Liebe Sverja und alle,
mein Vater ist letzte Woche gestorben. Es fällt mir schwer zu schreiben „völlig überraschend“, denn er war ja nun wirklich nicht mehr gesund, aber doch überraschend genug, als dass ich mit meiner Familie in Irland war, als die Nachricht kam. Dass er sich nach 15 Jahren Krankheit und fast fünf Jahren Pflegezeit den Moment aussucht, an dem ich maximal weit weg bin, macht mich noch immer etwas sprachlos. Er hatte nochmal Corona, aber nachdem er sich von seiner Infektion im Februar problemlos erholt hatte, machte sich niemand von uns Sorgen, dass er es diesmal nicht gut wegstecken würde. Doch nach drei Tagen Krankheit war er zwar wieder negativ, aber furchtbar schwach. Dann wurde er noch schwächer und hörte auf zu Essen und zu Trinken. Weil er dann auch seine Medikamente nicht mehr nehmen konnte, zitterte er ganz fürchterlich und das war der Moment, in dem Pflegeheim dann anrief und meinte, es würde nicht mehr lange dauern.
Ich weiß noch, wie ich früh auf unserem Bett im Wohnmobil saß und gar nicht wusste, was ich tun sollte. Er ist dann schon am nächsten Tag gestorben, das war ein wenig tröstlich, dass ich es auch mit dem Flugzeug nicht geschafft hätte. Aber die ersten Tage war ich völlig geschockt, ich glaube ich bin es immer noch.
Ich dachte ich hätte vorher schon viel Abschied genommen, aber dieses „für immer weg“ ist nochmal etwas ganz anderes. Ich hoffe es löst sich in den nächsten Tagen noch ein wenig, im Augenblick weiß ich gar nicht so richtig, wohin mit mir. Während wir aus Irland zurückfuhren, war ich traurig, aber es ging noch. Je näher ich jetzt an zu Hause komme, desto schlimmer wird es. Am Dienstag ist die Beerdigung und ich frage mich noch immer, wie das gehen soll mit dem „Abschied für immer“. Eine Freundin, deren Eltern noch sehr fit sind, hat mich gestern gefragt, ob es denn nicht eine Erleichterung sei, wenn jemand stirbt, der am Ende so leiden musste. Und ja, als ich mir jetzt die Fotos für die Beerdigung anschaute, da merkte ich, wie sehr er sich verändert hatte, wie fröhlich und voller Leben er früher war. Ich bin froh, dass er jetzt loslassen konnte, es ist ihm schwer genug gefallen. Aber ich bin trotzdem unendlich traurig, dass er gar nicht mehr da ist, kein Stück von ihm. Ich hätte nicht gedacht, dass dieses letzte Stückchen körperliche Anwesendheit so entscheidend ist. Aber vermutlich schon, denn bis zum Tod teilt jemand dieses Leben mit uns, in welcher Form auch immer. Wir wissen wo er ist. Und danach verschwindet er, vielleicht ist er noch irgendwo, vielleicht auch nicht, ich habe keine feste Vorstellung davon. Sicher ist nur, in diesem Leben ist er nicht mehr und es ist merkwürdig, von einer geliebten Person, die man ein Leben lang nah gehalten hat, nicht zu wissen, wo sie ist, ob es ihr gut geht. Ein bisschen wie ins Leere greifen. Da war bisher immer etwas, was ich noch tun konnte: freundlich lächeln, eine Hand halten, etwas erzählen, da sein, Kuchen mitbringen, ein Buch vorlesen. Und plötzlich ist das nichts mehr, da ist nur noch Leere. Und da ist dieser Wunsch sicher zu stellen, dass es ihm gut geht, sich zu vergewissern. Aber es gibt keine Gewissheit. Das ist sehr unheimlich. Es ist als müsste ich einen Teil von mir abtrennen, der Teil, der bisher dazu da war an ihn zu denken, auf ihn zu achten, Dinge mit ihm zu teilen. Dieser Teil hat jetzt gar nichts mehr zu tun. Es ist ein bisschen wie ein Phantomschmerz, ich versuche immer Kontakt aufzunehmen, aber da ist gar nichts mehr.
Phu…Schreiben hilft mir immer. Danke, dass ich das hier tun darf. Dass, was ich oben geschrieben habe, hätte ich sonst gar nicht in Worte fassen können. Es tut mir leid, dass es so merkwürdig klingt.
Ganz liebe Grüße
Cildie
PS: Sverja, vielen Dank für deine spannende Antwort auf meine letzte Nachricht. Ich brauche noch ein wenig, aber ich antworte noch darauf. Ich fand sie sehr schön. Ich hoffe du konntest deinen Freund ein wenig mehr verabschieden - 40 Jahre, das ist fast mein ganzes Leben:-). Fühl dich umarmt.