Meine Trauerzeit nach dem Tod meiner Mutter

  • Morgen werden mein Mann und ich an den Wohnort meiner Eltern reisen, Papi besuchen und Brüderlein und Schwägerin, Muttis Grab, Freundinnen. Es wird nur ein Kurzbesuch werden, denn am Montag geht es schon wieder heim.


    Wir werden in der ehemaligen Wohnung meiner Eltern wohnen, der wunderschönen, und dabei auch beginnen, erste Dinge aus aus den Schränken als Erinnerung mit heim zu nehmen, soweit bin ich jetzt und freue mich darauf, ihnen dann in meinem Zuhause hier Platz zu schaffen und wie wertzuschätzen und bei uns hier zu integrieren.


    Ich bin da in den letzten 6 Monaten wirklich weitergekommen, habe Frühling, Sommer, Herbst vorbeiziehen erlebt durch die Wohnungsfenster - ohne meine Mutter - habe nichts verändert, denn obwohl ziemlich schnell klar wurde, dass Mutti nicht mehr zurückkehren würde, konnte ich nicht gleich mir die Wohnung aneignen. Ich wusste, Mutti tat es wohl, zu wissen, dass ich dort war und alles hütete und mir wäre es geschmacklos erschienen, nicht erstmal noch monatelang in der Schwebe zu lassen und Muttis Privatwohnung unberührt in Ehren zu halten, falls sie zurückkäme und sowieso rein aus Pietät und gegen eine Abwicklungsmentalität gegenüber vielen Wohnungsgegenständen, die ich ein Leben lang kenne, weil sie einfach zum Familienleben seit immer dazugehörten.


    Erst, als es darum ging, Muttis Pflegeheimzimmer wohnlicher zu gestalten, da suchte ich dafür Schönes aus, schloss aber sofort wieder die an Wänden und in Regalen entstandenen Lücken durch anderes, denn eine schon im Abbau befindliche Wohnungseinrichtung hielt ich nicht aus und wollte ich auch meinen Geschwistern nicht zumuten, wenn sie kamen, auch wenn ich die Einzige war, die jemals dran gedacht hatte, die Wohnung noch zu behalten.


    Auch der alten Vermieterinfreundin wollte ich einen fliegenden Wechsel einfach nicht zumuten. Deren Mann war gerade einige Monate zuvor gestorben und sie hätte im Leben nicht gedacht, dass Mutti ihm so schnell folgen würde. Sie war auch in Schock und auch Panik, jetzt mit ihren 81 Jahren sich noch an neue Mieter zu gewöhnen, nein, wir alle brauchten Zeit, würdiges Entschleunigen und Verweilen.


    Erst jetzt, bald 4 Wochen nach der Beerdigung, kann ich mir vorstellen, die Schrankinhalte zu verteilen, abzugeben, mitzunehmen. Meine älteste Schwester weiß zu allem Geschichten zu erzählen, sie hatte nach der Beerdigung schonmal durchgeschaut und erzählt.


    Und auch, je nachdem, was ich in Sachen Hausverkauf von der Vermieterin an Terminen hören werde, bin ich bereit, erste Dinge abzubauen in der Wohnung. Frühling - Sommer- Herbst in der wunderschönen Wohnung meiner Eltern ohne beide darin - ja, kommt noch der Winter, dann schließt sich ein Jahreskreis und ich kann loslassen. Dann . . . jetzt noch nicht, ich habe keine Eile.

  • Und es tat und tut auch unendlich gut, uns beiden, der Vermieterfreundin und mir, wenn ich anders als bei diesem Kurzbesuch jetzt dieses WE, sonst jeden Monat seit Frühling eine Woche kam und wir durch alle Phasen des Schreckes und der Trauer und der Stabilität, die wir beide aber erstmal weiterhin in Haus, Garten, Wohnung beibehalten wollten und so sehr brauchten, denn die Vermieterfreundin stand nun auch über kurz oder lang angesichts der neuen Entwicklungen ohne meine Mutter im Hause, sobald sie es klar sah, vor der Realität, sich lieber mit ihren 81 Jahren eine barrierefreie Wohnung im Stadtzentrum kaufen zu wollen, auch wenn sie noch so sehr an dem Haus hängt, in dem sie 60 Jahre wohnt, das Elternhaus ihres Mannes, das zu verkaufen ihr das Herz zerreißt, aber einfach sinnvoll ist für ein sorgenfreies und altersgerechtes Wohnen in ihrem Alter, das n o c h ohne Betreuung geht, aber wie schnell das anders werden kann, haben wir ja beide gerade mit meiner Mutter gesehen.



    Die Kinder der Vermieterin, die auch ungefähr in meinem Alter sind, haben eigene Häuser und wollen das alte Haus nicht übernehmen, helfen jetzt viel mit dem ersten Sortieren von des Vaters ganzen Büchern etc., also im Grunde erleben die Vermieterfreundin I. und ich jetzt in gewisser Weise eine Wohndomizilaufgabe, an der das ganze Leben hängt.




    Für uns beide ist das ein wahrer Segen, uns gegenseitig darin zu begleiten, denn unsere Familienangehörigen haben da eine bisschen andere Warte zu und auch nicht die Zeit wie wir beide Ruheständlerinnen, wenn wir jeden Monat eine Woche uns täglich mindestens einmal zusammenhocken und alles durchsprechen.




    Daraus ergibt sich soviel weiterer Segen: Für I. bin ich eine liebevolle Fortführung der Werte von Mutti und er Kontinuität in mancher Weise, für mich ist I. auch eine neue wichtige Person, eine mütterliche Freundin, wo meine Mutti ging. Sie ist auch eine Erfahrung einer viel unkomplizierteren und unbelasteten Kommunikation mit einer Frau in Muttis Alter. Also ein wahrer Segen für uns beide.


    Ebenso ergeht es A., der mehr als 30 Jahren mit meinen Eltern befreundeten Haushaltshilfe, die geradezu "verwaist" ist, wo meine Mutter ihr eine unkomplizierte und unbelastete mütterliche Freundin sein konnte. Auch da sind A. und ich uns schwesterlicher Segen, wo meine eigenen Schwestern und die von A. ausfallen!




    Das tat auch meiner Mutter sehr gut, zu wissen, dass ich da für Kontinuität sorgte, dass A. sie weiter besuchte, weiter für mich die Wohnung in Ordnung hält und auch nicht von jetzt aus gleich eine Arbeit verlor, die finanziell, aber ebenso menschlich mehr als ein Vierteljahrhundert dauerte. Meine Eltern sahen A.´s Kinder aufwachsen, hüteten sie, wenn A. arbeitete, mein Vati fuhr sie immer im Auto heim, schwärmte für sie und beide machten sich einen Spaß daraus, wir alle.




    Der Wohnort meiner Eltern war nie mein Wohnort. Zwar blieben sie im selben Bundesland, aber sie zogen an einen sehr schönen Altersruhesitz, den sie beide schon zuvor auf Reisen zu lieben gelernt hatten.


    Dort fanden sie Erholungsreisemuße, dort hielt mein Vater auf Dienstreisen in der Gegend immer noch auf ein Feierabendbierchen an, bevor er zum Wochenende heim fuhr.




    Dort wohnten meine Eltern schon, als ich mein Studium beendete, in die Berufstätigkeit ging. Dort besuchte ich sie, bevor ich 30 Jahre alt war, in ihrer ersten Wohnung jahrelang von Zeit zu Zeit mit meinem langjährigen Partner aus dem Studium.


    Dort wohnte auch noch mein Bruder als "Junggeselle", bevor er in eine eigene Wohnung zog und dann auch bald mit seiner späteren Frau zusammenzog dort, bevor sie dann zusammen eine Eigentumswohnung erwarben.




    Dort war eine riesige Obstwiese vor dem langen Wohnzimmer-Glasfront-Balkon. Dorthin kam noch mein geliebter Opa, der Vater meiner Mutter, zu Besuch. Meine Zwillingsschwester mit Freund, meine ältere Schwester mit Freund und dann Ehemann. Damals war noch keine große Distanz, aber Spannungen gab es immer.




    Bei meiner Mutter war es so, dass sie zusammen mit meinem Vater immer wunderschöne Wohnungen für das Alter aussuchte, die ganz viel von unserem Kindheitszuhause weiter atmeten und ausstrahlten und doch was Neues waren.


    Sie waren an wunderhübschem Wohnort, in schönen Wohnungen, sie machten viele Ausflüge, Urlaubsreisen, Sport, Kultur, Kirche, Freundschaften, Familienbesuche.




    Und sowohl der Wohnort als auch deren Alltag und Umgebung strahlten ja all diese Wohligkeit der Entspannung nach anstrengenden Leben aus und meine Eltern waren ja noch fitte SeniorInnen, junge SeniorInnen.




    Das h ä t t e so schön sein können, so heiter wie mein Vater war und so schwungvoll und neu wie auch unsere eigene Selbständigkeit als Kinder und Einmünden in Beruf und Ehen!




    Aber in meiner Mutter stieg immer in schönstem Aufeinandertreffen und miteinander Spaß, Familienfreude und Leichtigkeit fühlend und lebend, eine innere psychische Bedrängnis regelmäßig jeden Tag auf, die aus ihrem Kriegskindheitstrauma resultierte, lauter verdeckte Flashbacks, die eine solche Wahrnehmungsverzerrung und innere Unruhe und Aggression mit sich brachten, dass Muttern unvermeidbar wieder die schönste Stimmung verdarb durch plötzliche Giftpfeile, Stimmungsabsenkung und Schikane.


    Ihre inneren Qualen projizierte sie dann auf meinen Vater oder uns Kinder und das Beisammensein stürzte ab.




    Heute sehe ich das ganz klar, aber auch mit dieser Klarheit wäre das nicht zu ertragen.




    Vor allem wurde es immer schwerer, dann, wenn ihre Flashbacks vorbei waren, wieder die Scherben zu übersehen und so zu tun als sei nichts geschehen. Denn wenn wir dann sauer waren, waren wir es aus Mutters Sicht immer selber Schuld wie wir ja auch ihre schlechte Stimmung zuvor selber Schuld waren.




    Wir waren damals alle noch jünger und ahnungsloser und waren dieses Auf und Ab ja von Kleinauf gewöhnt, aber die Verletzungen und Trigger summierten sich bei jeder von uns, so dass der Familiensegen oft schief hing und böse Briefe und Telefonate hin und her gingen und sich dann doch immer im Kreis drehten und nicht zum Kern des eigentlichen Traumas kamen.




    Aber dennoch, im Nachhinein kann ich die Schönheiten dieses Wohnortes im erlösten Nachhinein noch nachgenießen und nachverkosten und dankbar sein für diese Erinnerungen.

  • Liebe Mayatochter, ich lese grad deine Geschichte.

    Ich bewundere dich, so zu reflektieren und sich auszudrücken.

    Echt toll.

    Ich kann da einiges mitnehmen.

    Es war bei uns auch nicht immer alles in Ordnung.

    Mutter unehelich am Land auch im Krieg aufgewachsen usw.


    Es gab auch wegen meiner frühen Panikattacken viele Probleme, weil mich keiner verstand.


    Die letzten Jahre fanden wir zueinander und ich verstand einigermaßen, warum und wieso sie so handelte.

    Warum ich krank wurde, hab ich bis heute nicht ergründet.


    Du bist wirklich toll.

    Von Herzen alles Liebe von Eli

  • Liebe Eli, wie lieb, deine anerkennenden Worte! :2::*

    Hast du schonmal überlegt, ob du Ängste vom schweren Schicksal deiner Mutter übernommen hast als Kind?
    Meine Schwestern und ich hatten das nämlich und viele andere auch.

    Liebe Grüße! mayatochter

  • Liebe Mayatochter, ja das hab ich tatsächlich schon überlegt.

    Ich war auch ein ganz kleines dünnes Baby, weil Mutti in der Schwangerschaft schwer gearbeitet hat, giftige Dämpfe eingeatmet hat und nur gebrochen hat.

    Keine Zunahme.

    Keiner glaubte, dass ich ihr Kind bin.Und sie war so ängstlich; dass ich sterben und ihre Mutter durfte den Vater ihres Kindes, also Mutti nicht heiraten und hatte nie mehr einen Partner und ich bin auch fast immer Single mit meinen 65Jahren, ohne viel Selbstwert.

    Meine Schwester ist ganz anders.


    Alles Liebe und Danke


    LG Eli <3

  • Liebe Eli, davon kannst du sicher ausgehen, dass dich diese Mängel in der Kindheit emotional geschädigt und geprägt haben, auch wenn es gar nicht (mehr) heute um Schuld deiner Mutter geht und sie selber jung und verloren, verängstigt und überfordert war.

    So viele Gesundheitsfolgen und über kindliche Entwicklung kannte man eh damals nicht.

  • Trauer hat wirklich ihre ureigenen Wellen und Abläufe!


    Mein Mann und ich fühlten uns in der Elternwohnung sehr sehr wohl und mein gewiss nicht an Übersinnliches glaubend zu verdächtigen ist, sagte, er fühle die Präsenz meiner Mutter noch genau identisch wie immer!
    Das stimmt auch!

    Nur für mich ist es die aus allem Dunklen mit ihrem Sterben jetzt einzig wie ausgesiebte, pure und unkomplizierte, weil immer nur wohlwollende und Willkommen heißende Liebe meiner Mutter, die ihre Wohnung erfüllt und immer schon auch spürbar war, die Eltern liebten die Wohnung und unsere Besuche!

    Alles Dunkle ist weg!

    Aber genau darum fiel mir der Abschied von der Wohnung sehr schwer, wühlte tief in mir tiefe und scharfe Trauer um und um, war ich lange den Tränen nahe.


    So hatte ich ja mein geliebtes Goldrandgeschirr meiner Familie nun vorsichtig eingepackt und mein Mann hatte es ins Auto sicher verstaut!


    Das Einpacken diesesvielteiligen Geschirrs dauerte Stunden, brachte mich zum Stressschwitzen und zu schwarzen Zeitungsblattfingern und schaffte mehr und mehr Löcher in den Schränken!

    Dazu die ganz leicht Aprikotfarbene Stick-Tafeldecke samt Stoffservietten, Liebende Wertschätzung und schöne Einrichtungsvorstellungen bei uns daheim wechselten mit Überanstrengung emotional und dann angesichts der Lücken in den Schränken wälzte tief in mir die scharfkantige Trauerwelle heran!

  • Heute fand ich ein wenig Kraft für Gartenarbeit, und die 3 Fächer für das geliebte Goldrandgeschirr, Mutti, sind auch freigeräumt, damit hier keine Taschen rumstehen, wenn Göga morgen damit heimkommt. :28: Ansonsten verbraucht alles viel Energie.

    Am liebsten läge ich den ganzen Tag nur lesend und schreibend und schlummernd gemütlich herum. :19:So Winterschlafartig!


    Meine älteste Schwester und ich sind uns ja in den letzten Monaten echt nahe gekommen. Das hat aber auch jetzt Grenzen, die zeigen, dass wir nicht nur Familienzerrüttungsbegründet doch sehr andere Wege im Leben gingen.


    Meine Schwester hat anscheinend keine Krankheitsbiografie wie ich und darum noch viel mehr Aggressionen und Wut auf alles, was meine Eltern in ihrem Leben nicht optimal schafften!
    Sie selber sieht es so, dass man das wie sie mit großer Selbsthärte schaffen kann.


    Da ich selber genausoviel Scheitern wie Erfolge erfahren habe, bin ich da viel nachsichtiger und entspannter.
    Wut und Aggressionen liegen da schon lange hinter mir. Es sei denn, es betrifft familiäre Trigger.


    Ich lebe einen Alltag des Minimalismus und der kleinen Schritte und meine Schwester, die gerade erst in Rente ist, packt sich die Tage voll und argumentiert im Denken an unsere Eltern viel mit Hass, Wut, Aggressionen, Verachtung, Härte, was für mich ein Vokabular der verbalen Gewalt ist, das eine Sackgasse ist, was wir doch bei Mutti erlebt haben. Außerdem stehe ich dafür nicht zur Verfügung!







  • So, jetzt habe ich 3 Schrankfächer die Woche über freibekämt für Muttis Goldrandgeschirr, das heute Abend mit meinem Mann heimkommt.

    Das war zwar eine Aufrafferei, aber ging erstaunlich schnell mit Umräumen, es gibt nur noch ein Ministäpelchen auf der Treppe, das ich oben einräumen will.


    So kann ich am Sonntag im Sonntagssegen alles einräumen und allein die Vorstellung macht schon was Gutes in mir.

    Dann ist was aus der sich Überlebenden und auflösenden Elternwohnung bei mir und bekommt neue Heimat bei der Familie.

    Beim Auskramen sortierte ich auch unsere große Kaffeebecheransammlung der Jahrzehnte und merkte, welche mir nichts mehr sagen und welche sehr viel oder meinen Männern viel bedeuten.

    Dabei wurde auch sonnenklar, dass nichts, was mir wichtig ist, für das Elterngeschirr weichen darf, so sentimental bin ich nun doch nicht.


    Gleich zünde ich noch auf Muttis Gedenkseite ihr heutiges Kerzlein an und schreibe einen Trauer-Tagebuch-Satz in ihr Kondolenzbuch, das tut mir auch gut! Auch, aktuelle Fotos dort zu sammeln zu ihrem Grab und Papi und der Wohnung und auch, ein jahreszeitliches Foto dort zu posten und kleine Geschenke.

    Alles zwischen Trauer, Gedenken, Trauerarbeit und liebevoller Spielerei.




  • :24:<3 Du auch, liebe Eli, wir alle hier. :)


    Heute Nacht konnte ich kaum schlafen, weil ich mich überlastet fühlte. Von allen Seiten kam was, was zu tun war.


    Behördenpost für Sohnis Belange, denn mein Mann und ich sind ja seine rechtlichen BetreuerInnen, seit er nun erwachsen ist. Sohnis Alltagsbelange, die auch sich knubbeln zur Zeit, obwohl es ihm schon viel besser geht, seit er sich von seinen Corona-Ängsten nun mithilfe leider notwendig gewordener Medis, Therapiestunden mit seiner Autismus-Fachdienstfrau und regelmäßigen Terminen mit seiner Autismus-Fachpsychiaterin und einer bewilligten Arbeitsstundenreduzierung auf 30 Wochenstunden (Yipphie!) nun deutlich erholt, aber immer noch nicht wieder der Alte ist wie vor Corona, aber wer ist dann schon angesichts der ganzen Weltkrisen, die vor keinem Haushalt Halt machen.


    Dann noch Geburtstagsvorbereitung für Gögas Geburtstagstisch mit Geburtstagspost, Herbstblumen, einem Herbstigel aus Naturmaterialien sowie Pralinen, Beileidspost bedanken, aber vor allem einem inneren Grauen davor, dass es so schwer ist, sich Leute, mit denen ich nie was zu tun hatte, die aber meiner Mutter nahe standen, vom Hals zu halten. Ich will nichts von denen außer Trauerpost hin und her, ggfs. testamentarisch verfügte Kleinigkeiten.

    Sollte mich aber nicht wundern, wenn die Leute, die meiner Mutter nahe standen (ich denen aber nicht), eine gewisse Penetranz haben, die hatte meine Mutti ja nunmal auch sehr. So nach Motto: Persönliche Grenzen achten, was ist das? X(


    Und meine ältere Schwester, die keine Lust hatte, zu Muttis Beerdigung zu kommen und die Papi seit Monaten nicht mehr besuchte, die scheint sich aber dieser buckligen Scharen besonders anzunehmen. Das k a p i e r e ich nicht! :95::95:




  • Liebe mayatochter,


    musst Du nicht verstehen, sie wird sich als die tolle Tochter darstellen das ist das was sie brauchen.

    Ich kann verstehen das Du diese Menschen nicht näher an Dich ran lassen kommen willst.

    Würde ich auch nicht wollen.

    Bei meiner Oma war das so extrem und ich habe das gehasst.


    Bis Mama dann relativ schnell Schlussstrich gezogen hat mit diesen Leuten.

    Eine ist geblieben bis zu diesem Jahr/ Frühjahr ist auch sie gegangen mit 87 Jahren.

    Eine sehr gute Freundin der Familie und ein wunderbarer Mensch.


    Vlg. Linchen

  • Goldregen auf den Wegen

    <3

    Liebe Mutti, als ich eben auf dem Weg zum Postkasten mit Dankesbriefen für die Beileidspost unter einem herbstlichen Goldregen und über einen Goldregenweg lief, dachte ich daran, die Freundinnen an eurem Elternwohnort darum zu bitten, Herbstblätter aus Eurem Garten für mich zu sammeln und zu pressen! Denn das sind die letzten Frühlings-und Sommerkleider der Bäume, die noch mit irdischen Augen gesehen hast!

    Die werde ich dann gepresst und deinen vielen Bilderrahmen zu Kompositionen gestalten!


  • Welch schöne Idee! <3

    Danke, liebe Hedi, ich glaube auch, dass diese Idee Mutti und auch ihren Freundinnen, die ich gebeten habe, Blätter zu sammeln, Freude machen wird. Eine hat mir schon geschrieben, dass sie gleich heute mit ihrer Tochter losziehen will, genau das von mir Gewünschte zu machen und dass Mutti ihr noch so sehr fehlt.


    Weißt du, weiß wer, wielange man Blätter pressen muss, bevor man sie verbasteln kann?


    Heute morgen habe ich auf Muttis Gedenkseite online schon drüber nachgedacht, denn ich nutze das Kondolenzbuch dort als Stichwort-Trauer-Tagebuch und dieses Trauerforum hier als detailliertes Trauertagebuch, welche Angst Mutti vor Corona hatte, warum sie auch viel zu spät erst ins Krankenhaus ging, als es schon zu spät war. Ich meine, zu Recht aber. Im Winter im Krankenhaus war wirklich gefährlich und auch vernachlässigt mit all dem Personalmangel und dann noch ohne Besuch und isoliert, da wäre Mutti allein schon vor Angst gestorben.


    Aber gut, dass sie jetzt keine Sorgen haben muss wegen Corona und der Energiekrise und den steigenden Heimkosten für Vati und dem Krieg und was nicht alles noch.

    Sie war durch ihr langes schweres Leben so dünnhäutig geworden, sie hatte oft abends und nachts nur noch Angst, wenn ich ein Abendgebet las, das sie sich geschrieben und an ihr Sofa gelegt hatte und wenn ich überall im Haus die ermutigenden Glaubensappelle las, die sie geschrieben oder ausgeschnitten hatte! Die sollten alle ihre innere Unruhe und Angst lindern, die mit dem Alter immer schlimmer wurden.


    Sie liebte den Herbst in seinen Farben, war ja auch selber ein Herbstkind, aber sie fürchtete die Dunkelheit und die dunkle Jahreszeit. All die gemütlich überall heimelig platzierten Lampen, die die Wohnung abends wunderschön erhellten, ohne grell zu sein, kamen wohl zuletzt nicht mehr immer dagegen an.

    All die Briefkontakte, all die Besuche bei Papi, all die Besuche meines Bruders, der Freundinnen täglich, das reichte wohl alles nicht mehr gegen die innere Schwäche, die Kriegskindheitsgrauen in der Erinnerung zurückzudrängen!


    Und nun ist sie ERlöst davon und kann friedlich ruhen oder fliegen oder tanzen oder lachen in Licht, Liebe, Wärme und vollständiger Heilung bei ihrem guten Hirten, an den sie so fest glaubte und auf den sie so sehr hoffte.


  • Heute fühle ich mich ein bisschen kränklich mit erhöhter Temperatur und Muskelkater in den Oberarmen nach 4. Coronaimpfe gestern!

    Habe vorhin, nachdem ich auf der Online-Gedenkseite meiner Mutter das heutige Kerzlein angezündet habe, mal hier und da auf anderen Gedenkseiten, die gerade ein Gedenkkerzlein entzündet hatten, gelesen!


    Sehr sehr eindrücklich wurde mir da klar, dass es nach dem Versterben der Liebsten keine Zeit mehr gibt!

    Da war die Mama, die ihrem geliebten Kindlein, das nach seiner Geburt nur 8 Tage alt wurde, seit 21 Jahren täglich „Grüße von Mama“ schickt und ein Kerzlein entzündet!

    Da war der Ehemann, der seinen Ehemann, mit dem er 35 gemeinsame Jahre zusammenlebte und ihn vor kurzem verlor, einen so lebendigen biografischen Nachruf geschrieben hat, dass die Präsenz dieser großen Seele beim Lesen gegenwärtig wurde!

    Da war das Model, das vor 10 Jahren mit 20 Jahren starb und dem bis heute täglich FreundInnen Kerzlein anzünden!

    Da war der Ehemann, der seiner verstorbenen Ehefrau täglich seit 10 Jahren mehrere Kerzlein mit langen Texten dazu sendet!


    Ich fühlte mich richtig unter ihnen und in dieser Zeitlosigkeit!


  • Liebe Mutti, deine Wohnung erfährt weiterhin viel Wertschätzung! Schon all die Monate seit April, seit du nicht mehr dort warst. Das hast du ja zum Glück alles noch mitbekommen!

    A. hat jetzt all deine geschriebenen und unbeschriebenen Schreibsachen eingepackt in ihr Auto und hat deine verpackten haltbaren Lebensmittel zwischen sich und A. aufgeteilt.

    Deine unbearbeiteten Bücher hat sie ins Öffentliche Bücherregal gebracht und gestellt. Einige Eurer Fotoalben hat jetzt A., wie auch euer Silber, und ich schaue die anderen an und wähle mir aus nächstes Mal.
    Leere Wasserkisten sind weggebracht und das Abo gekündigt, der Rollator ist endlich abgeholt.
    Heute gehen einige Bilder deiner Fotowand zu den Cousins, die heute zu deinem Grab kommen.
    Die Eis in deinem Kühlschrank wurden sehr achtsam genüsslich über die Monate gefuttert von beiden A.

    Da das Haus jetzt genauso gut plötzlich und schnell verkauft werden kann wie auch möglicherweise erst in einem halben Jahr, sind wir Vier jetzt bereit!

    Nicht ohne Schmerzen, aber es wird überhaupt vom Herzen her vorstellbar!

    Und immer mehr Lücken der Unbewohntheit tauchen dort auf, aber kein Gedanken- und gefühlloses Wegrümpelnlassen, wenn denn endgültig die Container kommen.


    Jede und jeder im ganzen Haus ist nun in diesem herzzerreißenden Abschied und ahnt aber schon den nächsten Frühling dahinter!

    Wenn du gar nicht mehr selber das neue Jahr 2023 hier sein wirst und wenn Papi sich kaum noch erinnert und schon dann fast 7 Jahre im Stift lebt, dann bekommt es auch was von In-die-Länge-Ziehen, wozu wir alle wie ihr Eltern zu pragmatisch und unabhängig sind.


    Sehnsucht, Schmerz, Trauer werden noch bleiben, aber der Blick nach vorn sieht auch Neues Licht.