Das sind die Quälerinnen: die alte, häßliche, dürre Mutter Einsamkeit hält den Armen fest mit ihren Spinnenfingern, bindet ihm jedes Glied, lähmt ihm jeden Muskel, verschließt ihm Mund und Ohren, daß er nicht schreien, nicht fortlaufen, nicht Hilfe holen kann, und derweil treibt ihr grausames Kind, die Reue, ein bestialisches Spiel, sticht und kratzt, brennt und schneidet, preßt das Herz zusamen mit rauhen Händen, greift durch die Stirn in den Kopf hinein, lockert dort Faden auf Faden, zerreißt die Stränge des Willens, trübt und verrückt die Bilder klarer Vorstellungen und gießt ein schleichendes tödliches Gift in das wollende Gefühl. Wer sich nicht aufrafft mit energischer Kraft, die Alte beiseite schleudert, ihre Bande zerreißt und zu gesunden, frohen Menschen flüchtet, der ist verloren.
Paul Keller (1873 - 1932), deutscher Schriftsteller
Quelle: Keller, P., Gedichte und Gedanken, 1933