Auflösung des Grabes - Gefühlschaos

  • Hallo ihr Lieben da draußen <3,


    diese Woche wird das Grab meiner Pflegeeltern aufgelöst und das stürzt mich in ein unerwartetes Gefühlschaos.

    Das Ganze wühlt mich sehr auf. Bald gibt es nichts mehr, das äußerlich daraufhin weist, dass sie es einmal gab, dass sie gelebt haben, nichts, das man als ihre Ruhestätte bezeichnen kann.

    Ich kann mir nicht erklären, warum mich das so nieder zieht, denn ich war schon jahrelang nicht mehr auf dem Friedhof und es gibt auch niemand, von dem ich weiß, dass er/sie bewusst zum Trauern hingeht. Einzig eine Nachbarin, die in meinem Auftrag und gegen Geld , das Grab pflegt. Das Grab liegt ca 600 km von hier. Ich habe keine Beziehung zu Ort und Gegend.Es lebt dort auch niemand, den ich gerne besuchen würde und daher bin ich auch in den letzten Jahren nicht mehr dort gewesen.Irgendwie habe ich den Besuch am Grab auch gar nicht gebraucht.Ich war ihnen trotzdem verbunden, besonders im Wald bei einem Spaziergang oder an einem x-beliebigen Bach auf einer Bank sitzend. Ich trage beide in mir, kann jederzeit Erinnerungen an sie abrufen. Meine Pflegeeltern sind nicht vergessen!! Warum macht mir jetzt diese Grabauflösung sooo zu schaffen??? Das ist doch irrational!

    Hinzu kommt ein schlechtes Gewissen, weil ich das Grab nicht wieder gekauft habe...


    Auch ansonsten holt mich die Trauer um meine lieben Verstorbenen wieder rigeros ein. Ich meine jetzt nicht den Tod meiner engsten Freundin. Da verstehe ich, dass alles noch so weh tut, ist ja gerade erst Mal ein Jahr her.

    Ich meine den Tod meiner leiblichen Eltern. Das liegt doch schon sooo lange zurück - der Tod meiner Mutter ist schon Jahrzehnte her - doch im Augenblick schmerzt mich ihr Suizid sehr...man könnte meinen, sie hätte sich erst gestern getötet... Ich hadere mit ihr ( dabei müsste ich sie doch verstehen, denn ich kenne ja diese Verzweiflung) und fühle mich um meine Kindheit/ Jugendzeit betrogen.Ich führe gedanklich viele Streitgespräche mit ihr, dabei dachte ich, ich hätte alles "verarbeitet".

    Auch habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich meinem Vater nicht verzeihen kann...Er hat mich einfach nach dem Tod meiner Mutter abgeschoben - weil seine neue Frau uns nicht wollte, etc pp... Müsste ich ihm - jetzt als erwachsene Frau - nicht langsam verzeihen können?, zumal er später sehr viel leiden musste.


    In mir ist momentan so viel durcheinander.

    Hängt vielleicht auch mit meiner Chemo zusammen - ich meine diese "überzogenen" Gefühle.

    Apropos Chemo - ich "stecke" sie überraschenderweise gut weg. Die Nebenwirkungen halten sich in Grenzen und sind erträglich. Zwischen den einzelnen Chemos geht es mir immer nur einige Tage lang schlecht, die restlichen Tage sind den Umständen entsprechend okay. Zum Glück verliere ich bei dieser Art Chemo keine Haare, dafür bekam ich etliche Kilos geschenkt :-)

    Nächstes Jahr bin ich gesund - das behaupte ich immer und niemand kann mich von dieser Meinung abbringen.


    Jetzt, nachdem ich alles so runter geschrieben habe, geht es mir etwas besser.


    Danke fürs Lesen


    blaumeise

  • Hallo Blaumeise,


    ich möchte nicht wieder gehen, bevor ich dir ein paar Zeilen hier lasse.

    Dein Post stimmt mich nachdenklich und es tut mir sehr leid, was du mitmachen musstest. Ich kann es nur erahnen. Ich hatte selber keine gute Beziehung zu meiner Mutter und sie starb Anfang des Jahres.


    Zum einen zum auflassen des Grabes. Wann ist es soweit?

    Gäbe es die Möglichkeit, etwas vom Grab an dich zu nehmen, eine Vase, einen Stein oder etwas, was dich an deine Pflegeeltern erinnert und du mit nach Hause nehmen kannst? Quasi ein "Gedenkstein", wo du Blumen hinstellen oder Kerzen anzünden kannst? Oder ein Foto?


    Mit dem auflösen des Grabes kommt auch die Erinnerung wieder hoch.

    Deine Mutter war sehr sehr krank und sah nur mehr diesen Ausweg aus ihrem Leid.

    Lese ich richtig, dass du es bei deinen Pflegeeltern gut hattest?


    Ich denke, Trauer ist nie vorbei sondern anders. Es ist wieder eine Welle der Trauer bei dir angekommen. Vielleicht ist es diesmal möglich, in dieser Phase des Abschieds, dich von deiner Mutter zu verabschieden und "Frieden" zu schließen mit dem was in deiner Kindheit war. Vielleicht hilft auch professionelle Unterstützung. Ich gehe gelegentlich zu einer Therapeutin um meine Gedanken und Gefühle zu ordnen, es hilft mir sehr. Ich bin dabei, mich mehr als Erwachsene wahrzunehmen und die Bedürfnisse meines inneren Kindes zu erkennen und zu respektieren.


    Ich wünsche dir alles Gute und Viel Kraft für die Chemo!


    Lieben Gruß

  • Liebe Blaumeise,

    ich möchte mich Vilja anschließen. In allem eigentlich.

    Habe in meinem Wohnzimmer das Foto vom aufgelösten Grab meiner Uroma hängen. Sie ist fast auf den Tag genau 100 Jahre älter als ich. Ich kannte sie also nicht. Trotzdem ist mir das Bild wichtig und ich denke oft an sie.

    Alles Gute Dir!

  • Liebe Vilja :24:,

    Liebe StillCrazy :24:,


    danke, dass ihr auf meinen Beitrag geantwortet habt <3<3 Eure Rückmeldung tat mir sehr gut.


    Heute bekam ich Post .


    Die Nachbarin, die das Grab pflegte, hat mir etwas Erde von dem Grab geschickt.

    Ich habe mir jetzt vorgenommen, diese Erde zusammen mit Blumenerde in einen großen Blumentopf zu füllen und zu bepflanzen. Mit welcher Pflanze weiß ich allerdings noch nicht - aber wohin ich den Blumenkübel stellen werde, das weiß ich schon - direkt neben meinen Lesesessel ans Wohnzimmerfenster. Im Paket lag auch ein Bild, aufgenommen VOR der Grabräumung, eine kleine Vogeltränke und der Rosenkranz, der das Kreuz schmückte.


    Jetzt sitze ich hier und weine vor Rührung... aus Dankbarkeit... aus Sehnsucht und Wehmut und und und


    Ja, Vilja, du hast richtig interpretiert: ich hatte es bei meinen Pflegeeltern sehr gut. Sie haben mich geliebt, obwohl ich es ihnen nicht leicht gemacht habe. War ein sehr verschlossenes, bockiges Kind/ Jugendliche. Ich habe sie ebenfalls sehr geliebt, habe es ihnen aber nie deutlich gesagt, habe meine Gefühle guut versteckt. Leider ...


    Wünsche allen, die hier lesen, einen guten, erträglichen Tag.

    Denkt bitte daran - das Leben ist so zerbrechlich, zeigt eure liebevollen Gefühle, bevor es vielleicht zu spät ist. Aber das wisst ihr ja schon.


    AL

    blaumeise

  • dabei dachte ich, ich hätte alles "verarbeitet".

    Liebe Blaumeise,

    daran können wir sehen, dass Trauer nicht zu "verarbeiten" ist.

    Ich kann mir gut vorstellen, dass mit deiner Diagnose und der Chemo die Trauer um deine verstorbenen Menschen wieder auf kommt.

    Auch die Auflösung des Grabes spielt sicher eine große Rolle. Denn dieser Ort, auch wenn du nicht oft dort bist, ist wirklich ein letzter sichtbarer

    Ort der ihnen gehört.

    Und es kommt die Frage, was bleibt von ihnen. Die Erinnerung, die Verbundenheit, das Anklagen und das in sich hineinspüren. Deine Mama hat sich

    selbst entschieden (entscheiden müssen) aus diesem Leben zu gehen. Das ist auch eine Verletzung, die sie dir zugefügt hat. Darum streite ruhig mit

    ihr. Auch wenn es schon so lange her ist.

    Ich wünsche dir heute einen der besseren Tage und dass die Chemo ihre Aufgabe erfüllen mag.

    Lg. Astrid.

  • Liebe Blaumeise,


    auch ich kann mich den Vorherschreibenden nur anschließen. Die Auflösung eines Grabes kann wirklich heftige Gefühle auslösen! Als das Grab meiner Großeltern mütterlicherseits geräumt wurde, ging es mir furchtbar. Das war immer "mein Ort" und als ich später wieder dichter bei wohnte, besuchte ich es beinahe jedes Wochenende. Meine Eltern sind auf dem gleichen Friedhof begraben und von ihnen aus kann ich immer die noch die bestehende Lücke und den leicht eingesunkenen Boden sehen. Ich weiß, wer dort liegt und heute ist es gut so für mich. Damals fand ich nach der Räumung noch zwei vergessene Buchstaben der Inschrift vor, die ich mir mitgenommen habe. Die werde ich demnächst kreativ am Elterngrab installieren.


    Was mich gerade etwas wütend macht, ist der Satz zum Verzeihen gegenüber Deinem Vater. Solch (unbewusster) Verzeihungsdruck ist für mich wie eine weitere Ohrfeige der Schwarzpädagogik an unsere eh schon traumatisierten inneren Kinder. Ich finde, wir müssen gar nichts vergeben. Nach meiner Erfahrung schrumpfen Schmerz und Wut im gleichen Verhältnis zueinander zusammen, wie wir uns bewusst diesen furchterregenden Erinnerungen stellen und sie als Teil unseres Selbst integrieren. Ich habe meinem Vater nie "vergeben" und mit jedem weiteren Schritt , den ich wage, Licht in die Lüge meiner Familie zu bringen oder im Heute erkenne, was alt ist durch neue, heilsame Erfahrungen ersetze, kehrt auch Ruhe ein.


    Es geht m.E. nicht darum , Versöhnung zu üben, sondern mich meiner Wut und meinem Schmerz zuzuwenden und mir selbst gegenüber zu FÜHLEN, ja, das und das habe ich erlebt und es war schlimm. Wichtig erscheint mir das Fühlen, das Benennung und vor allem das Nichtverurteiltwerden für das, was ICH erfahre.


    Herzgrüße von

    Hayat