Im Juni letzten Jahres habe ich meinen Vater verloren, er war 60 Jahre alt, ich 23.
Wir haben als Familie (Mama, Papa, mein Bruder und ich) zweieinhalb Jahre lang die Hölle durch gemacht.
Februar 2017: Diagnose Prostatakrebs. Zitat Arzt „Gar kein Problem, machen Sie sich keine Sorgen. Wir werden die Prostata operativ entfernen, und sie werden weder Bestrahlung noch Hormontherapie, oder sonst was benötigen“. Okay. Nahmen wir so hin. April 2017 die besagte OP. Geschätzte Dauer nach dem Erfahrungswert: 5 Stunden. Tatsächliche Dauer: 8,5 Stunden. Da kann doch was nicht stimmen... Arzt: „Die OP wird doch nicht ausreichend sein, wir mussten noch mehrere Lymphknoten entfernen, der Tumor ist über die Prostata heraus gewachsen. Wir werden sofort mit Bestrahlung und Hormontherapie beginnen, damit wird er aber ganz sicher gesund.“
Nach wochenlangem täglich ins Krankenhaus fahren für die Bestrahlung, regelmässig Hormonspritze die meinem Vater stark zugesetzt hat und er immer mehr Probleme hatte beim Gehen (dadurch dass die Bestrahlung in der unteren Bauch Region war und dabei auch gesundes Gewebe verbrannt wird, hatte er diese Probleme beim Gehen) wurde uns dann nach dem Abschluss der Therapie gesagt, dass auch das nichts gebracht hat, der Krebs ist immer noch da. Medikamentenwechsel stand an. 3 Monate gemacht, 3 Monate geholfen, 2 weitere Monate gewartet, Krebs zurück. Wieder ein Schlag für uns alle.
Damals immer noch beim Urologen, hat dieser meinen Vater (oder quasi eigentlich uns alle) an einen Onkologen überwiesen.
PET-Scan stand an. Krebszellen im Schlüsselbein und Arm. Schlüsselbein gebrochen. Höllenschmerzen. Bestrahlung zum 2. Tatsächlich, Metastasen weg.
Nächster PET-Scan. Metastasen in der Wirbelsäule und Leber. Bäm wieder ein Schlag.
20. November 2018: Termin beim Onkologen: „Unheilbar“ unheilbar? UNHEILBAR?! „1,5 - 3 Jahre. Eher 1,5“
Sofort Start mit Chemo, so kann man das längste noch raus holen.
Chemo 1: 6 Wochen. Kein Erfolg
Pause
Chemo 2: 5 Wochen kein Erfolg
Pause mit Chemo 3 in Planung.
Juni 2019: Termin bei der Hausärztin, mit dabei Mama und ich als Verstärkung: die Frage aller Fragen „Herr M. wollen sie das wirklich noch länger ertragen? ich bitte Sie sich zu überlegen, ob die ständigen Krankenhausaufenthalte durch Ihre Sz, durch ihre Schwäche, durch Ihre Blutarmut ect das der Wert sind? Es handelt sich nur noch um Tage, höchstens Wochen die mit einer weiteren Chemo gewonnen werden können.“ Klare Worte, aber eine tolle Ärztin (Auch der Onkologe war wirklich top, auch wenn es vielleicht manchmal nicht so aussieht wenn ich das schreibe). Mit unserer Unterstützung dann die Entscheidung. Sofortiges Abbrechen aller Therapien. Alles wird abgelehnt, nicht Mal mehr eine Blutentnahme. „Ich möchte aber nicht mehr nach Hause.“
Der letzte Gang ins Krankenhaus. Irgendwo ein Bett aus dem Ärmel geschüttelt. Paliativ Station voll. Eine Woche vorbei. Immer noch. Dann Umzug ins Palliativ Zentrum. 1 Woche später in Anwesenheit von Mama und mir, hat er aufgehört. Aufgehört zu atmen, zu leben, zu leiden. Auch zu lieben?
Zweieinhalb Jahre die Hölle. Für mich. Für meine Familie. Doch was ist mit meinem Papa? Wie hat er sich gefühlt? Ich wusste er wird sterben, aber er wusste „ich werde sterben“. Was hat das mit ihm gemacht? Er war sehr pragmatisch, Gefühle wurden selten gezeigt, aber er war eigentlich ganz „weich“ im inneren, er war ein seeeehr liebevoller Vater, er hätte alles für uns gemacht. Er war immer da und er har immer geliebt und das wussten wir alle auch ohne es täglich zu hören. Doch jetzt liegt dieser 1.80m grosse, starke Mann da. Leblos.
Nach riesen Qualen hat er es geschafft. Geschafft? Nein. Verloren? Klingt zu hart.
Was ist denn das richtige? Bin ich gemein, dass ich zu der riesen Flut der Traurigkeit ein kleines Fünkchen Erleichterung verspüre? Erleichterung, dass seine Schmerzen weg sind, aber auch für uns als Familie, da das ständige Hin und Her zwischen Krankenhäusern und allem vorbei ist, dass das Zusehen wir er nach und nach zu einem Häufchen Elend wird vorbei ist? Ich weiss es nicht. Ich weiss nichts.
Mein Kopf hat sich ausgeschalten. Minuten, Stunden, Tage vergehen. Wieso fährt der Busfahrer normal seinen Bus weiter? Wieso verteilt der Postbote die Post? Wieso arbeitet die Dame an der Kasse im Lebensmittelgeschäft? Die Welt hat doch soeben aufgehört sich zu drehen. Wie kann das nur sein, dass alle so weiter machen als wär nichts? Schliesslich ist unsere Welt und die von vielen Verwandten und bekannten doch soeben zusammengebrochen.
Und jetzt? Papierkram. Telefonate. Briefe.
Beerdigung. Gespräche. Karten. Todesanzeigen. Wie am Laufband, was erledigt werden muss machen wir, schön aufgeteilt auf uns 3. Mama, Bruder, ich. Dazwischen viel Gehäule und Umarmungen.
Tag der Beerdigung, ja der war da. Aber an den kann ich mich kaum erinnern. Ich war nur physisch da.
Papierkram geht weiter. Telefonate. E-Mails. Ein endloser Kampf. Aber Ablenkung.
Und jetzt? Wieder arbeiten? Wie soll denn das gehen. Okay tun was ich tun muss. Die Welt dreht sich wieder, aber ich drehe mich irgendwie nicht mehr mit.
Tägliche Schwankungen zwischen Trauer, Wut, nicht verstehen, nicht akzeptieren, nicht anwesend sein mit dem Kopf.
Warum kommst du nicht wieder? Ich habe dir vieles zu erzählen und ich möchte dich wie jedes Mal wenn ich dich gesehen hab umarmen und deinen Bart kraulen weil ich das immer so lustig fand. Aber du bist nicht da. Ich finde dich nirgends. Nur in meinem Kopf, in meinem Herzen, auf Bildern. Aber das bist nicht du.
Wann kommt der Tag an dem ich das alles richtig realisiere? Wann kommt der Tag an dem ich es akzeptiere? Und wann kommt der Tag an dem ich dich wieder sehe? Ich habe nicht das Gefühl zu existieren, bin nicht glücklich und weiss irgendwie gerade auch nicht mehr wie das geht.
Ich liebe dich und du fehlst so sehr.