Beiträge von Cildie

    Liebe Sverja und alle,


    Sverja, es war wirklich spannend die Zeilen zu deiner Familiengeschichte zu lesen. Danke! Du hast Recht, wann immer ich Geburtsjahre zwischen 1890 und 1925 lese, denke ich "Oh Gott". Das muss einfach eine schreckliche Zeit gewesen sein. Weltkrieg, Hunger, politisches Chaos, Pandemie, Inflation, Diktatur und dann noch ein Krieg. Ich kann mir vorstellen, dass deine Eltern sich als "betrogene Generation" empfunden haben. Wenn ich an mein Aufwachsen denke - mit ein paar Wellen zwischendurch - eigentlich 40 Jahre Frieden, gedeckte Tische und Fürsorge von allen Seiten. Ich glaube das einzige, was uns wirklich belastet (neben Trauer, Tod und allem was das Leben so mit sich bringt), ist das Gefühl, ungewollt Mitschuld zu tragen, an vielen elenden Dingen auf der Welt. Ich wünsche mir, dass das irgendwann mal besser ist. Dass ich keine Bilder von verhungernden Kindern mehr sehen muss und überlegen muss, dass meine Tochter heute wieder ihr Frühstücksbrot aus der Schule zurückgebracht hat, weil sie eigentlich immer satt ist und dann nur den Belag isst. Und wie unfair es ist, dass es ihr so gut geht und anderen Kindern so mies. Vielleicht wird das irgendwann - deine Eltern scheinen ja auch schon diese Vision von einer friedlichen Welt gehabt zu haben, das ist schön!

    Ich hoffe es wird irgendwann mit der friedlichen Welt. Im Augenblick gibt es so viele Dinge, die mir neben der ganzen Verzweiflung Hoffnung machen. Im Zweiten Weltkrieg hatte man noch verloren, wenn man zufällig als Deutscher in England oder als Russe in Deutschland lebte. Die meisten machten keinen Unterschied: Feind ist Feind. Heute berichten nur ganz wenige russische Schüler von mir von Anfeindungen. Solange sie ihre Putin-Shirts auslassen, wird akzeptiert, dass der Krieg, den ihr Land führt und ihre Meinung zwei unterschiedliche Dinge sind. Oft sind sie ja genauso unglücklich über die Entwicklungen wie wir. Daran hoffe ich Fortschritt zu sehen und halte mich ein Stück daran fest.

    Wenn mein Vater noch verstünde was passiert - ich glaube es würde ihm große Angst machen. Der Zweite Weltkrieg war eine Katastrophe für seine Familie, in der sie viel verloren. Meine Großmutter hat sich davon wohl nicht mehr erholt. Vielleicht hätte er Angst, dass es wieder beginnt? Ich kann es nicht sagen, aber ich hoffe, dass wir uns ein wenig weiterentwickelt haben. Mal schauen.


    Liebe Grüße

    Cildie

    Ich muss auch mittlerweile meine Mama trösten und beruhigen, weil sie angesichts der Weltlage regelrechte depressive Tage hat, so kenne ich sie nicht und ich fühle mich gerade selbst überfordert und aufgewühlt angesichts Corona und Krieg und noch dazu alltäglichen Anforderungen und Sorgen.

    Liebe Pia,


    es tut mir leid, dass du zu all deinen anderen Sorgen auch deine Mama noch trösten musst. Ich weiß nicht, welcher Jahrgang sie ist, aber meine Tante, die während Corona immer sehr entspannt geblieben ist, hat der Krieg sehr nervös gemacht. Sie erinnert sich plötzlich wieder an Bombennächte im Keller. Ich hoffe ihr kommt irgendwann zu einem Ort, an dem ihr nicht mehr so aufgewühlt seid. Es ist grade echt viel, vor allem, wenn man noch traurig ist, was ja auch viel Kraft braucht.


    Liebe Grüße

    Cildie

    Liebe Sverja, liebe Pia und liebe Sonnenschein7,


    ganz lieben Dank für eure Antworten. Ich finde es, in all dem Schlimmen grade, so schön, dass ich hier sein darf, weil ich hier ein wenig traurig sein darf und niemand sagt: „Denk doch einfach mal an etwas anderes.“ Statt dessen denke ich oft, wie schön es wäre, wenn die Welt schon so weit wäre, dass wir auch einfach mal traurig sein könnten und nicht immer erwartet würde, dass wir das im Privaten ausmachen. Eure Antworten haben mich sehr berührt. Danke. Ich finde es schön zu wissen, dass ihr auch eure Liebsten und das Gespräch mit ihnen vermisst. Und du hast Recht Sverja - hier zu schreiben, hilft einen kleinen Schutzmantel zu haben - man fühlt sich nicht mehr so einsam:-).

    Ich glaube nämlich das ist es, was mir am meisten zu schaffen macht. Ich fühle mich so einsam und komme mir gleichzeitig komisch vor, denn ich habe einen netten Mann, zwei tolle Kinder und gute Freunde. Aber trotz Allem war meine Familie wohl doch das Zentrum meines Lebens und ich habe in den letzten Jahren viel Zeit damit verbracht sie festzuhalten, obwohl sie eigentlich schon wegglitt. Heute denke ich…was für eine Kraft- und Zeitverschwendung, zu hoffen, dass etwas so bleibt wie es ist, nur weil man nicht sehen will, dass es endet. Aber ich habe die Zeit wohl gebraucht, um hierher zu kommen. Und jetzt puzzle ich mir langsam ein neues Bild von mir selbst zusammen. Das ist gar nicht so leicht, aber ich hoffe, dass es vielleicht doch gut gelingt und ich etwas weniger ängstlich bin.


    Liebe Grüße

    Cildie

    Liebe Sverja und alle,


    schön von dir zu hören, Sverja und vor allem schön, dass du auf dem Weg der Besserung bist! Ich freue mich immer von dir zu hören:-).

    Ich finde die Zeiten grade auch überhaupt nicht entspannt und irgendwie lassen die Weltereignisse mich meinen Vater und meinen Onkel mehr vermissen. Es ist so merkwürdig, dass die Menschen, dir mir ein Leben lang meine Welt erklärt haben, plötzlich nicht mehr an ihr teilhaben. Und noch merkwürdiger ist es, dass die Welt gar nicht so richtig merkt, dass sie fehlen. Ich habe früher oft gelesen, dass jemand nach dem Verlust eines geliebten Menschen fassungslos war, dass die Welt einfacher weiter machte - jetzt kann ich das ein wenig verstehen.

    Mein Vater war das, was man wahrscheinlich meinungstark nennen würde. Das heißt, er hatte zu den meisten Dingen eine Meinung oder war zumindest interessiert daran. Wenn er sich ganz sicher war etwas zu wissen, konnte er auch sehr nachdrücklich werden. Ich fand immer, dass die Geschichte, wie er beim Mittagessen mit Arbeitskollegen den Finger so nachdrücklich auf den Tisch hauen wollte, dass er sich einen langen Holzsplitter unter den Fingernagel zog, das schön illustrierte:-). Aber er war niemand mit unbegründeten Meinungen. Wir haben uns furchtbar gestritten, in meiner Teenagerzeit. Und was ich am schlimmsten fand war, dass ich seine Ansichten nicht einfach blöd finden konnte. Sie waren zu gut begründet. Meine (da ich 15 war), eher nicht. Er hat mich gelehrt, keine Angst vor Diskussionen zu haben, andere Meinungen zu prüfen und aber auch anzuerkennen, wenn sich jemand anderes einfach viel besser auskennt. Und er hat immer eigenständig nachgedacht. Es war immer interessant sich mit ihm zu unterhalten. Obwohl er viel konservativer war als ich, konnte ich seine Ansichten oft nachvollziehen. Er war Naturwissenschaftler, aber so breit interessiert, dass ich erst am Ende meines Geschichtsstudiums wirklich mehr über Geschichte wusste als er.

    Heute vermisse ich seinen Input so sehr. Ich habe nicht in Allem mit ihm übereingestimmt, aber er war mein Radar. Jemand, der immer interessante, eigenständige Betrachtungen einfließen ließ und an dem ich überprüfen konnte, ob meine eigene Sicht etwas taugte. Wenn er sie in fünf Minuten zerlegt hatte, musste ich wohl besser nochmal nachdenken. Ich würde mir wünschen, dass er heute etwas zum Russland-Ukraine-Konflikt sagen könnte. Wie würde er das bewerten? Was würde es in ihm wachrütteln? Würde er denken, dass es von Dauer ist oder ein letztes Aufflammen eines autoritären Regimes?

    An manchen Tagen fühlt es sich so an, als seien die letzten zwei Jahre eine Zäsur gewesen. Einige meiner Kollegen meinen es werde nie wieder "so wie früher". Vielleicht ist das so. Für mich wird das durch das Gefühl, dass meine Eltern kaum noch zu dieser Welt gehören, verstärkt. Als würde sich die Welt in eine teilen, die ich mit meinen Eltern zusammen erlebt habe und in die, in der wir grade leben. Bisher, muss ich sagen, reißt mich das hier nicht zu Begeisterungsstürmen hin.

    Vielleicht fühlt man sich so allein, wenn die Eltern sterben. Aber ist trotzdem schrecklich traurig. Ich würde so gern mit meinem Vater reden. Das haben wir immer getan. Aber wenn ich ihn besuche, sitzt er mir gegenüber. Seine Augen gleiten über mich hinweg, schauen mit manchmal ängstlich an. Dann ist er wieder verwirrt und ich merke, wie ihm das viele, das er nicht mehr versteht, Angst macht. Dann versuche ich ihn zu trösten und denke, dass ich grade so viele Menschen tröste. Meine Kinder, wenn sie sich weh getan haben, meinen Mann, der um seine Mutter trauert, meine eigene Mutter, die noch immer Schuldgefühle hat, weil mein Vater im Heim ist und meinen Vater. Nur die, die mich immer getröstet haben und mir Sicherheit gegeben haben, sind weg.

    Sverja, du hast irgenwann mal von einem Schutzmantel geschrieben, den man sich nach und nach strickt. Ich glaub meiner ist noch etwas löchrig:-). Und hätte mir vor ein paar Jahren jemand erzählt, wie schmerzhaft das Leben sein kann, ich hätte es kaum geglaubt.


    Ich wünsche euch allen einen guten Abend!

    Liebe Grüße

    Cildie

    Danke lieber Sverja, und die lieben Gedanken zurück an dich. Ich habe gelesen, dass du hingefallen bist und dich verletzt hast. Ich hoffe es ist besser. Liebe Grüße!

    Liebe Sverja, danke für den Tipp und dir und Kikiro für die Initiative. Schön, dass es so einen Ort gibt. Ich lese gleich mal:-).


    Liebe Grüße

    Cildie

    Hallo ihr alle,


    wie geht es euch? Ich muss mal wieder schreiben, weil es grade nicht so einfach ist. Die Trauer, die schon manchmal leichter geworden war, senkt sich grade bleischwer auf mich. Ich versuche es zuzulassen, aber es ist nicht schön, fast immer niedergeschlagen zu sein, sicher kennt ihr das auch. Ich kann gar nicht sagen, woran es liegt. Vielleicht auch an der frustrierenden weltpolitischen Lage. Da hat man sich jahrelange gewünscht, dass die Pandemie endlich vorbei ist und dann kommt die nächste Krise - noch viel erschreckender. Ich bin viel zu jung, um irgendeinen Krieg mitbekommen zu haben (was für ein Geschenk), aber ich bin Geschichtslehrerin und habe mein ganzes Lehrerinnenleben gegen Krieg und diese Art von Konfliktlösung unterrichtet. Und jetzt ist es so nah. Ich schaue noch immer voller Erstaunen auf die die Menschen, die mitten in Europa vertrieben werden und kann nicht glauben, dass so etwas möglich ist. Was für ein Wahnsinn. Und was für ein Leid. Wenn ich mir überlege, wie schwer es mir fällt, meine Eltern gehen zu lassen - wie schlimm ist es dann jemanden zu verlieren, bei dem man vielleicht nicht das Gefühl hatte, das Leben war gelebt? Ganz oft versuche ich es zu verdrängen, weil es mich so belastet und ich mich gleichzeitig ohnmächtig fühle. Aber ich glaube es ist immer da.

    Vielleicht trägt man ja auch immer ein Stück mit, an den traurigen Dinge, die in der Welt passieren. Ich finde es immer wieder faszinierend, Studien über Glück zu lesen. Die glücklichsten Menschen leben immer in Ländern, in denen sehr geringe Unterschiede im Lebensstandard herrschen. Unglücklich sind dagegen auch reiche Menschen, in Ländern, in denen es vielen schlecht geht. Vielleicht steckt ja doch auch in Oligarchen, die sich 160m lange Yachts bauen lassen Empathie und das Gefühl, es sei nicht richtig so. Wenn ja, würde es ein wenig Hoffnung machen, in dieser echt doofen Lage.


    Viele liebe Grüße

    Cildie

    Hallo Charlotte,


    es tut mir so sehr leid, dass deine Mama gestorben ist und ich kann mir vorstellen, was für eine absolut furchtbare Zeit ihr als Familie grade durchmacht. Du klingst sehr verzweifelt. Ich finde es total super, dass du hier schreibst, aber wenn du Suzidgedanken hast - such dir ganz dringend auch noch woanders Hilfe, oft kommt man da alleine total schwer wieder raus. Und wie Linchen geschrieben hat...auch wenn es sich grade nicht so anfühlt, dein Weg hält garantiert noch wunderschöne Momente bereit (und sicher auch den ein oder anderen Mist), aber eben auch noch tolle Momente.

    Falls du noch nicht weißt, wo du dich hinwenden kannst krisenchat.de oder die Nummer gegen Kummer sind ganz gut und lieber einmal mehr anrufen als einmal zu wenig.


    Ganz liebe Grüße

    Cildie

    Ihr Lieben,


    danke für eure Worte. Es tut so gut hier zu sein und verstanden zu werden. Von anderen Menschen im meinem Leben versuche ich viel davon fern zu halten. Tod und Krankheit sind nicht grade gute Pausengespräche. Dabei wäre es sicher viel bereichernder, wenn wir mehr darüber reden würden.
    Ich versuche es auch grade positiv zu sehen, dass es mir so schlecht geht. Das heißt ja auch, dass ich in den letzten Jahren besser darin geworden bin Gefühle zuzulassen und nicht einfach nur zu funktionieren, wenn viel los ist. Trotzdem ist es manchmal hart, dass mich Dinge so umhauen. Ich hab mir jetzt ein paar Tage frei genommen (wie immer mit schlechtem Gewissen), aber ich brauche grade etwas Ruhe, um alles in mir zu ordnen.
    Mit meiner Mutter: wir haben lange gehofft, dass die immense Vergesslichkeit nur von der Anstrengung kommt, meinen Vater zu pflegen. Zu Weihnachten war es aber noch immer so, dass sie uns abends fragte, was wir zum Frühstück wollen und dann am nächsten Morgen am Tisch saß und nicht wusste, was sie decken sollte, weil sie sich nicht mehr erinnerte. Das war schon schlimm. Letztes Wochenende aber habe ich ihr innerhalb von zwei Stunden viermal sagen müssen, wann wir meinen Vater abholen. Sie hat es einfach sofort wieder vergessen. Das war wirklich hart. Jetzt müssen wir versuchen, sie zum Arzt zu bekommen - sie will nicht, ich glaub sie will es nicht wissen. Kann ich auch verstehen.
    Du hast Recht Sverja, ich glaube die meisten Mütter (und Väter) versuchen ihre Kinder so gut wie möglich zu begleiten. Meine Mutter hat das in vielen Dingen toll gemacht. Besonders habe ich als Erwachsene geschätzt, dass sie meine Entscheidungen respektiert hat, nicht versucht hat sich einzumischen und ihre Meinung nur gesagt hat, wenn ich sie gefragt habe - das habe ich dann auch gerne gemacht. Wir haben als Erwachsene eine Ebene gefunden auf der ich mich liebevoll über die Dinge an ihr lustig machen durfte, die mich als Kind viele Nerven gekostet haben. Das waren gute Zeiten. Über vieles haben wir aber nie gesprochen und ich vermute, das wird nochmal schwer mit dem Abschied. Zumal die letzten Jahre der Pflege viele Dinge dann doch wieder problematisch waren. Aber ihr habt auch Recht: Es muss nicht so schnell gehen. Vielleicht haben wir Glück und noch etwas Zeit.


    Alles Liebe

    Cildie

    Liebe Sverja, liebe alle,


    ich hoffe euch geht es gut, in diesen heftigen Zeiten. Mir geht es nicht so gut und gleichzeitig kommt dann immer der Gedanke an die Menschen, denen es grade noch viel schlimmer geht. Alles nicht hilfreich.
    Wir waren am Wochenende bei meinen Eltern. Endlich hatte das Heim mal nicht wegen Quarantäne geschlossen und wir konnten meinen Vater zu seinem Geburtstag nach Hause holen. Seitdem fühle ich mich furchtbar erschöpft. Es war schon vorher zu viel - auf Arbeit habe ich ein dickes Aufgabenpaket dazu bekommen und auch wenn ich es eigentlich gern mache - das war zu viel für meine eh schon halb leeren Akkus. Und dann meinen Vater so zu sehen und mit absoluter Sicherheit zu realisieren, dass meine Mutter Demenz hat und, dass es sehr schnell geht. Die Erkenntnis, dass hier noch ein Abschied bevor steht, war fast Zuviel. Mittlerweile beobachte ich alle betagteren Menschen in meinem Umfeld mit Misstrauen - wirst du auch gleich sterben? Muss ich mich jetzt von dir verabschieden? Ich hab langsam das Gefühl nur noch Trauer in mir zu haben. Und von meiner Mutter, das wird ein schwieriger Abschied mit all der Liebe und all den nie ausgesprochenen Komplikationen. Oh Gott, ich hab so keine Kraft mehr dafür. Aber vielleicht ist das auch der Schlüssel. Nicht mehr dagegen ankämpfen, es einfach über sich drüber rollen lassen… Aber es ist wirklich viel.

    Euch alles Liebe, auf dass es euch gut geht.

    Cildie

    Liebe Sverja,


    ich bin froh, dass du geschrieben hast. Dieser Krieg ist der erste, der mein Gefühl “über so etwas sind wir in Europa hinweg” erschüttert hat. Die letzten Tage habe ich damit zugebracht zu verstehen, was da passiert und musste entsetzt feststellen, dass ein Präsident hier in Europa grundlegende, für mich selbstverständliche Überzeugungen nicht teilt. Wie kann das sein? Wie kann man das Selbstbestimmungsrecht der Völker nicht beachten. Das ist für mich so als wurde man das Selbstbestimmungsrecht eines Menschen über seinen Körper nicht beachten.
    Aber du hast auch Recht - jedes Schlimme bringt auch Gutes. Ich bin wie du berührt von der Solidarität und der vielen Hilfe, davon, dass sogar die Schweiz sich überwunden hat Konten einzufrieren, davon wie beeindruckend die Ukrainer sich wehren. Am 25.2. habe ich einen Oberstufenkurs in Geschichte unterrichtet - ein Schüler mit ukrainischen Eltern, bestand darauf, dass die ukrainische Armee sich wehren würde. Ich hatte, ehrlich gesagt, Mitleid mit ihm. Und jetzt haben sie stand gehalten. Ich fürchte, sie werden letztendlich aufgeben müssen, aber sie haben so viel geschafft.

    Ich wünsche uns allen und vor allen den Ukrainern und Russen, dass es bald vorbei geht. Wer hätte gedacht, dass es soweit kommt.


    Liebe Grüße

    Cildie

    Liebe Sverja, liebes Linchen,


    danke, wie immer für eure mitfühlenden Worte. Ich habe grade gemerkt, dass es fast genau einen Monat her ist, dass ich hier geschrieben habe. Irgendwie kommt die Trauer in weiter auseinander liegenden Wellen - was irgendwie auch ganz gut tut. Sverja, danke, dass du gesagt hast, dass im letzten Jahr ja soviel passiert ist, dass ich manchmal kleine Pausen brauche - das stimmt und es ist gut sich das klar zu machen:-).

    Linchen, ich finde es wirklich schön, dass du deine Mama neben dir spürst. Ich weiß nicht, ob das bei meinem Vater auch so sein wird. Jetzt ist da grade ganz viel Leere, die mich sehr traurig macht. Wir fahren nächstes Wochenende, zu seinem Geburtstag hin, aber mit einem unsicheren Gefühl. Das Altersheim ist seit gestern grade wieder aus der letzten Quarantäne - mal schauen, ob es nächstes Wochenende überhaupt auf hat. Das ist etwas anstrengend. Aber selbst wenn es offen sein sollte, werde ich mit einem unguten Gefühl hingehen - meinen Vater dort, so zu sehen, ist nicht schön. Ich hoffe wir können ihn einmal mit nach Hause nehmen - das hatten wir eigentlich Weihnachten vor - aber da ging es ja nicht.

    Sonst ist heute ein trauriger Tag, weil meine Schwiegermutter heute Geburtstag gehabt hätte. Heute früh haben wir uns alle vier ins Auto gesetzt und sind in ihre Heimatstadt zum Friedhof gefahren, nur um dann vor einem "wegen Sturm geschlossen"-Schild zu stehen. Wer hätte gedacht, dass Friedhöfe bei Sturm schließen? Manchmal ist es schwierig mit uns und der älteren Verwandtschaft, die Dinge klappen nicht so, wie wir uns das vorstellen.

    Ich war überrascht von heute. Eigentlich war ich darauf vorbereitet, meinem Mann irgendwie durch den Tag zu helfen, dann musste ich verblüfft feststellen, dass die Kinder ganz schön mitgenommen waren und dann, dass ich auch nochmal viel an sie gedacht habe. Heute hätte sie uns und alle ihre Freundinnen zu sich eingeladen, unglaublich viel gekocht und die ganze Zeit aufgeregt hin und her gerannt. Wenn ich an sie denke, werde ich immer etwas nervös und angestrengt, weil sie das auch war und ich oft das Gefühl hatte, die ganze Aufgeregtheit ausgleichen zu müssen. Und trotzdem war ich heute verwirrt. Ich dachte eigentlich, ihren Tod hätte ich akzeptiert und auch ein Stück weit verarbeitet, aber heute war ich nur überrascht, dass sie nicht da war. Dass es keinen Gulasch im Brot gab, dass sie nicht panisch in letzter Minute daran gedacht hat, dass ich kein Fleisch esse und einen schrecklichen Lauchflamkuchen in den Ofen geschoben hat, dass sie nicht aufgeregt herumgeflattert ist. Wo all das war, ist nur Stille. Das fühlt sich heute surreal an. Wo ist sie? Ist ihre Wohnung wirklich weg? Haben wir das alles ausgeräumt, wohnt da jetzt wirklich jemand anderes. Dann ist es plötzlich doch noch nicht so lange her und kommt alles nochmal wieder. Kein einfacher Tag heute, jetzt muss ich runter mein Mann hat sich grade mit den Kindern gestritten...hoffentlich ist das morgen wieder besser.


    Ich grüße euch ganz lieb

    Cildie

    Liebes Linchen, liebe Sverja und alle,


    lieben Dank für eure schönen Antworten. Ich hoffe ihr seid gut ins neue Jahr gestartet. Offenbar bleibt alles komisch, aber auch daran gewöhnt man sich ja offensichtlich:-).

    Linchen - es ist wirklich schön, dass du deine Mama zwischen euch spüren konntest, als ihr gekocht habt, das klingt schön. Ist die Leere ein wenig besser geworden? Ich bekomme immer keinen Druck auf der Brust, sondern kann nicht mehr schlafen und alles verkrampft sich, wenn ich richtig traurig bin. Manchmal geht es dann wieder weg, manchmal muss ich etwas machen, damit es besser wird - wie hier schreiben.


    Mein Vater ist zum Glück negativ geblieben. Wir konnten ihn dann nach Silvester sehen, was eher etwas gruselig war. Die Zeit in Isolation hat ihm gar nicht gut getan und ich war mit zum ersten Mal nicht sicher, ob er mich erkannt hat. Es ist als würde sich die Zeit runter zählen. Das letzte Mal, dass ich mit ihm ein ernsthaftes Gespräch hatte, ist drei Jahre her. Das letzte Mal, dass ich länger mit ihm sprechen konnte, zwei, dass er ohne Hilfe laufen konnte, ein Jahr, das letzte Mal, dass ich mir sicher war, er versteht mich, drei Monate und diesmal war er nur noch körperlich da. Er verschwindet. So langsam, als würde er ausbleichen. Während meine Schwiegermutter mit einem Knall gegangen ist und ein großes Loch zurück ließ, kappt mein Vater nach und nach seine Verbindungen zur Welt. Es fällt mir schwer, nicht betroffen zu sein, von diesem langsamen Rückzug. Er entzieht sich damit ja auch mir. Und irgendwann werde ich gar nicht mehr an ihn heran kommen. Dann wird er da sitzen und ich hier und da wird kaum noch etwas gemeinsames sein.


    Beim Schreiben fällt mir auf, dass diese Erkenntnis, dass er vielleicht nicht mehr wusste wer ich bin, in mir gebrodelt hat, seit wir ihn vor zwei Wochen gesehen haben. Ich bin ganz gut darin geworden, das nicht zu sehr an mich heran zu lassen, bezweifle aber, ob das wirklich gut ist. Aber es wahrscheinlich eine Möglichkeit mit dieser Machtlosigkeit umzugehen, die ich spüre, weil er so krank und ich so weit weg bin.


    Liebe Grüße an euch

    Cildie

    Liebes Linchen, liebe Svenja und alle,


    ganz lieben Dank für eure schnellen und schönen Antworten. Ja, Linchen, ich hab auch ein wenig Panik geschoben und musste mir dann ein wenig gut zureden, damit es nicht ganz schlimm wird. Schlimm ist natürlich, dass ich ihn jetzt gar nicht sehen kann, aber bisher ist er negativ - das ist ja eine echt gute Nachricht.

    Sverja, danke für deine tolle Nachricht. Ja, ich denke ich im Augenblick auch immer öfter darüber nach, wie viel weniger selbstverständlich früher Dinge waren. Wie zum Beispiel bis über 40 einen Vater zu haben:-). Die ganze Coronasache hat mich sehr in meinem Gefühl von Sicherheit, Kontrolle und Schutz getroffen - und gleichzeitig gezwungen, etwas entspannter zu werden. Ich bin noch immer überhaupt kein Fan der Tatsache, dass man offenbar sehr wenig im Leben unter Kontrolle hat - beginne aber langsam einzusehen, dass es so ist:-).

    Weihnachten war doch noch ganz schön - zumindest in Teilen. Wirklich ein wenig magisch war, dass es Heiligabend gescheit hat und der Schnee auch noch liegt - das ist ja selten. Die Kinder sind Schlitten gefahren und mein Mann und ich waren immer mal fröhlich und traurig. Irgendwie gehört es jetzt zusammen.


    Ich hoffe auch ihr hattet Fröhlichkeit in Allem und ich danke euch!

    Liebe Grüße

    Cildie

    Liebe Sverja und alle,


    es ist mal wieder eine ganze Weile ins Land gegangen, seit ich geschrieben habe. Eigentlich ging es ganz gut. Corona hat mich auf Trapp gehalten, da ich in einem Beruf arbeite, in dem ich Menschenkontakt absolut nicht vermeiden kann. Aber sonst...gar nicht schlecht, wenn man die letzten 19 Monate als Referenzrahmen nimmt:-).

    In den letzten Wochen habe ich vorsichtig angefangen, mich auf Weihnachten zu freuen. Wir wollten dafür meinen Vater zum ersten Mal wieder aus dem Pflegeheim nach Hause holen und, vielleicht ein letztes Mal, mit ihm feiern. Erst war ich skeptisch - das Pflegeheim musste gleich Anfang November wegen eines Coronafalls schließen, ich dachte, das geht jetzt so weiter. Aber dann war nichts mehr. Anfang der Woche machte ich mir eher Sorgen um mich und die Kinder und hoffte, dass wir nichts mitbringen würden, zu Weihnachten. Die Schulen gingen ja praktisch bis zum letzten Tag. Und dann schien alles gut: PCR-Tests für uns alle gebucht, Geschenke gekauft - wir würden wahrscheinlich wirklich fahren könnten. Bis ich gestern einen Anruf meiner Schwester auf dem Handy hatte - ich solle schnell mal zurück rufen. Das Pflegeheim hat einen Coronafall - den Zimmernachbar meines Vaters.


    Das Ganze ist so ätzend. Nicht nur, dass Mein Vater jetzt 14 Tage in Quarantäne ist und wir ihn nicht sehen können. Das Pflegeheim war auch bis heute Nachmittag nicht in der Lage ihn aus dem Zimmer zu verlegen. Bei allem Verständnis, vor allem für den Wunsch des Pflegeheims die anderen alten Leute zu schützen - das war ganz schön hart. Mein Vater hat jetzt zwei Nächte mit seinem coronapositiven Mitbewohner in einem kleinen Zimmer geschlafen. Bei einem 80jährigen chronisch Kranken habe ich da doch meine Zweifel, ob die Boosterimpfung hält.

    Und dann kommen wieder die doofen Gedanken - wird er jetzt krank werden und vielleicht daran sterben? Habe ich dann die ganze Zeit seit Oktober, in der ich doch mal hätte noch fahren können, verschwendet? Hätte es noch bessere Möglichkeiten gegeben, mich zu kümmern? Kann ich ihn jetzt gar nicht mehr sehen? Wird Weihnachten nicht furchtbar traurig und sollte ich mir nicht für die Kinder alle Mühe geben, fröhlich zu wirken? Weihnachten ist so merkwürdig. Als Kind war es komplett magisch. Als Erwachsene, dann lange Zeit einfach nur schön. Und, seit ich eigene Kinder habe, vor allem anstrengend. Aber jedes Jahr kam noch ein wenig kribbelig Vorfreude auf - spätestens, wenn wir kurz vor der Bescherung, Spazieren waren. Und abends, wenn die Ruhe sich über das Haus senkte und ich nochmal auf den Balkon trat, um auf die Stille Umgebung zu schauen. Wie wird es dieses Jahr? Wir bei meiner Mutter, zum ersten Mal ohne meinen Vater, wissend, dass er ganz allein ein paar hundert Meter weit weg liegt. Freude ist wahrscheinlich zu viel verlangt.


    Was habe ich neulich in einem Buch von Benedict Wells gelesen: Das Leben ist kein Nullsummenspiel. Soll heißen, nur weil ganz viele blöde Dinge passiert sind, heißt das noch lange nicht, dass jetzt ein paar Gute passieren. Aber ich hätte es mir sehr gewünscht. Ein Weihnachten nochmal mit meinem Vater unterm Weihnachtsbaum, einem Spaziergang mit meiner besten Freundin und vielleicht zwei Flocken Schnee. War alles ganz schön viel dieses Jahr und die ganzen letzten Jahre. Vielleicht reicht es für dieses Weihnachten einfach, dass die Kinder sich freuen und wir ein paar schöne Momente haben. Und vielleicht können wir bei meinem Vater mal von außen an den Balkon klopfen. Alles wirklich nicht schön. Aber ich bin mir sicher, für viele von euch ist Weihnachten auch alles andere als leicht und ihr würdet euch vielleicht wünschen, eure Lieben nochmal durch eine Balkontür zu sehen - in diesem Sinne versuche ich nicht ganz so traurig zu sein, über etwas, was sich wie eine vertane Chance anfühlt.


    Liebe Grüße

    Cildie

    Liebes Rienchen, liebe alle,


    Rienchen, lieben Dank für deine Zeilen. Ja, es ist eigentlich wirklich schön, wenn jemand etwas hinterlässt. Meine Schwiegermutter war darin sehr gut. Nicht nur war alles für ihren Tod geordnet, sondern sie hat auch allen Briefe und Andenken hinterlassen. Als hätte sie gewusst, dass sie unvermittelt sterben wird. Dein Verlust tut mir sehr leid. Deinen Mann zu verlieren, der dich sicher sehr lange begleitet hat, muss furchtbar sein. Aber ich bin mir sicher, du behältst ihn, wie er war, in deinem Herzen. Das erinnert sich ja auf ganz besondere Weise.

    Gestern hat das Pflegeheim meines Vaters angerufen und wollte von mir etwas über ihn wissen, damit sie besser mit ihm sprechen können. Ich fand das sehr nett und der Pfleger war sehr amüsiert, als ich ihm erzählt habe, dass mein kulturbeflissener Vater einen ganz furchtbaren Film- und Fernsehgeschmack hatte. Unterste Schublade von Action und Hau-Drauf-Filmen, das war seins. Da konnte ich zum ersten Mal an ihn denken und mich nicht mehr schlimm fühlen. Das war schön und ein kleiner Ausblick darauf, wie es vielleicht einmal sein wird, wenn ich nicht mehr voll Trauer und Schmerz an ihn und die anderen denke, sondern voll Dankbarkeit und mit einem Lächeln. Im Augenblick ist es leider noch nicht so weit. Heute kam ein Brief vom Betreuungsgericht mit einem Gutachten für das Pflegeheim. Zu lesen wie ein Außenstehender meinen Vater sieht, war nicht schön. Da stand, dass er kaum noch Kontrolle über seinen Körper hat und es dem Gutachter nicht möglich war, eine einzige Antwort auf eine Frage zu bekommen. Klar ist das so. Aber es schwarz auf weiß zu lesen, wie schlimm es ist, lässt mich daran denken, wie er sich fühlen würde, wenn er wüsste wie es um ihn steht. Er fände es schrecklich. So auf Hilfe angewiesen zu sein, so vor sich hin zu vegetieren. Ich bin mir sicher, in den wachen Momenten findet er es schrecklich. Und ich weiß nicht gut, wie ich ihn dabei begleiten kann, von hier aus. In diesem letzten, einsamen, schwierigen Stück seines Lebens. Manchmal überlege ich nochmal Elternzeit zu nehmen. Dann hätte noch mal mehr Zeit hinzufahren und etwas mehr da zu sein. Und auch etwas mehr Zeit das Ganze zu verarbeiten. Vielleicht wäre das eine gute Lösung.


    Liebe Grüße

    Cildie

    Liebes Linchen, liebe Mischi, liebe Pia1962,


    ganz lieben Dank für eure Antworten, da bin ich ja froh, dass es doch verständlich war:-). Mischi, bei deiner Antwort musste ich fast weinen. Ich kann mir vorstellen, dass du die Cremedose nicht wegwerfen kannst und ich hoffe, sie zu benutzen hat etwas Tröstliches und nicht zu Trauriges für dich. Und Pia, ich kann dich so gut verstehen. Du darfst dir auch gern hier Luft machen, ich glaube kaum jemanden geht es grade anders. Ich kann nicht glauben, dass wir es wirklich geschafft haben, nochmal in dieser Misere zu landen und beim Gedanken, wie viele Tote das bedeuten wird, wird mir ganz anders. Ich habe in den letzten Tagen auch gemerkt, dass mir der Gedanke an einen weiteren Coronawinter ganz schön aufs Gemüt schlägt. Das war grenzwertig letztes Jahr mit Kindern, die zu Hause beschult werden mussten, selbst zu arbeiten und dazu immer die Sorge, dass beim meinen Eltern etwas nicht mehr klappt. Ich glaube wir wünschen uns alle wieder mehr Verbindung und mehr Unbeschwertheit, das ist grade kaum zu haben. Aber ich hoffe, dass Hass, Egoismus und Morallosigkeit nicht wirklich so schlimm sind, wie es aussieht. Ich fürchte tatsächlich, es war nie besser und die Tatsache, dass die Menschen grade viel Angst haben, mach alles ein wenig schlimmer.

    Ich arbeite grade daran, mich etwas weniger überfordert zu fühlen. Ich hoffe das gelingt mir irgendwann einmal. Im Augenblick fällt immer irgendetwas hinten runter. Meist ist es Zeit für Traurigkeit zu nehmen und dann merke ich, dass alles wieder schwer wird. Aber ich versuche es so gut hinzubekommen, wie es eben geht, muss ja nicht perfekt sein.


    Liebe Grüße an euch alle!

    Cildie

    Liebe Mischi, liebe Alle,


    danke, ich wünsche dir auch viel Kraft und Zuversicht, ich glaub das können wir alle brauchen:-).

    Ich versuche mich grade mehr aktiv mit der Trauer auseinander zu setzen, aber so ganz gelingt mir das noch nicht. Irgendwie finde ich keinen richtigen Zugang dazu, außer wenn ich etwas schreibe. Vielleicht ist das meine Art zu trauern:-). Grade ist auch die Gesamtsituation etwas deprimierend. Ich bin echt kein Winterfan und der November ist ein doofer Monat. Hier ist es seit zwei Wochen neblig, die Kinder weigern sich raus zu gehen, weil es ihnen zu kalt ist und die Bäume haben ihre Blätter verloren. Gleichzeitig schießen die Coronazahlen so hoch, dass ich mir Sorgen mache, ob dieser Winter wieder so unerfreulich wird, wie der letzte. Meinem Onkel und meinem Vater hat die Coronazeit nicht mehr viel ausgemacht. Sie haben im letzten Winter eh kaum das Haus verlassen. Merkwürdig zu denken, dass etwas, was uns alle so stark beeinflusst hat, für manche gar keinen Unterschied machte. Meine Schwiegermutter dagegen hat sehr darunter gelitten. Sie konnte die Enkel nicht mehr so oft sehen, mit ihren Freundinnen nicht mehr weggehen und auch kaum noch Reisen. Es tut mir so leid, dass ihr letztes Lebensjahr auch noch so von Einschränkungen geprägt war. Sie hat Erinnerungsbücher für die Kinder hinterlassen, die ich sehr schnell aufgehört habe zu lesen, weil sie so traurig waren. In einem schrieb sie, dass ihr Wunsch sei, die Kinder noch möglichst lange begleiten zu können. Das hab ich dann doch schnell wieder weggelegt. Heute muss ich viel an sie denken. Mein Mann hat Geburtstag und es ist der erste Geburtstag ohne sie. Ich weiß gar nicht, was besser ist - der Erinnerung zu entfliehen, oder einfach traurig zu sein und es auszuhalten. Normalerweise wäre sie heute Nachmittag hier aufgeschlagen mit einem Arm voll perfekt eingepackter Geschenke - alles was sie gemacht hat, sah unglaublich gut aus. Meinem Vater, der immer kalte Füße hatte, hat sie einmal Wollsocken gestrickt, über die er sich sehr gefreut hat. Allerdings konnte er nicht glauben, dass sie jemand handgestrickt hat. Wenn irgendwo ein Fehler war, hat sie den Pullover halt wieder komplett aufgemacht und ihn nochmal gestrickt. So ein Perfektionismus ist mir total fremd, aber die Dinge, die sie machte waren eben auch wunderschön. Sie hat den Kindern alle Mützen und Schals gestrickt, wir haben noch eine Riesenkiste voll gefilzter Hausschuhe, jedes Kind hat selbstgemachte Teddybären und zu Weihnachten bei uns hat sie die Deko immer lieber selbst mitgebracht, weil sie uns das nicht zutraute. Wenn Weihnachten ist, werden wir die gefühlten 200, von ihr gebastelten, Fröbelsterne an den Weihnachtsbaum hängen und es wird merkwürdig sein, dass sie nicht da sein wird und Unverständnis darüber äußert, dass wir die Sterne immer wieder benutzen, statt jedes Jahr eine neue Weihnachtsdeko zu haben. Wir waren so unterschiedlich und ich habe so viel von ihr nicht verstanden. Aber es ist trotzdem unglaublich traurig, dass sie nicht da ist. Bevor wir gleich losfahren, muss ich das Auto ausräumen - gestern habe ich die letzten Dinge aus ihrer Wohnung geholt. Es ist als würden die ihre letzten Spuren verschwinden. Mit jedem ihrer Shampoos, das wir aufbrauchen, werden die physischen Beweise, dass sie einmal gelebt hat weniger. Grade das Verschwinden dieser Alltagsdinge, die ein Leben so selbstverständlich begleiten, empfinde ich als gruselig. Das schöne Fotografenbild, das man aufhebt, ist etwas anderes als die Packung Feuchttücher, die sie immer für die Kinder in der Tasche hatte. Diese Dinge hat sie gekauft und geglaubt, dass sie sie auch aufbrauchen wird. Und dann war es nicht so. Jetzt brauchen wir sie auf, werfen die Verpackung weg und ein Stück mehr von ihr verschwindet. Ich wünschte heute wirklich sie wäre hier, würde nachher kommen. Meinen Mann umarmen, mit den Kindern spielen, meinen undekorierten Kuchen kritisieren, auf dem Balkon eine Rauchen, dann drei Kaugummis auf einmal in den Mund stecken, um den Geruch zu übertünchen und sich über ihr Leben beschweren. Das hat sie immer gemacht. Manchmal war das scharfsinnig und lustig, manchmal einfach nur sehr anstrengend, aber es war schön, dass sie in unserem Leben war. Ich vermisse sie.


    Danke fürs Lesen dieses konfusen Eintrags

    Cildie

    Liebe Pia1962, liebe Mischi, liebe Sverja,


    ganz lieben Dank für eure schönen Antworten. Mischi, es ist wunderschön, was die Hospitzmitarbeiterin über deinen Vater gesagt hat. Ich glaube man ist immer sehr glücklich, wenn andere erkennen, wie wunderbar ein wichtiger Mensch war. Dein Vater klingt wie jemand mit dem man gern zusammen gewesen wäre.

    Sverja, lieben Dank für deine lange Antwort. Das, was du zu Pias Beschreibung ihrer "eingebrannten" Trauer gesagt hast, hat mich etwas erschreckt. Geht es wirklich vielen so? Ich empfinde es als wirklich schlimm, dass ich kaum Zeit und Raum für die Trauer habe. Sie zieht so soviel Kraft, dass ich manchmal wirklich Probleme habe, allem gerecht zu werden. Eigentlich hatte ich zumindest die Trauer um meinen Vater ein wenig besser verarbeitet, als meine Schwiegermutter starb. Zum Glück war da grade Sommer und wir hatten Urlaub, so hatte ich Zeit, das hat gut getan. Aber so richtig damit klar war ich natürlich noch nicht, als der Alltagswahnsinn mit Schule, Arbeit und der Pflegesituation mit meinen Eltern wieder begann. Als die Situation bei meinen Eltern zuspitzte und parallel mein Onkel starb und die Situation bei mir auf Arbeit wieder schwieriger wurde, war es dann ganz schön viel auf einmal. Im Augenblick fühle ich mich daher nicht so gut.

    Sverja, es tut mir so leid, dass dein Partner offenbar so früh gestorben ist. Aber es ist sehr schön, wie du von seiner Wesensveränderung sprichst. Ja, auch mein Vater ist noch mein Vater, in vielen kleinen Dingen. Aber der Mensch, der er für mich war - der zu dem ich gehen konnte und der mir sagte, dass ich etwas gut mache oder auch nicht, der mir immer half, der ist nicht mehr da. Stimmt schon, mit dem Erwachsenwerden:-). Doof, dass Erwachsenwerden so hart ist und man in der schwierigen Zeit, wenn man seine Eltern verliert, seine Eltern nicht mehr als Stütze hat :-) (das soll übrigens ein schwaches Lächeln sein).

    Aber den Gefühlen hier Raum zu geben hilft tatsächlich ein wenig. Ich bin sehr froh, das sich hier sein kann.


    Liebe Grüße

    Cildie