Beiträge von Silvia S.

    Ich bin wirklich durcheinander. Nicht morgen sind es sechs Wochen, wie ich in meinen letzten Beitrag geschrieben habe, sondern HEUTE sind es sechs Wochen. Jeder Tag zählt.


    Julia W.

    Danke. Danke für die Kraft, die ich dir auch so sehr wünsche.


    Ich hab versucht einzuschlafen, aber die Bilder von den letzten Stunden lassen mich einfach nicht los heute. Ein Details verfolgt mich. Es ist ein Satz meines Bruders, der nicht direkt dabei war, als mein Vater starb, aber schon im Zimmer und mein Vater hat seine Stimme gehört und kurz daraufhin den letzten Atemzug gemacht und dann für immer aufgehört zu atmen. Als mein Bruder dann zu ihm durfte, war sein Körper noch warm. Dieser Satz, er war noch warm, hallt in mir nach. Es kommt mir so brutal vor, wie dann nach und nach die Wärme diesen so geliebten Körper verlassen hat, und mit der Kälte des Todes ersetzt wurde. Und am nächsten Tag war er eiskalt, alles Leben aus ihm gewichen.


    Und wieder muss ich es einfach weiter aushalten.

    Ich kann im Moment nur weinen. Seit ich gestern meinen Partner alles noch einmal in vielen Details erzählt habe, ist es, als ob ich alles noch einmal hätte durchmachen müssen. Ich bin unendlich traurig und die Realität meines Verlusts kommt mir schlimmer vor denn je. Ich war wieder am Grab heute. Den Namen meines Vaters dort auf dem Holzkreuz zu lesen ist wie ein Stich ins Herz, zu wissen, dass der geliebte Körper dort unter der Erde liegt, tut so unglaublich weh. Ich schüttle innerlich ständig den Kopf und wünsche mir nur, die Zeit zurück zu drehen und alles anders enden zu lassen. Oder endlich aus diesem Alptraum aufzuwachen. Ich will mein altes Leben zurück. Ich will meinen über alles geliebten Papa zurück.


    Mein Partner war heute auch sehr traurig. Jetzt erst, wo er hier ist, spürt er, wie sehr mein Vater hier fehlt. Er hat mir von seinem letzten Gespräch mit ihm erzählt, bevor er nach Deutschland abgereist ist, da war alles noch gut. Und schon musste ich wieder weinen. Dass wir nie mehr mit ihm reden können, kommt uns so falsch vor, nicht einmal ein paar Worte des Abschieds.


    Es tut einfach alles nur weh. Mein Herz ist so schwer.


    Und morgen wieder arbeiten. Das kommt mir sinnlos vor. Einfach weitermachen wie vorher? Wie denn, wenn alles anders ist?Wenn mein ganzes Leben auf einmal nicht mehr heil ist, nicht mehr ganz ist, weil mein Vater fehlt.


    Morgen sind es sechs Wochen. Sechs Wochen, seit mein Vater gestorben ist und mit ihm mein unbeschwertes Dasein, meine heile Welt. Und es gibt kein Zurück.


    Mein Leben geht weiter. Einfach weiter. Und die Leute rundherum haben meinen Vater schon vergessen, als ob er nie gelebt hätte.


    Ich muss es weiter aushalten.

    Liebe Helga, liebe Kerstin


    Ich danke euch. Ich war gestern so froh, dass ich hier im Forum für mich eine Möglichkeit gefunden habe, meinen Frust und meine Ratlosigkeit auszudrücken. So gelang es mir, meine Gedanken und Gefühle ein wenig zu entwirren, und ich konnte dann wider Erwarten recht gut einschlafen.


    Der Morgen war zwar dann wieder schlimm, ich war ständig dem Weinen nah und unsere Tochter wollte nur zu ihrem Papa. Da hab ich mich noch verlassener gefühlt.


    Ich hab mir deinen Rat, Kerstin, zu Herzen genommen und offen mit meinem Partner gesprochen. Und es war sehr, sehr gut. Ich hab ihm alles nochmal erzählt von der schrecklichen Woche und viel geweint und ihm gesagt, wie er mir am besten helfen kann. Nämlich, indem er mir zuhört, mich einfach in den Arm nimmt, ohne, dass er das Gefühl haben muss, dafür zu sorgen, dass es mir besser geht. Denn das kann er nicht, es geht nicht und das liegt nicht an ihm.


    Jetzt bin ich erschöpft vom vielen Weinen und meine Augen brennen.


    Eine gute, erholsame Nacht mit viel Schlaf. Das bräuchte ich jetzt und wünsche ich uns allen.

    Ihr Lieben


    Ich danke euch sehr für eure Beiträge. Ich würde gerne auf sie eingehen, doch fehlen mir heute Kraft und Konzentration. Ich bin beschäftigt damit, mit mir und der seit heute neuen Situation klar zu kommen.


    Heute durfte nämlich mein Partner nach 8 Wochen Corona-Pause wieder in die Schweiz einreisen, und nun sind wir also wieder zu dritt. Das ist schön, aber auch nicht so schön. Ich fühle mich überfordert, den Anforderungen einer Partnerschaft gerecht zu werden, zumal mein Partner das Ausmaß meiner Trauer nicht gänzlich verstehen kann. Er war ja bei all den traurigen Ereignissen nicht dabei und konnte aus der Ferne nicht richtig mit uns trauern. Er hat meinen Trauerprozess nicht direkt mitverfolgen können und nie gesehen, wie es mir wirklich geht, abends, wenn ich frei von Pflichten bin und alles über mir einstürzt. Für ihn ist nicht die Welt zusammen gebrochen wie bei mir, seine Welt ist noch heil und er kann nicht damit umgehen, dass ich mich so verändert habe. Ich weiss nicht, wie ich mit seinen Erwartungen umgehen soll, die er natürlich nicht ausspricht, aber die ich spüre. Ich habe einfach keine Kraft dafür, ich möchte einfach nur, dass er mich in meiner Trauer traurig sein lässt und mich nicht abzulenken versucht.


    Unsere Tochter war ganz aufgeregt und voller Freude, aber gleichzeitig auch verwirrt und unsicher, was dazu führte, dass sie nicht so kooperativ war wie sonst und alles viel länger gedauert hat. Ich war so kaputt vom Tag, dass ich mich gleich auch ins Bett zurück gezogen habe und nun hier am Mobiltelefon schreibe. Tja, und was nun? Jetzt ist die Trauer um meinen Vater überlagert von den sich anbahnenden Konflikten des partnerschaftlichen Zusammenseins, und das kommt mir unangemessen vor. Ich möchte weiter einfach traurig sein können. Ich habe schon Kopfschmerzen, weil ich anfange zu zer-denken statt zu fühlen, aber ich komme grad da nicht raus.


    Ich möchte an meinen Vater denken können, mit ihm Zwiesprache halten können, weinen und klagen können, denn ich vermisse ihn noch immer wie am ersten Tag. Das Heimweh nach ihm und unserer heilen Familie glüht in meinem Herzen wie all die Tage vorher, seit er gestorben ist. Aber ich finde keinen Ausdruck dafür, weil ich mich gezwungen sehe, mich um andere Dinge kümmern zu müssen. Ich fühle mich zerrissen. Dabei sollte mir das Zusammensein mit meinem Partner doch Kraft geben, nicht Kraft rauben.


    Bin ratlos.

    Ihr Lieben


    Es war heute ein recht erträglicher Tag, da ich eine Online-Weiterbildung hatte und sehr gut in das Thema eintauchen konnte, so dass ich tatsächlich mal ein paar Stunden hatte, die ich ohne die übliche Schwere verbringen konnte. Nur - am Abend kam dann alles zurück, als ich eine einsame und einfühlsame Kondolenzkarte in der Post fand. Sofort wurde ich wieder zurück katapultiert in die ersten Tage und Wochen nach dem Tod meines Vaters. Und die Trauer, das Vermissen, die Grübeleien und die Bilder kamen zurück. Auf eine seltsame Art habe ich sie auch vermisst. Es hat sich irgendwie fremd angefühlt, mal für ein paar Stunden normal zu sein, sprich ein bisschen wie früher zu sein, unbelastet von all diesen intensiven Gefühlen, die einen ständig überschwemmen. Die Trauer ist mir inzwischen vertraut geworden.


    Ich will ja meine Eltern niemals vergessen, ich will ja, dass sie immer ein Teil von mir sind, bis wir eines Tages wieder zusammen sein werden (wovon ich absolut überzeugt bin!).

    Dieser Gedanke, dass ich meinen Vater eines Tages wiedersehen könnte, ist so tröstlich. Ich hoffe es aus ganzem Herzen. So gerne möchte ich es aus ganzem Herzen glauben können, wissen können, überzeugt sein können. Nur fehlt mir immer noch die Gewissheit. Dass er einfach ganz weg ist, dass nichts mehr von ihm übrig bleibt, ist ein sehr quälender Gedanke. Was mir immer wieder hilft, ist, dass ich weiss, dass mein Vater im Gegensatz zu mir diese Gewissheit hatte. Es war seine tiefe innere Überzeugung, dass es mit dem Tod nicht zu Ende ist, dass die Seele weiterlebt und ewig ist. So hoffe ich, dass er ohne Angst und trotz der Plötzlichkeit seiner Krankheit gut vorbereitet sterben konnte. Beim Schreiben dieser Worte stürzen wieder alle Bilder von seinen letzten Stunden auf mich ein und ich will nicht glauben, dass sein Leben auf diese Weise hat enden müssen. Ich kann es einfach nicht begreifen.



    Es reicht ja schon, dass sie im Alltag überhaupt kein Thema mehr sind. Für niemanden da draußen ist meine Mutter ein Thema, nur noch für mich. Das ist für mich schlecht zu ertragen.

    So erlebe ich das leider jetzt schon zum Teil. Nach nur fünf Wochen! Bei der Arbeit fragt keiner mehr, wie es mir geht. Nicht mal mein Partner fragt mehr, auch seine Mutter nicht. Und wenn ich von mir aus erzähle, dann merke ich schnell, dass es zuviel ist, dass sie es nicht mehr hören möchten. Das macht mir auch zu schaffen. So schnell wird ein Mensch vergessen. Zum Glück habe ich meine Familie nahe um mich, bei uns allen ist mein Vater sehr präsent. Und gerade mit meiner Mutter habe ich einen intensiven Austausch, ich frage sie oft wie es war früher, wie er war als junger Mann, was wir alles erlebt haben als Familie und vieles mehr. So kann ich ihn lebendig halten und lerne und verstehe noch mehr von seinem Leben.


    Heute vor fünf Wochen war die Beerdigung. Erst fünf Wochen. Die Zeit vergeht so langsam. Und ich weiss schon nicht mehr wie es vorher war.

    Liebe Kerstin


    Danke auch von mir, dass du das mit uns geteilt hast. Mich hat das Lied von Anfang sehr berührt, da es mich vom Text her anspricht und mir vieles aus dem Herzen spricht, nicht alles, aber fast. Und ich finde, man merkt es Ross auch an, dass er weiss, wovon er singt. Es kommt rüber, wie traurig er war und ist und dass er nach Möglichkeiten sucht, die Liebe zu seinem Vater zu erhalten. Genau wie ich auch. Und wie wir alle, die wir jemand Besonderen verloren haben.


    Für mich ist Musik ein Weg zu meinen Gefühlen. Manchmal, nach einem langen Arbeitstag oder einigen fordernden Situationen mit meiner Tochter, bin ich blockiert und habe keinen Zugang mehr zu meiner Innenwelt, da ich meinen Emotionen zu lange unterdrücken musste. Ich merke dann einfach nur, dass ich gereizt oder bedrückt bin. Wenn ich dann das richtige Musikstück höre, bröckelt der Panzer und ich finde zurück zu mir selbst. Und das Lied von Ross Antony ist so eines geworden. Seit Helga davon geschrieben hat, habe ich es oft gehört, und habe es auch mit meinen Geschwistern geteilt.


    Heute kam mir wieder alles unwirklich vor. Ist mein Vater wirklich gestorben? Ist er wirklich weg? Manchmal denke ich tatsächlich, er müsste gleich aus seinem Auto aussteigen und zur Tür hereinkommen. So war es doch all die Jahre. So war es mein ganzes Leben lang. Er kam immer wieder zur Tür herein, er kam immer wieder nach Hause. Nur dieses Mal nicht mehr. Und immer noch weigert sich mein Gehirn, das anzuerkennen. Und das ist so schwer, da ich es mir immer wieder bewusst machen muss, dass er wirklich tot ist; vor allem morgens ist das sehr schlimm, da das Realisieren dann manchmal etwas Zeit braucht, und wenn es dann eingesunken ist, umso härter zu ertragen ist.


    Warum muss ich Goodbye sagen? Es ist viel zu früh, um schon für immer Abschied zu nehmen. Wir hätten noch so viel schöne Jahre gehabt, mein Vater hätte seinen Ruhestand endlich geniessen können, und dann diese brutale Krankheit, die alles zerstört hat. Im Moment hadere ich nicht mehr so sehr mit mir selbst, sondern mit dem Schicksal. Dass es mir meinen Vater genommen hat, dass er nicht mehr leben darf, dass es meiner Mutter den letzten Lebensabschnitt versaut hat, dass wir viel zu früh nun ohne ihn weitergehen müssen. Er fehlt mir so sehr. Jede Stunde, jeden Tag. Ich schaue aus dem Fenster und sehe einen wunderschönen Sonnenuntergang über dem See, alles sieht so perfekt aus, so heil, nur in mir drin ist etwas zerbrochen und die Scherben schneiden in mein Herz. Alles Schöne, was ich erlebe, vergrössert meinen Schmerz, da mein Vater dies alles nicht mehr erleben kann.


    Manchmal klopft mein Herz wie verrückt, richtig schnell und stark. Ich hatte das auch während der letzten Tage, die mein Vater im Krankenhaus verbracht hat. Dieses Herzklopfen, dann auch ein Engegefühl in der Brust, so als ob ich nicht tief genug einatmen könnte. Körperliche Anzeichen meiner Angst, dass mein Vater sterben könnte, und dann, dass ich es nicht schaffe ohne ihn. Dass ich nicht stark genug bin, nicht erwachsen genug. Und es auch nicht sein will, ich will weiter Kind sein können. Sein Kind, seine geliebte erstgeborenen Tochter. Ich möchte mich weiter an ihn anlehnen können, mich auf ihn verlassen können, von seiner Lebenserfahrung lernen können. Alles vorbei. Aber die Sehnsucht bleibt. Wohl mein ganzes Leben lang.


    Der Himmel ist heute wirklich schön. Vielleicht geht es irgendwann, dass ich wieder hinaus in die Welt schauen kann, ohne diese Schwere und ohne alle diese ambivalenten Gefühle.


    Gute Nacht, ihr lieben Seelen hier auf der Erde und im Himmel.

    Liebe Kerstin, liebe Sveti, liebe Helga


    Ihr habt alle schon beide Eltern verloren, eure geliebte Mama und euren geliebten Papa. Ich kann euch nur mein allertiefstes Mitgefühl schenken, es tut mir so leid, was ihr durchmachen musstet und immer noch müsst. Ich kann euch so gar nichts Tröstliches schreiben, weil ich selber erfahren habe, dass es die richtigen Worte nicht gibt, dass einfach nichts hilft in dieser Zeit. Ausser eben der Austausch mit Menschen, die einen verstehen, die das gleiche durchmachen müssen. Wenigstens fühlt man sich dann nicht ganz so allein und verlassen in seiner Trauer und dem unerträglichen Schmerz. Und man fühlt sich endlich verstanden und ernst genommen. Mir hat das sehr geholfen, dass ich mir erlauben konnte, meine Trauer zuzulassen und auch dazu zu stehen, dass es mir nicht gut geht und ich sehr, sehr traurig bin. Und dank euch weiss ich jetzt auch, dass die Trauer lange anhalten wird und dass das in Ordnung ist so, dass es normal ist. Da muss ich mich nicht unter Druck setzen, wenn ich nach einem Jahr oder zwei oder drei noch immer traurig bin.


    Beim Tode meiner Mutter setzte die Trauer ebenso unvermittelt ein, und ich kann ehrlich keinen Unterschied zu diesen beiden Schmerzzuständen finden

    Die Hoffnung war stärker, dass ihr Leben verlängert wird, als mich auf den Tod vorzubereiten


    Mein Vater starb zwar sehr unerwartet, aber ich hatte doch ein paar Tage Zeit, in denen mir immer mehr klar wurde, dass er es vielleicht nicht schafft zu überleben. Ich weiss noch, wie meine Mutter nach einem Telefonat mit dem Krankenhaus zu mir gesagt hat, es sehe nicht gut aus, das war 4 Tage vor seinem Tod. Und das wiederholte sich dann jeden Tag zweimal, es sah immer nicht gut aus, es sah sogar immer schlechter aus für ihn. Und doch habe ich mich an die Hoffnung geklammert, dass er wieder nach Hause kommt, dass alles wieder ist wie vorher. Ein Teil von mir hat geahnt, dass es wahrscheinlich nicht so ist, aber das wollte ich nicht wahrhaben, ich wollte nicht daran denken müssen, das konnte ich nicht. Ich glaube auch, dass man sich nicht auf den Tod vorbereiten kann. Die Hoffnung auf ein Wunder bleibt bis zuletzt. Und wenn es auch nur ein winziges Fünkchen ist. Und deshalb ist der Tod dann immer ein Schock.


    "Ich fühle dich in jedem Sonnenlicht. Der Spiegel, in den ich schau, zeigt mir dein Gesicht."


    Ich habe noch einmal Ross Antony (Goodbye Papa) gehört. Diese Zeile erinnert mich so sehr an die ersten Tage nach dem Tod meines Vaters. In jedem Sonnenstrahl hab ich ihn gesehen, in jedem Funkeln eines Wassertropfens, jeder Windhauch hat Erinnerungen wachgerufen. Im Spiegel habe ich mein und sein Gesicht gesehen, im Wissen auch, dass ich zur Hälfte er bin. Und eigentlich hat sich da auch nicht sehr verändert. Ich suche immer noch in meinem Gesicht nach seinen Gesichtszügen. Ich suche ihn in der Natur, schaue in den Himmel, beobachte Vögel und Schmetterlinge und denke sehr oft, vielleicht ist er das. Vielleicht kann er mich sehen. Vielleicht kann er mich hören. Vielleicht spürt er, wie sehr ich ihn vermisse.


    Denn so ist es einfach. Ich vermisse ihn so unendlich. Fotos anzuschauen ist schmerzhafter denn je. Ich sehe ihn, aber er ist nicht da. Er schaut mich an, aber ich finde ihn nicht. Er ist so präsent auf diesen Fotos, strahlt so viel Liebe und Bescheidenheit aus, aber er ist nicht mehr fassbar. Und dieses Gefühl dann die letzten Tage, dass er mir entschwindet. Die Bilder in meinem Kopf verblassen ein bisschen, weil ich ihn nicht mehr jeden Tag sehe, weil er nicht mehr hier ist, weil ich meine Erinnerung mit neuen Bildern von ihm nicht mehr auffrischen kann. Es kommen ja keine neuen hinzu, ich habe nur die alten. Aber selbst wenn alle Bilder verblasst sind, in meinem Herzen wird er für immer und ewig unvergessen bleiben und weiterleben in mir. Meine Gefühle für ihn werden niemals sterben, meine Liebe wird weiterleben.

    Liebe Helga


    Ich danke dir für das Lied von Ross Antony, Goodbye Papa. Es ist so schön und passt gut zu meiner melancholischen Stimmung. Ich habe es mir gerade angehört. Sehr traurig. Und so wahr. Ein paar Sätze möchte ich gerne hier teilen:


    "Von Anfang an, seit ich denken kann, mein Leben lang warst du da, egal, was grad war."

    So ist es, 45 Jahre lang, immer an meiner Seite. Mein Vater hat mich nie im Stich gelassen, er hat immer zu mir gestanden und hat mir geholfen. Er war immer der Denker in unserer Familie, hatte aber gleichzeitig eine unglaubliche Schaffenskraft und hat so viel Bleibendes geschaffen.


    "Und jetzt gehe ich diesen Weg ganz allein, muss plötzlich stark und erwachsen sein."

    Genau. Ich glaube, gestern habe ich geschrieben, wie allein ich mich fühle ohne meinen geliebten Vater, so unerträglich allein. Und auch einsam ohne seine Gegenwart. Schwach. Und doch muss ich meinen Weg weitergehen, ohne ihn. Und das ist so unvorstellbar, es fühlt sich einfach nicht richtig an. Und ich fühle mich dem Leben gerade nicht gewachsen. Ich müsste stark und erwachsen sein, bin es aber nicht. Ich bin das Kind, das seinen über alles geliebten Papa vermisst und sich nichts sehnlicher wünscht, als dass er zurückkommt.


    "Soviel was bleibt von den Jahren mit dir, und ich fühle es klar, du lebst weiter in mir."

    Ja, es bleibt so viel. Ich sehe überall ihn. Wohin ich auch schaue, überall ist er. Alles erinnert an ihn. Und in mir ist er lebendiger denn je. Und genau deshalb tut es so weh, da er so präsent ist, aber doch nicht mehr hier, nicht mehr fassbar.


    "So oft hast du mir dein Lächeln geliehn, ich brauch es nochmal, dann lasse ich dich ziehn."

    Sein Lächeln. Seine lächelnden Augen. Sein lieber Blick. Nur noch einmal möchte ich in sein lächelndes Gesicht sehn. Noch ein letztes Mal. Aber selbst dann könnte ich ihn nicht ziehen lassen. Ich will ihn nicht ziehen lassen. Ich kann ihn nicht ziehen lassen. Aber das liegt nicht in meiner Hand. Er ist gegangen.


    Auf all dies war ich nicht vorbereitet, in keinster Weise. Jeden Abend sitze ich hier und weine. Und schreibe mir irgendwann den Kummer von der Seele.

    Liebe Sveti


    Ich verstehe dich so gut. Und du hast beide Eltern schon verloren. Da muss das Gefühl der Einsamkeit und des Sich-Verloren-Fühlens bestimmt noch viel stärker sein als bei mir. Und das Gedankenkarussell dreht ohne Ende einfach immer weiter.


    Ich fühle mich sehr allein ohne meinen Vater, ohne seinen Rückhalt, ohne seine Lebenserfahrung, einfach ohne ihn. Er gab meinem Leben Stabilität und Sinn, ohne dass mir das bewusst war. Er war ja immer da, gleich nebenan, immer präsent, hatte Zeit und ein offenes Ohr und war immer bereit zu helfen, so gut er es vermochte. Für mich war das einfach normal, ich habe nicht einmal mehr darüber nachgedacht, wie gut ich es hatte. Ich war manchmal sogar genervt wegen Kleinigkeiten, wegen unwichtiger Marotten, die er natürlich auch hatte. Jetzt, wo er tot ist, erkenne ich glasklar, was ich verloren habe, und wie kindisch und kleinlich ich manchmal gedacht und gehandelt habe. Ich habe bei jemandem hier im Forum einen Spruch gelesen, der sich mir eingeprägt hat, weil er genau dies zum Ausdruck bringt. Ich finde ihn leider grad nicht mehr zum Zitieren, deshalb hier aus dem Kopf:


    Es sind die Lebenden, die den Toten die Augen schliessen, aber es sind die Toten, die den Lebenden die Augen öffnen.


    Ja, und jetzt ist es zu spät, mein Vater ist tot. Jetzt, wo ich endlich verstanden hätte, kann ich mein neu gewonnenes Bewusstsein nicht leben, es läuft ins Leere, und es bleibt mir nur übrig, seine Seele um Verzeihung zu bitten, was ich auch sehr oft tue. Und ich bin sogar sicher, dass er mir schon längst vergeben hat, und doch quälen mich immer noch grosse Schuldgefühle. Ich kann es mir selbst nicht verzeihen, dass ich die Zeit, die ich noch hatte mit ihm, nicht mehr wertgeschätzt habe. Dass ich nicht dankbarer war. Dass ich nicht mehr Zeit mit ihm verbracht habe.


    Aber ich habe noch meine Mutter, und auch sie liebe ich über alles und bin sehr, sehr dankbar, dass sie noch hier ist. Und ich bin wirklich wie geläutert. Dinge, die mich früher an ihr genervt haben, regen mich gar nicht mehr auf, im Gegenteil, ich kann sie liebevoll als einen Teil von ihr annehmen, es gehört zu ihr, so ist sie im Lauf ihres Lebens geworden und so liebe ich sie, und sie hat ihre Gründe dafür. Ich bin so froh, dass sie noch lebt und für uns da ist, da ist alles andere unwichtig. Das empfinde aber überhaupt nicht als eine Leistung meinerseits, ich muss mich da auch gar nicht anstrengen, das ist eine Art Nebenprodukt meiner Trauer.


    Leider habe ich gestern Nacht nicht von meinem Vater geträumt. So gerne würde ich ihn wieder einmal sehen, wie er sich bewegt, wie er mir etwas sagt. Videos von ihm gibt es keine, nur das eine, wo er die Hochzeitsrede von meinem Bruder hält vor zwei Jahren. Und das kann ich nicht anschauen, ich schaffe es nicht. Das würde mich überwältigen vor Trauer, dem fühle ich mich nicht gewachsen. Aber im Traum geht es. Da kann ich ihm begegnen. Im normalen Leben ist es nie mehr möglich. NIE MEHR, NIE MEHR, nie mehr. Das ist so schrecklich, so grausam. Nicht ein einziges Mal noch in die lieben Augen sehen, es ist einfach vorbei. Und ich hab gedacht, er wäre noch viele, viele Jahre da, und ich hätte noch ganz viel Zeit, und er könnte sehen, wie meine Tochter aufwächst und sich mit mir freuen. Ich hab gedacht, er würde irgendwann in seinen Neunzigern friedlich einschlafen. Ja, das hab ich geglaubt, wie naiv. Kein Wunder, kann mein Gehirn mit der Realität nicht umgehen, es ist einfach zu weit weg von dem, wovon ich ausgegangen bin.


    Habt eine ruhige Nacht, ihr Lieben.

    Liebe Helga, liebe Sveti, liebe Kerstin


    Ich danke euch sehr, dafür, dass ihr euch die Zeit nehmt, mir zu schreiben, obwohl es euch auch nicht so gut geht. Es gibt wohl wirklich nichts, was einem die Trauer ein bisschen leichter macht. Das alles ist schmerzhafter und schwerer als ich es mir je hätte vorstellen können. Vor allem wurde es über die Wochen bei mir eher noch schlimmer und nicht etwa leichter, wie ich mir anfangs gedacht hatte. Diese Gefühle, diese Gedanken, diese Erinnerungen zehren und zerren an mir. Ich komme davon nicht los, egal, was ich tue, egal, wo ich bin und auch egal, mit wem ich zusammen bin. Es ist wirklich wie ein Schatten, der mir überall hin folgt.


    Bis jetzt war das Leben sehr gnädig mit mir und ich hätte nie sagen können, dass ich es als ungerecht empfinde, aber jetzt tue ich das. Wieso muss so ein guter Mensch so früh sterben? Und dann noch auf diese Weise? Die sechs Tage im Krankenhaus hat mein Vater liegend im Bett verbracht, er hat es nicht mehr geschafft, auch nur noch ein einziges Mal aufzustehen, so schwach war er. Er hatte einen Katheter und Windeln an. Obwohl er doch nicht inkontinent war, wie entwürdigend muss auch diese Erfahrung für ihn gewesen sein. Er konnte nicht einmal mehr richtig telefonieren, weil er auf die Sauerstoffmaske angewiesen war. Wir durften ihn nicht besuchen und hatten so keine Möglichkeit, ihn bei vollem Bewusstsein noch einmal zu sehen. Das ist schlimm für mich. Ich komme einfach nicht damit klar, dass ich nicht noch ein letztes Gespräch mit ihm habe führen können. Jetzt krame ich in meinem Gedächtnis nach den Erinnerungen an unsere letzten richtigen Gespräche, aber ich finde keine kürzlichen. Das kann auch nicht sein, aber es fällt mir einfach nichts ein.


    Ich würde dir gerne etwas schreiben, das dich aufbaut und dir hilft. Da fällt mir nicht viel ein außer:


    Dein Verbündeter ist und bleibt die Zeit. Sie wird den Schmerz erträglicher machen, es ist tatsächlich so (ich wollte es auch nicht glauben ...).

    Liebe Kerstin, ich glaube dir. Ich kann es mir nur nicht vorstellen, so dick und schwer ist mein Trauermantel und es scheint mir, als hätte ich den Tiefpunkt noch nicht erreicht. Ich komme soweit ganz gut durch den Alltag, dies auch dank meiner Tochter, die mich dazu zwingt, einen geregelten Tagesablauf und eine gewisse Stabilität aufrecht zu erhalten. Doch in meinem Innern toben die Gefühle, denke ich ständig an meinen Vater und an seine letzten Tage oder an sein Leben oder was noch alles hätte sein können. Und ich sehe, dass es meiner Mutter auch so geht. Sie lebt ihr Leben von aussen gesehen recht normal weiter, doch in ihrem Herzen ist sie unsäglich traurig, das sagt sie auch. Und auch das ist schwer. Die Zeit vergeht im Moment so quälend langsam, und jeder Tag gleicht in seinem Schmerz dem anderen. Erst fünf Wochen, das ist ja wirklich noch nicht viel Zeit. Aber ich weiss schon nicht mehr, wie es vorher war. Und du, liebe Kerstin, bist nun schon 40 Jahre ohne deinen Vater. Da fehlen mir die Worte, das ist unvorstellbar für mich. Aber die Jahre werden auch bei mir vergehen und ich werde zurückschauen und auch nicht glauben können, dass er schon so lange nicht mehr unter uns ist. Dieser Gedanke ist gerade so unglaublich traurig für mich, ich kann nicht genau fassen, warum. Wahrscheinlich die Vorstellung, so lange ohne meinen Vater sein zu müssen, ihn so lange nicht mehr um mich zu haben zu können. Er entschwindet mir irgendwie auch langsam, ich höre seine Stimme nicht mehr klar, ich sehe ihn nicht mehr klar vor mir. Ich habe Angst, ihn auch noch in meiner Erinnerung zu verlieren. Ich will ihn einfach mit aller Kraft festhalten. Aber es gelingt mir nicht.


    Weinen ist therapeutisch. Mir hat es immer sehr geholfen. Ich finde es immer äußerst unangenehm, wenn ich eine Phase habe, in der ich nicht weinen kann; ich merke, wie sich die Gefühle in mir anstauen

    Das geht mir genauso. Es gab Tage, da konnte ich nicht weinen, entweder, weil es die Umstände nicht zugelassen haben oder weil mir irgendwie nicht danach war. Dann hat sich aber so ein Druck in mir aufgebaut, dass es mir umso schlechter ging. Tränen sind heilsam. Ich habe schon sehr lange geweint, und so oft, immer wieder, und das wird auch so weitergehen. Bei allem Weinen, irgendwann sind die Tränen für den Moment ausgeweint, und dann fühle ich eine Art Erleichterung für ein Weilchen. Und so geht es mir auch beim Schreiben. Ich denke, so gebe ich meiner Trauer Entfaltungsraum, wie Megan Devine schreibt. Und es tut gut, hier im Forum Verbündete im Schmerz zu haben, die mich verstehen und ein wenig mit mir mitfühlen, weil sie genau wissen, wie es mir geht, leider.


    Ich bin so erschöpft, so ausgelaugt.


    Euch allen eine gute, erholsame Nacht. Hoffentlich treffe ich meinen Vater wieder einmal im Traum. Das wäre schön.

    Ich komme einfach nicht darüber hinweg. Ich schaffe es nicht. Heute bin ich wieder so unglaublich traurig. Überall lauern Erinnerungen, alles um mich herum macht mich immer wieder darauf aufmerksam, dass mein allerliebster und bester Vater nicht mehr hier auf der Erde ist, nicht mehr in seinem Körper ist. Google Fotos (die App) hat mir heute Bilder gezeigt von vor einem Jahr, und da war mein Vater drauf, er sah so gut und so gesund aus, so ein extremer Kontrast zum Bild im meinem Kopf, wie er am seinem letzten Tag im Krankenhaus aussah. Das kann doch nicht sein. Ich suche immer noch nach einem Fehler, irgendwo muss ein Fehler sein, und wenn ich ihn finde, wird mein Vater wieder lebendig, aber ich finde ihn nicht. Denn die Realität macht keine Fehler, sie ist, wie sie ist. Wie soll das ein Mensch aushalten? Wie soll ich je wieder normal durch die Tage kommen? Es tut einfach nur weh, egal, wo ich bin, egal, wo ich hinschaue, immer nur der Schmerz. Und diese Gedanken, er könnte noch leben, wenn wir alles richtig gemacht hätten. Es ist einfach unerträglich im Moment. Bald ist er fünf Wochen tot. NEIN, schreit alles in mir.


    Meine beiden Brüder waren heute zu Besuch. Wir haben das alte Familienalbum angeschaut, als wir selber noch Kinder waren. Wie die Zeit vergeht, meine Eltern jünger als ich es jetzt bin. Mein Vater jung, schön und kraftvoll und strotzend vor Lebensfreude. Was das Alter einem antut. Was der Tod einem antut. Ich mache mir auch so viele Gedanken über mein eigenes Leben, darüber, dass auch ich eines Tages sterben muss und Menschen zurücklassen muss. Darüber, dass mir noch mehr liebe Menschen wegsterben und ich nichts dagegen tun kann. Ich fühle mich den Geschehnissen so ausgeliefert. Gnadenlos vergeht die Zeit, und damit unsere Lebenszeit und diejenige unserer Liebsten. Was habe ich denn schon in der Hand? Alles ist so vergänglich, und niemand kann das aufhalten. Ja, ich müsste mehr im Moment leben, ich müsste die Zeit nutzen, die ich jetzt habe, ich müsste die Gegenwart der Menschen wertschätzen, die jetzt noch leben. Nur schaffe ich das gerade nicht, alles ist getrübt, überschattet davon, dass mein lieber Papa nicht mehr bei uns ist. Er, der unser aller Leben so geprägt hat, der immer für uns da war und uns immer wieder neue Impulse gegeben hat, unsere Träume zu leben. Der so viele Ideen hatte und so viele davon umgesetzt hat. Ja, er hatte ein reiches und bewegtes Leben. Immerhin, das steht fest. Und doch war es viel zu kurz. Wir hätten ihn doch noch so sehr hier bei uns haben wollen.

    Liebe Sveti, liebe Helga, liebe Kerstin


    Vielen Dank für eure lieben und mitfühlenden Zeilen. Es ist schrecklich, dass wir alle so leiden müssen, egal, wie lange unser Verlust her ist. Und dass diese Leichtigkeit und Unbeschwertheit der intakten Familie für uns für immer unerreichbar ist. Die Lücke, die sich in unserem Leben aufgetan hat, ist einfach zu gross.


    Mir fehlt mein Vater so sehr, dass ich manchmal denke, ich werde noch wahnsinnig. Und da ich nichts tun kann, um ihn wieder hier haben zu können, bin ich dazu verdammt, mit diesem Schmerz mein Leben weiterzuleben, obwohl sich alles in mir dagegen sträubt. Diese Ohnmacht, es einfach akzeptieren zu müssen.


    Ich stelle mir ihr liebes Gesicht vor, wie sie mich anlächelt und kann es nicht glauben, dass dieser Mensch aus Fleisch und Blut einfach nicht mehr da ist.

    Einfach so, puff, weg ...

    Genau so geht es mir auch. Eben war er noch da, und jetzt ist er auf einmal weg. Auch ich stelle mir so oft das liebe Gesicht meines Vaters vor, ich sehe, wie er lacht, wie er lebhaft spricht, wie er mir etwas zeigt. Für einen kurzen Moment ist es schön, in diesen Bildern zu schwelgen, doch die harte Realität, dass ich dieses Gesicht nie mehr in Fleisch und Blut sehe, holt mich schnell wieder ein. Auch die Erinnerung an sein totes Gesicht überrollt mich dann bald. Ich weiss noch, dass ich sein totes, kaltes Gesicht noch gestreichelt habe, seine Wange, eiskalt. Das war meine letzte Berührung seines Körpers.


    Ich darf in meinen schwachen Momenten überhaupt nicht so genau darüber nachdenken, was ich mit ihr alles verloren habe, denn dann tut es weh wie am ersten Tag

    Ja, diese Gedanken sind für mich auch sehr schwer. Ich schaffe es nicht, nicht darüber nachzudenken, was ich alles verloren habe, was alles noch hätte sein können. Das denkt mein Gehirn automatisch. Ständig sinniere ich darüber, wie es jetzt wohl wäre, würde mein Vater noch leben. Was er sagen würde, was er tun würde. Ach.


    Ich glaube,wenn man ein Grab

    hat wo man immer wieder schöne Blumen pflanzt und man steht davor ist es anders.

    Ich bin gerne am Grab. Vor allem tut es mir gut, das Grab zu pflegen, verblühte Blumen abzuschneiden, ein Sträusschen frische Wiesenblumen hinzustellen, oder mit schönen Steinen die Erde zu schmücken. Das gibt mir das Gefühl, dass ich ihm noch etwas Gutes tun kann, wo es mir sonst ja nicht mehr möglich ist.


    und dann gibt es Tage, da schmerzt es unbeschreiblich und die Sehnsucht ist unerträglich

    Bei mir waren das alle Tage bis auf gestern, wo ich eine kleine Verschnaufpause hatte. Danke Kerstin für das Wort "Verschnaufpause", das trifft es genau. Es war nur eine kurze Pause. Und vielleicht werden diese Erholungspausen ja tatsächlich immer ein bisschen länger. Ich kann es mir zwar zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorstellen. Aber das muss ich ja zum Glück auch nicht, immer nur einen Tag nach dem anderen nehmen, ganz kleine Portiönchen. Dann kommt man irgendwie durch die Tage.


    Macht es gut am heutigen Tag.

    Ihr Lieben


    Heute habe ich das erste Mal die Trauer zeitweise nicht mehr ganz so unmittelbar gespürt. Die Sehnsucht, dass ich meinen Vater so gerne sehen möchte und so unglaublich gerne mit ihm reden möchte, ist stark wie nie. Und trotzdem war der Schmerz nicht ganz so unerträglich wie die 31 Tage davor.


    Dafür kam er (der Schmerz) am Abend mit voller Wucht zurück. Ich war mit meinem Bruder und meiner Mutter auf dem Friedhof und wir haben die Musikstücke von der Beerdigung laufen lassen. Im Regen standen wir da. Sein Körper da unten; sein Körper, mit dem er von ein paar wenigen Wochen noch lebendig in der Welt war, herumgegangen ist, gesprochen hat. Immer noch unfassbar, immer noch unwirklich. Die Realität ist so hart. Warum konnte er nicht noch ein paar Jahre leben? Es kann doch nicht sein, dass er einfach innerhalb von 6 Tagen gestorben ist. Das zu akzeptieren ist mir nicht möglich. Dieses Hadern zerrt so an mir und raubt mir alle Energie.


    Mein Vater hätte tröstende Worte gehabt für mich, er hätte mit seiner Weitsicht, mit seinem tiefsinnigen Denken und seiner Ruhe meine rastlose Seele ein wenig besänftigen können. Aber genau er ist ja nicht mehr da. Wer sonst könnte mir denn jetzt Trost spenden?


    Es belastet mich je länger je mehr, dass ich vor allem die letzten Monate nicht mehr so Anteil genommen habe an seinem Leben, dass ich mir oft nicht die Zeit genommen habe, einfach mal mit ihm da zu sein und zu reden und Fotos anzuschauen von seinen Reisen oder von seinen Bildern. Ich war so beschäftigt mit meinem eigenen Leben und meiner Tochter. Ich habe ihn zwar fast täglich gesehen, und doch war der Kontakt oft nur oberflächlich und kurz. Wie armselig. Das hatte er nicht verdient. Und nun stehe ich da und habe keine Möglichkeit mehr, nochmal auch nur eine Minute Zeit mit ihm zu verbringen. So viel verpasste Chancen. Darüber komme ich nicht hinweg, das verfolgt mich richtig. Ich kann nur hoffen, dass ich irgendwann meinen Frieden finde damit.


    Ich wünsche uns allen eine erholsame Nacht und dass wir unsere lieben Verstorbenen ganz nah bei uns spüren.

    Liebe Helga


    Die persönlichen Sachen zu sortieren und wegzugeben ist halt jedesmal wieder ein kleiner Abschied mehr. Jedesmal muss man etwas hergeben vom geliebten Menschen. Und so verschwinden nach und nach immer mehr Dinge, einfach weil wir es nicht aushalten, sie um uns zu haben. Es tut einfach zu weh, gerade bei den persönlichen Gegenständen, die er jeden Tag gebraucht hat. Das ist jedesmal wie ein Stich ins Herz.

    An die grossen Dinge wagen wir uns noch nicht. Computer, Laufband, Auto, E-Bike. Das ist zuviel. Das bleibt erstmal einfach stehen. Meine Mutter hat auch weiterhin beide Bettdecken bezogen, seine Kleider noch im Schlafzimmerschrank. So fühlt sie sich ihm nahe.

    Liebe Kerstin


    Ich befürchte auch, dass ich sehr, sehr lange brauchen werde, bis ich wirklich mit echter Dankbarkeit erfüllt bin, wenn ich an schöne Dinge denke, die ich mit meinem Vater erlebt habe. Jede Erinnerung macht mir wieder bewusst, was ich verloren habe, was nie mehr möglich ist und sticht wie spitze Dornen in mein Herz. Auch bei mir gekoppelt mit Vorwürfen, warum ich die Zeit, die ich mit meinem lieben Papa hatte, nicht mehr geschätzt habe, warum ich nicht achtsamer war. Dass ich jetzt nie mehr die Möglichkeit habe, mit ihm Zeit zu verbringen, raubt mir manchmal den Atem. Dass ich nichts wiedergutmachen kann, was ich so bereue. Mir ist irgendwie schon klar, dass ich das beste getan habe, was ich konnte, denn ich habe meinen Vater ja schon immer sehr geliebt und ihn auch bewundert, und trotzdem quält es mich, dass ich nicht bewusster mit der gemeinsamen Zeit umgegangen bin. Ich hatte einfach nicht auf dem Schirm, dass ich vielleicht nicht mehr viel Zeit mit ihm habe.


    Die schlimmste aller Bemerkungen (die ich Gott sei Dank nur indirekt über meinen Mann erfahren habe) war folgende Bemerkung meines Hausarztes (an meinen Ehemann gerichtet): Ich hätte eine krankhafte Beziehung zu meiner Mutter, und ich sei ohne die Hilfe meines Mannes nicht fähig, mein Leben wieder in den Griff zu kriegen.

    Das ist wirklich schlimm, so etwas zu hören. Das ist so unsensibel und abwertend. Als ob wir nicht schon genug niedergedrückt wären. Die erste Woche darf man trauern soviel man will, da haben wirklich alle Verständnis. Aber danach sollte man schon nach und nach zurück in die Normalität finden und den Verlust überwinden und sich nicht mehr so schlecht fühlen.


    Das Schlimme ist, dass ich mich selber ertappe, wie ich auch manchmal denke, ob ich nicht alles viel zu schwer nehme, dass ich vielleicht eben doch noch nicht erwachsen genug bin, um mit dem Verlust klarzukommen. Aber was hilft es, ich stehe da, wo ich stehe. Und ich fühle, was ich fühle. Und der einzige Weg durch den Schmerz hindurch ist, ihn anzuerkennen und zu fühlen und mit ihm zu leben - das schreibt in etwa Megan Devine. Sie sagt: "Solange nichts hilft, ist Anerkennung die beste Medizin." Und: "Schmerz braucht Entfaltungsraum." Das bestärkt mich dann wieder, bei mir selbst zu bleiben und nicht einem falschen Ideal hinterherzujagen und so zu tun, als ob ich über allem stehen würde.


    Du hattest bestimmt keine krankhafte Beziehung zu deiner Mutter, du hast sie einfach sehr, sehr geliebt und mit ihr mitgelitten all die langen Jahre im Kampf gegen den Krebs und alles getan für sie, was du konntest.


    <3<3<3

    Liebe Helga


    Es stimmt, dass meine Mutter zur Risikogruppe gehört, was Covid19 betrifft, einfach wegen ihres Alters, sie ist 71. Sie ist sonst gesund, Gott sei Dank. Und ich kann nur hoffen, dass das noch ganz lange so bleibt. Sie auch noch zu verlieren wäre wirklich mehr, als ich verkraften könnte. Deshalb achten wir alle darauf, dass wir das Risiko möglichst gering halten, aber füreinander da sein und Trost spenden ohne Umarmungen und Nähe ist halt auch nicht das Wahre.


    Heute Abend hat meine Mutter mir erzählt, wie sie die Jacken meines Vaters aus dem gemeinsamen Garderoben-Schrank geräumt und dabei in den Taschen einer Jacke noch Zettel und eine Lesebrille gefunden hat, wie wenn er die Jacke gerade noch getragen hätte oder gleich wieder hineinschlüpfen würde. Da wurde ihr wieder mit voller Wucht das Ausmass ihres Verlusts bewusst und sie hat es fast nicht ertragen. Aber jeden Tag auf die Jacken schauen zu müssen, war ihr noch unerträglicher. Ich musste auch weinen. Ich weiss noch genau, wie er diese Jacke immer so gern angezogen hat. Und jetzt wird er sie nie mehr anziehen können. Wie er damit immer aus dem Haus gegangen ist. Es ist im Moment gerade so schwer auszuhalten. Diese Endgültigkeit lässt mich verzweifeln. So ein Schmerz. Und es gibt einfach nichts, was ihn lindern kann. Ich spüre die Sehnsucht, ihn hier haben zu wollen, körperlich als Ziehen im Herz. Ein regelrechtes Ziehen, ich kann es nicht anders beschreiben.


    Weinen und Schreiben nimmt immerhin den Druck ein wenig raus. Das ist schon viel.

    Liebe Kleene


    Danke für dein Mitgefühl und deine Worte. Diese Bilder von unseren lieben Verstorbenen von ihren letzten Wochen, Tagen und Stunden können sehr quälend sein. Bei mir überlagern sie noch all die schönen, unbeschwerten Erinnerungen, als noch alles in Ordnung war. Wie gut, dass es dieses Forum gibt. Wo sonst könnte ich all diese Gedanken unzensiert schreiben? Wem könnte ich sie zumuten? Wer würde einfach zuhören können? Es ist mehr als Tagebuch schreiben, da ihr da seid und hier ab und zu lest, und so habe ich ein Gegenüber. Und das ist so wertvoll in dieser Zeit, in der nichts mehr ist wie vorher; in einer Zeit, in der wir so viel Schmerz und so vielen verwirrenden Gedanken ausgesetzt sind, die im Umfeld sehr selten jemand hören will.


    Ich denke auch immer noch fast ununterbrochen in irgendeiner Form an meinen Vater, und dass er nicht mehr da ist. Es gibt Momente, wo ich ein wenig durchatmen kann und ein bisschen zur Ruhe komme. Und auch dann ist er immer in meinem Innern präsent. Und ich vermisse ihn so sehr. Diese Sehnsucht ist nicht zu beschreiben. Die Sehnsucht, ihn noch einmal physisch hier zu haben, mit ihm reden zu können, mit ihm einen Tee zu trinken, einfach mit ihm dazusitzen. Ein Teil von mir weigert sich noch immer, anzuerkennen, dass das nie mehr geht. Immer noch suche ich nach einem Fehler in der Realität, dass das alles gar nicht wahr ist.

    Ihr Lieben


    Vielen, vielen Dank für eure mitfühlenden Kommentare.


    Heute vor vier Wochen ist mein Vater gestorben. Ein ganzer Monat ist seit seinem Tod vergangen. 28 Tage. Und jeder einzelne Tag war schwer. Es gab sehr schwere Tage und auch weniger schwere Tag, aber schwer waren sie alle. Wirklich alle. Immer am Montag denke ich besonders intensiv an die Zeit vor seinem Tod, wo ich noch mit ihm zusammen war. Wie er in seinem Krankenhausbett lag, matt und total erschöpft, mit dieser Sauerstoffmaske auf dem Gesicht, die Augen geschlossen. Diese Bilder werde ich nie mehr vergessen, es war meine letzte Stunde mit ihm und sie ist mir unglaublich kostbar. Ich weiss nicht mehr genau, was ich ihm alles gesagt habe, ich habe viel geweint, ich habe ihm seine Lieblingsmusik vorgespielt, und ich war mit ihm da. Er konnte nicht mehr sprechen, aber er hat mich noch angeschaut, und auch diesen letzten Blick werde ich nie mehr vergessen. Ich empfinde so viel Respekt und Dankbarkeit, dass er durchgehalten hat, bis er uns alle noch einmal gesehen hat und wir uns alle von ihm verabschieden konnten. Das muss ihn unglaublich viel Kraft gekostet haben, aber er hatte schon immer einen sehr, sehr starken Willen, gegen alle Widerstände konnte er ruhig und beharrlich seinen Weg gehen. Aber gegen seinen kranken Körper konnte er schliesslich nichts mehr ausrichten, da musste er kapitulieren.


    Nelo

    Liebe Kerstin. So schön, dass du wieder da bist und dich gemeldet hast. Ich bin froh, dass es dir wieder besser geht.

    Diese Wut hat mich wirklich sehr verunsichert, da ich sie nicht zuordnen konnte, es gab keinen speziellen Auslöser dafür. Sie war einfach auf einmal da. Und dann gleich stark. Sie ist bis jetzt auch nicht wiedergekommen. Aber wahrscheinlich wird sie es. Du hast recht, ich muss versuchen, einen Weg zu finden, wie ich sie ausagieren kann, am besten alleine. Ich weiss nur noch nicht wie. Bis jetzt hatte ich mit Wut nicht viel zu tun und darum wenig Erfahrung im Umgang mit diesem Gefühl. Als du in deinem Beitrag den Neid angesprochen hast, ist mir klar geworden, dass ich auch Neid empfinde. Das war mir nicht richtig bewusst vorher. Neid, dass andere ihre beiden Eltern noch haben. Ganz genau. Dazu empfinde ich es geradezu als ungerecht, dass deren Eltern noch leben, sie es aber gar nicht richtig wertschätzen und einfach ahnungslos in den Tag hineinleben. Dabei war ich ja gleich. Auch mein Partner hat seine beiden Eltern noch. Und obwohl ich eindringlich mit ihm geredet habe, sehe ich nicht, dass sich an seiner Haltung etwas verändert hat.


    Ich bitte meinen Vater oft, mir doch bitte Zeichen zu schicken, dass er noch da ist. Dass es ihm gut geht. Dass ich nicht mehr zweifeln muss. Aber bis auf einige weisse Federn in den ersten Tag nach seinem Tod und diesem Traum, in dem er mir mitgeteilt hat, dass er wieder da ist, habe ich keine weiteren Zeichen mehr bekommen. Wenn ich in die Weite des nächtlichen Himmels schaue, überkommt mich ein Gefühl der Einsamkeit, da ich nicht weiss, wo ich ihn suchen soll da draussen. Er muss doch irgendwo sein. So gern hätte ich diese Gewissheit, dass er irgendwo ist. Aber so oft zweifle ich und denke: Und wenn doch einfach alles vorbei ist. Wenn doch alles umsonst war und wenn er doch weg ist für immer und ich ihn nie mehr wiedersehe. Das ist so trostlos. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass es wirklich so ist, und doch fehlt mir eben diese tiefe, innere Gewissheit noch, dass es sie gibt, die unsterbliche Seele.


    Ich rede jeden Abend im Geiste mit meinem Vater. Meistens weinend. Ich muss ihm immer wieder sagen, wie leid es mir tut, dass er so leiden musste, dass ihm niemand helfen konnte. Ich sage ihm, wie sehr ich ihn vermisse. Wie sehr ich es bereue, dass ich nicht mehr Zeit mit ihm verbracht habe. Ich flehe ihn an, dass er mir bitte verzeihen möge. Ich sage ihm, wie gern ich ihn habe und wie dankbar ich bin, dass ich seine Tochter bin und er 45 Jahre an meiner Seite war und mich immer unterstützt hat und stolz auf mich war. Ich verspreche ihm, dass ich gut auf seine Frau, meine Mutter, aufpasse und für sie da bin.


    Das gibt mir ein bisschen Stabilität, dass ich denke, ich kann ihm wenigstens noch etwas sagen. Und vielleicht hört er es ja.


    Euch allen eine gute Nacht.

    Liebe Helga


    Du hast Recht, für meine Mutter muss die Trauer anders sein, noch intensiver. Über 50 Jahre haben sich meine Eltern gekannt und ein sehr bewegtes Leben zusammen gelebt, sind zusammen durch Dick und Dünn gegangen, durch viele Höhen, aber auch einige Tiefen. Mein Vater hatte den Kopf voller Ideen, war ein sehr kreativer Mensch mit einer unglaublichen Schaffenskraft, dazu sehr reflektiert und philosophisch und spirituell höchst interessiert. Es war ein intensives Leben mit ihm. Die letzten Jahre ist er ruhiger geworden, immer noch voller Pläne, aber das Alltagsleben verlief doch in ruhigen, vorhersehbaren Bahnen. Meine Eltern hatte ihre täglichen Rituale und meine Mutter genoss dies sehr. Und jetzt auf einmal allein zu sein muss ganz, ganz schrecklich sein. Leben zu müssen mit der Vorstellung, allein alt zu werden. Die letzten Jahre allein durchs Leben zu gehen. Nie mehr auch nur ein Wort mit dem geliebten Mann sprechen zu können, ihn nie mehr zu umarmen, ihm nie mehr sagen können, wie gern man ihn hat, dass er die Liebe ihres Lebens war. Jeden Abend ins leere Bett zu steigen und allein aufzustehen. Ich habe neben meiner eigenen Trauer auch diese immense Mitgefühl mit meiner Mutter. Ich sehe, wie sie tapfer ihr Leben weiterlebt und ihren Tagesablauf so gut es geht aufrecht erhält. Und ich kann nichts anderes tun, als für sie da zu sein und mit ihr traurig zu sein. Ich finde es so ungerecht, sie hätte nach diesem bewegten Leben einen ruhigen, geregelten Lebensabend mit meinem Vater mehr als verdient. Und das macht mir auch alles zu schaffen. Dass das für sie nun nicht mehr möglich ist. Dass sie leiden muss. Und dass ich ihr nicht helfen kann. Denn auch ihr Schmerz wird nie mehr vergehen. Und das plagt mich gerade die letzten Tage manchmal mehr als meine eigene Trauer. Die Einheit meiner Eltern ist nicht mehr da, sie haben sich gegenseitig Halt gegeben und damit auch mir. Und nun ist meine Mutter auf sich allein gestellt und muss allein durchs Leben und das tut mir so unendlich leid für sie. Mein Gott, wie sehr ich sie liebe, und wie sehr hätte ich ihr diese ruhigen gemeinsamen Jahre gewünscht.


    Mein Leben verläuft wie zweigeteilt. Innerlich bin ich unglaublich traurig, voller Sehnsucht nach meinem Vater und meinem alten Leben, äusserlich lebe ich einfach weiter, kümmere mich wieder um fast alles wie vorher. Es gab ein Leben vor dem Tod meines geliebten Papas, und es gibt das Leben jetzt. Das ist nicht zu vergleichen. Es sieht jedoch sehr ähnlich aus von aussen. Aber mein Lebensgefühl ist ein total anderes. War ich vorher unbeschwert und grundsätzlich guten Mutes und zufrieden, so bin ich jetzt unsicher und schwankend und voller dunkler, schwerer Gedanken. Alles in mir schreit: Komm zurück, bitte komm zurück. Immer noch. Jeden Tag. Aber in meinem normalen Alltag ist mir das nicht anzusehen. Das kommt mir seltsam vor. Zum Glück kann ich hier diese Schwere und Dunkelheit in mir drin mit euch teilen. Das brauche ich im Moment sehr. Und deshalb bin ich hier. Und ich danke allen, die hier mitlesen und sich mit mir austauschen. Von Herzen Danke. Es hilft ein wenig, das alles ein kleines Bisschen besser auszuhalten. Und so komme ich durch die Tage. Durch diese endlosen Tage. Morgen ist mein Vater vier Wochen tot. Erst vier Wochen, aber mir kommt es vor wie eine Ewigkeit. Alles ist zäh.

    Ihr Lieben


    Gestern war ein seltsamer Tag. Ein Gefühls-Chaos sondergleichen. Hin- und her gerissen zwischen tiefer Trauer, Sehnsucht, Bedauern, Wut und Liebe. Nie hätte ich mir vorstellen können, dass dies möglich ist, so ein Leiden, so ein Schmerz, den ich nicht nur seelisch fühle, sondern wirklich körperlich spüre. Diese Anfälle von solcher Sehnsucht, meinen Vater zurückzuhaben, dass ich nicht weiss, wie ich das aushalten soll. Diese unbändige Wut, die ich gestern das erste Mal in mir erlebt habe, hat mich total durcheinander gebracht. Damit konnte ich gar nicht gut umgehen. Die anderen Gefühle lasse ich einfach zu und gebe mich ihnen hin, wenn es die Situation erlaubt, aber mit der Wut weiss ich nicht so recht etwas anzufangen.


    Heute ging es meiner Mutter gar nicht gut. Es wurde ihr so richtig bewusst, dass sie nicht einmal mehr mit ihrem geliebten Mann reden konnte, bevor er starb, dass sie ihn nicht einmal mehr umarmen oder küssen konnte. Sie macht sich Vorwürfe, dass sie nicht insistiert hat, dass sie ihn hätte besuchen können, als es ihm noch besser ging. Wegen Corona war dies ja alles nicht möglich, und niemand hat am Anfang des Krankenhausaufenthalts geahnt, dass er sterben würde, und dann noch so schnell. Sie hat sehr geweint, und natürlich musste ich dann auch weinen. Mir geht es ja gleich. Tröstende Worte gibt es einfach nicht. Es gibt einfach nichts, was diesen Schmerz lindern kann.


    Bevor ich hier heute Abend zu schreiben angefangen habe, hat sich draussen in der Nacht eine ganz schmale Mondsichel gezeigt. Ich erinnere mich noch ganz genau, dass ich vor einem Monat den gleichen schmalen Mond zusammen mit meiner Tochter angeschaut habe. Da hat mein Vater noch gelebt, war aber bereits im Krankenhaus, wir hatten aber noch keine Ahnung vom Ernst der Lage. Als er dann ein paar Tage später gestorben ist, habe ich jede Nacht zum Mond hoch geschaut, der immer am Himmel stand, und immer mehr zunahm, und habe diesen wunderschönen Mond angeweint. Zerrissen vor Schmerz und unter Schock. Der Schmerz ist immer noch gleich gross, der Schock lässt langsam nach, auch wenn es für mich immer noch unfassbar ist, dass mein Vater nicht mehr bei uns ist, und nie mehr nach Hause kommt.


    Ich fühle mich einfach nicht mehr vollständig, seit mein Vater gestorben ist. Es wird nie mehr so sein wie vorher. Ich fühle mich so unsicher, wie ein Blatt im Wind. Ich merke erst jetzt, welche Stütze mein Vater mir war im Leben. Wie sein Dasein, seine ruhige Präsenz mir Stabilität und Stärke geschenkt hat, und die Gewissheit, dass es für alles eine Lösung gibt. Mein Grundvertrauen ins Leben ist total erschüttert. Einfach so, unerwartet und nichtsahnend wird einem der liebe Papa entrissen. Für immer. Wenn ich nur rüber gehen könnte in mein Elternhaus und er würde wie immer auf seinem Platz auf dem Sofa sitzen und mit meiner Mutter zusammen fernsehen. Das wäre so schön. So unglaublich schön. Ein Erwachen aus diesem Alptraum, der momentan mein Leben ist. Es war so schön, und jetzt ist es einfach nur schwer.


    Schlaft alle gut, ihr lieben Menschen. Ich muss darauf vertrauen, dass es irgendwann ein bisschen leichter wird.