Ent- Schuld- igung...das Ende der Schuld

  • Liebe Malena,

    ja, es geht letztendlich in dem ganzen Scham-Ekel-Thema darum, dass man als Professionist nicht taub wird für diese "negativen" Gefühle, weil man durch das permanente professionelle Abwehren von Gefühlen ja den Zugang zu seinen Bedürfnissen verliert und sich dadurch frustiert. Dauerhafte Frustration führt zur Aggression und letztendlich zu Gewalt und verdeckter Gewalt den Patienten gegenüber. Und es geht darum einerseits im Abwehrtechniken im Einsatz konkret anzuwenden um handlungsfähig zu bleiben, andererseits diesen Gefühlen danach Raum zu geben. Ekel- und Scham-Management sozusagen.


    Zu den Zigarettenpackungen ist zu sagen: Es gibt immer weniger Raucher, d.h. das ganze Maßnahmenpaket scheint schon wirken - das Negativ-Image, das Raucher mittlerweile haben, die Verbote, vielleicht auch die Bilder auf den Verpackungen? Wobei ich glaube, die wirken am wenigsten. Man stumpft ja bekanntlich schnell ab. Ich kenne auch rauchende Lungenfachärzte! ;-)

    AL Christine

  • danke Christine für diese sehr interessante Erklärung!


    sehr interessant und dann auch verständlich wenn man nicht so in der Materie ist...


    (das mit den Zigarettenpackungen war nicht so wichtig, ich dachte nur wie eben die Sucht den Ekel anscheinend überwindet..)



    ---


    Liebe Claudia Amitola,


    danke noch einmal für die Videos sie sind sehr interessant.

    Ich habe gerade eine recht erschöpfende Zeit und diese Gedanken und Anregungen helfen mir sehr.

    Die Wahrheit triumphiert nie, nur ihre Gegner sterben aus (Max Planck)


    rilke.de/briefe/160703.htm


    VORÜBUNG FÜR EIN WUNDER


    Vor dem leeren Baugrund
    mit geschlossenen Augen warten
    bis das alte Haus
    wieder dasteht und offen ist

    Die stillstehende Uhr
    so lange ansehen
    bis der Sekundenzeiger
    sich wieder bewegt

    An dich denken
    bis die Liebe
    zu dir
    wieder glücklich sein darf

    Das Wiedererwecken
    von Toten
    ist dann
    ganz einfach

    (Erich Fried)

  • Weil ja eigentlich ALLES , was wir meinen zu SIND

    zu der Vorstellung von" Schuld haben"

    führen kann

    das ist das wertvolle breit gefächerte , meine ich zu diesem LEBENSTHEMA

    kann man auch ALLES

    was uns für HELFEND REICH erscheint

    auch in diesen Thread hineinstellen... schreiben...

    wirklich ALLES

    deswegen

    und gerade sehr für dich... heute

    liebes "Nebelchen"<3

  • Liebe Hayat


    Ja, Pema ist toll ;)



    Ihr Lieben


    Ich möchte noch meine weiteren Gedanken zum Thema Schuld ausführen.


    Meine Aussage war ja, dass ohne Schuld diese Welt eine besserer Ort wäre. Christine sieht es so, dass man auch Schuld für ein friedvolles Miteinander braucht und ich stimme ganz Nebelfrau zu wenn sie schreibt:


    .ich persönlich dachte spontan nicht an Schuldbewusstsein, oder Schuldgefühle sondern einen - utopischen - Zustand wo Menschen die Grenzen anderer so achtsam respektieren, und jeder auf diese Art er oder sie selbst sein kann, dass eben keine "Schuld" existiert bzw. entsteht und sich keiner seiner selbst schämt bzw. schämen muss.


    Ich denke, dass unsere ganze Gesellschaft eine Schuldgesellschaft ist. Wir Europäer haben hauptsächlich abrahmitische Glaubenswurzeln.


    Es fängt schon damit an, dass wir eine Schuld (Erbsünde) durch die Geburt auf uns geladen haben. Dann ist Jesus am Kreuz für uns gestorben da er die Schuld der Welt auf sich genommen hat. Desweiteren gibt es das Opferlamm und im Alten Testament liest man, dass es ein Brauch war einen Sündenbock auszuwählen (also einen Bock) dem die ganzen Sünden aufgeladen wurden und er dann weggetrieben wurde.


    Schuld=Sünde


    Schuld=negatives Karma


    Schuld=schlechter Mensch



    Ich persönlich habe ein wahnsinniges Problem mit dem ganzen Thema der "Schuld" da ich mich zu oft "schuldig" gefühlt habe...


    Schuldig.. etwas getan haben

    Schuldig... etwas nicht getan zu haben

    Schuldig... etwas gesagt zu haben

    Schuldig.. etwas nicht gesagt zu haben


    Und wenn ich "schuldig" war wurde mir das jahrelang (von meiner verstorbenen Frau) vorgeworfen.. z.B. dass ich Schuld war, weil wir über 30 000 Euro betrogen wurden, da ich ja die Entscheidung gefällt habe.


    Ich war schuldig, da ich es hätte besser wissen müssen....


    Wenn ich in meiner Vergangenheit in der "schei..." gelandet war hiess es meistens von meiner Familie:


    Selber schuld, wir haben es Dir ja gesagt. (Wo ist hier das Mitgefühl mit dem "Schuldigen"?)


    Wenn ich heute in der "schei..." landen würde, würden mir immer noch Vorwürfe von meiner Familie gemacht werden: Wieso hast Du nicht....Haben wir es doch gewusst... Wir haben es ja gesagt.... Wieso hast Du das und jenes getan oder nicht getan.... Du bist selber schuld!


    Und ist es nicht so, wenn man jemanden die "Schuld" gibt man selber FEIN aus der Sache raus ist... eine reine Weste hat und zu NICHTS verpflichtet ist.. auch zu keiner Hilfe???


    Manchmal habe ich das Gefühl egal was man tut.. egal was man entscheidet... kann man immer an irgendetwas SCHULD sein.


    Schuld ist ein Bewusstsein etwas SCHULDIG zu sein. Das Wort schuldig beinhaltet: Man ist verpflichtet etwas zurückzugeben. Doch an wen?


    Deshalb meinte ich, man sollte die "Schuld" an sich abschaffen. Man entscheidet manchmal falsch, doch es stellt sich doch meistens ERST im Nachhinein herraus. Wie in dem einem Video gut ausgedrückt: Wenn man die Konsequenzen gewusst hätte, hätte man anders gehandelt und deshalb hat man keine Schuld auf sich geladen!


    Schuldgefühle verursachen negative Gefühle, Schuldgefühle prügeln einen nieder.... Wie kann das der Gesellschaft/Gemeinschaft helfen wenn die Menschen sich selber niederprügeln? Sollen wir anfangen wie es im Katholiszmus der Brauch war: MEA CULPA schreien und sich den Rücken blutig peitschen?


    Entstehen denn nicht auch viele psychische Krankheiten aus dem Schuld-Schambewusstsein? Alkoholiszmus, Selbstverletzung usw. usw.


    Ein Bewusstsein OHNE Schuld wie es Nebelfrau und meine Amitola <3meinte, ist die Lösung.


    Das man einfach sagen kann:


    Ja, ich habe so entschieden. Scheis.... gelaufen aber es ist nun mal so wie es ist und man kann um Verzeihung bitten. Aber es bringt niemanden etwas wenn man sich danach selber noch zermartert.. sich "schuldig" fühlt.



    Der Dalai Lama hat es gut ausdrückt: ein Bedauern.. ja man kann bedauern... Ja ich kann gewisse Entscheidungen bedauern... und daraus lernen..



    Schuld hat auch etwas mit Perfektionismus zu tun. Wir selber gestehen uns keine Fehler ein und machen uns bei Fehlern "schuldig".



    Seien wir doch einfach liebevoll mit uns selber und wenn wir liebevoll mit uns selber sind..,können wir erst liebevoll mit anderen Menschen umgehen und das alles ohne Schuld.

  • Ich bin gerade etwas geplättet. Du schreibst mir aus der Tiefenseele! Ich plage mich gerade in intensiven Traumasitzungen mit dem Elend von Schuld und Beschämung herum. Beides durchsetzt meine Psyche wie ein Krebsgeschwür und jeder noch so kleine Schritt raus aus der Nummer ist ein Kraftakt.


    Der Begriff der Schuld sollte aus unseren Hirnen restlos getilgt werden !


    Gerade jetzt schlage ich mich beruflich mit solchen Fragen herum. WER IST SCHULD??? Viel eher ist zu hinterfragen , wie und was wir miteinander kommunizieren? Den Weg des Hinterfragens gehe ich seit einer Weile und gerade weil wir, wie Du so treffend schreibst, eine Schuldgesellschaft sind, habe ich oft das Gefühl , gegen Windmühlen anzukämpfen und spüre für mich ganz persönlich jedoch so etwas wie wachsenden Respekt. Auch wenn mir der Wind entgegenpfeift, ich gehe diesen Weg und übe mich darin, selbst niemanden zu beschuldigen und mich selbst weder als Opfer- noch als Unschulfslamm zu definieren. Verantwortung ist das Zauberwort.


    Für diese Zeilen habe ich in aller Unschuld und einem Akt der Selbstverantwortung eine kurze Berufsauszeit genommen und stelle mich noch nun wieder den Reklamationen des Tages ?...


    Herzgrüß, Hayat

  • Bella Katarina<3<3


    lauter Ja...ja... ja... schreibe ich dir

    Seien wir doch einfach liebevoll mit uns selber und wenn wir liebevoll mit uns selber sind..,können wir erst liebevoll mit anderen Menschen umgehen und das alles ohne Schuld.

    ich möchte GERNE das noch erweitern mit der SICHT

    Seien wir doch einfach liebevoll mit uns selber und wenn wir liebevoll mit uns selber sind..,können wir erst liebevoll mit anderen Menschen umgehen und

    einfach SEIN...

    Deine Amitola<3<3

  • Liebe Hayat<3 und alle anderen , die hier lesen...<3


    ich habe Pema Chödron "wenn alles zusammenbricht " vor fast 6 Jahren "gefunden"...

    in der wissenden, vorzeitigen Endlichkeit meines glücklicherweise auch spirituellen Lebenspartners...

    Vieles hat uns geholfen , die EMPFINDUNG Schuld mehr und mehr in unserem Leben hinter uns zu lassen...

    SEIN`s Grüsse

    deine /eure Amitola

  • Liebe Hayat


    Ja, wir sollten die Schuld ausmerzen!



    Wenn man ganz tief in die Schuld hereingeht merkt man irgendwann dass die Schuld kein Ende hat...


    Beispiel:


    Mann ohrfeigt seine Frau


    Jeder sagt: Der Mann ist schuldig.


    Wenn dann rauskommt die Frau ist fremdgegangen und hat das Konto geplündert.


    sagt jeder: Die Frau ist schuldig.


    Wenn weiter rauskommt, dass die Frau nicht anders konnte, da sie eine schlechte Kindheit hatte, traumatisiert wurde und deshalb psychisch krank ist und irrational handelt.


    Sagt jeder: Die Eltern der Frau sind Schuld.


    Wenn der Mann nun in seiner Kindheit erlebt hat wie seine Mutter geschlagen wurde und traumatisiert wurde.


    Sagt jeder: Der Vater des Mannes ist Schuld.


    Wenn die Eltern von dem Mann und der Frau den Krieg erlebt haben und traumatisiert wurden.


    Sagt jeder: Der Krieg ist Schuld.


    Wenn man den "Auslöser" des Krieges findet:


    Sagt jeder: Diktator XY ist Schuld.


    Wenn der Diktator ein Trauma vom 1. Weltkrieg hatte.


    Sagt jeder: Der 1. Weltkrieg ist Schuld.


    usw. usw. usw. und irgendwann kommen wir wahrscheinlich zu dieser besagten Erbschuld dass Eva Adam den Apfel gegeben hat^^^^^^^^.


    Und wenn wir noch weiter gehen ist doch "Gott" (wenn man an Gott glaubt) SCHULD dass er uns erschaffen hat. Und weil man Gott keine Schuld andichten kann, wurden Dämonen und Satan erschaffen.


    Doch auch sie sind in dem Sinne nicht schuldig, da auch sie von Gott erschaffen wurden und verstossen wurden (Trauma). Also ist wieder der Schöpfer Schuld.^^^^^^


    Wir merken so, dass niemand wirklich SCHULDIG ist und meistens nur selber ein Opfer (wie Du sagtest)


    Doch solange der Begriff Opfer besteht, gibt es den Täter und dadurch die Schuld.


    Wir muessen viel mehr Begriffe aus unserem Wortschutz tilgen die mit der Schuld zusammenhängen:


    Sühne

    Vergebung

    Verzeihung

    Opfer

    Täter

    Rache

    Gerechtigkeit

    Recht und Unrecht


    Ja, Verantwortung übernehmen wir automatisch weil wir immer die Konsequenzen tragen auch wenn wir etwas leugnen..


    Ich bin für Akzeptanz....

  • Ja... Akzeptanz, die isses wohl. Vergangenen Freitag ächzte ich volle zwei Zeitstunden rund um Schuldgefühle und Beschämung, doch das Allerschwierigste ist in der Tat die Akzeptanz. Nicht beugen, verbiegen, leugnen, sondern zu fühlen, jo, so isses. Fühlen, atmen, benennen, fühlen und weiteratmen. Ja, ich habe gefehlt, ja, es tut mir leid , was kann ich tun , um Leid zu mindern, tun und weiteratmen...

  • eine spannende Diskussion <3


    ein großes Thema, so global formuliert tu ich mir schwer...

    ich versuch es mal für mich zu formulieren.


    die Situation die ich oben beschrieben habe, vielleicht ist sie ja jene die mit dem "Paradies" gemeint sein könnte...und wenn man uns Menschen als Spezies so ansieht dürften wir (derzeit) so konzipiert sein (oder uns so verstehen), dass wir uns aus unterschiedlichen Gründen immer wieder Leid zuzufügen... Traumatisierung ist ja auch keine Entschuldigung, macht nicht schuldunfähig...wenn ist es eine Erklärung, ...

    als Schuldunfähig bzw zurechnungsunfähig gelten ja in unserem Kulturkreis Menschen eben die z.B. eine schwere Erkrankung haben, oder andere Umstände durch die sie Unrecht von Recht nicht unterscheiden können bzw. was eben die Gemeinschaft, der sie (mehr oder weniger) angehören darunter versteht...


    Für mich persönlich ist es so...dass es um Verantwortung geht, für mich - Verantwortung für das, was ich tue, zu übernehmen(wenn ich jemandem Leid angetan habe, das zu erkennen, erkennen zu wollen und ändern zu wollen, auch wieder gut zu machen), und für mich selbst wenn mir etwas angetan worden ist dass ich es sage, mich schütze - mich nicht selbst beschuldige - und falls das nicht möglich ist die nötige Hilfe um das zu schaffen (in beiden Fällen).

    Es gibt genügend Dinge die Menschen einander so antun, wo ich mir schwer tue mit "Akzeptant"...wo ich ganz im Gegenteil finde es ist äußerst wichtig Widerstand zu leiden, Kritik zu äußern, sich für Rechte einzusetzen (Menschenrecht, Tierrecht, Umweltschutz)...und zu sagen, das ist nicht ok, das darf so nicht sein, nicht länger passieren. Das akzeptiere ich ganz und gar nicht, da bin ich nicht abgestumpft, gleichgültig.


    Im Großen wie im Kleinen.


    Dafür ist es notwendig zu sagen (sagen zu können) "das war/ist Unrecht" , "dir/mir ist Unrecht widerfahren"... oder ... ich habe jemandem Unrecht getan... und was tun wir jetzt?


    Was fällt mir noch ein? Es gibt z.B. was Schuld und Strafe anbelangt Untersuchungen die zeigen dass ein "Täter-Opfer Ausgleich bei gewissen Verbrechen (die nichts mit Sadismus, Willkür zu tun haben sondern aus dem Affekt passieren) für beide Seiten mehr bringt als alleinige (monetäre u. Freiheitsentzugs)Bestrafung, also eine ehrliche/aufrichtige Entschuldigung, ein sich Treffen in einem anderen Kontext als der Tat... sich wahrnehmen als Mensch, als Gegenüber...eine Versicherung dass das, was angetan wurde, nicht mehr passieren wird... und ich denke so würde ich es auch für mich wollen, und ich kann ja in dieser Frage nur mal für mich sprechen.

    ( momentan bin ich in der glücklichen Lage alles verzeihen zu können, was mir an Leid widerfahren ist und hoffentlich auch über das Leid Bescheid zu wissen, dass ich verursacht habe, und es wieder gut gemacht zu haben...)


    Für das alles sind für mich Begriffe wie


    Vergebung

    Verzeihung

    Opfer

    Täter


    Gerechtigkeit

    Recht und Unrecht


    schon notwendig, finde ich.


    Wie gesagt, ich finde Friedensforschung faszinierend, und ich würde mir wünschen man würde all das Geld der Waffenindustrie dorthin investieren, auch wenn das jetzt naiv klingen mag.

    Und insofern sind Gedanken wie deine und die Diskussion, sehr spannend denn ich bin überzeugt es gibt Wege, die noch nicht gedacht wurden, und wie sagte /frei nach/ Einstein...

    man muss einfach die richtige Frage stellen, damit man zur Lösung kommt.


    • "Der Mensch ist ein Teil des Ganzen, das wir Universum nennen, ein in Raum und Zeit begrenzter Teil. Er erfährt sich selbst, seine Gedanken und Gefühle als abgetrennt von allem anderen - eine Art optische Täuschung des Bewußtseins. Diese Täuschung ist für uns eine Art Gefängnis, da sie uns auf unsere eigenen Vorlieben und auf die Zuneigung zu wenigen Nahestehenden beschränkt. Unser Ziel muß es sein, uns aus diesem Gefängnis zu befreien, indem wir den Horizont unseres Mitgefühls erweitern, bis er alle lebenden Wesen und die gesamte Natur in all ihrer Schönheit umfaßt." - aus: Ideas and Opinions

    (weitere inspirierende Zitate...http://www.quotez.net/german/albert_einstein.htm)

    Die Wahrheit triumphiert nie, nur ihre Gegner sterben aus (Max Planck)


    rilke.de/briefe/160703.htm


    VORÜBUNG FÜR EIN WUNDER


    Vor dem leeren Baugrund
    mit geschlossenen Augen warten
    bis das alte Haus
    wieder dasteht und offen ist

    Die stillstehende Uhr
    so lange ansehen
    bis der Sekundenzeiger
    sich wieder bewegt

    An dich denken
    bis die Liebe
    zu dir
    wieder glücklich sein darf

    Das Wiedererwecken
    von Toten
    ist dann
    ganz einfach

    (Erich Fried)

  • Hm,


    ich bin immer noch geplättet von so viel Durchdachthaben, von Klugheit, von Weisheit. Wirklich und ohne jegliche Idee von Spott, Ironie oder was auch immer. Das Thema Schuld-Täter-Opfer-Ent-Schuldigung, Vergebung, Wut... birgt so viele Facetten und in allem, was hier geschrieben wurde, finde ich mich wieder. Sehr, sehr spannend.


    Ich sehe es ähnlich, liebe Katharina, dass wir in Sachen Schuld wahrscheinlich bis zum Einzeller zurückgehen könnten. Ich werde nicht selten komisch angeschaut, wenn ich bei der Frage "Wer oder was ist schuld?" ratlos mit den Schultern zucke. Im Beruf quäle ich mich gerade mit einer Rechtsstreitigkeit ab, in der es im Kern des ganzen Ärgers um einen völlig verkorksten Vertrag geht, in dem unheimlich viel drin steht, dessen Konsequenzen für Vertragsstörungen jedoch schwammig und ungenau formuliert ist. Unser Vertragspartner nutzte diese Ungenauigkeiten hemmungslos aus, wir ahndeten stets halbgar, das führte zur Kündigung und der Jurist der Gegenseite semmelte uns den Vertrag von Anfang an um die Ohren und wir wähnten uns im Recht. Das Ganze liegt jetzt vor Gericht und endet hoffentlich in einem Vergleich (was ich von Anfang an angestrebt hatte, nicht aber mein Chef, der die Kündigung wollte und durchzog bar jeder Vernunft und nun geht es los, "wer ist schuld...?" Das Unternehmen, das für uns den Vertrag erstellte? Wir, die wir vorgaben, was in den Vertrag rein soll? Unser Vertragspartner, der sich die vertraglichen Defizite geschickt zunutze machte? Ich sage mittlerweile - wir alle in gleichen Anteilen. Und wie so oft: Es wurde nicht wirklich miteinander kommuniziert, das heißt offen und ohne jede Beschämung miteinander gesprochen. Gelegenheiten gab es - wir hatten x runde Tische einberufen und ich habe hier mindestens so gefehlt wie mein Chef. Bei all diesen Runden wurde über Autos gesprochen, wurden ein bisschen die Messer gewetzt und am Ende hatten sich alle irgendwie lieb, an den Ursachen der Vertragsstörungen wurde nichts getan - auch ich habe nicht offen am Tisch gegen den Chef opponiert. Sicherlich versucht, einen Impuls zu setzen, damit das Gespräch in unsere Richtung ging - und wurde zurückgepfiffen und dazu angeholten, geschmeidiger und weniger schroff und hart zu sein... Bin ich deswegen raus aus der Nummer? Nö.


    Für mich wird immer deutlicher, dass die größte Schwierigkeit untereinander die Kommunikation ist. Noch ein Beispiel. Mein jetziger Chef war vor Jahren Dozent während eines großen Ausbildungsganges. Sein Fach lag und liegt mir überhaupt nicht. Ich habe es nicht mit den Finanzen - unser kleines normales Bankkonto, die Finanzierung unseres Hauses und die täglichen Ausgaben und Einnahmen sind das, was ich gerade noch überschaue. Er prüfte und korrigierte unsere Abschlussklausur in diesem Fach und gab uns während einer zweiwöchigen Klausur auch noch die entsprechende Vorbereitung. Während dieser Vorbereitung geriet ich massiv mit ihm aneinander. Das endete damit, dass ich mir sein Verhalten und seine Bemerkungen verbat, aufstand, meine Sachen packte und in meinem Zimmer alleine lernte. Die Klausur schrieb ich angesichts meines chronischen Nichtwissens in diesem Fach sogar mit einem Befriedigend und bin heute noch stolz wie ein Primelpott - doch über diesen Vorfall haben wir nie wieder gesprochen und wir beide sind bekannt für unsere Elefantengedächtnisse. Er ist nun mein neuer Vorgesetzter und wir haben noch kein einziges Wort mal wirklich direkt miteinander gewechselt. Unsere Nicht-Beziehung ist auffällig - und keiner macht einen Schritt. Daraus erwachsen Blockaden und komische Gefühle...


    Auch hier: Wer ist der/die Böse? Ich, die ich panisch bin angesichts von Prüfungen und Klausuren, voll der chronischen Minderwertigkeitsgefühle oder er, der vielleicht nur was aus mir herauskitzeln wollte, selbst völlig vermackt und voller Minderwertigkeitsgefühle ist und jemanden brauchte, um sich zu profilieren? Auch er hatte es vielleicht nie leicht in seinem Leben? Es geht mir jetzt und hier gar nicht darum, ein Problem gelöst haben zu wollen - will einfach nur sagen, dass jedes einzelne Leben so unglaublich komplex und individuell ist und vielleicht die wirkliche Crux unter uns Menschen die ist, dass nicht gesprochen wird. Eine Mutter hat einen schlechten Tag, laboriert mit sich und und der Welt herum, hat ihre eigenen Kindheitsdefizite, auch übernommen von ihren Eltern, ihr Kind macht etwas, das ihr völlig gegen den Strich geht - sie rastet ein und tut Dinge, die sie am Ende bereut. Das Kind erlebt einen tiefen Vertrauensbruch und schlimmstenfalls wird nicht gesprochen, die Mutter wähnt sich im Recht und schon ist vielleicht eine Störung geboren, die Grundlage für ein Beziehungsmuster gelegt, das sich in die nächsten Generationen weiter überträgt... Sehr grob und sehr vereinfacht dargestellt.


    Die großartige Schweizer Philosophin und Psychologin Carola Meier-Seethaler hat hierzu ein fabelhaftes Buch geschrieben "Ursprünge und Befreiungen", worin sie den Wurzeln des Sexismus nachspürt und für eine gleichberechtigte Partnerschaft beider Geschlechter plädiert - weder für ein Matriarchat noch für ein Patriarchat, sondern ein gleichberechtigtes Seite an Seite. Das hat mich sehr beeindruckt - ich müsste das Buch eigentlich nochmal durchlesen - ist ein sehr umfangreiches Werk. Ich glaube nämlich, wenn die Menschheit endlich dieses gleichberechtigte Schulter an Schulter lebte in aller Klarheit und Konsequenz (erscheint mir aktuell wie eine Utopie), dürfte sich das Elend um Schuld, Sühne, Täter, Opfer weitgehend minimieren und in sich selbst auflösen. Ich merke, das Thema ist seiten- und abendfüllend...


    Wie immer, danke fürs Zulesen...


    Hayat

  • ich bin immer noch geplättet von so viel Durchdachthaben, von Klugheit, von Weisheit. Wirklich und ohne jegliche Idee von Spott, Ironie oder was auch immer. Das Thema Schuld-Täter-Opfer-Ent-Schuldigung, Vergebung, Wut... birgt so viele Facetten und in allem, was hier geschrieben wurde, finde ich mich wieder. Sehr, sehr spannend.


    ja, WAHR - H A F T I G...


    heute Abend wohl mehr von mir dazu<3