Beiträge von Cildie

    Liebe Pia1962, liebe Mischi, liebes Linchen, lieber King,


    Danke für eure vielen Antworten. Pia, deine Erinnerungen sind ja fast wie meine:-). Ich bin wirklich froh, dass wir hier auch einen kleinen Garten haben. Obwohl ich früher nie gern Gartenarbeit gemacht habe (wir Kinder durften auch immer nur Unkraut jäten), tut es mir jetzt wirklich gut. So ungefähr wie hier zu schreiben:-).

    Vielen Dank für deine Worte King. Fünf Familienmitglieder in fünf Monaten - das kling furchtbar. Und mein tiefes Mitgefühl zum Verlust deiner Mutter. Auch wenn man so lange Abschied nimmt - ich merke jetzt, dass ein endgültiger Abschied etwas ganz anderes ist. Ich wünsche dir, dass das Forum dir ein wenig in der schwierigen Zeit hilft. Es ist übrigens ein sehr schöner Gedanke, dass wir immer die Kinder unserer Eltern bleiben. Ich lächle während ich das schreibe und es fühlt sich an, als wäre dann all das Gute nicht ganz vergangen. Und du hast auch Recht, dass diese Erkrankung so schlimm sein kann. Sie hat meinem Vater, der immer sehr stolz auf seine Selbstständigkeit und Kraft war, nach und nach jede Selbstbestimmung genommen. Heute habe ich gedacht, dass sie auch viel mit mir gemacht hat. Denn mein Vater hat mich natürlich auch dazu erzogen, selbstständig und unabhängig zu sein. Mich auf mich und meinen Körper zu verlassen. Zu sehen, dass Körper und Geist einen so im Stich lassen können, hat mich tief verunsichert. Auf der einen Seite ist das wertvoll, denn es eröffnet mir einen anderen Blick auf das Leben. Aber auf der anderen ist es natürlich nie schön, wenn Gewissheiten erschüttert werden.

    An meinen Onkel denke ich noch immer viel. Er war ein ganz großer Campingfan. Seiner Ansicht nach brauchte man nichts weiter als eine Isomatte, um gut zu schlafen. In den 90ern haben mein Onkel und meine Tante Norwegen entdeckt und sind dort jeden Sommer hingefahren. Ja, im Zelt:-). Mein Onkel kam immer ganz glücklich zurück. Natur, wenige Menschen und viel erneuerbare Energien, das hat ihn fasziniert. Und wenn er davon erzählt hat, dann legte sich sein faltiges Gesicht immer in hunderte Lachfalten und es sah aus, als würde die Sonne scheinen. Wenn mein Onkel gelacht hat, dann war das noch im hohen Alter ganz frei und glücklich, völlig frei von Ironie oder Verbittertheit, fast ein bisschen wie ein Kind. Oh man, dass man so viele Dinge vermisst, die einem nie aufgefallen sind, ist das Schlimmste.


    Ich umarme euch aus der Ferne

    Cildie

    Liebe Pia1962, liebes Linchen,


    danke für eure mitfühlenden Antworten. Es ist verrückt, dass es vielen von uns so ähnlich geht, in der Trauer. Ich hoffe sehr, dass ihr euch irgendwann nicht mehr so fühlt, als könntet ihr nur noch schreien:-(.

    Ja und Corona macht nur wenige Dinge leichter. Meine Kinder haben beide Asthma und sind noch zu jung, um geimpft zu werden. Entsprechend waren die letzten anderthalb Jahre für uns nicht so richtig entspannt. Ich zähle die Tage, bis die EMA den Impfstoff für Kinder genehmigt...das wäre eine Sache weniger, um die ich mir Sorgen machen muss:-).

    Das mit der Entfernung ist tatsächlich einfach nur Mist. Als meine Schwester und ich wegzogen, waren meine Eltern noch total fit. Sie haben mehr Reisen gemacht als wir und nachdem die Kinder da waren, sind wir auch noch oft gemeinsam in Urlaub gefahren. Und dann, vor ca. fünf Jahren wurde es ernsthaft schlechter. Und jetzt ist es so, dass ich zum einen trauere, weil mein Vater kaum noch in meinem Leben ist und zum anderen ein echt schlechtes Gewissen habe, dass ich ihn nicht besser begleiten kann. Obwohl, schlechtes Gewissen ist gar nicht das richtige Wort. Ich wäre einfach gern da. Er wird ja nicht mehr so lange da sein. Vielleicht fahren wir nochmal ein Wochenende - aber die Inzidenzen dort sind schon wieder so gruselig hoch...

    Sonst tauchen grade viele Gedanken an früher auf, an das, was ich bis heute als mein zu Hause betrachte. Ich nehme an, ich habe Glück gehabt einen solchen Fixpunkt in meinem Leben zu haben. Aber, dass der jetzt weg geht, ist schwer. Manchmal denke ich dran, wie der ideale Tag für mich war. Und das ist noch immer: ein sonniger Frühlingstag, Wochenende, nix zu tun und ich gehe barfuß runter in den Garten. Balanciere vorsichtig über die Kieswege, spüre das Gras unter meinen Füßen, suche meinen Vater oder meinen Onkel, die im Garten werkeln, schaue ihnen zu. Beobachte die Katze, die meinen Vater beobachtet. Schaukle eine Runde, spiele mit dem Hund und helfe meiner Tante beim Rhabarber putzen. Irgendwann kommen dann meine Schwester oder meine Cousinen in den Garten und jeder ist einfach da. Irgendetwas passiert immer und ich fühle mich richtig, da wo ich bin.

    Es fühlt sich an, als hätte ich das verloren und bisher ist da kein Ersatz.


    Liebe Grüße

    Cildie

    Liebe Bettinalein, liebes Linchen,


    es ist schön zu wissen, dass ihr das versteht. Da ich mich selbst grade manchmal nicht verstehe, ist das viel wert:-). Ich wünschte ich könnte ein bisschen mehr loslassen und zulassen, wenn es mir nicht gut geht. Mir fällt das noch immer total schwer.


    Ganz liebe Grüße an euch

    Cildie

    Liebe Cildie... Ich kann jedes Deiner Worte, Deiner Gedanken, Angst und Schmerz nachvollziehen, da ich es fast so erlebt habe.

    Nur gerade kann ich kaum schreiben... Ich habe einen Fibromyalgie Anfall der unfassbar schlimmsten Art. 🤮

    Ich kann Dir gerade nur sagen, dass ich in Gedanken bei Dir bin, weil ich genau weiß was Du durchmachst.. . dieses Warten auf schlimme Nachrichten kenne ich ganz genau.. Aber es ist gut und wichtig dass Du es nicht leugnest, auch vor Dir selbst, dann ist der Schock erstmal nicht ganz so groß, der Schmerz und die Liebe wird dann auch erst einmal umso größer sein... Ich sende Dir ganz ganz viel Kraft und tröstende Gedanken ❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️Pia

    Sorry Wenn ich wirr geschrieben habe, ich bin nicht so richtig bei Sinnen wollte Dir aber unbedingt sagen dass ich Dich total verstehe

    Liebe Pia 1962,


    erstmal tut es mir sehr leid, dass du einen so schlimmen Firomyalgie Anfall hast. Ich weiß darüber nicht viel, nur dass es offenbar extrem schmerzhaft ist. Ich hoffe er geht so schnell vorüber wie möglich. Das mit dem Leugnen - da hast du Recht. Ich habe mittlerweile auch verstanden, dass ich da besser auf meine Gefühle achten muss. Mein Problem ist, dass ich das im Alltag schlecht kann. Es klingt vielleicht komisch, aber wenn ich nicht aktiv versuche an meinen Vater, meinen Onkel oder meine Schwiegermutter zu denken und auch zu trauern, tue ich das nicht bewusst. Dann läuft es irgendwie im Hintergrund, macht mich angespannt, frisst total viel Energie, so dass mir alles zu viel wird und macht mich manchmal auch richtig krank. Früher hat meine Mutter immer gesagt, wenn ich etwas schlimm fand "versuch nicht daran zu denken". Ich fürchte, das war einerseits kein guter Rat und andererseits einer, den ich leider beherzigt habe. Da versuche ich grade raus zu kommen. Dieses Traurigsein ist natürlich überhaupt kein Spaß, aber ich merke immer, wenn ich mal eine Weile traurig war, dann geht es auch wieder besser.

    Jetzt hoffe ich erstmal, dass es dir bald wieder besser geht.


    Viele Grüße

    Cildie

    Ich konnte mir aufgrund meiner eigenen f

    Gefühlslage nicht alle durchlesen aber wünsche dir/euch viel Kraft und hoffe das du hier ganz tolle Unterstützung findest.

    Ich habe meinen Papa vor fast 3 Monaten aus dem Nichts verloren, er wurde grade 65 und 1 Monat. Ich leide weiterhin jeden Tag und suche hier ebenfalls irgendwie eine Art von Anker.. 😭

    Liebe Rose1804,


    danke für deine lieben Wünsche. Meine Schwiegermutter ist im Sommer mit 64 Jahren plötzlich gestorben. Das war so ein krasser Schock. Dieses "aus dem Nichts", wie du auch schreibst, hat uns so erschüttert zurück gelassen. Ich hoffe auch, du findest hier einen Anker. Mir hilft es sehr, dass so viele verstehen wie orientierungslos und verloren ich mich manchmal fühle. Und über meinen Vater und meinen Onkel zu schreiben. Deshalb werden die Nachrichten auch manchmal so furchtbar lang. Irgendwie ist es hilfreicher als in den leeren Raum zu schreiben.

    Ganz liebe Grüße und ich wünsche dir, dass es in kleinen Schritten erträglicher wird.


    Cildie

    Liebe Pia1962, liebes Linchen, liebes Bettinalein, liebe Sverja, liebe Niobe, liebe Rose1804,


    ich komme meist nur am Wochenende dazu hier zu schreiben, in der Woche ist zu viel los. Aber ich habe mich sehr gefreut, hier so viel von euch zu lesen.

    Pia1962, ich kann mir so gut vorstellen, wie schwer es ist einen Geburtstag ohne jemanden zu feiern, der immer da war. Ich hoffe, du hast den Tag gut überstanden und ich freue mich, wenn du dich einmal meldest.
    Sverja, ich war richtig berührt davon, dass deine Kindheitserinnerung denen meines Vater so sehr gleichen. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der die Lederhosen kannte, obwohl die mich als Kind immer am meisten beeindruckt haben;). Danke auch für deine Antwort auf meine Frage. Ja, offenbar muss man selbst ein wenig am Schutzmantel stricken. Ich fühle mich da grade etwas überfordert. Die Trauer, der Alltag und dann noch versuchen so eine ganz neue Lebenseinstellung zu finden. Ein wenig hoffe ich ja immer noch, dass die Trauer irgendwann geht und alles wieder normal ist. Aber eigentlich ist mir auch klar, dass es anders werden muss.
    Bettinalein, es tut mir so leid zu lesen, dass du dich einsam fühlst. Linchen hat das auch schon mal geschrieben. Manchmal wünsche ich mir mehr Zeit für mich und das Traurigsein, aber ich vermute, insgesamt ist es leichter, wenn da Kinder sind und man weiß, dass die einen brauchen. Für mich sind sie oft ein wichtiger Grund wieder auf die Beine zu kommen. Trotzdem hoffe ich, dass du nicht einfach nur auf das Sterben warten wirst. Vielleicht ergibt sich irgendwann eine Perspektive, die sich lebenswert anfühlt. Besonders leid tut mir das mit deinen Schwestern - eigentlich hofft man ja, dass die einen begleiten. Das scheint leider nicht so zu sein und ich verstehe, dass es unglaublich schwer ist, so viel Familie zu verlieren.


    Ich merke grade, dass es mir noch immer schwerfällt, der Trauer im Alltag einen Platz einzuräumen (merkt man wahrscheinlich daran, sodass ich immer nur am Wochenende daran denke, hier zu schreiben). Aber gut ist das nicht. Denn wenn am Wochenende ein bisschen Ruhe ist, dann merke ich deutlicher, dass es noch gar nicht gut geht. Ich denke viel an meinen Vater, dort im Pflegeheim. Meine Mutter ist jeden Tag da und berichtet, das ist schön. Aber ich habe trotzdem das Gefühl ihn zu verlassen, in einer Zeit, in der er mich bräuchte. Vorgestern hat das Pflegeheim mich angerufen. Mein Vater hatte am Tag vorher seine Corona-Booster-Impfung bekommen und er wirkte nicht gut. Sie haben gefragt, es sie machen sollten, wenn es nicht besser würde. Nichts natürlich. Das war die Absprache nach dem letzten Mal. Und gleich hatte ich das Bild vom letzten Treffen vor Augen. An seinem zweiten Tag im Altersheim. Ich hatte ihn angezogen, auf den Balkon geschoben und wir schauten gemeinsam auf die recht düstere Verkehrskreuzung da draußen. Und mein Vater war eigentlich ganz gut da und erklärte mir, dass „das Publikum hier, ja nicht mehr so fit im Kopf“ sei. Und fast im gleichen Atemzug, dass er auch erschrocken sei, wie weit unten er selbst schon ist. Ich hab dann die Tränen zurück gebissen. Die einzige Hoffnung in diesem ganzen Mist ist ja immer, dass der Betroffene gar nicht mehr so viel von dem mitbekommt, was passiert. Aber das ist wohl leider nur teilweise der Fall. Und das macht es natürlich noch schlimmer, dass ich so wenig da bin. Ich will nicht, dass er denkt, ich verlasse ihn. Und am Donnerstag dachte ich gleich - das war das letzte Mal, das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe. Das war unsere letzte Zeit gemeinsam. Ich hoffe es war nicht das letzte Mal (nach einer Stunde war er auch wieder fit und beschwerte sich bei meiner herbeigeeilten Mutter über die Winzigkeit der Mittagsessensportionen) und wir können noch Weihnachten zusammen feiern. Aber sicher ist das nicht. Irgendwie ist das eine ungeheure Belastung. Dieser Schwebezustand. Nie zu wissen, was passiert noch, wie viel Zeit können wir noch haben, wie viel können wir dir noch zumuten und wie wird es sein, wenn du endgültig weg bist, wie dein Bruder, wie die Schwiegermutter? Dass ich es schaffe nochmal rechtzeitig zu kommen ist unwahrscheinlich. Und so warte ich die ganze Zeit auf schlechte Nachrichten. Hoffe irgendwie, dass du das nicht mehr so lange tragen musst und wünsche mir, dass du weißt, dass es mir nicht egal ist, dass du dort sitzt.

    Liebe Grüße

    Cildie

    Liebes Linchen, liebe Sverja und alle,


    lieben Dank für eure Antworten, es tut gut, sich so verstanden zu wissen. Linchen, du hast das wirklich gut geschrieben - wenn die Eltern (oder die wichtigen Erwachsenen) weg sind, ist das wie ein Schutzmantel, der weg fällt. Ich denke heute manchmal bei meinen eigenen Kindern drüber nach, wie es wäre, wenn uns etwas passieren würde, wohin sie dann gehen würden. Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Für mich und meine Schwester wäre es damals gar keine Frage gewesen - wir wären zu meinem Onkel und meiner Tante gekommen. Ja, ich glaube er war mein Sicherheitsnetz - immer noch ein Erwachsener, der da war. Jetzt müssen wir Geschwister und Cousinen plötzlich alles selbst entscheiden - wer will das denn schon? Sverja, wie lustig, dass deine Schwester mit 50+ meinte "jetzt müssen wir erwachsen werden". Aber fürchte auch, ich weiß, was sie meinte. Seid ihr erwachsen geworden? Lebt man auch wieder gut irgendwann ohne den Schutzmantel? Du hast neulich so schön beschrieben wie du das Leben wahrnimmst - ich hoffe es ist noch immer so positiv. Geht es dir gut, gesundheitlich? Und hast du dein Enkelkind sehen können? (du musst nicht antworten, nur wenn du Lust hast)

    Das Sterben der älteren Generation ist für mich auch so eine komische Konfrontation mit dem eigenen Tod - jetzt ist nichts mehr zwischen mir und und dem Tod. Erst waren da Großeltern, dann Eltern - irgendwie (auch wenn ich natürlich weiß, dass es keine Garantien gibt), war man noch lange nicht dran. Jetzt ist in diesem Zwischenraum Leere und jeder Tod macht ihn leerer. Manches daran ist auch gut. Der ganze Ärger auf Arbeit - er bekommt eine andere Dimension. Vor ein paar Jahren hat mich das noch so sehr beschäftigt. Jetzt finde ich es auch noch schlimm, aber ich merke auch, es ist nicht alles. Wenn das eigene Leben endlich ist, dann ist es ja auch irgendwie wichtig es selbst zu gestalten, so dass man es mag. So ein bisschen öffnet das die Perspektive in der ganzen Traurigkeit.

    Und ich denke viel über das Leben der Generation nach, die grade geht. Das ist eine ganze Welt, die verschwindet. Mein Vater und mein Onkel waren Nachkriegskinder. Und während mein Onkel natürlich gar nichts erzählte, hat mein Vater immer viel berichtet. Davon, wie es so war nach dem Krieg ohne Essen, ohne Spielzeuge, ohne Geld. Wie sie Kastanienschlachten mit den anderen Kindern gemacht haben, wie sie im Sommer Lederhosen getragen haben, jeden Tag die gleichen. Und wie man diese Lederhosen am Ende des Sommers in die Ecke stellen konnte und sie blieben dort stehen. Für mich war das immer eine Wunderwelt. Da gab es Dinge die konnte ich mir gar nicht vorstellen: kein Essen, kein Fernseher, keine Urlaube. Und andere, die klangen toll, wie das mit den Kastanienschlachten, oder dass jeden Winter Schnee lag und, dass man mit den Skiern noch den ganzen Berg hinunter fahren konnte, weil so wenig bebaut war. Durch meinen Vater hatte ich eine Verbindung in diese Zeit und jetzt ist es, als würde das alles weg gehen. Sein ganzes Leben, das ganze Leben meines Onkels einfach weg.

    Und das Ende ist so unschön. So wirklich unwürdig. Mein Onkel konnte zu Hause sterben, das wird mein Vater nicht können. Und ja, Corona macht es wirklich schwierig. Ich hoffe, dass mit den Impfungen die Situation in den Pflegeheimen verbessern aber sicher, dass es nicht wieder wird wie im Vorjahr ist es natürlich nicht.

    Linchen, es tut mir leid, dass die Zeit, die jetzt kommt für euch die schönste war und damit viele Erinnerung wach ruft. Ich kann mir vorstellen, dass es immer mehr Abschied ist, wenn jedes Jahr wieder Erinnerungen hochkommen und Dinge, die man jetzt ohne die wichtigsten Personen meistern muss. Ich hoffe, du kannst irgendwann wirklich mit Liebe daran zurückdenken und ohne allzuviel Schmerz. Aber dieses Jahr wird es wahrscheinlich noch nicht sein.


    Liebe Grüße

    Cildie

    Liebes Linchen,


    ganz lieben Dank für deine Antwort und entschuldige, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe. Wie geht es dir denn?


    Der Besuch bei meinen Eltern hat mir noch ganz schön zu schaffen gemacht. Wir waren danach im Urlaub - ich hätte 7,5 Stunden zu der Beerdigung meines Onkels gebraucht, da war ich dann doch nicht da. Es hat mich traurig gemacht, aber ich bin zum Meer gegangen und habe ihm alles gesagt, was ich mir für ihn wünsche. Und in der letzten Woche hat die Arbeit viel Raum eingenommen. Ich mag meinen Beruf sehr, aber wir haben seit Jahren eine extrem schwierige Chefin, die für uns alle sehr anstrengend ist. Das hat mich letzte Woche sehr beschäftigt und irgendwann habe ich gemerkt, dass es die ganze Trauer zudeckt - da würde man denken, das ist gut, aber leider funktioniert es so nicht:-).

    Heute Abend habe ich dann plötzlich wieder an meinen Onkel gedacht. Wie merkwürdig das ist - ich habe ihn seit Corona kaum noch gesehen. 2020 sind wir nur einmal im Sommer da gewesen (in ein Haus mit vier alten und zwei schwerkranken Menschen ist man da ungern gefahren) und dieses Jahr ist er kaum noch aus der Wohnung gekommen. Meine letzte Erinnerung an ihn ist, wie ich ihm von seiner Wohnzimmertür aus zuwinke, er liegt im Sessel, die Sauerstoffbrille in der Nase und hebt die Hand, auf seine typische Art, um mich zu grüßen. Ich war mir sicher, er wird wieder. Das war mal ein Fall von "nicht wahrhaben wollen". Und jetzt bin ich so tief schockiert, obwohl er ja vor zwei Monaten genauso wenig in meinem Leben war wie jetzt. Und trotzdem - das Gefühl ihn nie wieder sehen zu können: es ist unwirklich. Ich verstehe nicht, wie er weg sein kann, er war doch immer da. Er war Teil meiner Kindheit, meiner Jugend, meiner Studienzeit, jedes Heimfahrtwochenendes, jedes Familientreffens, immer mit am Kaffeetisch, grummelnd über die Apfelfülle im Garten, sich mit meinem Vater über die Tomaten kabbelnd, begeistert über irgendwelche neuen Strommessgeräte. Ich bin noch so neu in diesem Trauerding, dass jemand einfach plötzlich so komplett weg sein kann - es ist mir unbegreiflich. Mein Vater geht so langsam. Zuerst konnte er nicht mehr riechen, dann konnten seine Hände die Maus nicht mehr greifen, dann konnte er schlechter Tippen, sich schlechter aufrichten, nicht mehr so schwer tragen. Dann ist er mehr gestolpert. Dann konnte er seine Schuhe nicht mehr selbst anziehen, dann ist er ständig umgefallen, dann musste er in den Rollstuhl. Dann kam das Schlimmste: er konnte kaum noch reden, nicht mehr lesen, bekam Halluzinationen, dann Demenz, konnte nicht mehr allein auf Toilette, sich nicht mehr allein anziehen. Jetzt ist er noch manchmal da, manchmal nicht, manchmal ein bisschen. So schrecklich dieser lange Abschied ist, so oft man in 15 Jahren den Menschen ausschaut und denkt - wäre es doch anders, jemanden unerwartet zu verlieren, reißt so ein großes Loch.

    Es ist so leicht meinen Onkel im Alltag zu vergessen. Er war nicht Teil meines Alltags. Und nach ein paar Tagen merke ich dann doch: es geht mir nicht gut. Meine Gedanken drehen sich, ich verbeiße mich in merkwürdige Dinge. Offenbar braucht Trauer Aufmerksamkeit, so gerne ich sie schon überwunden hätte. Ich mag an ihn denken und bin froh, dass ich hier über ihn schreiben kann. Mein Onkel war kein Mensch der Worte. Ich rede echt gern, er echt nicht. Aber er hatte eine besondere Präsenz. Alles an ihm hat Ruhe ausgestrahlt. Die brummelig-gemütliche Art, wie er sich die Pfeife stopfte, wie er aufstand, den Hunden über den Kopf wuschelte, sich langsam in Bewegung setzte, die lange hagere Gestalt dazwischen immer wieder an der Pfeife ziehend. Während ich nervös von einem Fuß auf den anderen hüpfte und hoffte, dass er sich jetzt mal äußern würde, zu was immer für ein Problem ich grade hatte, zog er nochmal tief an der Pfeife, machte "hmmm", schaute nochmal hin, machte "ah ja", zog wieder an der Pfeife und ich wurde langsam echt nervös. Und am Ende brummelte er dann los, holte irgendwas und reparierte das Fahrrad/den Gartenschlauch/das zerbrochene Geländer/den ramponierten Autoteil. Meinen Vater, genauso hibbelig wie ich, hat er immer furchtbar nervös gemacht. Dass er nie "zu Potte" kam, mein Vater dagegen "alles in Hast" machte, war ein ewiger Streitpunkt zwischen ihnen. Dass die beiden Brüder es ein Leben lang miteinander ausgehalten haben, eigentlich unglaublich.

    Neulich hat jemand zu mir gesagt, "Wenn man die Eltern verliert, ist man plötzlich kein Kind mehr". Meine Eltern leben noch (so irgendwie), aber ich glaube mein Onkel, der immer da war, war Teil des Erwachsenteams, mit dem ich aufgewachsen bin. Plötzlich ist er weg und ich bin ein Stück weniger Kind. Wie cool es war Kind zu sein. Ich glaube ich muss das meinen Kindern mal sagen - glauben sie mir sicher:-).


    Lieben Dank fürs Lesen

    Cildie

    Hallo ihr alle,


    ich habe ein heftiges Wochenende hinter mir. Am Wochenende bin ich zu meinen Eltern gefahren und musste meinem Vater sagen, dass er ins Heim muss und, fast gleichzeitig, dass sein Bruder gestorben ist. Als ich danach wegfuhr und ihn zurückließ (er war in Kurzzeitpflege), hatte ich das Gefühl, dass ich mich an das Bild von ihm in dem großen leeren Zimmer für immer erinnern werde. Ich hoffe, dass es nicht so ist.

    Am Montag haben wir ihn dann ins Pflegeheim begleitet, das zum Glück von sehr, sehr netten Menschen geführt wird. Sie geben sich solche Mühe und trotzdem ist es für ihn sicher nicht schön. Und das schwierigste ist, dass es ihm körperlich jetzt besser geht. Er ist dort sehr gut versorgt und tatsächlich etwas fitter als zu Hause, wo meine Mutter am Ende wohl doch etwas überfordert war. Und dadurch tritt jetzt mehr zu Tage, was er eigentlich bräuchte: mehr Ansprache, mehr Zuneigung, mehr Begleitung. Und meine Mutter ist zwar da und kommt jeden Tag, aber ich wünschte, wir könnten es noch angenehmer für ihn machen, ihm nicht das Gefühl geben dass er dort so allein ist. Aber mit 400 km zu mir und 300 km zu meiner Schwester ist das schwierig. Das macht es wirklich schwer, das Gefühl ihn allein zu lassen. Aber vielleicht ist es einfach so: Es gibt nicht immer gute Lösungen in solch einer Situation. Auch wenn mich das traurig macht.

    Liebes Linchen,


    ja, absolut unbeschwert ist vielleicht ein wenig viel verlangt :|. Aber ich habe den Eindruck, dass es anders aber auch gut sein kann - das hoffe ich für uns alle.


    Liebe Grüße

    Cildie

    Liebes Linchen,


    vielen Dank für deine Zeilen. Ja, ich fürchte auch, das ist grade so eine Phase:-(. Es tut mir leid, dass es für dich schon so lange geht. Ende letzter Woche hatte ich mal einen Nachmittag, da war klar, dass mein Vater ins Heim kommt und ein wenig Erleichterung machte sich breit, der Tod meiner Schwiegermutter war schon eine Weile her und, dass es meinem Onkel so schlecht geht, war mir noch nicht klar. Da ging es mir einen halben Tag lang plötzlich mal wieder richtig gut. Ich war fröhlich, hatte Energie und sogar abends noch echt Lust etwas zu machen. Da hab ich gedacht, wie krass...so hat sich das früher immer angefühlt. Und jetzt ist grade alles so anstrengend und traurig. Ich hoffe echt, dass es irgendwann mal besser wird. Ich meine, es ist nicht mehr unerträglich, wie am Anfang - aber gut ist echt war anderes. Ich wünsch dir, mir und uns allen, dass es irgendwann mal wieder einfacher wird.


    Liebe Grüße

    Cildie

    Hallo ihr alle,


    ich hoffe es geht euch den Umständen entsprechend gut. Ich habe wieder lange nicht geschrieben - der Alltag hatte mich ganz schön im Griff. Mittlerweile haben wir fest entschieden, dass mein Vater in eine Pflegeheim kommen wird, was mich sehr erleichtert. Am Montag fahre ich hin, um ihn ins Heim zu bringen. Ich hoffe er wird es gut verkraften.

    Jetzt habe ich vor ein paar Monaten hier begonnen zu schreiben, weil ich traurig wegen meines Vaters bin. Und plötzlich sterben andere Menschen. Erst meine Schwiegermutter im Sommer und heute mein Onkel. Er ist der Bruder meines Vaters und da meine Eltern mit ihm und seiner Familie in einem Haus gewohnt haben, bin ich mit ihm aufgewachsen. Wir hatten kein enges Verhältnis, dafür war er zu wortkarg, aber ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der er nicht da war. Gefühlte Stunden am Gartenkaffeetisch jeden Sommer - mein Vater, meine Tante und ich in erhitzen Diskussionen, während mein Onkel sich gemütlich die Pfeife stopfte, sein faltiges Gesicht amüsiert verzog und sich dann zurück lehnte. "Du glaubst es nicht" hat er immer gesagt und "hmm..." ich glaub das war seine häufigste Lautäußerung. Ich bin heute furchtbar traurig. Ich weiß, dass es besser für ihn war. Er war 81, hatte ein schwaches Herz und COPD und als ich das letzte Mal zu Hause war, war es echt gruselig ihn husten zu hören. Aber dass er jetzt gleich stirbt...das hatte ich nicht auf dem Schirm. Ich glaube ich war zu beschäftigt mit der Trauer um meinen Vater und meine Schwiegermutter, um daran zu denken, dass er nicht mehr lange da sein könnte. Mein Vater ist schon so lange krank und seit ca. fünf Jahren auch so krank, dass es sein Leben wirklich einschränkt. Ich weiß noch, wie ich oft ein wenig neidisch gedacht habe, dass mein Onkel, der der ältere Bruder ist, so fit ist. Dann, zu Beginn des ersten Lockdowns, hat der Hund meiner Cousine ihn beim Spazierengehen umgezogen und er zog sich einen komplizierten Bruch am Knöchel zu. Das hieß Krankenhaus, Liegen und danach wurde es irgendwie nicht mehr besser. Letzten Monat ist dann ins Krankenhaus gekommen, um einige Untersuchungen konzentriert machen zu können - und da haben sie ihn nicht mehr richtig fit bekommen. Als er wieder heraus kam, hatte er sieben Kilo abgenommen (ich frag mich wo, er war eh schon so dürre) und konnte nicht mehr laufen. Gestern hat er dann aufgehört zu essen. Heute Nacht ist er gestorben.

    Ich weiß noch, wie wir irgendwann im Winter 1989/90 alle draußen auf der Straße standen und einem Auto voll mit Westverwandtschaft nachwinkten. Während wir Kinder die vielen Besuche total spannend fanden, war es für Erwachsenen wohl ganz schön anstrengend - zumindest machte sich auf ihren Zügen Erleichterung breit, als das Auto um die Ecke bog. Mein Onkel stand neben mir, hatte die Hand noch erhoben und sah, wie ich, ein weiteres Auto mit westdeutschen Kennzeichen um die Ecke biegen - diese Autos wollten immer zu uns. "Du glaubst es nicht" sagte mein Onkel, so resigniert, dass ich anfangen musste zu kichern. Für uns waren das so spannende Zeiten. Ich weiß nicht wie die Erwachsenen es empfunden haben. Aber wenn ich mir überlege, wie anstrengend die Coronakrise mit Familie war, denke ich - das muss heftig gewesen sein. Sie haben uns Kinder da gut durch gebracht. Und ich bin so dankbar, dass da mehrere Erwachsene in meinem Leben waren, die sich gekümmert haben, die sich geholfen haben und zu denen ich gehen konnte, wenn ich etwas brauchte. Ich wünsche das meinen Kindern eigentlich auch. Aber vermutlich geht das allen so, die ihre Kindheit positiv empfunden haben - dass sie sich das für ihre Kinder wünschen. Trotz seiner Grummeligkeit bin ich meinem Onkel sehr dankbar, dass er mein Fahrrad repariert hat, dass er mich nachts abgeholt hat, dass er (fast) klaglos den Kotflügel am gemeinsamen Auto auswechselte, wenn ich ihn mal wieder vor den Pfosten gesetzt hatte und für mein Matheabitur, das ich ohne ihn niemals geschafft hätte. Für die vielen abendlichen Hausaufgabenhilfen in der Oberstufe, für die Schaukelreperaturen, für die Genauigkeit mit der er alles machte, die meinem Vater und mir so abging, für sein Wissen, für seine endlose Geduld, für seine Liebe zu unseren Hunden und seine Grummeligkeit, die mich gelehrt hat, dass ich davor keine Angst haben muss.


    Er war einfach immer da, mit einer Selbstverständlichkeit, die mich nie hat darüber nachdenken lassen, dass er irgendwann sterben könnte. Und ich dachte immer, es ist so toll, so viele Menschen in meinem Leben zu haben. Ich hatte nicht daran gedacht, dass viele von ihnen irgendwann sterben werden. Mein Leben ist grade so von Trauer durchtränkt - ich weiß manchmal gar nicht mehr, wohin ich mich wenden soll. Es tut einfach grade alles sehr weh.

    Liebe Sverja, liebes Linchen,


    vielen Dank für eure Antworten, die beide auf ihre eigene Art gut tun. Zu wissen, dass es irgendwann eine neue Sicht aufs Leben geben kann ist schön und irgendwie ist es aber auch tröstlich zu wissen, dass andere ebenso mit der Trauer zu kämpfen haben, wie man selbst.

    Ich habe neulich mal gelesen, man solle "das Gute mit dem Schlechten nehmen". Ich habe es so verstanden, dass, wenn möglich, beides Raum haben sollte - die Trauer, aber auch die schönen Momente. Ich würde mich freuen, wenn ich das schaffen könnte:-).


    Gestern war die erste große Familienfeier ohne meine Schwiegermutter. Kurz davor hat es mich nochmal richtig erwischt, der ganze Schock, dass sie so plötzlich gestorben ist, kam hoch und mir ging es einen halben Tag nochmal richtig schlecht. Seitdem ist es aber etwas besser, was erleichternd ist. Trotzdem war die Feier merkwürdig. Die Großmutter meines Mannes hat ihren 100. Geburtstag gefeiert und ich glaube so viele haben daran gedacht, dass seine Mutter nur 64 geworden ist. Da ist es wieder, das Schöne und das Traurige beisammen.


    Dann habe ich heute früh mit meiner Mutter telefoniert, die schon wieder damit hadert, meinen Vater für zwei Wochen in Pflege zu geben, obwohl sie selbst wirklich am Ende mit ihren Kräften ist. Sie hat mir dann erzählt, dass beide meiner Onkel grade im Krankenhaus sind. Einer hatte gestern einen Herzinfarkt (zum Glück sieht es ok aus), der andere musste in die Klinik, weil seine Sauerstoffsättigung so schlecht ist (er hat COPD). Das kam (bis auf meinen Vater) alles so plötzlich - die Geschwister haben es gut bis 80 geschafft und jetzt brechen sie auf einmal alle gleichzeitig weg. Das ist ganz schön hart. Mit einem Onkel bin ich aufgewachsen, er hat bei uns im Haus gewohnt, zum anderen habe ich kein enges Verhältnis, aber er war eben trotzdem immer da und ich weiß, wie schlecht es meinen Cousinen gehen wird, wenn er stirbt. Grade hadere ich mit der geballten Ladung Abschied, die über mich hinweg rollt. Wäre es nicht möglich, wenigstens ein paar Jahre dazwischen zu haben? Muss das so zusammen kommen? Aber vermutlich ist es einfach so. Und bisher hatten wir großes Glück und sind verschont worden. Trotzdem nicht einfach.


    Ich hoffe du, Sverja hast eine wunderschöne Zeit mit deiner Familie und Linchen - danke für deine Wünsche und dir auch ganz viel Kraft

    Viele Grüße

    Cildie

    Liebes Linchen,


    oh man, da hast du ja auch einen Weg hinter dir:-(. Es tut mir leid, dass du deine Mama irgendwie auf Raten und dann doch offenbar plötzlich verloren hast. Du machst mir ja keinen großen Mut, dass das in der nächsten Zeit besser wird - aber es ist ja eine große Sache, die Mama oder der Papa. Bist du denn schon ein Stück weiter gekommen oder ist noch immer so schwierig wie am Anfang?


    Liebe Grüße

    Cildie

    Hallo ihr Lieben,


    irgendwie ist heute der Tag, an dem ich hier schreiben muss. Die letzten zwei Wochen waren so intensiv, da war kein Platz für Trauer und heute hatte ich zum ersten Mal Zeit, da hat es mich gleich voll erwischt.

    Ich verabschiede mich ja schon seit einer Weile von meinem Vater, damit hatte ich immer irgendwie gerechnet. Womit ich aber nicht gerechnet hätte, war, dass es auch einen Abschied von der Familie bedeutet, die wir waren. Wir waren eine tolle, enge Familie und eigentlich dachte ich - gut, mein Vater ist krank, aber wir anderen drei werden noch immer da sein, uns stützen und gemeinsam erinnern. Und so ist es gar nicht. Meine Mutter ist nur noch mit der Pflege für meinen Vater beschäftigt und meine Schwester und ich, die in zwei verschiedenen Städten wohnen, wechseln uns mit Heimfahren ab, damit möglichst oft jemand da sein kann. In den letzten 1,5 Jahren habe ich meine Schwester so einen Nachmittag gesehen und meine Mutter nur im absoluten Stresszustand. Eigentlich sind wir alle nur noch im Stresszustand, seit fast vier Jahren. Das ist irgendwie nicht ok so. Und ich merke, wie wir alle total darunter leiden. Da verliert man, zusammen mit dem Kranken, auch noch alle anderen dazu.

    Und ich weiß, ich bin Mitte 40, habe eigene, tolle Kinder und trotzdem fällt es mir so schwer, mich von meinen Eltern und der Familie, aus der ich komme, zu verabschieden. Das ist, als würde ein ganzes Stück von mir Wegbrechen. Da gibt es Dinge, die haben nur wir miteinander erlebt, Witze, die nur wir verstehen und Rituale, die es nur bei uns gibt. Das ist, als würde ich von einem großen Stück von mir Selbst tschüss sagen und gleichzeitig geht eine Gewissheit - dass diese Menschen immer für mich da sein werden.

    Vermutlich heißt das Erwachsenwerden - dass man wirklich ein Stück weit auf sich selbst gestellt ist. Erwachsenwerden macht grade nicht so doll Spaß. Was soll das denn ersetzen - die Familie, die dich 40 Jahre begleitet hat? Bleibt da einfach immer ein Loch und das Leben ist jetzt einfach immer ein bisschen blöder? Immer ein wenig unsicherer? Oder heißt es einfach sich darauf einzustellen, dass nichts von Dauer ist? Lebt man da irgendwann wieder gut mit?

    Ich glaube, ich brauche wirklich mal wieder etwas Gutes. Mein ehemals toller Job hat sich in den letzten Jahren in einen bürokratischen Alptraum verwandelt, seit wir eine neue Chefin haben, mein netter Mann ist grade (verständlicher Weise) einfach nur traurig, Freunde habe ich durch Corona nicht so viele gesehen und meine Familie in der Heimat...na ja. Vielleicht gibt es so Zeiten im Leben, in denen alles blöd ist. Ich war offenbar sehr glücklich und sehr verwöhnt, bisher. Ich hoffe echt, das geht irgendwann vorbei.


    Liebe Grüße

    Cildie

    Liebe Sverja,


    es tut mir leid - die Autokorrektur hat mal wieder deinen Namen verschlimmbessert. Lieben Dank für deine Worte. Ja, ich glaube dieser Kampf, der hat mich damals krank gemacht und deshalb macht er mir jetzt solche Angst. Ich habe heute früh gedacht, ich würde die Verantwortung so gern an die beiden Zweifler abgeben. Aber wie denn? Der neue Sohn meiner Schwester ist grade mal eine Woche alt und meine Mutter hat wirklich genug zu tun. Aber danke, dass du sagst, dass ich das schaffe. Ich hoffe es. Ich merke, dass ich mit meinen Gedanken so sehr dort bin. Und eigentlich wäre ich gern hier, bei meinen Kindern, die nur einmal so cool und toll sind, wie sie jetzt grade sind.

    Oh man, und dann wünsche ich mir manchmal, dass es vorbei ist. Und dann fühle ich mich wieder richtig schrecklich, dass ich so etwas denke. Ihr alle würdet so viel dafür geben, wenn ihr nochmal mit euren Angehörigen sprechen könntet, aber es ist echt hart. Ich möchte ihn nicht so in Erinnerung behalten. Krank, gebeugt und merkwürdig riechend und sabbernd. Er hat immer so sehr auf sein Äußeres geachtet, es war ihm so wichtig fit und tatkräftig zu sein und ich kenne keinen Menschen, der so einen scharfen Verstand hatte, wie mein Vater. Ich vermisse die Unterhaltungen mit ihm so sehr. Diese Krankheit hat ihm alles genommen. Es gibt sicher schlimmere Krankheiten, mit größeren Schmerzen, aber auf ihre Art ist Parkinson furchtbar: schleichend aber unaufhaltbar zerstört sie alles, aber sie tötet den Menschen nicht, sondern lässt ihn weiterleben, in einem Zustand, den sich niemand wünschen würde.

    Vielleicht wäre es besser, wenn ich dort wäre. Jeden Tag ein wenig helfen könnte, aber hier aus der Ferne, bin ich so hilflos und wenn wir da sind ist es jedes Mal ein Schock.


    Ich hoffe du hast Recht und ich schaffe das "gut".


    Ich freue mich sehr, dass du bald deine jüngste Enkelin sehen darfst :-). Das ist so schön, die Menschen zu sehen, die wichtig sind. Ich wünsche dir eine gute Reise und freue mich, dass es dir im unüblichen Sinne gut geht. Dir auch ganz viel Kraft.


    Viele Grüße

    Cildie

    Liebe Linchen1,


    vielen Dank für deine Antwort. Es ist so merkwürdig, dass ihr hier manchmal Dinge auf den Punkt bringt, die ich selbst nicht so verstehe - ja, ich wünsche, mir, dass ich mich aufs Abschiednehmen konzentrieren kann, denn das ist an sich schon so anstrengend. Danke, ich nehme deine Worte und dein Mitgefühl mit, wie einen kleinen Schatz:).

    Hallo ihr alle,


    ich hab mich eine Weile nicht mehr gemeldet. Die Arbeit, Schuleinführungen und die alles, was durch den Tod meiner Schwiegermutter erledigt werden musste, hatte mich fest im Griff. Langsam wird es ein wenig ruhiger und ich kann mich wieder mit dem beschäftigen was von zu Hause kommt. So richtig gut ist es nicht. Meinem Vater geht es schlechter und meine Mutter ist immer mehr überfordert. Und ich habe das Gefühl, seine Krankheit hat mir die ganze Familie genommen. Meine Schwester und meine Mutter sind sich sehr ähnlich. Und obwohl ich sie sehr gern habe, ist es anstrengend, dass es ihnen so schwer fällt, Entscheidungen zu treffen. So waren es immer mein Vater und ich, die das getan haben. Jetzt ist mein Vater eigentlich nicht mehr da (das fühlt sich immer so gemein an, das zu schreiben) und die beiden fänden es, glaube ich gut, wenn ich Entscheidungen treffe. Aber wenn ich das mache, dann finden sie sie nicht gut. Ich fühle mich so allein. In dem halben Jahr Pflegezeit, das ich mir genommen hatte, habe ich ganz viele Entscheidungen zäh gegen den Widerstand meiner Mutter und teilweise meiner Schwester durchgedrückt. Sachen wie Pflegebett, Pflegedienst, einen Notfallknopf, Pflegestufen... Jetzt, zwei Jahre später, hat meine Schwester zugegeben, dass wir ohne all das in der Katastrophe gelandet wären, und, dass sie das falsch eingeschätzt hatte. Ich rechne ihr das hoch an, dass sie das sagt und sie ist auch echt in vielen Dingen toll, aber ich fühle mich trotzdem so allein. Ich mag nicht mehr ständig mit meiner Mutter kämpfen, die wirklich, wirklich irrational wird. Es sei ihr gegönnt mit fast 80, aber sie ist die Hauptpflegeperson, schafft es nicht mehr, will aber keine 24-Stunden Pflege, will nicht, dass mein Vater ins Heim kommt, will nicht dass er länger in die Tagespflege geht, trifft Absprachen mit uns und macht es dann doch ganz anders.

    Und ich weiß nicht, wie ich es richtig machen soll. Für meinen Vater, der zu Hause bleiben möchte, aber dort nicht mehr gut versorgt werden kann, für meine Mutter, die sich selbst kaum eingestehen kann, dass sie es körperlich nicht mehr schafft, dem Wunsch ihres Mannes nachzukommen, für meine Schwester, die gerne mit einbezogen werden will, aber grade ein neues Baby hat und der alles zu viel ist. Ich habe das Gefühl, ich soll der Teamkäpitän sein, aber keiner im Team macht mit. Ich mache mir Sorgen, wie wir da rauskommen, wenn das alles vorbei ist. Total zerstritten? Unglücklich, weil wir falsche Entscheidungen getroffen haben? Es ist so schwierig alle Bälle in der Luft zu halten - die Vergangenheit zu bewahren, die Gegenwart anzuerkennen, als den Mist, der sie grade ist und die Zukunft nicht kaputt zu machen. Dazwischen funkt die Trauer, die auch Raum haben möchte. Und dann gibt es ja noch das "normale" Leben mit Kindern, einem Mann der grade heftig traurig ist und dem Job, der durch eine kontrollwahnige Chefin auch grade schwieriger ist, als er sein müsste.

    Früher hatte ich das Gefühl, ich werde von allen Seiten gestützt. Jetzt habe ich das Gefühl, alle Seiten stützen sich auf mich und das ist ein wenig viel auf einmal.


    Danke fürs Lesen und Svenja - ich hoffe es geht dir gut!

    Cildie

    Lieber Sherys, liebe Moni, liebes Linchen1,


    oh man, ich verstehe beides, den Schock und dieses schreckliche, stückweise Abschiednehmen bei der Krankheit. Es hat vermutlich beides seine guten und seine wirklich, wirklich schlechten Seiten.

    Sherys, schön, dass du hier geschrieben hast. Es tut mir so leid, dass dein Vater gestorben ist, 57 ist wirklich sehr, sehr früh und so plötzlich macht es so schwer zu begreifen. Das mit dem "stark sein" ist, fürchte ich, Quatsch. Ich hab immer versucht stark zu sein und alles für alle zu organisieren. Das hat bei mir aber dazu geführt, dass ich immer schlechter gespürt habe, wie es mir geht. Und das ist bei Trauer wirklich nicht zu empfehlen. Die Trauer ist da und ich habe das Gefühl, dass man da durch muss. Man kann es auf später verschieben oder sich ablenken, aber eigentlich macht es das nur schlimmer. Ich finde, du hast das eigentlich ganz gut beschrieben - wie soll man denn stark sein ohne Vater? Da ist jemand weg, der immer da war, der immer auf meiner Seite war, bei dem ich wusste, er fängt mich auf. Das ist wie ein Loch im Leben.


    Liebe Grüße

    Liebe Moni,


    ich kann dich verstehen, mit dieser Plötzlichkeit:-(. Mein Vater ist seit Jahren krank - das ist wirklich auch nicht schön und irgendwie warten wir mittlerweile auch darauf, dass er nicht mehr so leiden muss. Und dann, ganz plötzlich, ist vor drei Wochen meine quicklebendige 64jährige Schwiegermutter gestorben. Einfach an einem Herzinfarkt. Ich möchte das nicht vergleichen, denn ein Papa ist etwas ganz anderes als eine Schwiegermutter, aber diese Plötzlichkeit nimmt einem den Atem. Und für meinen Mann ist es unerträglich, dass er seiner Mutter nicht nochmal sagen konnte, was sie ihm bedeutet hat.

    Dir gehen grade so viele Gedanken durch den Kopf, ganz viele davon kann ich verstehen. Für mich war mein Vater auch immer mein Orientierungspunkt, mein Anker im Leben. In den letzten zwei Jahren musste ich ihn loslassen, der Mensch, der er mal war, ist gar nicht mehr da. Das macht wirklich fürchterlich einsam. Und vor allem braucht es viel Zeit. Wenn du grade nur den Geschirrspüler schaffst, kann man da nichts machen. Ist schon super, dass du den schaffst.

    Und mit dem Sinn des Lebens - das ist komisch. In der ersten Abschiedszeit, als mir klar wurde, dass ich nie wieder ein Gespräch mit meinem Vater führen werde, kann mir auch alles so sinnlos vor - weil es nicht für immer und nicht planbar ist. Und dann irgendwann ist das Leben wertvoll geworden, eben weil es endlich ist. Manchmal fühlt sich das schon gut an, ich hoffe auch, dass es für dich irgendwann so ist.


    Fühl dich gedrückt

    Cildie