Beiträge von Cildie

    Liebe Sverja,


    ich musste grade ganz arg weinen, als ich deine Zeilen gelesen habe. Danke. Du scheinst so viel von der Generation meiner Eltern (der du ja auch ein wenig angehörst) zu verstehen und auch von der Trauer an sich. Es hat sehr gut getan, deine Zeilen zu lesen. Meinen Kindern geht es so lala - es waren doch viele Tote im letzten Jahr. Sie trauern auf ihre eigene Weise und wir versuchen ihnen immer wieder zu sagen, weshalb wir traurig sind und, dass es nichts ist, an dem sie etwas machen müssen oder können. Das ist etwas, was ich mir für sie wünsche - dass sie ihre Gefühle besser aktzeptieren können und nicht erst irgendwann lernen müssen, sie zuzulassen. Hoffentlich gelingt das.


    Ganz liebe Grüße

    Cildie

    Hallo ihr Lieben,


    heute ist es genau einen Monat her, dass mein Vater gestorben ist und heute ist kein guter Tag. Ich weiß gar nicht so richtig wohin mit mir. Es ist noch nicht mal, dass er fehlt, denn in meinem Leben anwesend, war er ja schon seit Jahren nicht mehr. Es ist eher dieses Wissen, dass er wirklich nie wieder da sein wird, noch nicht mal mehr ein kleines Stückchen von ihm, was es wirklich schwer macht. Ich habe ganz oft den Wunsch etwas von ihm festzuhalten, aufzuschreiben, damit er nicht nur in meiner Erinnerung lebt. Aber so richtig bekomme ich das nicht hin und ich weiß auch nicht, ob es der richtige Weg ist. Wenn ich so traurig bin, fühle ich mich ganz schrecklich und möchte, dass es aufhört, aber eigentlich weiß ich ja, dass man da durch muss.

    Ein wenig anstrengend sind die vielen nett meinenden Freunde, die immer versuchen mich abzulenken, ohne zu wissen, dass das rein gar nichts hilft. Dass es eigentlich viel schöner wäre, wenn man nicht abgelenkt würde, sondern von der verstorbenen Person erzählen dürfte. Aber ich weiß, dass ich früher auch so war. Wie soll man denn auch wissen, was richtig ist, wenn man es selbst noch nicht erlebt hat und in unserer Kultur ja auch so erschreckend wenig über den Tod gesprochen wird? Woher kommt das eigentlich, dass wir den Tod so vermeiden? Er ist ja nun wirklich das, um den niemand herum kommt, als Angehöriger und später natürlich auch selbst. Es kommt mir total merkwürdig vor, dass dem so wenig Raum geben. Ich nehme an, das ging euch allen auch so, dass viele im Umfeld mitleidig schauen, und dann ganz schnell das Thema wechseln, hoffend, dass man schnell darüber hinweg ist und wieder dier/die Alte ist. Es fühlt sich fast so an, als hätte es etwas Ungehöriges über den Tod zu sprechen, dabei glaube ich, dass es hilft, sonst wären wir ja alle nicht hier.

    Na ja, jetzt habe ich es schon wieder geschafft, mich von der eigenen Trauer zu entfernen. Mein Vater fehlt mir heute sehr und mir fällt es nach wie vor schwer, der Trauer den angemessenen Raum zu geben. Ich wünschte, ich wäre besser darin. Ich kann mir noch immer nicht vorstellen, dass er komplett verschwunden ist. Bei meiner Schwiegermutter ist mir das leichter gefallen und komischerweise glaube ich, das war, weil ich sie nochmal gesehen habe, als sie schon tot war. Es war so deutlich, dass sie in diesem Körper nicht mehr war. Da ich meinen Vater nicht mehr sehen konnte, bleibt sein Tod einfach eine Information, die mir jemand gegeben hat, mir fällt es viel schwerer zu akzeptieren, dass er wirklich gegangen ist. Da ist noch immer so ein Unglauben, dass er ja immer da war und es jetzt plötzlich nicht mehr ist, dass von ihm nur Erinnerungen und Bilder bleiben. Und dann ist da noch diese ganze Pflegezeit von der ich auch merke, dass sie in unserer Familie Spuren hinterlassen hat und aufgearbeitet werden muss. Irgendwie wirkt das alles wie ein so langer Weg...


    Danke fürs Lesen, das war etwas konfus heute. Ich hoffe euch allen geht es einigermaßen gut.

    Cildie

    Und sonst...


    ...ist es grade eine merkwürdige Zeit. Ich habe noch Ferien und das ist auch wirklich gut so. Ich merke, wie erschöpft ich von den letzten Wochen bin und, dass ich die Zeit gut gebrauchen kann. Allerdings habe ich die ersten Tage nach der Beerdigung mir wenig Ruhe gegönnt. Es half mir irgendwie ständig tätig zu sein. Gestern Abend war ich dann so erschöpft, dass ich mich heute gezwungen habe, nichts zu machen. Jetzt merke ich, wie nötig das war. Da ist immer dieser Versuch der Trauer auszuweichen und lieber etwas anderes zu machen, weil es ja auch nicht schön ist, sich immer so schlecht zu fühlen. Aber ich weiß ja auch, dass es eigentlich besser andersherum funktioniert: Die Trauer zulassen und irgendwann ist sie dann auch ein Stück vorbei und ich bekomme noch einen unbeschwerteren Teil des Tages geschenkt. Ich war da jahrelang nicht gut darin - meinen Kopf auszuschalten und einfach nur das zuzulassen, was grade ist, langsam wird es besser.

    Auf der Beerdigung meines Vaters tauchten plötzlich ganz viele Studien- und Arbeitskollegen auf. Das war so schön. Neben der Familie war die Wissenschaft das Leben meines Vaters, es war toll zu sehen, dass die anderen ihn geschätzt haben. Sein ehemaliger Chef hat einen Nachruf auf ihn verfasst, er war so treffend, dass ich laut lachen musste. Darin stand "Außerdem versprühte er nicht grade Charme, wenn er davon überzeugt war, sein Gegenüber sei ihm substanziell nicht gewachsen." Ich hab sofort sein skeptisch-ironisches Gesicht, dass er immer machte, wenn er mit unausgegorenen Gedanken konfrontiert war. Er hat mir beigebracht, Dinge immer aus möglichst vielen Blickwinkeln zu betrachten. Mittlerweile mache ich das so automatisch, dass ich oft irritiert bin, wenn in Diskussionen (Lehrer*innen sind ja leider leidenschaftliche Diskutierer) Dinge angemerkt werden, die ich schon während meiner ersten Überlegungen verworfen hatte. Ich vermisse ihn so, die ganzen Diskussionen, das Gefühl jemanden zu haben, dessen Geist so klar und frei von taktischen Hintergedanken ist, dass man sich immer darauf verlassen konnte, was er sagt. Die Beerdigung, seine Kollegen, der Nachruf, all das hat hinter dem jahrelang Kranken wieder den Vater hervorgeholt, den ich fast 40 Jahre lang kannte. Das war zuerst schön und dann ein Schock. Denn ich hatte ihn eigentlich schon fast vergessen. Er hatte sich so stark verändert, unser Verhältnis hatte sich so stark gewandelt, dass ich vergessen hatte wie energetisch, hilfbereit, voller Ideen und Begeisterungsfähigkeit er einmal war. Er hat uns immer so viel zugetraut. Mir, einer echt schlechten Schülerin, hat er schon in der 3. Klasse Erwachsenenbücher zugemutet, weil er nicht dachte, dass ich dumm war, sondern nur, dass das mit mir und Schule nicht passt. Neben ihm zu sein hieß immer in Bewegung zu sein, immer lebendig. Er saß fast nie still, entweder werkelte er etwas, ging spazieren oder wippte zumindest mit den Füßen und genauso beweglich war sein Geist. Immer in Diskussionen, immer interessiert an allem. Er war Naturwissenschaftler, aber wusste so viel über Geschichte, dass ich lange brauchte, bis ich besser war als er. Und er konnte sich für alles so begeistern. Ständig musste ich aufstehen, um den tollen Sonnenuntergang, die wunderbare Beleuchtung auf den Bergen, die tollen Vollmond zu betrachten. Nie gingen wir spazieren, ohne, dass er darauf hinwies, wie wunderschön die Umgebung/der Blick/ die Blumenwiese ist. Er war so oft vollständig zufrieden und trotzdem endlos neugierig. Ich kann noch immer nicht glauben, dass er einfach weg ist. Aber das geht euch sicher allen so, mit euren Lieben.


    Liebe Grüße

    Cildie

    Liebe Sverja,


    ich wollte dir noch sehr danken für die lange Email am Tag vor der Beerdigung. Sie hat mir sehr geholfen. Die Tage davor waren für uns alle sehr schwierig und vor allem deine Worte zu meiner Mutter haben sehr geholfen. Sie ist nur ein paar Jahre älter als du und ich glaube auch, dass etwas anderes als funktionieren nie eine große Bedeutung hatte. Sie macht es aber seit der Beerdigung echt gut - das war ein heftiger Tag, aber seitdem haben wir alle mehr Ruhe.


    Liebe Grüße

    Cildie

    Liebe Lisa95 ,


    danke für deine Gedanken und Worte. Manchmal fühle ich mich so allein, in der ganzen Sache und dann ist es schön zu denken, dass ihr das versteht.


    Liebe Grüße

    Cildie

    Liebe Pia1962 ,


    was für ein schönes Bild, vielen lieben Dank! Es passt so gut. Als mein Vater vor zwei Jahren schon fast gestorben wäre, meinte er danach, es hätte sich schön angefühlt:-).


    Liebe Grüße

    Cildie

    Liebe Sverja, alles Liebe nachträglich zum Geburtstag und danke für das Teilen deiner Gedanken. Da du viel mehr Lebens- (und leider auch Trauer-) erfahrung hast, als ich, sind es für mich sehr spannende Gedanken. Das, was du über die unehelichen Kinder des Zweiten Weltkrieges geschrieben hast, ist erschreckend. Mir war immer bewusst, dass das passiert ist, aber ich habe oft nur über das Leid der Mütter, weniger über das der Kinder nachgedacht. Die beiden großen Kriege haben so viel Leid verursacht, es scheint bodenlos zu sein. Mich gruselt der Gedanke, dass wir es noch immer nicht geschafft haben, Kriege zu verhindern.


    Liebe Grüße

    Cildie

    Liebes Linchen1 , Pia1962 , SONNENSCHEIN57 , Bettinalein und Sverja ,


    vielen lieben Dank für eure Wünsche und Worte. Obwohl ich noch immer schockiert bin, wie heftig es ist, wenn jemand so Nahestehendes stirbt, tut es unglaublich gut zu lesen, dass ihr das alles versteht. Linchen, ich hoffe, dass ich auch irgendwann das Gefühl haben kann, dass er noch da ist, das wäre sehr schön. Im Augenblick bin ich noch zu verwirrt dafür. Es tat gut zu lesen, Sonnenschein57, dass du es auch so empfunden hast, als wäre man trotz allem nicht vorbereitet auf den kompletten Abschied. Ich merke schon, dass es mir zwischendurch auch gut geht, das war bei meinem Mann nicht so, als seine Mutter plötzlich starb - aber dass es nochmal so ein Schock wird, damit hätte ich tatsächlich nie gerechnet. Pia1962 - es tut mir so leid von den letzten Tagen deines Vaters zu lesen, es muss so schrecklich gewesen sein, ihn allein zu lassen und zu wissen, dass er es vielleicht nicht ganz versteht. Das tut mir so leid! Es klingt so, als wäre es noch immer schwierig für dich, damit zurecht zu kommen.

    Danke auch für deine lange, liebe Email, Sverja. Ja, ich habe auch eine Freundin, deren Vater genau in dem Augenblick gestorben ist, als sie kurz das Zimmer verlassen hat. Vielleicht hat mein Vater sich das tatsächlich so ausgesucht. Irgendwie ist es auch in Ordnung für mich, dass ich nicht da war. Die letzten Male, die ich ihn besucht habe, habe ich mich immer von ihm verabschiedet und der letzte Besuch war ein sehr schöner - ich hatte den Eindruck er ist entspannt und angekommen. Vielleicht konnte er deshalb jetzt gehen. Danke auch, dass du geschrieben hast, dass ich schon ein wenig Abschied genommen habe - das tröstet doch ein bisschen. Ich habe auch das Gefühl, dass verkriechen jetzt gut wäre, aber morgen kommt erstmal die ganze Familie, das ist schön und im Augenblick für mich auch beängstigend. Mich hat aber in den ersten Tagen wirklich sehr getröstet, mir Bilder von ihm anzuschauen, wie er früher war. Das war so schön. Ich hatte immer das Gefühl von Verrat, wenn ich mich während seiner Krankheit nach dem gesehnt habe, der er mal war. Jetzt darf ich mich wieder so erinnern, wie er mal war, das ist irgendwie auch schön. Die Tatsache, dass viele von uns heute nicht mehr gläubig sind und damit auch keine Vorstellung von einem Leben nach dem Tod haben, macht es sicher viel schwieriger. Aber so ein bisschen legt man sich ja eine zu, wenn man sich mit Tod und Sterben befasst. Vielleicht muss ich das nur noch etwas mehr tun, um sicherer zu werden.


    Und wie schön, dass du auf deiner Hochzeitsreise in Irland warst, Sverja! Ich habe da mal ein Jahr gelebt und es war so schön, wieder da zu sein. Wir müssen die Reise wiederholen...zuerst hatte die ganze Familie (außer mir) Corona, allerdings zum Glück mild und dann sind wir wegen meines Vaters früher zurück gefahren. Trotzdem war es eine schöne Zeit dort und ich bin froh, dass wir da waren.


    Meiner Mutter geht es nicht so gut. Sie frisst ihre Trauer in sich hinein und ich kann ihr da auch wenig helfen. Einer ihrer Lieblingsaussagen ist "das hilft doch alles nichts", womit sie sagen will, dass es doch besser ist, einfach weiter zu machen. Ich würde ja sagen, das ist nicht besser, das ist eine Katastrophe, aber auf mich hört hier selten jemand:). Am Dienstag, 10h ist die Trauerfeier. Ich fürchte, das wird alle sehr stressen, aber ich hoffe wir können doch noch gut Abschied nehmen, er hätte es verdient.


    Ganz lieben Dank für eure Anteilnahme - ich bin froh, dass es dieses Forum und euch gibt.

    Cildie

    Liebe Sverja und alle,


    mein Vater ist letzte Woche gestorben. Es fällt mir schwer zu schreiben „völlig überraschend“, denn er war ja nun wirklich nicht mehr gesund, aber doch überraschend genug, als dass ich mit meiner Familie in Irland war, als die Nachricht kam. Dass er sich nach 15 Jahren Krankheit und fast fünf Jahren Pflegezeit den Moment aussucht, an dem ich maximal weit weg bin, macht mich noch immer etwas sprachlos. Er hatte nochmal Corona, aber nachdem er sich von seiner Infektion im Februar problemlos erholt hatte, machte sich niemand von uns Sorgen, dass er es diesmal nicht gut wegstecken würde. Doch nach drei Tagen Krankheit war er zwar wieder negativ, aber furchtbar schwach. Dann wurde er noch schwächer und hörte auf zu Essen und zu Trinken. Weil er dann auch seine Medikamente nicht mehr nehmen konnte, zitterte er ganz fürchterlich und das war der Moment, in dem Pflegeheim dann anrief und meinte, es würde nicht mehr lange dauern.

    Ich weiß noch, wie ich früh auf unserem Bett im Wohnmobil saß und gar nicht wusste, was ich tun sollte. Er ist dann schon am nächsten Tag gestorben, das war ein wenig tröstlich, dass ich es auch mit dem Flugzeug nicht geschafft hätte. Aber die ersten Tage war ich völlig geschockt, ich glaube ich bin es immer noch.

    Ich dachte ich hätte vorher schon viel Abschied genommen, aber dieses „für immer weg“ ist nochmal etwas ganz anderes. Ich hoffe es löst sich in den nächsten Tagen noch ein wenig, im Augenblick weiß ich gar nicht so richtig, wohin mit mir. Während wir aus Irland zurückfuhren, war ich traurig, aber es ging noch. Je näher ich jetzt an zu Hause komme, desto schlimmer wird es. Am Dienstag ist die Beerdigung und ich frage mich noch immer, wie das gehen soll mit dem „Abschied für immer“. Eine Freundin, deren Eltern noch sehr fit sind, hat mich gestern gefragt, ob es denn nicht eine Erleichterung sei, wenn jemand stirbt, der am Ende so leiden musste. Und ja, als ich mir jetzt die Fotos für die Beerdigung anschaute, da merkte ich, wie sehr er sich verändert hatte, wie fröhlich und voller Leben er früher war. Ich bin froh, dass er jetzt loslassen konnte, es ist ihm schwer genug gefallen. Aber ich bin trotzdem unendlich traurig, dass er gar nicht mehr da ist, kein Stück von ihm. Ich hätte nicht gedacht, dass dieses letzte Stückchen körperliche Anwesendheit so entscheidend ist. Aber vermutlich schon, denn bis zum Tod teilt jemand dieses Leben mit uns, in welcher Form auch immer. Wir wissen wo er ist. Und danach verschwindet er, vielleicht ist er noch irgendwo, vielleicht auch nicht, ich habe keine feste Vorstellung davon. Sicher ist nur, in diesem Leben ist er nicht mehr und es ist merkwürdig, von einer geliebten Person, die man ein Leben lang nah gehalten hat, nicht zu wissen, wo sie ist, ob es ihr gut geht. Ein bisschen wie ins Leere greifen. Da war bisher immer etwas, was ich noch tun konnte: freundlich lächeln, eine Hand halten, etwas erzählen, da sein, Kuchen mitbringen, ein Buch vorlesen. Und plötzlich ist das nichts mehr, da ist nur noch Leere. Und da ist dieser Wunsch sicher zu stellen, dass es ihm gut geht, sich zu vergewissern. Aber es gibt keine Gewissheit. Das ist sehr unheimlich. Es ist als müsste ich einen Teil von mir abtrennen, der Teil, der bisher dazu da war an ihn zu denken, auf ihn zu achten, Dinge mit ihm zu teilen. Dieser Teil hat jetzt gar nichts mehr zu tun. Es ist ein bisschen wie ein Phantomschmerz, ich versuche immer Kontakt aufzunehmen, aber da ist gar nichts mehr.

    Phu…Schreiben hilft mir immer. Danke, dass ich das hier tun darf. Dass, was ich oben geschrieben habe, hätte ich sonst gar nicht in Worte fassen können. Es tut mir leid, dass es so merkwürdig klingt.


    Ganz liebe Grüße

    Cildie


    PS: Sverja, vielen Dank für deine spannende Antwort auf meine letzte Nachricht. Ich brauche noch ein wenig, aber ich antworte noch darauf. Ich fand sie sehr schön. Ich hoffe du konntest deinen Freund ein wenig mehr verabschieden - 40 Jahre, das ist fast mein ganzes Leben:-). Fühl dich umarmt.

    Hallo ihr Lieben,


    mal wieder ist eine lange Zeit vergangen, seit ich das letzte Mal geschrieben habe. Eigentlich ganz gut, es waren mal andere Themen wichtig. Trotzdem tut es mir leid Sverja, dass ich auf deine nette Nachricht nicht geantwortet habe. Ich habe sie gelesen und es hat mir wirklich geholfen. Mittlerweile kann ich zu meinem Vater fahren und es kostet ein bisschen weniger Kraft. Das ist schön.


    Wie geht es dir? Der Tod deines Freundes ist noch nicht lange her. Und ich hoffe, ihr seid in Schweden nicht so von der Hitze betroffen, wie wir hier. Über den Amoklauf in Amerika haben wir wenig mit den Schüler*innen gesprochen. Wenn (wie in Winnenden) ein Amoklauf in Deutschland passiert, ist das aber sofort Thema. Es ist dann einfach vorstellbarer, dass es auch hier passiert (leider). Trotzdem machen wir uns natürlich alle Gedanken um die USA und ich vermute kaum ein*e Kolleg*in könnte sich vorstellen, dort zu unterrichten.


    Sonst stelle ich grade überrascht fest, wie sehr mich die letzten zwei Jahre verändert haben. Nicht nur weil Menschen, die ich mochte nicht mehr oder nur noch zum Teil da sind, auch weil diese Abschiede mich gezwungen haben, mich anders mit meinem Leben auseinander zu setzen. Früher hatte ich immer diese Grundsicherheit in mir: meine Eltern sind da, ganz viele Verwandte leben über Deutschland verteilt, meine Freunde sind da und werden immer da sein. Und in den letzten zwei Jahren habe ich verstehen müssen, dass das natürlich nicht immer so sein wird. Gewusst habe ich das vorher schon, aber es ist (das wisst ihr sicher alle) ein riesiger Unterschied, ob es etwas theoretisch weiß oder sich wirklich damit auseinander setzen muss.


    Grade bin ich mit meiner Klasse auf Klassenfahrt in einer Stadt, aus der meine Cousine kommt. Wir haben uns mit 14 kennengelernt (ich bin aus Ost- sie aus Westdeutschland, davor hatten wir uns nicht getroffen) und sind seitdem befreundet. Bis zum Abitur habe ich dann fast die Hälfte meiner Ferien hier verbracht. Danach ist sie zum Studieren weggezogen, in eine andere Stadt. Es ist komisch wieder hier zu sein. Die Stadt war so lange Teil meines Lebens und auf meiner inneren Landkarte hat sie einen ganz festen Platz. Hier wohnen mein Onkel und meine Tante und irgendwie dachte ich - das wird immer so sein. Aber jetzt merke ich (ich besuche sie heute Abend), dass ich Angst habe, das letzte Mal in diesem Haus zu sein, in dem ich so viel Zeit in meiner Jugend verbracht habe. Vielleicht sehe ich sie das letzte Mal, vielleicht bin ich das letzte Mal dort?

    Es ist merkwürdig, aber während die ältere Generation in meiner Famlie älter wird und stirbt, muss ich mich nicht nur von ihr verabschieden. Es beendet auch eine Zeit in der ich immer das Gefühl hatte, ich bin in der Mitte, mit Menschen über mir und Menschen, die nach mir kommen. Langsam lichtet sich das „über mir“ nämlich gewaltig und da ist viel Leere. Damit muss ich erstmal klar kommen. Ich vermisse es sehr. So viele Menschen zu haben, die einen betreut und beschützt haben, war schön. Und jetzt fühle mich manchmal etwas hilflos, als jemand, um den sich kaum mehr gekümmert wird, sondern der ganze viele Menschen hat, um die er sich kümmern muss. Und ganz viele, von denen er sich verabschieden muss. Es ist eine merkwürdige Zeit und ich hoffe, dass es jetzt nicht immer so weiter geht, dass die Elterngeneration stirbt und dann gleich die Freunde anfangen. Aber vielleicht wird man ja auch etwas geübter im Abschiednehmen.


    Kommt alle gut durch die Hitze.

    Cildie

    Liebe Sverja und alle,


    ganz lieben Dank für deine Zeilen. Es hilft wirklich sehr hier zu schreiben und verstanden zu werden. Auch gut zu wissen, dass wir nicht die einzigen sind, bei denen es nicht ganz so gut klappt mit der Vorbereitung auf diese Zeit:-).

    Ja, ich glaube ich muss öfter hinfahren, um auch nicht immer so schockiert zu sein, wenn ich ihn sehe. Es fällt mir noch immer schwer, aber ich versuche auch die Schuldgefühle gehen zu lassen, das hilft ja weder mir noch meinen Eltern besonders viel. Es ist merkwürdig, wie viel bei so einem Abschied nochmal hochkommt. Eigentlich ist es auch gut, nur eben nicht so einfach.

    Ich war ganz überrascht, dass du gemeint hast, ich solle mir aufschreiben, wie ich Beerdigung und Abschiedsfeier haben möchte. Mein erster Impuls war, dass mir das ganz falsch vorkommt, so als würde ich mir seinen Tod wünschen. Aber sicher hast du Recht und im Kopf beschäftige ich mich schon eine Weile immer wieder damit. Vielleicht ist es gut, das aufzuschreiben.


    Vielen lieben Dank und dir eine ganz gut Zeit, du vermisst deinen Freund sicher sehr.

    Deine Cilde

    Hall ihr Lieben,


    ich hoffe es geht euch einigermaßen gut, vor alle, dir Sverja - ich habe gelesen, dass dein Freund gestorben ist. Das tut mir sehr leid. Auch wenn es schön war zu lesen, dass du bis zum Ende noch irgendwie bei ihm sein konntest.

    Mir geht es ganz gut. Zu meiner großen Überraschung hat mich Corona doch noch erwischt - ich dachte schon ich sei immun, aber zum Glück hatte ich einen sehr milden Verlauf. Trotzdem war ich die letzten zwei Wochen damit ganz schön beschäftigt, davor war viel in der Schule los und irgendwie habe ich mir gar keine Gedanken mehr um meinen Vater gemacht. Er ist irgendwie schon so weit weg. Und jetzt, nachdem ich wieder halbwegs fit bin, habe ich mir vorgenommen, nächste Woche nach Hause zu fahren und schon ist sie wieder da. Die Trauer, das schlechte Gewissen, meinen Vater doch so viel sich selbst zu überlassen und die Angst. Diesmal kam noch ein wenig Wut auf ihn dazu, dass er uns mit der ganzen Sache so allein gelassen hat. Er hat ja gern geplant, nur sein Ende, die absehbar kommende Zeit, wenn er nicht mehr für sich selbst sorgen kann, die hat er ausgelassen. Wenn ich ihn danach gefragt habe (Parkinson ist ja keine Erkrankung deren Verlauf ein Geheimnis wäre), dann meinte er, dann wolle er sterben. Ja, leider geht das ja im Augenblick noch nicht auf Bestellung. Und so weiß ich kaum, wie ich für ihn da sein soll. Die Besuche alle zwei Monate lassen mich immer wieder geschockt zurück und die Zeit ist zu knapp, um eine neue Nähe herzustellen, denn so wie früher ist er ja nicht mehr. Telefonieren kann er nicht und eine Weile habe ich ihm jede Woche eine Postkarte geschrieben, aber er versteht sie nicht mehr. Und so habe ich jedes Mal, wenn ich hinfahre, das Gefühl ihn im Stich zu lassen, denn die einzige Art, auf die ich noch für ihn da sein könnte, wäre physisch anwesend zu sein, ihm die Hand zu halten, ihn spazieren zu fahren, ihm vorzulesen. All das geht nicht und da er nie darüber gesprochen hat, weiß ich nicht, wie ich für ihn da sein kann, was er sich wünschen würde. Er hat immer klar gemacht, dass es meine Verantwortung sein wird, am Ende die Entscheidungen zu treffen. Aber ich weiß gar nicht mehr welche Entscheidungen, er wollte ja nichts von dieser Zeit wissen. Auch nicht von der Zeit danach. Als ich ihn einmal gefragt habe, wie er beerdigt werden möchte, meine er, es sei ihm egal, wo seine sterblichen Überreste landen würden.

    Und so fällt mir das alles sehr schwer. Hinzufahren, ihn so zu sehen, ihn an diesem Ort zu sehen, an den er nie wollte und nicht zu wissen, wie ich ihn noch etwas Gutes tun kann oder zu wissen, wie ich für ihn da sein kann. Wenn ich hier bin, 400km weit weg, dann ist es, als gäbe es ihn schon nicht mehr. So schlimm das auch klingt. Aber dann fahre ich hin und er ist noch immer da, irgendwie, aber in keiner Weise mehr, die ich kenne. Ich wünschte ich würde da einen Zugang finden.


    Liebe Grüße an euch

    Cildie

    Liebe Sandra,


    es tut mir schrecklich leid zu lesen, dass dein Papa so plötzlich gestorben ist. Ich kann viele Teile deines Berichtes sehr gut nachvollziehen. Vor allem, dass es dich so zerreißt zwischen deiner Mutter, deinen Kindern und wahrscheinlich auch noch der Arbeit. Es hört sich ein wenig an als versuchtest du die Lücke zu füllen, die dein Vater hinterlassen hat. Und das klingt sehr anstrengend. Und dabei kostet Trauer sowieso schon so viel Kraft.

    Mein Vater ist noch nicht gestorben, aber er ist mittlerweile so schwer dement, dass er irgendwie gar nicht mehr da ist. Als er immer mehr in seine eigene Welt abrutschte, war für mich auch das schwerste, dass ich einen Fixpunkt verloren habe, der immer da war, wie eine Hand im Rücken, gegen die ich mich lehnen konnte. Ich fand es ganz schön schwer selbst zu stehen:-(. Wenn das so plötzlich und unerwartet passiert, muss es noch viel schlimmer sein, zumal es so klingt, als wäre dein Vater ein ganz wichtiger Teil eures täglichen Lebens gewesen. Er klingt übrigens toll. Es ist immer total schwer in so einer Situation etwas zu raten, aber vielleicht nur: Nimm es ernst, dass du dich grade so zerrissen und erschöpft fühlst. Du versuchst in einer schweren Trauerphase noch für andere da zu sein, das ist wahnsinnig anstrengend. Vielleicht schaffst du es, dir Zeit für dich zu nehmen. Ich weiß, das klingt manchmal wie eine Phrase, aber jeder braucht Zeit zum Trauern, das ist ein ganz schön heftiges Gefühl.


    Ganz liebe Grüße

    Cildie

    Liebe Pia, liebe Sonnenschein und liebe Sverja,


    ganz lieben Dank für eure Antworten und entschuldigt, dass ich immer so langsam mit dem Antworten bin. Pia, ich konnte deine Zeilen richtig nachfühlen. Immer wenn ich zu Hause bin, schaue ich aus dem Küchenfenster und erwarte dass mein Vater und mein Onkel im Garten sind. Es ist komisch, dass sie das nie mehr sind, sie gehören irgendwie dahin. Und Sonnenschein, es tat mir leid zu lesen, dass der Garten dich auch traurig macht, aber ich kann es verstehen. Es ist so merkwürdig, wenn etwas noch da ist, aber der Mensch, dem es so viel bedeutet hat nicht. Ich verstehe dich aber auch, dass du es nicht aufgeben möchtest. Ich weiß gar nicht, warum ich grade so viel im Garten bin - ich glaube es fühlt sich an wie eine Verbindung, vielleicht ist es bei dir auch so.

    Sverja, es war schön wieder von dir zu hören. Wie geht es deinem Seelenfreund? Es hört sich ja leider nicht so an, als würde es ihm so gut gehen wie erhofft. Umso mehr habe ich mich über deine Zeilen gefreut. Danke für den Tipp mit den Tomaten, da wüsste ich ja schon mal, was dieses Jahr schief gegangen ist:-). Ich hoffe mal, die Pflänzchen überleben es. Wenn nicht, bin ich nächstes Jahr klüger. Es ist spannend, dass du auch Pflanzen mit bestimmten Personen verbindest, das ist bei mir auch so:-). Was meinst du mit "der Garten ist in den ersten zwei Jahren mit Trauer besetzt?" - dass er uns dann zu sehr an die verschwundenen Personen erinnert? Das kann ich mir vorstellen. Ich bin sehr gern dort, aber ich werde dort auch immer traurig. Insgesamt finde ich das gut. Ich bin oft so darauf trainiert im Alltag zu funktionieren, dass ich die Trauer manchmal gar nicht zulasse. Sie kommt dann trotzdem, aber als schlechte Laune oder Kopfschmerzen. Im Garten komme ich zur Ruhe und dann kommt auch die Trauer. Ich hoffe aber, dass irgendwann auch die Freude überwiegt...wie bei dir in deinem schwedischen Garten.


    Liebe Grüße und gute Gedanken an euch alle

    Cildie

    Hallo ihr alle,


    ich hoffe es geht euch einigermaßen gut, besonders dir Sverja und deinem Freund. Mich erwischen die Trauerwellen grade nicht mehr so regelmäßig, aber wenn, dann doch recht heftig. Manchmal bin ich dann, wie jetzt grade, einfach völlig unfähig etwas zu tun, weil ich so traurig bin. Die komischsten Sachen lösen das aus.

    Meine Eltern haben einen großen Garten an ihrem Haus. Mein Vater und mein Onkel haben ihn halbprofessionell bewirtschaftet und in manchen Dingen waren wir Selbstversorger: Äpfel, Apfelsaft, Kartoffeln, Tomaten (in Form von Tomatensauce), Bohnen, Saure Gurken, Marmelade und Beeren in allen heimischen Formen reichten immer fürs ganze Jahr. Im Frühjahr und Sommer war es manchmal ein wenig viel (niemand kann täglich Gurkensalat, Kopfsalat und 10 Tomaten pro Kopf essen), aber eigentlich war es toll, was ich als Kind natürlich null zu schätzen wusste. In den letzten Jahren ist es durch die Krankheiten von meinem Vater und Onkel immer weniger geworden. Aber Tomaten gab es bis ganz zum Schluss. Letztes Jahr hat sie mein Vater noch angesäät, aber um sie auszupflanzen, ging es ihm dann zu schlecht. Das habe ich zum ersten Mal gemacht, während meine Tante die von meinem Onkel setzte. Dieses Jahr gibt es keine Tomaten mehr. Mein Onkel ist tot und mein Vater im Pflegeheim. Als ich das letzte Mal zu Hause war habe ich deshalb ein Samentütchen mitgenommen. Sieben Pflanzen sind tatsächlich gekommen und grade habe ich sie hier in den Garten gepflanzt. Sie sehen nicht so robust aus, wie die, die mein Vater und mein Onkel gezüchtet haben. Irgendwie sind sie ein wenig hellgrün. Mein Vater wüsste genau, was sie jetzt bräuchten, aber ich hoffe einfach mal, dass sie auch so überleben (mit Ertrag rechne ich jetzt mal noch nicht:-)). Aber irgendwie hat mich so traurig gemacht. Ich hätte es schön gefunden, wenn er mir gezeigt hätte, was ich mit den Tomaten machen soll. Aber als ich jünger war, habe ich mich überhaupt nicht für Gartenarbeit interessiert (das lag sicher nicht daran, dass uns Kindern immer des Unkrautjäten zugewiesen wurde) und in den letzten Jahren, in denen ich es gern mache, geht es meinem Vater nicht mehr gut. Es ist als wäre da etwas abgerissen, was zusammengehören sollte. Mit meinem Vater und meinem Onkel ist so viel Wissen verschwunden. Und ich kann ihn auch nicht mehr fragen, er lebt mittlerweile gar nicht mehr in der gleichen Welt wie wir.

    Neulich war ich auf einer Lesung und der Autor sprach von "uneindeutigen Verlusten", also von Dingen, die verloren gehen, aber eigentlich noch da sind. Der Verlust meines Vaters fühlt sich grade so an. Er ist noch da, aber in keiner Art und Weise mehr, die ihn als Menschen ausgemacht hat. Das ist furchtbar verwirrend und gleichzeitig eben auch total traurig.


    Ich glaube mein Text heute war auch recht verwirrend.

    Danke fürs Lesen

    Cildie

    Liebe Lisajordanx,


    es tut mir so leid zu lesen, was mit deinem Papa passiert ist. Ich verstehe deine Schuldgefühle, wir hatten sie letzten Jahr auch als meine Schwiegermutter starb und auch niemand den Rettungsdienst rief, bis es zu spät war. Ich glaube das, was Hedi sagt stimmt, Schuldgefühle gehören oft zur Trauer. Vielleicht, weil das, was passiert ist so unumkehrbar ist. Letztlich wusste aber nur dein Vater selbst, wie es ihm geht - er wäre dir sicher nicht böse.


    Viele liebe Grüße

    Cildie

    Liebe Sverja, lieb, dass du sogar jetzt noch an uns denkst. Ich hoffe dein Freund, deine Tochter und du kommt so gut wie möglich durch die nächste Zeit.


    Liebe Grüße

    Cildie