Beiträge von Silvia S.

    Ihr Lieben


    Heute war der Gedenkgottesdienst für alle Menschen in unserer Kirchgemeinde, die während des Corona-Lockdowns gestorben sind. Schon früh am Morgen war mir, als ob ich noch einmal an die Beerdigung gehen würde. Mir war so schwer ums Herz und ich konnte meine Tränen am Frühstückstisch kaum zurückhalten. Meine Mutter hat dann auf dem Weg zur Kirche auch geweint. Es tat mir in der Seele weh, sie so ganz in Schwarz traurig und allein im Regen vor mir hergehen zu sehen.


    Der Gottesdienst war sehr liebevoll gestaltet mit viel Musik. Schon das Anfangslied "You raise me up" in deutscher Version war zu viel, ich hab still vor mich hin geweint. Später wurde dann jeder Verstorbene namentlich genannt mit Sterbedatum und es wurde für ihn eine Kerze angezündet. Mein Vater war der erste, er ist am 30. März gestorben. Seinen Namen zu hören war so unglaublich schmerzvoll, wieder Tränen. Von den Lesungen weiss ich nicht mehr viel, es waren Bibeltexte. Noch mehr Musik, als Schlusslied dann "Hallelujah", auch wieder in deutscher Version als Trauerlied:


    Für immer wollt' ich bei dir sein
    Jetzt steh' ich hier, bin ganz allein
    Muss Abschied nehmen, doch es fällt so schwer
    Ich weiß du bleibst ein Teil von mir
    In meinem Herzen bist du hier
    Ich werd' dich nie vergessen - Hallelujah


    Doch letztlich gehst du nur voraus
    und lebst bei Gott im Himmelshaus
    Ich weiß wir sehn' uns wieder - Hallelujah
    Ich zünde eine Kerze an
    und denke immer wieder dran
    wie schön es war zusammen - Hallelujah


    In Liebe bleiben wir vereint
    für jetzt und alle Ewigkeit
    Der Tod kann uns nicht trennen - Hallelujah
    Denn Gott nahm dich an seiner Hand
    und zeigte dir ein neues Land
    Du bist jetzt unser Engel - Hallelujah


    Wieder hab ich vor mich hin geweint, der Schmerz so gross wie immer, kein bisschen kleiner, kein bisschen weniger. Morgen ist mein Vater 11 Wochen tot, 11 Wochen ohne ihn, 11 Wochen jeden Tag geweint, 11 Wochen fast ununterbrochen an ihn gedacht, 11 Wochen gefangen in der Unfassbarkeit des Geschehenen. Die Fotos von ihm aus glücklichen Zeiten anzuschauen ist im Moment eine Qual. Es tut so weh. Ihn lachen zu sehn, auf seinen Reisen, mit meiner Tochter auf dem Arm, mit mir zusammen oder im Kreise seiner Familie, als Kapitän auf seinem Boot. Ich sehe ihn, aber er ist nicht mehr da. Ich schaue in seine Augen und möchte einfach nur mit ihm reden, aber es geht nicht. Warum musste er sterben? Ich vermisse ihn so sehr. Und ich komme einfach nicht darüber hinweg.

    Liebe Sveti, liebe Helga, liebe Melanie


    Es ist schön, von euch zu lesen. Euer Mitgefühl tut so gut. Ihr versteht mich. Und ich verstehe euch. In der Trauer ist so vieles gleich.


    Meine Mutter hatte heute wieder einen sehr traurigen Tag. Sie war alleine mit dem Hund auf dem Grab und hat bitterlich geweint. Genauso wie ich kann sie es nicht glauben, dass sie ihren Mann nie mehr wiedersieht, dass er einfach nie mehr nach Hause kommt, dass es keine Gespräche mehr gibt und überhaupt das gemeinsame Leben vorbei ist. Leer und sinnlos kommt ihr zuweilen ihr eigenes Leben vor. Und ich verstehe sie. Gemeinsam haben sie so vielen Höhen und Tiefen durchlebt, zusammen waren sie stark, ein Team. Und jetzt ist sie allein. Wie kann man so etwas je verkraften? Die Leute fragen, bist du schon darüber hinweg? Da kann man nur sprachlos den Kopf schütteln. Nach gerade mal 10 Wochen!!! Auch sie nimmt es den Leuten nicht übel, sie ist Menschenkennerin genug, als dass sie realisiert, dass sie es nicht böse meinen, doch weh tut es trotzdem, dieses Unverständnis und diese versteckte Erwartungshaltung.


    Ich bin so froh, dass ich sie noch habe und dass wir gemeinsam immer wieder über meinen Vater reden können. Ich frage viel nach, wie es früher war, sammle Erinnerungen, will alles wissen. Je mehr ich weiss, umso weniger werde ich ihn vergessen, umso lebendiger kann ich ihn in Erinnerung behalten. Denn das ist im Moment das einzige, was mir von ihm bleibt. Alles in der Vergangenheit, eine Gegenwart und eine Zukunft gibt es ja nicht mehr.


    Irgendwie liebe ich meinen Papa mit jedem Tag noch mehr. Weil ich immer mehr merke, wie sehr er mich unterstützt hat, wieviel er mir auf meinem Lebensweg mitgegeben hat, was ich ihm alles verdanke. Diese Stütze, die er mir war, ist weggebrochen, und jetzt steht mein Lebenshaus schief, und ich muss mühsam eine Ersatzsäule aufbauen, damit mein Haus nicht immer mehr in Schieflage gerät und gänzlich einstürzt. Und ein grosser Teil dieser Ersatzsäule besteht im Moment aus Erinnerungen und aus meiner Liebe zu ihm, aus der Erfahrung, dass er zwar nicht mehr physisch hier bei uns ist, aber trotzdem noch da in unseren Herzen und immer dort bleiben wird, auch aus der Hoffnung, ihn eines Tages auf einer anderen Ebene wiederzusehen, zudem aus den Zwiegesprächen mit ihm, die natürlich eher Monologe sind, aber trotzdem mich ihm nahe fühlen lassen - alles sehr "feinstofflich" (so würde es mein Vater wahrscheinlich nennen), kein Wunder, ist diese Säule noch wackelig. Es fehlen solide Steine und Mörtel!!! Lieber Papa, ich brauche mehr Zeichen! Ich weiss ehrlich gesagt nicht, woraus diese Steine und Mörtel bestehen sollen, was meinem Leben wieder mehr Stabilität verleihen könnte. Ist halt jetzt einfach alles in einem fragilen Zustand, Gleichgewicht wage ich es (noch) nicht zu nennen.


    Ja, und so lebe ich im Moment. Ich komme durch die Tage. Lebe, habe auch gute Momente, aber viele, viele traurige. Die Gedanken an meinen Vater, an den Tod, an unsere Sterblichkeit sind immer präsent. Und sie geben meinem Leben auch eine Tiefe, die es vorher nicht hatte. Diese Intensität der Gefühle, das Wahrnehmen der Schönheit in der Natur um mich herum (immer gekoppelt an den Gedanken, dass mein Vater das nicht mehr sehen kann), die Kostbarkeit jedes Moments mit meinen Liebsten (sie könnten ja morgen schon tot sein), die Gelassenheit bei den täglichen normalen Problemen (wie kann mich so etwas aus der Fassung bringen, das Schlimmste ist mir schon passiert). Das alles gab es in dieser Tiefe vorher nicht in meinem Leben. Warum nur muss mein lieber Vater sterben, damit ich all dies realisiere? Das ist ein zu hoher Preis.


    Alles so Gedanken heute.

    Liebe Melanie


    Das finde ich auch eine gute Idee. Vor allem, dass wir zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Kerze für unsere lieben Verstorbenen anzünden und bewusst an sie denken, finde ich schön. Dazu einen Tee trinken. Es müsste bei mir am Abend sein, ab ca. halb neun, ginge am besten, da dann meine Tochter schläft (meistens).


    Eine gute Nacht allen und liebe Grüsse

    Silvia

    Ihr Lieben


    Ich danke euch sehr für eure unterstützenden und liebevollen Worte.


    Ich hätte so gern öfter geschrieben - ich weiss ja, dass es mir gut tut - jedoch fand ich einfach keine Energie dazu. Und auch keine Worte mehr. Es kommt mir vor, als ob sich alles wiederholt in Endlosschleife. Immer wieder die gleichen schweren Gefühle, ein wenig abgewandelt, aber im Kern dasselbe. Die Bestürzung über den Tod meines geliebten Vaters hat sich zwar ein wenig abgemildert, die Fassungslosigkeit darüber aber ist geblieben. Wieso kann er nicht einfach wieder nach Hause kommen? Dann immer noch die Frage, ob man ihm vielleicht doch hätte helfen können. Eine Lungenentzündung überlebt man doch! Die Schuldgefühle, dass ich nicht mehr Zeit mit ihm verbracht hatte, als er noch lebte, nicht mehr Interesse für seine Leidenschaften aufgebracht habe. Alles noch da. Das Vermissen, die Sehnsucht nach ihm. Auch die Sehnsucht nach der heilen Familie. Zu wissen, meine Eltern haben einander und werden gemeinsam alt. Jetzt nicht mehr. Jetzt ist meine Mutter alleine und muss alleine die Verantwortung für das Haus und den grossen Garten übernehmen.


    Ich empfinde auch so einen Frust darüber, dass alles einfach weitergeht. Das Leben. Die Arbeit. Die Leute um mich herum vergessen schon, dass ich erst kürzlich meinen Vater verloren habe, das ist aus ihrem Bewusstsein schon längst wieder verschwunden. In meinem jedoch ist es nach wie vor präsent wie immer. Ich bin den Leuten nicht böse, ich weiss ja, dass das niemand aus böser Absicht macht, sondern einfach aus Gedanken- und Ahnungslosigkeit heraus und vielleicht auch aus dem Unwissen heraus, wie sie umgehen sollen mit dem Tod bzw. mit Menschen, die jemanden verloren haben. Und doch ist es anstrengend, da dies ja mein vorherrschendes gedankliches Thema ist, und ich so wenig Möglichkeiten habe, darüber zu reden.


    Kommenden Sonntag findet ein Gedenkgottesdienst statt für alle Menschen, die bei uns in der Gemeinde in der Corona-Zeit gestorben sind. 5 Menschen sind es. Es wird eine feierliche Messfeier sein mit Musik und Kerzen, und ich weiss jetzt schon, dass das sehr emotional werden wird. Ich werde hingehen. Ich glaube, mein Vater würde sich freuen, wenn wir alle uns noch einmal feierlich versammeln und an ihn denken.


    Dass ich diesen Tod einfach akzeptieren muss und nichts, aber wirklich überhaupt gar nichts tun kann, das macht mir zu schaffen. Bisher gab es immer irgendetwas, was ich tun konnte bei einem Problem oder einer schwierigen Situation. Und wenn es auch noch so etwas Winzig-Kleines war, immerhin gab es ein paar Schrittchen, die ich gehen konnte, die ich planen konnte. Jetzt aber fühle ich mich ausgeliefert, ich muss diesen Trauerweg gehen, habe aber keine Ahnung, wohin er mich führt und wie ich dahin überhaupt kommen soll. Ich kann nichts tun, das einzige, was mir Linderung verschaffen würde, ja Heilung, ist das Unmögliche. Und alles andere hilft ja nichts. Also lerne ich weiter, ohne meinen Vater zu leben, manche Tage sind schwer, so wie die letzten, manche ein wenig leichter. Lichtblicke gibt es, Rückschläge auch. Es ist wahrlich harte seelische Arbeit.


    10 Wochen und 2 Tage ohne ihn. 72 Tage. Wieder eine Woche mehr. Wie es ihm wohl geht, dort wo er ist? Wie oft schaue ich aus dem Fenster und frage mich: Wo bist du? Ich stelle die Frage an den Himmel in der Hoffnung auf eine Antwort, aber natürlich kommt keine. Ich weiss nicht, wo er ist. Das übersteigt meine Vorstellungskraft. Wie sieht er jetzt aus? Ja, und die schlimmste aller Fragen: Gibt es ihn überhaupt noch? Ist er noch da? Irgendwo? Auf all diese Fragen kann mir niemand eine Antwort geben. Das einzige, was mich dann ein wenig trösten kann, ist das Wissen, dass er in mir sehr lebendig ist und für immer einen grossen Platz in meinem Herzen hat. Dass ich sein Andenken wahren kann, indem ich weiter Geschichten über ihn erzähle, mit meiner Tochter weiter Blumen auf sein Grab bringe und mit ihr über ihren Grossvater rede und ihre Erinnerungen, die sie noch hat, wach halte.

    Ihr Lieben


    Ich danke euch für eure lieben Worte. Mir geht es leider gar nicht gut die letzten Tage. Es ist alles wieder so präsent und ich durchlebe alles noch einmal intensiv, was in so kurzer Zeit mein Leben auf den Kopf gestellt hat, so unerwartet und brutal.


    Ich denke viel über den Tod nach und darüber, dass wir alle einmal sterben müssen.


    Mir ging es ein paar Tage lang relativ gut, ich war gelassener und dieser Schwere der Gefühle nicht mehr so ausgeliefert. Nur - jetzt ist die Schwere zurück und ich weine wie am ersten Tag und wünsche mir nichts anderes als ein bisschen Zeit mit meinem Vater zu verbringen.


    Du hast es genau richtig geschrieben, Kerstin. Die Vorstellung, dass ein Mensch weg ist, sprengt irgendwie alles. Ich kann es nicht glauben, dass mein Vater nie mehr nach Hause kommt, aber ich muss es glauben, weil ich weiss, dass es stimmt. Da kommt mein Gehirn nicht mehr mit. Ich weiss zwar, dass mein Vater vor 9 Wochen und zwei Tagen gestorben ist, aber fassen oder gar akzeptieren ist mir nicht möglich.


    9 Wochen ohne ihn, und noch viele, viele weitere Wochen werden folgen.

    Liebe Isabel


    Du hast Recht, auf den Tod eines so sehr geliebten Menschen kann man gar nicht vorbereitet sein. Vor allem, wenn es das allererste Mal ist, dass jemand stirbt, der einem so nahe steht. Die Vorstellung, dass mein Vater eines Tages nicht mehr da sein würde, war nie so richtig bewusst in meinen Gedanken. Ich bin davon ausgegangen, dass er viel älter wird. Natürlich war mir klar, er wird sterben, so wie wir alle, aber das war immer weit weg. Und wie du schreibst, auch unvorstellbar. Und genauso unvorstellbar ist es eigentlich auch jetzt noch, aber jetzt ist es Realität und ich muss es aushalten, dass er nicht mehr da ist, nie mehr. Auch jetzt ertappe ich mich noch dabei, wie ich kurz denke, das bespreche ich dann noch mit ihm, bevor mir mit einem Stich ins Herz bewusst wird, dass er tot ist und dass ich nie mehr etwas mit ihm bereden kann. Schwer das alles.

    Ihr Lieben


    Gestern kam mein Neffe zur Welt, mein Bruder ist das erste Mal Vater geworden. Und das Baby hat zu Ehren seines vor acht Wochen verstorbenen Grossvaters dessen Namen als zweiten Vornamen bekommen. Das brachte mich zum Weinen. Ja, Freud und Leid liegen so nah beisammen. Es ist einfach nur traurig, dass mein Vater den neuen Erdenbürger nicht sehen und willkommen heissen kann und niemals in seine Arme schliessen kann so wie er es bei meiner Tochter noch konnte. Ich stelle mir immer wieder vor, wie sehr er sich gefreut hätte und es tut einfach nur weh, dass er nicht mehr hier und unsere Freude über die Geburt des ersehnten kleinen Menschen nicht teilen kann.


    Am 14. Juni wird bei uns in der Kirche für meinen Vater ein Gedenkgottesdienst gefeiert. Meine Mutter hat diese Information heute Morgen per Post bekommen. Sie hat geweint und ich auch. Es macht einem so bewusst, dass er tot ist, dass er weg ist und wühlt all die Gefühle wieder auf. Ich will keinen Gedenkgottesdienst feiern müssen; ich will, dass er wieder zurück kommt. Dass er mit uns am Tisch sitzt und mit uns darüber spekuliert, was aus seinem gerade erst geborenen Enkelkind einmal werden wird. Ich weiss nicht, ob ich es aushalten kann, an diesem Gottesdienst teilzunehmen. Die Beerdigung habe ich irgendwie überstanden, im Schockzustand. Aber jetzt - wo die Realität voll eingesunken ist, wo ich schon mehr als acht Wochen den Alltag ohne meinen geliebten Vater leben muss und merke, wie sehr er mir fehlt - kommt mir das fast unmöglich vor. Und doch möchte ich ihm die Ehre erweisen, weil ich weiss, dass auch er die Gedenkgottesdienste von seinen lieben Verstorbenen besucht hat.


    Ein schwerer Tag heute.

    Ihr Lieben


    Ich konnte gestern nicht schreiben. Ich hatte einfach keine Energie und auch keine Worte.

    Ich merke aber, wie gut es mir tut, mich hier mitzuteilen. Es hilft mir, mir klarzuwerden, was in mir vorgeht.

    Aber es geht halt nicht immer.


    Im Moment denke ich wieder sehr oft an den Krankenhausaufenthalt meines Vaters. Auch meiner Mutter geht es so. Wir haben heute Abend noch einmal alle sechs Tage Revue passieren lassen. Was er als letztes an Kleidung getragen hat, was er noch gegessen hat, was er noch gelesen hat, was er noch gesagt hat. Jedes Detail kam uns in den Sinn. Es kommt mir immer schlimmer vor. Dass er so leiden musste, dass wir nicht mehr richtig mit ihm reden konnten, dass er einfach sterben musste. Mit 71 Jahren. Ich habe mich immer auf der sicheren Seite gefühlt, weil er ja noch so jung war. Ich habe geglaubt, wir hätten noch mindestens 10 oder 20 Jahre zusammen. Und wenn meine Tochter dann ein wenig älter wäre, hätte ich auch wieder mehr Zeit zum Reden. Was für ein Trugschluss. Immer noch staune ich manchmal, wie ahnungslos ich war. Unvorstellbar jetzt, wo das Schreckliche geschehen ist. Wie konnte ich nur so denken? Wie konnte mir nicht bewusst sein, dass er nicht ewig leben würde? Ich wusste es einfach nicht. Ich hatte wirklich keine Ahnung.


    Ich denke auch oft daran, wie schnell so ein Menschenleben vorbei ist. Es waren bei meinem Vater ja immerhin 71 Jahre, fast 72. Mehr als sieben Jahrzehnte durfte er auf dieser Erde weilen. Er war auch mal ein Kind, ein Jugendlicher, ein junger Erwachsener, der zusammen mit meiner Mutter vier Kinder gross gezogen hat und nebenbei so viele Projekte vollendet hat, soviel Bleibendes geschaffen hat. Ich schaue die alten Fotos an, wie er war als kleiner Junge (gibt nur ein Foto), dann als junger Vater, wie er immer älter wurde. Und jetzt gibt es ihn einfach nicht mehr. Das ist so unwirklich. Er war doch eben noch da. Er hat all das geschaffen mit seinen eigenen Händen, und jetzt können diese Hände nie mehr etwas tun. Er hat sich so viele Gedanken gemacht, hat so vieles aufgeschrieben, bebildert und gestaltet, und jetzt sind seine Gedanken für immer weg. Nie mehr werde ich erfahren, wie er über etwas denkt, das mir wichtig ist. Nie mehr werde ich erleben, wie er sich über meine Erfolge freut oder über diejenigen meiner Tochter. Das ist so schwer auszuhalten. Wie sehr wünschte ich mir, er könnte noch bei uns sein. In mir formen sich die Worte "Bitte komm zurück", wohl wissend, dass es sinnlos ist, so etwas zu denken. Immer noch will ich es nicht akzeptieren, will ich aufwachen und alles ist wieder gut.


    Schon wieder ist der Himmel orange über dem See. Ich nehme es als Zeichen von meinem lieben Papa. "Ich bin da.", sagt er mir.

    Liebe Isabel


    Danke für deine lieben Worte. Ja, wenn ich nur einen festen Glauben an ein Leben nach dem Tod hätte, das wäre eine so riesige Erleichterung. Aber diese Gewissheit fehlt mir. Die Hoffnung ist da, und die ist riesig. Wie schön wäre das!


    Ein Erinnerungsalbum für meinen Vater ist eine schöne Idee, ich denke über den Tag verteilt so viele Gedanken, die sich um meinen Vater drehen. Ich glaube, es täte gut, die irgendwo festzuhalten, auch wenn es nur Gedanken-Splitter sind. Nur ist das im Alltag oft schwierig, da meine Tochter noch klein ist. Wirklich ruhige Minuten am Tag habe ich selten, und abends sind viele Gedanken dann eben schon wieder weg.


    Liebe Grüsse

    Silvia

    Liebe Helga


    Das habe ich mir auch gedacht: Dass dieser tief-orangene, nebelverhangene Himmel ein Zeichen meines Vaters hätte sein können. Ein Zeichen seiner Existenz, seiner Liebe - ein Zeichen der Hoffnung: Ich bin noch da, hab keine Angst, vertraue.


    Heute war einer der besseren Tage. Nicht leicht, aber doch nicht ständig diese dunkle Schwere in und über mir. Die Trauer war heute milder und sanfter. Das ist einerseits beruhigend, und es gibt mir auch Hoffnung, aber gleichzeitig fühlt es sich nicht ganz richtig an. Als ob mein Vater mir entgleiten würde, wenn der Schmerz schwächer wird. Als ob sich mein altes Leben, in dem er einen grossen Platz einnahm, immer mehr in Luft auflösen würde. Und ich kann mich nicht dagegen wehren.


    Ich will mich doch nicht daran gewöhnen, an dieses Leben ohne meinen Vater, ich will doch mein altes Leben zurück. Aber mein Gehirn, oder ein Teil davon, hat wohl andere Pläne. Vieles verschwindet schon ein bisschen im Nebel, wird unklar und verschwommen. Ich finde neue Rituale, die die alten mit meinem Vater ersetzen. Das passiert alles gar nicht bewusst, sondern ist einfach entstanden dadurch, dass ich ja irgendwie weiterleben muss.


    Zwiespältig das alles.


    Auch heute Abend leuchtet der Himmel über dem See wieder orange. Mein Vater hat den See geliebt, er hatte ein eigenes Boot und ging sehr gerne schwimmen. Auch hat er die Monate vor seinem Tod fast jeden Nachmittag eine Stunde im Whirlpool draussen verbracht. Ich sehe ihn vor mir, wie er im warmen, sprudelnden Wasser sitzt und entspannt in die Weite schaut. Hätte ich mich doch nur öfters zu ihm hin neben dem Pool gesetzt, ein bisschen geredet oder mit ihm zusammen still in die Weite geschaut. Und immer noch zerreissen mir solche Gedanken das Herz. Denn das wird nie mehr möglich sein. Ich muss von meinen Erinnerungen zehren.

    Liebe Sveti, liebe Helga


    Ich danke euch für euer lieben Worte und euer Mitgefühl. Im Moment fühle ich mich sehr alleine. Ohne meinen Vater, in meiner Trauer. Aber lieber so intensiv traurig sein als in dieser teilnahmslosen Gefühlslage verharren zu müssen. Da hab ich mich auch schon fast wie tot gefühlt, einfach nur meine Zeit abgesessen und darauf gehofft, dass es mir irgendwann wieder besser geht. In der Trauer lebe ich wenigstens, und da liebe ich. Und da spüre ich etwas. Auch wenn es unfassbar hart ist und schwer und zuweilen unerträglich.


    Hier stürmt und regnet es. Ich war am späten Nachmittag im Regen noch auf dem Grab. Alles so trostlos. Wie soll ich je damit klarkommen, dass unter der Erde mein Vater liegt? Ich zwinge mich, nicht darüber nachzudenken, wie sein Körper jetzt aussieht. Aber natürlich funktioniert das nicht. Mein Gehirn tut es trotzdem. Ich kann mich nicht dagegen wehren. Alles, was ich an meinem Vater geliebt habe, liegt da unten im Sarg, zwei Meter unter der Erde. Seine Lieblingsblumen haben wir ihm mitgegeben, schöne Steine. Und jetzt wird er immer weniger. Sein liebes Gesicht, seine fleissigen Hände, sein grosses Herz, sein kreativer Geist. Er musste alles zurücklassen. So grausam. Er konnte uns nicht mehr mit seinen eigenen Worten sagen, was in ihm vorging in den letzten Tagen und Stunden seines Lebens. Was gäbe ich, wenn ich noch einmal mit ihm reden könnte! Wenn ich ihn besuchen könnte, wie Unheilig es in seinem Lied singt. Alles vergeblich, ich kann nie mehr mit ihm reden, nie mehr seine Stimme hören, nie mehr mit ihm im Auto über Gott und die Welt diskutieren.


    Bitte, lieber Gott, lass meinen Vater nicht sterben. Was habe ich gefleht und geklagt in der Nacht vor seinem Tod. Lass ein Wunder geschehen, BITTE! Bitte, Bitte, Bitte, Bitte... Immer und immer wieder. Die pure Verzweiflung. Und dann ist das Schlimmste eingetreten, er ist doch gestorben. Einfach weg. Es gibt ihn nicht mehr in dieser Welt. Und die Welt stand still. - Und jetzt, bald acht Wochen später, dreht sich die Welt zwar wieder, nur ist nichts mehr wie vorher.

    Und wird es nie mehr sein. Diese Zeit, als alles noch in Ordnung war, kommt nie mehr zurück. Ich werde mich nie mehr so vollständig geborgen und sicher fühlen wie zu der Zeit, als meine Eltern noch beide lebten.


    Ich verspreche meinem Vater jeden Abend, wenn ich ihm auf meinem Lieblingsfoto von ihm Gute Nacht sage, dass ich auf meine Mutter aufpasse. Sie ist auf dem Foto auch mit drauf, ein wenig verschwommen weiter hinten neben ihm. Ich spüre, dass ihm das wichtig ist, dass jemand auf seine geliebte Frau Acht gibt, die er zurücklassen musste. Und das gibt mir irgendwie Halt, dass ich in seinem Sinne etwas tun kann.


    Oft überlege ich mir, was mein Vater uns mitgegeben hätte, wenn er noch fähig gewesen wäre, wenn er mehr Zeit und Kraft gehabt hätte. Bestimmt hätte er gewollt, dass wir weiter über ihn sprechen, ihn auf diese Weise lebendig halten unter uns. Dass wir uns erinnern an gemeinsame Zeiten und diese Erinnerungen austauschen. Dass wir seine typischen und berühmt-berüchtigten Aussprüche zitieren. Dass wir auch mit ihm sprechen und mit seiner Seele so gut wir können in Verbindung bleiben. Er hätte uns beruhigt, dass er nicht sterben würde, sondern seine Seele weiterleben würde und zu neuen Horizonten aufbrechen würde. Dass er uns weiterlieben würde, auch wenn er nicht mehr hier wäre. Dass wir uns eines Tages wiedersehen würden. Daran hat er fest geglaubt. Und auch das gibt mir Halt. Ein bisschen.


    Unterdessen ist der Himmel total orange, das habe ich selten gesehen, es sieht wunderschön aus. Alles in ein oranges Licht getaucht, dazu noch Nebelschwaden. Unwirklich.

    Ihr Lieben


    Ich hatte eine seltsame Zeit. Es war wohl eine Art Verschnaufpause, aber keine schöne, keine erholsame. Irgendwie fühlte ich mich taub und leer, wie abgestumpft, teilnahmslos, lebte wie auf Sparflamme, war aber gleichzeitig ungeduldig und gereizt. Dieses unglaubliche Vermissen, diese Sehnsucht, die quälenden Bilder sind in den Hintergrund getreten. Weinen konnte ich nicht, es ging nicht. Die Augen blieben trocken, trotzdem der Kloss im Hals. Und ich hab mich meinem Vater nicht mehr so nah gefühlt, er war auf einmal viel weiter weg. Die Tage leben ohne ihn, das wurde einfach immer mehr Alltag. Niemand ausserhalb der Familie spricht mehr über ihn, und selbst da nimmt es ab. Manchmal hatte ich den Eindruck, als ob er gar nie hier gewesen wäre. Als ob er schon immer weg gewesen wäre. Nein, das will ich nicht. Ich will ihn doch nie vergessen, ich will ihn doch so lebendig wie möglich in mir behalten, damit ich meiner Tochter von seinem einzigartigen Wesen, von seiner Weisheit und seiner unermüdlichen Schaffenskraft und Kreativität erzählen kann. Und doch hatte ich irgendwie keinen Zugang mehr dazu. Abgeflacht alle Gefühle. Ich war auch gar nicht motiviert oder gar inspiriert zum Schreiben hier.


    Aber gestern hat meine Mutter ein Foto von meinem Vater in den Strandkorb auf unserer Terrasse gestellt, in dem er so gerne gesessen hat. Und da wurde mir auf einmal wieder voll bewusst, dass er nicht mehr hier ist. Wirklich eingesunken ist es, dass er nie mehr in diesem Strandkorb sitzen wird so wie er es all die Jahre so geliebt hat. Und da war sie wieder, diese Sehnsucht, dieses Empfinden, dass es doch nicht sein kann. Er gehört doch hier her, zu uns, zu den Lebenden. Er war doch erst 71 Jahre alt. Er hatte doch noch Pläne. Er sollte doch meine Tochter aufwachsen sehen und stolz auf sie sein.


    Heute vor sieben Wochen wurde mein Vater beerdigt. Es ist doch erst sieben Wochen her. Ich bin fast jeden Tag auf dem Friedhof auf dem Grab, an seiner letzten Ruhestätte. Ich bringe ihm jedes Mal frische Wiesenblumen mit. Immer noch ist es für mich ein Schock, wenn ich daran denke, dass sein Körper jetzt dort unten liegt. Es ist so unfassbar, ich weiss zwar, dass es so ist, ich habe es gesehen, wie der Sarg nach unten gesenkt wurde, ich habe seinen toten Körper im Sarg gesehen. Und doch kann mein Verstand damit nicht umgehen.


    Der Tod. Wie brutal er in mein Leben getreten ist. Ohne Vorankündigung. Ohne Warnzeichen. Und er wird auch mich ereilen und alle, die ich liebe. Was ist das nur für eine Welt. Warum kann es nicht einfach klar sein, dass es ein wenigstens ein Wiedersehen gibt?


    Wenn ich doch nur die Zeit zurückdrehen könnte und mit meinem heutigen Bewusstsein die Jahre noch einmal durchleben könnte! Aber selbst dann wäre der Tod immer ein Schock. Es ist immer schrecklich und schlimm und unerträglich. Das Band der Liebe verbindet uns zwar für immer, aber das Entsetzen des Getrenntseins lähmt alles.


    Ich höre gerade gerne das Lied von Unheilig "Ich würd dich gern besuchen"

    https://www.youtube.com/watch?v=VzF0AwRQtP8


    Ich glaub' daran,

    Dass die Sterne, die wir sehen

    All jenen den Weg leuchten

    Die einmal von uns gehen
    Ich glaub' daran,

    Dass ihr Licht vom Himmel scheint

    Die wir lieben dort zu Haus sind

    Sie selig sind und frei


    Ich würd' dich gern besuchen

    Wenn auch nur für einen Tag

    Noch einmal gemeinsam Glück erleben

    So wie es früher war
    Ich würd' dich gern besuchen,

    Deine Stimme und Gedanken hören

    Noch einmal will ich dich umarmen

    Und deine Nähe spüren


    Ich glaub' daran,

    Dass ein Funke in uns lebt

    Der die Zeit in sich aufnimmt

    Bis er zurück in die Heimat fliegt
    Ich glaub' daran

    Und halt' dich fest, so lang es geht

    Schließ dich in meine Arme

    Und wünsch' dir Glück auf deinem Weg


    Ich würd' dich gern besuchen

    Wenn auch nur für einen Tag

    Noch einmal gemeinsam Glück erleben,

    So wie es früher war
    Ich würd' dich gern besuchen,

    Deine Stimme und Gedanken hören

    Noch einmal will ich dich umarmen

    Und deine Nähe spüren
    Ich würd' dich gern besuchen,

    Und halt' dich fest, so lang es geht

    Ich würd' dich gern besuchen

    Und wünsch' dir Glück auf deinem Weg
    Ich würd' dich gern besuchen,

    Wenn auch nur für einen Tag

    Noch einmal gemeinsam Glück erleben

    So wie es früher war
    Ich würd' dich gern besuchen

    Deine Stimme und Gedanken hören

    Noch einmal will ich dich umarmen

    Und deine Nähe spüren
    Ich würd' dich gern besuchen

    Wenn auch nur für einen Tag

    Liebe Kerstin


    Solche Tage habe ich auch. Dieses "Mir reichts!" könnte auch ich ausgerufen haben! Die Sehnsucht nach meinem "alten", einfachen, sorglosen Leben ist gross. Obwohl es mir damals ja auch nicht nur einfach vorkam, aber im Vergleich zu jetzt...


    Das Leben kommt mir im Moment auch sehr schwer vor. Am Sonntagabend hatte meine Tochter noch einen kleinen Unfall, sie ist gestolpert und mit der Stirn an die Heizung geknallt. Resultat war eine stark blutende Platzwunde und ein Schock! Wir fuhren dann in den Notfall des Kinderspitals, wo zum Glück die Wunde gut versorgt werden konnte. Alles aber sehr nervenaufreibend. Wir mussten sie dann auch noch weiter beobachten, ob sich noch Zeichen einer Gehirnerschütterung zeigen würden, was zum Glück nicht der Fall war.


    Da mein Partner wieder hier ist, ist die Trauer ein Stück weit zurückgetreten, das heisst, nicht mehr so unmittelbar permanent da. Ich habe gerade abends nicht mehr die Möglichkeit, für mich selbst zu sein, und das fehlt mir unterdessen. Da hatte ich meine Zeit mit meinem Vater, ich konnte in Ruhe an ihn denken, Fotos anschauen, seine Weisheitskrümel lesen, meinen Gefühlen nachgehen und hier schreiben. Jetzt will mein Partner vieles besprechen, wir reden auch über meinen Vater, aber das wird je länger mein Partner hier ist immer weniger. Irgendwann ist alles gesagt und dann gibt es andere Themen, über die wir auch reden müssen. Und doch spüre ich, dass meine Trauer wieder mehr Zeit und Raum braucht. Die Verbindung zu meinem Vater, die ich vorher so intensiv gespürt habe, ist schwächer geworden, und das möchte ich nicht. Ich möchte ihn nicht auch noch in meinem Herzen verlieren, das ertrage ich nicht.


    Alles Liebe <3<3<3

    Liebe Kerstin


    Danke für das Lied. So schön, und genau die Fragen, die ich meinem Vater auch stelle. Wenn ich nur Antworten bekäme.


    Ich bekomme jedoch keine. Und das ist schwer.


    Ich fühle mich heute seltsam leer und taub. Gleichgültig fast. Ich hatte letzte Nacht viele Träume, wirre Träume, ich glaube, mein Vater kam sogar auch drin vor, aber ich bin nicht sicher.


    Ich bin auch erschöpft von diesem Leben ohne meinen Vater. Alles kommt mir viel anstrengender vor. Es ist nicht mehr im Fluss.


    Ich werde gleich schlafen gehen.

    Liebe Kerstin


    Es tut mir sehr leid, dass eine Trauerwelle dich gerade wieder überrollt. Das alles ist so schwer zu ertragen und wenn man dann irgendwann zu ein wenig mehr Leichtigkeit gefunden hat, ist es sicherlich umso schwieriger, den Schmerz wieder intensiver zu fühlen und nichts dagegen tun zu können.


    Ich bin wohl noch gar nicht aus der ersten schlimmen Trauer herausgekommen. Ausser ein paar gelegentlichen Verschnaufpausen sind der Schmerz, das Vermissen und die Schwere nicht weniger geworden.


    Ich hadere genau wie du. Ich empfinde es auch als himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass gerade unsere Liebsten krank werden, leiden und sterben müssen. Warum nur, warum? Antworten gibt es keine, und so laufen diese Fragen ins Leere. Einfach hinnehmen müssen wir es. Ich stehe jeden Abend vor den Fotos meines Vaters und kann nicht verhindern, dass ich weinen muss. Wie kann es sein, dass dieser geliebte Mensch nicht mehr hier ist, dass es diesen Körper so nicht mehr gibt? Die Sehnsucht ist so gross, ihn wieder hier zu haben, dass ich es mit Worten gar nicht ausdrücken kann.


    Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass diese Sehnsucht einmal weniger wird. Wie denn, wenn die Liebe jeden Tag noch größer wird? Wenn ich jeden Tag noch mehr realisiere, was mir fehlt? Wenn die Erinnerungen von überall her auf mich einströmen?


    Das Wunder wird nicht eintreffen. Wiedersehen werde ich meinen lieben Papa erst im Himmel wieder.


    Oder im Traum. Schon so lange wünsche ich mir wieder eine Begegnung im Traum. Das wäre so schön.


    Gute Nacht, liebe Kerstin, hoffentlich kannst du gut schlafen und dich ein wenig erholen.

    Mit jedem Toten, den wir lieben,
    stirbt ein Teil von uns.


    Von jedem Toten, dem wir verbunden sind,
    bleibt ein Teil durch uns.


    Helmut Soltsien


    Traurig und schön gleichzeitig. Meistens überwiegt der erste Teil des Gedichts und ich fühle mich unvollständig und versehrt. Manchmal jedoch kann ich ein wenig durchatmen und spüre meinen Vater ganz nah bei und in mir und weiss, dass wir für immer verbunden sind. Das ist selten, viel zu selten, aber doch ab und zu wie ein kleiner Lichtblick in meinem Leben, ein bisschen Licht und Wärme in all der Schwere und Dunkelheit. Diese Verbundenheit, die mir auch der Tod nicht nehmen konnte, weiter zu spüren.

    Liebe Isabel


    Nein, mein Bruder hat nichts Negatives damit ausdrücken wollen, er hat es eigentlich ganz neutral gesagt. Es sind meine eigenen Gedanken, die dafür sorgen, dass dieser Satz "Er (der Körper meines Vaters) war noch warm" so in mir festsitzt. Ich verbinde mit der Wärme seines Körpers seine Lebendigkeit, und die ist halt dann nach und nach aus dem Körper gewichen, bis er eiskalt war. Es hat mir den ganzen Sterbeprozess einmal mehr bewusst gemacht und wie fragil das Leben ist. Wie schnell das Leben vorbei sein kann.


    Krankmelden könnte ich mich schon, jedoch bin ich zu Hause im gleichen Zustand. Mit der Arbeit selber komme ich gut klar, wenn ich dann einmal hier bin, und es hilft mir auch, ein Stück Normalität beizubehalten. Es ist nur der Gedanke, dass einfach alles weitergeht, obwohl doch meine Welt zusammengebrochen ist, der mich manchmal so aus dem Gleichgewicht bringt.