Vaters ist mir klar geworden, wie fragil das Leben ist, und wie kurz. Wie wenig Zeit wir haben. Memento mori. Alles ist so vergänglich. Und am Ende müssen wir alles hier zurücklassen.


    Ich habe immer wieder Phasen, wo mir diese Gedanken kommen und ich tief in meinem Herzen einen schneidenden Schmerz spüre, weil die Vorstellung so ungeheuerlich ist.

    Das sind Momente tiefster Einsamkeit, die ich auch nicht mit meinem Mann teilen kann.

    Liebe Kerstin, genau so geht es mir auch. Diese Momente kommen bei mir häufig vor, dieser schneidende Schmerz, manchmal dumpf, manchmal stechend, und so ein Druck auf der Brust. So eine Last. Wenn ich daran denke, wie leicht und unbelastet mein Leben vorher war. Und ich hab es nicht einmal bemerkt. Und ich kann nie mehr in diese Leichtigkeit zurück, denn die Zeit mit meinem Vater ist vorbei hier auf Erden. Wenn ich nur noch ein einziges Mal mit ihm reden könnte, denke ich oft. Aber auch das würde nicht helfen, denn danach wäre er ja auch wieder weg. Nein, es gibt keine Lösung. Es ist einfach vorbei. Ich kann nichts mehr tun, nichts mehr wiedergutmachen, mich nie mehr vollständig fühlen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, jemals wieder unbeschwert so wie früher durchs Leben zu gehen. Denn auch bei mir ist dieser Gedanke ständig, und ich meine wirklich immer, jede wache Sekunde, präsent: Mein Papa ist tot. Das muss doch einmal aufhören, wie soll ich so je wieder ein normales Leben führen? Auf der anderen Seit denke ich, dass ich diesen Gedanken brauche, um meinen Vater in meinen Erinnerungen lebendig zu behalten. So paradox das klingt.


    Ich denke, dein Papa hat dich auf der Astralebene besucht - was dafür spricht ist diese ungeheure Realität und auch, dass er dir in jünger erschienen ist

    Ja, ich hab mich gefragt, was dieser Traum mir sagen will. Dass mein Vater da ist, auf einer anderen Ebene. Er war jünger, so wie er in seinen Sechzigern war, voller Kraft und Ideen. Es war einfach so schön, ihn zu sehen.



    hasi

    Liebe Helga, das stimmt, die Corona-Situation macht alles sehr schwierig. Nicht nur für meinen Partner, sondern auch allgemein für den Umgang miteinander. So sind Umarmungen oder eine Hand auf die Schulter legen selbst bei uns in der Familie schwierig. Meine Mutter ist ja auch 71 und damit Risikogruppe, und natürlich wollen wir auf keinen Fall, dass sie sich ansteckt. Also müssen wir uns zurückhalten und können nicht den natürlichen Regungen folgen.



    Im Moment belastet mich zusätzlich zu meiner riesigen Trauer auch noch die Sorge, dass meiner Mutter etwas passieren könnte. Diese Fragilität des Lebens, die ich weiter oben angesprochen habe, führt dazu, dass ich denke, es könnte jederzeit wieder jemand sterben. Einfach so, unvorbereitet. Oder meine Tochter. Nicht auszumalen, dieser Schmerz.


    Es tut so weh. Alles. Ich ertrinke in meinem Schmerz. Es ist so unfair. Ich will es nicht wahrhaben. Ich möchte hoffen, dass ich ihn wiedersehe, aber ich zweifle. Diese Sehnsucht, dass er zurückkommt, ist jeden Tag stärker. Und gleichzeitig gehen Erinnerungen verloren.


    Seid alle lieb umarmt, die mit mir bis hierher gelesen haben.

    Guten Abend ihr Lieben


    Ich danke euch von Herzen für eure lieben und mitfühlenden Beiträge. Die Zeit hier im Forum ist wirklich Zeit für mich. Hier fühle ich mich verstanden, kann so schwach und traurig sein, wie ich mich fühle. Obwohl ich das Glück habe, meine Familie ganz nah bei mir zu haben, ist es manchmal auch anstrengend, weil ja über uns allen die gleiche Schwere hängt, und natürlich nehmen wir Rücksicht aufeinander und registrieren, wem es gerade nicht so gut geht und halten uns dann eben selber ein wenig zurück.


    Ich habe heute mit meinem Nachbarn gesprochen, der vor fast vier Wochen meinem Bruder geholfen hat, meinen Vater in den Notfall zu fahren. Er hat mir von dieser Fahrt ein wenig erzählt, wie tapfer mein Vater noch im Auto gelächelt hat, wie er noch selber aussteigen wollte, obwohl er so schwach war. Wie froh er war, dass er endlich im Krankenhaus war, wo er dachte, dass man ihm helfen könnte. Und das hat mir meinen lieben Papa wieder so lebendig in Erinnerung gebracht. Ich kann es einfach nicht fassen, dass er nicht mehr da ist. Er war doch in diesem Auto und lebendig und hat noch gelächelt, aber ich habe es nicht mehr gesehen. Mich konnte er nicht mehr anlächeln. Ich zermartere mir das Hirn, wann wir uns das letzte Mal angelächelt haben, aber ich bin nicht mehr sicher. Wie kann das sein, ich will alle Erinnerungen behalten, aber einige verschwinden schon, oder sie verschwimmen ineinander. Ich schaue aus dem Fenster in die dunkel Nacht und denke, wo bist du? Wo bist du denn jetzt? Warum bist du gegangen. Ich halte es einfach nicht aus. Und doch halte ich es aus, denn ich bin ja noch da.


    Ich habe tatsächlich letzte Nacht von meinem Vater geträumt. Das erste Mal. Es war ein sehr kurzer Traum. Er lag auf dem Rücken auf dem Boden im Bügelzimmer meines Elternhauses, um einige Jahre jünger, als er gestorben ist. Und ich habe ihn verwundert gefragt: "Bist du wieder da? Ich dachte, du bist gestorben." Da hat er sich aufgesetzt und gesagt: "Ja, ich bin wieder da." Und ich habe ihn umarmt. Es war so real. Und dann bin ich aufgewacht. Sehr aufgewühlt. Aber es war so schön, dass er wieder da war.


    Ich hatte heute Abend, bevor ich meine Tochter ins Bett brachte, ein sehr ungutes Telefongespräch mit meinem Partner, der ja in Deutschland feststeckt wegen der geschlossenen Grenzen und das schon seit dem 15. März. Ich hatte auch schon geschrieben, dass es für ihn aus der Ferne schwierig ist, mir beizustehen und dass er hilflos und überfordert ist mit meinem Schmerz. Ist ja auch schwierig, ich verstehe das vollkommen. Und wir fehlen ihm, er kann uns nicht helfen, würde gerne, aber weiss nicht wie. Er fragt unterdessen auch nicht mehr aktiv nach, wie es mir geht. Ich habe dann von mir aus gesagt, dass es mir nicht gut geht. Und er fragt: "Warum denn nicht?" Ich war sprachlos. "Weisst du es wirklich nicht?", konnte ich nur erschüttert nachfragen. Und so ging es ein bisschen hin und her, die Essenz daraus: Auch er denkt, dass es jetzt doch schon ziemlich lange her sei, und ich wieder zur Normalität zurückkehren könnte. Das sei der Lauf der Natur, Väter sterben, und das Leben geht weiter. Wir seien jetzt eine eigene Familie. Ich habe mich sehr zusammengerissen, da unsere Tochter noch wach war, aber das tat schon sehr weh. Seine Eltern leben noch beide, und wie ich jetzt weiss, kann er einfach nicht verstehen, was ich durchmache. Aber ein wenig Mitgefühl und Zuwendung und Verständnis und Zuhören und Interesse wäre doch nicht zuviel verlangt? Wir kennen uns seit 11 Jahren, haben eine gemeinsame Tochter und in dieser schwersten Zeit, seit wir uns kennen, ist er mir so fern wie nie zuvor. Aber ich habe auch nicht die Energie, mich noch um partnerschaftliche Probleme zu kümmern. Ich hoffe sehr, dass wir wieder zueinander finden, wenn die Corona-Situation sich wieder entspannt hat, und er wieder zu uns kommen kann.



    hasi

    Liebe Helga. Ja, die Fotos sind am schlimmsten. Oder auch, wenn andere ihre schönen Erinnerungen von ihm mit mir teilen. Danke für deine Musikstücke, so schön. Das Lied von Andreas Gabalier habe ich noch nicht gekannt. So wunderschön und traurig, eine Zeile hat sich mir eingebrannt "Ich mach für alle Zeiten meine Augen zu." Mein Gott, genau so ist es. Für alle Zeiten. Seine Augen sind zu, einfach zu, nie mehr kann ich ihn anschauen. So gern würd ich glauben, dass wir uns wiedersehen, und er von oben zuschaut. Das geht mir alles so nah. Das ist schön, mit den Herzen am Grab.


    Nelo

    Liebe Kerstin. Ja, ich kann mir so gut vorstellen, dass du jeden Morgen diese Beschwerden hattest. Mir geht es am Morgen auch nicht gut. Der Nachmittag geht noch am besten. Der Abend ist wieder schlimm. Irgendwie muss der Körper ja auch hinterherkommen mit dieser Trauer. Ich selber leide an Appetitlosigkeit, ich kann fast nicht essen, muss mich regelrecht zwingen. Und dabei bin ich ohnehin schon sehr schlank. Ich versuche, einen Tag nach dem anderen zu leben. Diese Tage sind so lang manchmal, der endlose Schmerz, diese Bodenlosigkeit, es hört einfach nicht auf. Und mit jedem Tag mehr habe ich das Gefühl, der Schmerz wird noch tiefer, da ich immer mehr realisiere, was es bedeutet, ohne meine Vater zu sein. Und trotzdem grüble ich noch immer darüber nach, wie wir seinen Tod hätten verhindern können. Es ist wirklich einfach unfassbar schwer. Ich werde an deine Überlebensstrategie der kleinen Portiönchen denken. Einfach eins nach dem anderen. Das hat mein Vater auch immer gesagt. Es tut mir sehr leid, dass du neben all der Trauer um deine Mutter auch noch so viel anderen Belastungen ausgesetzt warst. Das muss dich sehr viel Energie gekostet haben.


    Sveti

    Liebe Sveti. Ohne Familie muss diese Trauerzeit noch schwerer sein. Ich habe mir nie so viele Gedanken um meine Familie gemacht, wir waren einfach immer da füreinander. Aber seit dem Tod meines Vaters ist mir klar geworden, dass nichts und niemand selbstverständlich ist. So schnell kann sich alles ändern. Ich habe mir vorgenommen, mit meiner Mutter nicht den gleichen Fehler zu machen wie bei meinem Vater. Ich möchte sie wertschätzen, jeden Tag, ihr Gutes tun, die Zeit mit ihr, die mir noch bleibt bewusst erleben. (Ich hoffe, noch viel, sie ist erst 71.)


    Kornblume

    Liebe Kornblume. Geschehen lassen. Es bleibt mir wirklich nichts anderes übrig. Ich bin diesen ganzen Gefühlen hilflos ausgeliefert, und das beste, was ich wahrscheinlich tun kann, ist wirklich, sie geschehen zu lassen, sie raus zu lassen.



    Ich habe mir jetzt zwei Bücher bestellt: "Es ist ok, wenn du trauerst" von Megan Devine und "Ein Teil von mir, meine Trauer umarmen und weiterleben" von Silke Szymura. Diese sollten in ein paar Tagen dann ankommen. Das gibt mir das Gefühl, dass ich ein bisschen etwas tun kann, irgendetwas Aktives noch inmitten all dieses Kontrollverlusts und Geschehen-Lassens.


    Ich wünsche euch allen eine gute Nacht.

    Ihr Lieben


    Ich weiss einfach nicht, wie ich das alles aushalten soll. Es wird nicht besser, es wird immer nur schlimmer.


    Heute hätte ich wirklich den ganzen Tag weinen können. Ich habe auch so eine Leere in mir gespürt heute, so ein Gefühl der Sinnlosigkeit. Mein Vater ist nicht mehr hier, er war doch mehr als 45 Jahre lang an meiner Seite, und jeden Tag da, und jetzt einfach nicht mehr. Nie mehr wird er mich anrufen, nie mehr kann ich mit ihm reden und mir Rat holen. Nie mehr... Es erscheint mir alles so ungerecht, warum gerade er, und warum so früh? Er hätte noch 20 Jahre leben können, seine eigenen Mutter wurde doch auch 93 Jahre alt. Warum haben ihn die Ärzte im Krankenhaus nicht retten können? Warum waren uns nicht noch ein paar Jahre vergönnt? Ich weiss, dass diese Fragen alle nichts verändern und mir meinen Vater auch nicht mehr zurückbringen. Und doch werde ich sie nicht los. Mein Gehirn bombardiert mich noch immer damit. Es ist so quälend. Und es tut so weh. Es tut einfach so weh. Dieses tiefe Bedauern, dass er in diesem schönen Frühling nicht mit uns sein kann. Ich möchte einfach nur aus diesem Alptraum aufwachen und mein altes Leben zurück.


    Die Musikstücke, die wir ausgesucht haben für die Beerdigung, liebe ich über alles. Eines davon habe ich meinem lieben Papa auf dem Sterbebett noch vorgespielt, es ist Biscaya von James Last, vielleicht kennt das jemand. Wenn ich auf dem Friedhof bin, spiele ich ihm das auch ab und zu vor. Es bringt mich ihm sofort nahe. Es ist so ein sehnsuchtsvolles Lied. Ich höre darin die Sehnsucht, sich auf die Reise zu begeben, sich neuen Horizonten zuzuwenden und das Alte hinter sich zu lassen. Ich muss es aber für mich allein hören, da ich unweigerlich weinen muss. Auch bei den anderen Liedern von der Beerdigung. Sie sind alle so wunderschön, und sie haben alle eine Bedeutung für meinen Vater und für meine Eltern. Ich möchte sie auch mit euch teilen: Der einsame Hirte von Leo Rojas, Somewhere over the rainbow von Israel Kamakawiwo'ole, die Titelmusik von "Die Dornenvögel", das ist ein mehrteiliger Fernsehfilm aus den 80-er Jahren, den meine Eltern immer zusammen geschaut haben. Es sind wohl eher unkonventionelle Musikstücke für eine Beerdigung...



    Nelo

    Liebe Kerstin, ich habe heute schon fest an dich gedacht. Diese Jahrestage sind bestimmt ganz schlimm und wühlen so vieles wieder auf. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie ich das 2 Jahre lang durchstehen soll. Und doch werden irgendwann auch diese 2 Jahre um sein, denn unerbittlich dreht sich die Erde weiter.



    Ich kann nichts mehr schreiben. Ich fühle mich so leer und so erschöpft wieder. Gute Nacht, ihr Lieben, schlaft gut.

    Und schon wieder ist ein Tag vergangen. Wie soll ich nur die nächsten Wochen und Monate oder gar Jahre überstehen? Mein Herz ist jeden Tag, jede wache Stunde, so schwer vor Trauer. Ich schaue mir Bilder von meinem Vater an und kann immer nur denken, er ist nicht mehr da, er kommt nie mehr zurück, ich vermisse ihn so sehr. Wie kann es sein, dass ich nicht einmal mehr richtig mit ihm reden konnte, ihn nicht einmal mehr nach seinen Gedanken fragen konnte, als er die letzten Tage vor seinem Tod in seinem Krankenhausbett lag. Was ist wohl in ihm vorgegangen? So gerne würde ich ihn fragen. Sein Körper zerfällt jetzt langsam unter der Erde, und mein Leben zerfällt irgendwie auch im Moment. Alles hat sich verändert. Denn ich habe keinen Vater mehr. Ich komme einfach nicht darüber hinweg. Es wäre so schön, er wäre noch hier bei uns. Am 24. April hätte er Geburtstag gehabt.


    Nelo

    Liebe Kerstin, du hast das genau so beschrieben, wie ich es auch fühle. Es ist einfach so unglaublich anstrengend. Und es hört nicht auf. Und dieses Festklammern an dem, was war, oder an dem, was noch hätte sein können... Ich möchte die Realität verändern, ich möchte irgendetwas tun, was den Schmerz erträglicher macht, aber es gibt nichts, was ich tun kann. Ich bin dieser Trauer ausgeliefert und bin darin gefangen.


    Sveti

    Liebe Sveti. Ja, auch in meinem Umfeld ist es den meisten unangenehm, wenn sie merken, wie sehr ich leide. Sie wissen einfach nicht, was sie tun könnten, wie sie mir helfen könnten. Und sie können es ja auch nicht. Die einzigen, mit denen ich im Moment zusammen sein will, ist meine Familie. Die haben den gleichen Schmerz und wir sehen uns jeden Tag und reden über unseren Vater. Das ist unser aller Bedürfnis im Moment. Da mein Partner zwei Wochen vor dem Tod meines Vaters nach Deutschland gereist ist und jetzt dort feststeckt, hat er die ganze Tragödie nur aus der Ferne mitbekommen und kann mich überhaupt nicht unterstützen. Er sitzt dann hilflos vor dem Video im Skype und weiss nicht, was er mit meinen Tränen anfangen soll. Er konnte ja nicht einmal bei der Beerdigung dabei sein.



    Diese Gefühle sind so stark, so tief und so gross. Dies ist die bisher schlimmste Zeit meines Lebens. Kein Liebeskummer, keine Trennung, kein Misserfolg, nichts hat mich jemals so aus der Bahn geworfen. Darauf war ich nicht vorbereitet, ich wusste ja nicht, wie echte Trauer ist. Dass ich am weinend und schluchzend auf dem Boden krieche und nicht weiss, wohin mit meinem Körper und mit meinen Gefühlen. Und es gibt kein Zurück, nie wieder bekomme ich meinen Vater zurück. Ich kann nichts machen. Ausser das alles aushalten in der Hoffnung, dass es irgendwann vielleicht doch ein bisschen leichter wird.



    Isabel L.K.

    Liebe Isabel. Danke. Ja, das ist so schön gesagt, egal, wie alt ich bin, ich bleibe immer das Kind meines Vaters. Genau so ist es. Ich bin sein geliebtes Kind, und das für immer. Dank euch in diesem wunderbaren Forum weiss ich auch, dass ich nicht allein bin. Dass es normal ist, was ich fühle und dass es gut so ist. Und dass ich nicht zusätzlich zu dieser unglaublicher Trauer noch das Gefühl haben muss, dass es falsch oder seltsam oder zuviel ist, was ich fühle. Jemand aus dem Forum hat geschrieben, dass Trauer fortgesetzte Liebe ist. Das hat mir gefallen. Ich weiss leider nicht mehr, wer das war, aber ich habe es mir gemerkt. Liebe Isabel, gibt es ein Buch (oder Bücher), die du zum Thema Trauern empfehlen kannst?



    Welche Bücher haben euch geholfen in dieser schweren Zeit?



    Schlaft alle gut. Vielleicht träume ich heute von meinem geliebten Papa.

    Guten Abend ihr Lieben


    Danke so sehr für euer Mitgefühl und tröstenden Gedanken.


    Ich merke, wie viele Menschen um mich herum denken, dass jetzt alles wieder mehr oder weniger normal ist, und dass mein Leben einfach weitergeht, und dass wir jetzt nicht mehr weinen und auch nicht mehr so viel darüber reden sollten. Das ist so ein Kontrast zu der Atmosphäre und der liebevollen Akzeptanz hier im Forum. Hier kann ich einfach sein, wie ich mich fühle, ohne dass ich mich anstrengen muss, stark zu sein, oder tapfer. Denn ich bin nicht stark, ich bin nicht tapfer, ich bin einfach nur unendlich traurig und erschüttert und weiss nicht, wie ich jemals wieder Frieden finden soll.


    Ein Beispiel von einer Reaktion, die mich irritiert hat:

    Eine liebe Nachbarin, die unter anderem EFT-Klopfkurse anbietet, hat mich einen Tag nach der Beerdigung vor dem Friedhof angetroffen, und im Gespräch mit ihr bin ich in Tränen ausgebrochen, vor allem, weil ich solche Schuldgefühle hatte. Sie hat mir dann eine Sitzung mit ihr angeboten, um an diesen Schuldgefühlen zu arbeiten. Am Dienstag (8 Tage nach dem Tod meines Vaters) kam sie dann zu mir, und schon wieder war ich unkontrolliert am Weinen, ich hab gesagt, dass ich meinen Vater einfach nur zurückhaben möchte, dass ich die Zeit zurückdrehen möchte, nochmal mit ihm reden möchte, ihm noch etwas Gutes tun möchte, alles von ihm wissen möchte aus seinem Leben. Sie hat dann gemeint, dass jetzt das kleine Mädchen Silvia aus mir sprechen würde, und nicht die erwachsene Frau, die ich jetzt sei, und die wisse, dass das der Lauf der Dinge sei. Das hat mich verletzt. Als ob für eine erwachsene Frau eine solche Trauer und solche Wünsche nicht mehr angemessen wären, als ob etwas mit mir in meiner Trauer nicht in Ordnung wäre.


    Heute hat meine liebe, kleine Tochter einem Kuscheltier von ihrem Grossvater erzählt. Das war so rührend. Sie hat ja die Ereignisse alle auch mitbekommen und unsere Trauer, und dass ihr Grossvater gestorben ist und nie mehr zurückkommt. Sie weiss natürlich noch nichts von der Endgültigkeit des Todes, und ihr ist auch nicht klar, was mein Vater für mich bedeutet hat. Sie sieht mich manchmal in meinem Schmerz weinen, und ich erzähle ihr auch, was los ist mit mir, dass ich meinen Papa so sehr vermisse, dass wir nie mehr mit ihm reden können etc. Ich hoffe einfach, dass dies alles nicht allzu traumatisch ist für sie. Sie kommt auch regelmässig mit mir mit zum Grab auf den Friedhof. Es ist ein sehr schönes, friedliches Plätzchen, wo mein Vater liegt, und ihr gefällt es dort sehr. Wir sammeln dann schöne Steine, Tannzapfen oder ähnliche Naturgegenstände, die wir unterwegs finden, und legen sie auf die Erde auf dem Grab. Hat jemand Erfahrung, wie das ist mit so kleinen Kindern in einer solchen Situation?


    Ich habe irgendwie das Zeitgefühl verloren, jeder Tag ist wie der andere, so schmerzvoll und schwer. Es kommt mir einerseits wie eine Ewigkeit vor, seit mein Vater gestorben ist, andererseits ist es noch so frisch und unfassbar.


    Mein Vater ist in meinem Herzen so lebendig wie nie zuvor, ich denke ständig an ihn, an sein Leben, was er uns alles hinterlassen hat, was für ein reiches, abenteuerliches Leben er geführt hat. Wie reflektiert und beharrlich er war. Wie viele Träume er hatte, wie viele Visionen er hat umsetzen können. Und dann dieses abrupte Ende. Er hatte noch Pläne. Warum realisiere ich erst jetzt so richtig, was ich an ihm hatte, was ich ihm verdanke, wie sehr ich ihn liebe? Er war einfach immer da, ganz selbstverständlich. Wenn ich nur nicht so ahnungslos und naiv in den Tag hineingelebt hätte, sondern mir bewusst gewesen wäre, dass er nicht ewig lebt, dass ich besser die Zeit mit ihm nutze, die ich noch habe. Wenn er nur schon so lebendig in meinem Herzen gewesen wäre, als er noch gelebt hat. Es ist so traurig.


    hasi

    Liebe Helga. Wie unglaublich traurig, dass du so viele liebe Menschen in deinem Leben verloren hast. Ich danke dir für die Kraft, und wünsche sie dir auch von Herzen.


    Nelo

    Liebe Kerstin. Danke für deine Wertschätzung für meinen Vater. Das tut so gut. Und auch Danke für die Schilderung der Zeichen, die du bekommen hast. Diese Offenheit, von der du schreibst, fehlt mir glaube ich gerade. Ich bin noch zu gefangen in meinem Schmerz und dem Verlust hier auf der physischen Ebene.


    Sveti

    Liebe Sveti. Hoffentlich kannst du erzählen, wie es war, wenn dann der Termin mit dem Medium stattfinden kann. Ich war da bis anhin sehr skeptisch, aber jetzt, wo ich selber betroffen bin, und mir so sehr wünsche zu wissen, wie es meinem Vater jetzt geht, halte ich so eine Sitzung zumindest für nicht mehr ganz abwegig.


    Ich wünsche euch allen eine gute, ruhige Nacht. Und dass unsere lieben Verstorbenen im Himmel über uns wachen.

    Guten Abend ihr Lieben


    Ich bin so froh, hier her gefunden zu haben. Eure lieben, mitfühlenden Nachrichten zu lesen und zu wissen, dass ich nicht allein mit meiner Trauer und meinen Gefühlen, hilft mir, dass ich denken kann, irgendwie schaffe ich es.


    Obwohl es heute wieder ein so schwerer Tag war. Ich war am Morgen auf dem Grab, ich wollte nur einfach weinen, aber es ging nicht. Ich hatte so einen Kloss im Hals und so einen Druck auf der Brust beim Gedanken, dass mein Papa da unten liegt, es ist so unvorstellbar, gerade war er doch noch hier, und wir haben geredet, und ich hab ihm noch etwas im Internet bezahlt, da er keine Kreditkarte hat, und ich hab ihm doch noch die Haare geschnitten, und wir haben zusammen das Funkenfeuer angeschaut, das den Winter vertreiben soll. Und jetzt ist der Winter weg, aber mein Vater auch.

    Wenn er doch nur einfach wieder nach Hause käme. Ich würde so vieles anders machen. Warum konnte er diese Lungenentzündung nicht überleben, andere überleben so etwas doch auch. Warum nur. Ich hadere den ganzen Tag.


    Heute habe ich an seinem Computer gesessen. Sein Arbeitsplatz war so sorgfältig aufgeräumt, alles an seinem Platz, wie wenn er etwas geahnt hätte. Seine Lesebrillen hat er parallel zueinander hingelegt, alle Stifte in einem Glas gesammelt, kein Blatt Papier lag herum. Dass er noch da gesessen hat am Abend, bevor wir ihn in den Notfall gebracht haben, zerreisst mir das Herz. Wie hat er sich wohl gefühlt? Er muss ja schon sehr schwach gewesen sein. Ich wünschte, ich hätte ihn noch umarmen können, oder ihm wenigstens die Hand auf die Schulter legen können, aber wegen Corona hab ich das alles gelassen, und so ging er, ohne einen richtigen Abschied. Nicht mal richtig verabschiedet habe ich mich von ihm. Aber ich habe geglaubt, dass er wieder nach Hause kommt.


    Jedesmal, wenn ich die Fotos von ihm anschaue, muss ich einfach weinen. Ich merke auch schon, wie die Erinnerungen anfangen, ein bisschen zu verblassen. Seine Stimme, seine typischen Sätze, sein Gesichtsausdruck. Und das tut auch weh. Er soll mir ganz lebendig für immer in Erinnerung bleiben. Ich möchte von ihm träumen, dass ich wenigstens so wieder ein wenig Nähe spüren kann.



    Nelo

    Liebe Kerstin. Ich wünschte, ich hätte auch diese Gewissheit wie du, dass mit dem Tod nicht alles vorbei ist. Mein Vater hat das ganz sicher geglaubt.

    Er hat sich schon immer, seit ich denken kann, mit der Suche nach dem Sinn des Lebens beschäftigt. Er hat viele Bücher gelesen, viel philosophiert und sich auch sehr tiefgründige Gedanken über den Tod gemacht. So hat er auch immer wieder Texte verfasst, wenn ihm liebe Menschen gestorben sind. Er hat diese Gedanken auch immer wieder mit uns geteilt, uns die Texte ausgedruckt zum Lesen mitgegeben, und mit uns darüber gesprochen. Auch hat er all seinen vier Kindern vor 1.5 Jahren einen USB-Stick geschenkt mit 1000 "Weisheitskrümeln", das sind Zitate und Sprüche, die er selbst bebildert hat und die für ihn wichtig waren. Und erst jetzt, wo er tot ist, habe ich mir die Zeit genommen, diese Krümel wirklich anzuschauen, mich damit zu befassen. So fühle ich mich ihm nahe, kann nachempfinden, was ihm wichtig war. Wie gern würde ich jetzt mit ihm darüber reden, und ich fühle mich so schlecht beim Gedanken, wie viel Mühe und Liebe er da hineingesteckt hat, und wie viel zu wenig ich dies geschätzt habe. Und aus seinen Texten zum Tod weiss ich, dass er an die unsterbliche Seele geglaubt hat und überzeugt war, dass der Weg nach dem Tod weitergeht. Ich selbst zweifle sehr, ich weiss es einfach nicht. Ich würde es aber so gerne glauben können. Das wäre so eine Erleichterung, so ein Trost, dann könnte ich auch hoffen, dass ich ihn - wenn mein irdischer Weg hier zu Ende ist - wiedersehen werde. Ich habe seit seinem Tod beim Spazierengehen immer wieder weisse, kleine Federn gefunden. Mein Bruder hat bei sich auf dem Balkon zwei weisse Tauben gesehen, meine Schwester einen Reiher ganz in der Nähe, meine Mutter hat im Wald einen sehr speziellen Vogelruf gehört und mein anderer Bruder hat sein Gesicht als Erscheinung vor sich gesehen. Ich wage zu glauben, dass die Seele meines geliebten Vaters also tatsächlich unter uns ist und uns hilft, mit seinem Verlust zurechtzukommen. Und doch zweifle ich. Du schreibst ja auch von Zeichen, liebe Kerstin, wenn du magst, könntest du mir schreiben, was du für Zeichen wahrgenommen hast?


    Sonne10

    Danke. Ja, ich bin wirklich zutiefst dankbar, dass ich mich noch verabschieden konnte, und ihm noch seine Lieblingsmusik vorspielen konnte. Auch wenn er zu schwach war zum Reden, und kaum die Augen mehr öffnen konnte. Aber ich war noch bei ihm.


    Bulli2014

    Vielen Dank dir für deine lieben Worte und deine Geschichte. Wie stark diese Trauer-Gefühle sind. Du hast schon zwei solche Verluste erlitten, wie kannst du das aushalten? Ich danke dir für die Engel.


    Sveti

    Genauso geht es mir auch, ich denke mir auch immer, vor einem Monat hat mein Papa noch am Computer gesessen, haben wir meinen Geburtstag gefeiert, hat er meine Tochter zum Lachen gebracht. Es ist einfach nicht mehr das gleiche. Alles ist getrübt.



    Ich wünsche euch allen eine gute Nacht, dass ihr gut schlafen könnt. Und ganz viele Engel, die auf uns alle aufpassen.

    Ihr Lieben


    Ich komme er erst jetzt wieder zum Schreiben, habe mich aber den ganzen Tag danach gesehnt, weil das gestern Nacht wirklich ein wenig Erleichterung gebracht hat. Danke für eure Antworten, ich fühle mich hier so gut aufgehoben und spüre, dass der Austausch wichtig ist auf meinem Weg.



    Nelo

    Liebe Kerstin. Vielen, vielen Dank. Für deine Gedanken. Ich fühle mich sehr verstanden. Und das tut gerade wirklich gut. Mir kommt alles auch surreal vor, am frischen Grab zu stehen in diesem perfekten Frühlingswetter, und es ist mein lieber Papa, der da unten liegt. Auch ich habe geglaubt, dass mein Vater noch mindestens 10 oder 20 Jahre lebt, und dann mit 90 friedlich einschläft. Bei meinen Grosseltern war das genauso, und so lebte ich in dieser Illusion, dass das mit meinen Eltern dann sicher auch so wäre. Die Realität ist hart, und das Leben schwer gerade.


    Nico

    Lieber Nico. Danke auch dir. Das Schreiben tut mir wirklich gut. Ein bisschen Erleichterung. Aber der Druck baut sich dann wieder auf, und die ewig gleichen Bilder, Schuldgefühle, das schlechte Gewissen, die quälenden Gedanken, wie er hat leiden müssen, das Hadern, das kommt zurück.


    Isabel L.K.

    Liebe Isabel. Danke dir ebenso. Ich fühle mich sehr willkommen hier und bin froh, dass ich euch gefunden habe. Nach Frieden sehne ich mich, wenn ich nur in Frieden sein könnte mit den Ereignissen. Bestimmt Ist das viel zu früh, heute ist mein Vater zwei Wochen tot, mir kommt es vor wie eine Ewigkeit, jeder Tag ist wie der andere gleich schmerzhaft, ich wache auf und sofort erscheint der Gedanke "Mein Vater ist tot", und der Gedanke bleibt im Kopf, bis ich einschlafe.



    Jetzt hat es hier angefangen zu regnen und mein erster Gedanke ging zu meinem Vater im Grab. Ich weiss, er ist tot, aber die Vorstellung, dass jetzt Wasser in seinen Sarg sickert und seine Ruhe stört, ist mir unerträglich.


    Wenn ich nur wüsste, wo er jetzt ist, seine Seele, wenn ich wüsste, dass er seinen Frieden gefunden hat, dass es ihm gut geht, dass sein Weg weitergeht. Dass er noch da ist, irgendwo.

    Ihr lieben Menschen hier


    Ich habe einfach aus Verzweiflung "bodenlose Trauer" in Google eingegeben, und bin auf diesem Forum gelandet. So viele traurige Geschichten, so viele Schicksale, und so viele liebevolle, verständnisvolle Antworten.


    Ich möchte euch auch meine Geschichte erzählen, obwohl es jedes Mal wieder so unfassbar schwer ist.


    Seid vorbereitet, dass die Schilderungen Details aus dem Krankheitsverlauf beinhalten und ein bisschen wirr und lang sind.


    Alles begann an einem Dienstagabend, es war der 24. März 2020. Und seither ist mein Leben nicht mehr das gleiche. An diesem Abend musste mein Vater notfallmässig ins Spital wegen akuter Schwäche.

    Mein Bruder hat bei mir geklingelt, ich war gerade dabei, meine kleine Tochter in den Schlaf zu begleiten. Sie schlief dann auch schon, so dass ich an die Tür konnte. Ich ahnte schon, dass etwas nicht stimmte, denn um Viertel nach acht abends klingelt hier sonst niemand mehr. Meine Eltern, mein Bruder und ich wohnen alle nebeneinander und sehen uns jeden Tag. So ging ich mit Babyphone rüber und sah meinen Vater kraftlos auf dem Sofa sitzen, er konnte nicht einmal mehr selber aufstehen, so schwach war er. Mein Bruder und ein anderer Nachbar haben ihn zum Auto getragen und ins Krankenhaus gebracht. Später hat mein Bruder angerufen, dass unser Vater sehr hohe Entzündungswerte hätte und eine schwere Lungenentzündung diagnostiziert worden sei. (Um es vorweg zu nehmen: Es war nicht COVID19.)

    Am nächsten Mittag rief ich ihn nichts Schlimmeres ahnend an, wie es ihm gehe, und er sagte nicht viel, ich verstand ihn sehr schlecht, er hatte eine Sauerstoffmaske auf. Ich sprach ein paar Sätze mit ihm und gab den Hörer an meine Mutter weiter. Das war das letzte Mal, dass ich mit ihm geredet habe.


    Von Tag zu Tag ging es ihm dann schlechter, die Antibiotika-Kur schlug nicht an, die Lunge wurde immer mehr krank, und niemand konnte ihm helfen, für die Beatmungsmaschine war er zu schwach, das Risiko, dass er an der Intubierung sterben könnte, war zu gross. Also weiter immer mehr Sauerstoff über die Maske. Das Corona-Virus konnte nicht nachgewiesen werden. Und auch die Röntgen-Bilder der Lunge sprachen gegen COVID19. Am Donnerstag konnten wir schon nicht mehr mit ihm telefonieren, da er ständig Sauerstoff brauchte. Besuchen durften wir ihn nicht (Besuchsverbot wegen Corona-Pandemie).

    So verbrachten wir die Tage zwischen Hoffen und Bangen, aber die Hoffnung überwog noch bzw. klammerten wir uns daran.

    Am Sonntag dann durften ihn meine Mutter und meine beiden Brüder mit voller Schutzkleidung besuchen, da es ihm sehr schlecht ging. Aber er war bei vollem Bewusstsein, er konnte einfach vor Schwäche nicht sprechen. Wir hatten immer noch Hoffnung.

    In der nächsten Nacht dann ein schwerer Hirnschlag, mein Bruder und meine Mutter haben an seinem Bett gewacht bis zum Morgen. Am Montagnachmittag haben wir alle ihn besucht (meine Mutter, meine Schwester und meine beiden Brüder und ich). Und der Anblick meines Vaters erschütterte mich, er war nur noch ein Schatten seiner selbst, ohne Kraft, schwer atmend mit Sauerstoff Maske, die Augen geschlossen. Da der Hirnschlag in der linken Hirnhälfte stattfand, habe ich ihm Musik mitgebracht, die ich ihm vorgespielt hab. Und er hat mit letzter Kraft sein Gesicht mir zugewandt und die Augen aufgemacht. Ich hielt seine Hand, und er hat sie gedrückt. Ich war nur unkontrolliert am Weinen. Als ich mich von ihm verabschiedet habe, ist er im Beisein meines Bruders und seiner Frau gestorben. Einfach gestorben. Er hat durchgehalten, bis er uns alle nochmals sehen konnte und wir uns von ihm verabschieden konnten, für immer. So unglaublich anstrengend und leidvoll müssen diese Stunden für ihn gewesen sein.


    Ich weiss nicht mehr, wie ich das alles geschafft habe an diesem Montagabend, auch mit meiner Tochter, die erst 2,5 Jahre alt ist. Am 30.03.2020 ist mein Vater gestorben. Ein schönes Datum, mein Vater hat immer an Numerologie geglaubt, sich zumindest damit befasst, er meinte auch immer, er hätte ein schönes Geburtsdatum, 24.04.48.


    Am nächsten Tag durften wir noch von seinem Körper Abschied nehmen, er sah friedvoll und entspannt aus, aber das erste Mal, dass ich einen toten Menschen gesehen habe. Er lag noch im Krankenhaus-Bett, sein Name stand noch auf dem Bett. Ich glaube, ich habe noch nie so geweint. So endgültig, ich sehe ihn nie wieder.


    Das Erledigen all der Formalitäten, alles so kräftezehrend, ich so unglaublich traurig und untröstlich, mein Vater ist nicht mal 72 Jahre alt geworden, er hätte am 24. April Geburtstag gehabt. Die Beerdigung haben wir gemeinsam geplant, da in diesen seltsamen Corona-Zeiten ja kein Gottesdienst stattfinden darf. Auch kein Priester. Wir wollten aber etwas Würdiges, Freierliches. Wir haben sein Leben Revue passieren lassen, Psalme gesprochen und seine Lieblingslieder abgespielt. Ein Foto auf dem Sarg, Blumen, Erinnerungen. Jetzt ist er unter der Erde, ganz allein. So eine schlimme Vorstellung. Ja, es ist nur sein Körper, aber den hab ich geliebt, und jetzt zerfällt er und ich kann nie mehr in diese lieben Augen schauen. Nie mehr Worte aus seinen Mund hören. Nie mehr mit ihm im Strandkorb im Garten sitzen.


    Dann die Schuldgefühle, dass ich seine Gegenwart immer als so selbstverständlich nahm, mich nicht so richtig für seine künstlerischen Projekte und Ideen interessiert hab und einfach nicht genug Zeit mit ihm verbracht hab. Und jetzt ist es zu spät. Ich muss dazu sagen, dass ich eine sehr enge Beziehung zu meinen Eltern habe, wir wohnen wie schon geschrieben nebeneinander und meine Tochter und ich essen jeden Mittag mit ihnen Mittagessen. Ich habe meinen Vater also fast täglich gesehen.


    Dieser Verlust trifft mich so unvorbereitet und tief, dass ich nicht mehr weiss, wohin mit meinen Gefühlen. Alles hier erinnert mich an ihn. Die Nächte sind besonders schlimm, da ich diesem Erinnerungsstrom so ausgeliefert bin, gemischt mit brennenden Schuldgegühlen und diesen Bildern von seinem Leiden und seinem toten Körper. Die lieblose Plastiktüte mit seinen Kleidern und dem Kulturbeutel aus dem Krankenhaus, sowas macht mich fertig. Dauernd spult mein Kopf die Szene ab, wie wir ihn in den Notfall gebracht haben. Meine Gedanken kreisen darum, wie wir seinen Tod hätten verhindern können, wenn wir ihn früher ins Krankenhaus gebracht hätten, wenn ihn die Ärzte doch an die Beatmungsmaschine angeschlossen hätten. Wenn er diesen Schlaganfall nicht gehabt hätte.


    Wir haben einen sehr guten Familie Zusammenhalt, aber trotzdem fühle ich mich allein, da mein Partner wegen der geschlossenen Grenzen nicht mehr zu uns kommen kann. Wir sind nicht verheiratet, er hat keine Aufenthaltsbewilligung (mehr) für die Schweiz, wo wir wohnen.


    Alle sagen, es wird leichter mit der Zeit. Im Moment aber ist alles so schrecklich. Wie kann ich je wieder unbeschwert sein? Wie ahnungslos ich in den Tag hineingelebt habe, nicht wertschätzend, wie glücklich ich mich schätzen kann, dass meine beiden Eltern leben und gesund sind. Ich ertappe mich dabei, wie ich Spaziergänger beobachte, wie sie leichtfüssig voranschreiten und mir denke, wenn ihr wüsstet, was euch noch bevorsteht...


    Und mir steht jetzt wieder eine Nacht bevor. Aber immerhin habe ich mal alles aufgeschrieben.


    Allen, die bis hierher gelesen haben, möchte ich Danke sagen. So konnte ich meine Geschichte teilen.


    Wenn ihr Gedanken dazu habt, bitte schreibt sie auf.


    Silvia