Hallo ihr wundervollen Menschen in diesem Forum,
im August ist mein großer Bruder mit 37 an akutem Herzstillstand ganz plötzlich verstorben. Er sollte am Mittwoch von einem Trip mit ein paar Freunden zurückkommen, um danach mit seiner Frau und Tochter weiter in den Urlaub fahren. Stattdessen stand jedoch die Polizei vor der Tür, um meinen Eltern mitzuteilen, dass er gestorben ist. Mein Vater rief mich nur an und sagte ich müsse nach Hause kommen, wollte mir jedoch nicht am Telefon sagen, was passiert ist. Diese 58 Minuten Taxifahrt waren entsetzlich lang, aber nichts im Vergleich zu den 3 bis 4 Sekunden die es in denen ich die Wohnung betrat und ich den Blick im Gesicht meiner Schwester sah und das Weklagen meiner Eltern warnahm.
Ich glaube, ich war ein paar Minuten ein wenig im Nebel, bin danach jedoch sehr schnell in eine Art Arbeitsmodus verfallen, da mein Bruder im Ausland verstorben ist und eine Rückführung ziemlich kompliziert sein kann. (Zumindest sind die deutschen Behörden keine sehr hilfsbereite Vereinigung.) Seine Frau und meine Eltern waren kaum ansprechbar, weshalb alles Nachfolgende von Staatsanwaltschaft bis Totenurkunde unterschreiben etc. in meinen Händen lag. Ich schreibe das hier vielleicht etwas nüchtern, jedoch lässt dieser Prozess auch nicht wirklich Raum für viel Trauer. Die kam dann danach und auch wenn ich ein tolles Netz aus Freunden und Hilfe hatte, war und bin ich so verdammt einsam. Dieses Schmerz und das unendlich tiefe Loch und das Wissen, dass das nie wieder heilt. Seit er tot ist, habe ich das Gefühl mir fehlt ein essentielles Stück von mir. Irgendwie tief in mir drin fehlt etwas.
Ich habe trotzdem relativ schnell für mich herausgefunden, dass auch wenn ich ihn schrecklich vermisse das Leben trotzdem viel Schönheit in sich trägt. Vielleicht ist es auch, weil er so ein glitzernder Typ war oder weil ich die Chance hatte in den Wochen nach seinem Tod einige seiner Freunde kennzulernen, und ich sehen konnte, wie toll er nicht nur als Bruder, Sohn, Vater, Partner sondern auch als Freund war. Vielleicht aber auch, dass ich kurz nach seinem Tod im Traum mit ihm sprechen konnte und seit dem eine unglaubliche Ruhe und Akzeptanz mit seinem Tod in mir wohnt. Und auch wenn es makaber klingt, sind durch seinen Tot auch so viele schöne Dinge angestoßen worden, dass ich neben den vielen dunklen Momenten unglaublich viele schöne Farben und Formen der Liebe und des Lebens sehen kann. Glücklicherweise konnten wir auch sein Beerdigung sehr nach seiner Lebensart gestalten und eine Art Lebensfest in der Natur veranstalten, was mir immer noch Tränen in die Augen zaubert. Und dennoch, die Trauer und das Loch bleiben...
Leider waren meine Arbeitgeber in dieser Zeit nicht ganz so verständnisvoll, sodass ich nach zwei Monaten zurück im Job gekündigt habe. Seit Januar arbeite ich nun in China (nicht das erste Mal). Ich hatte schon eine Ahnung, dass diese weite Entfernung zu meiner Familie einen großen Einfluss auf die Trauerarbeit haben kann, aber jedoch nicht so groß. Ich merke an einigen Tagen unglaublich physisch, dass ich mir die Zeit nehmen müsste zu trauern. Aber mir fehlt ein Ort zum trauern. Fotos und Kerzen helfen mir nicht. Dieses "nicht trauern können" führt dazu, dass die Trauer mich in wahnsinnig schweren Wellen regelrecht überfällt, und meist zu Zeitpunkten, wo es so gar nicht auszuleben ist (Meetings auf Arbeit, yeahhh). Ich weiß aus meiner Trauergruppenzeit, dass eine gewisse Regelmäßigkeit der Trauerzeit mir wahnsinnig hilft. Aber hier in China verbinde ich einfach nichts mit ihm, es eine absolut andere Welt. Man ist physisch und gedanklich in zwei vollkommen unterschiedlichen Sphären. Und das tut mir nicht gut. (Hier ist der Tod ein ziemliches Tabu, daher gibt es auch keine Trauergruppen.) Eigentlich hatte ich geplant zu seinem 1. Todestag zu seinem Grab zu fliegen, aber aus aktuellem Anlass könnte sich das als sehr schwierig gestalten.
Deswegen meine Frage an euch, wie macht ihr das, wenn ihr nicht zu dem Ort eures Trauerns könnt? Schafft ihr euch einen Ort?
Vielen Dank für eure Zeit, die ihr euch zum Lesen nehmt!
Ganz viel Liebe für euch, Claudi
"I am lost in a rainbow
Now our rainbow is gone
Overcast by your shadow
As our worlds move on."