Mein großer Bruder ist nicht mehr da

  • Hallo liebes Forum


    Am Donnerstag ist mein großer Bruder nach sehr schwerer Krankheit in unseren Armen gestorben. Wir, unsere Eltern, seine Frau und ich, haben seine letzten drei Tage gemeinsam mit ihm verbracht bis zum Ende. Ich bin sehr froh, dass ich bei ihm sein konnte. Dennoch weiß ich nicht, wie ich diese Eindrücke verarbeiten soll. Und noch weniger weiß ich, wie ich mich damit abfinden soll, dass er nun einfach nicht mehr da ist. Ich hatte einige Wochen Zeit mich gedanklich "vorzubereiten", aber diese Endgültigkeit hat mich nun dennoch umgehauen. Ich kann nie wieder mit ihm reden, ihn nie wieder um Rat fragen, ihn nie wieder umarmen. Wie soll ich damit nur leben.


    Er war mir sehr, sehr wichtig. Wir hatten immer viel Kontakt, er hat ganz in der Nähe gewohnt. Sein zweieinhalb jähriger Sohn und meine eineinhalb jährige Tochter spielen gern miteinander. Ich bin die Patentante seines Sohns, er war der Patenonkel meiner Tochter. Ich dachte, wir würden ihnen zusammen beim Aufwachsen zusehen, zusammen in den Urlaub fahren und vieles mehr.


    Ich habe keine Lust auf ein Leben ohne ihn, auf ein Leben mit diesem furchtbaren, fast schon körperlichen Schmerz.

    Er hat sich als AC/DC-Fan das Lied "Ride On" für seine Beerdigung gewünscht. Ride on... Weitermachen... Aber wie soll ich das nur machen.


    Danke, dass ich mich bei euch ausheulen darf. Normalerweise mach ich das bei meiner Mama, aber sie muss mit ihrem eigenen Schmerz zurechtkommen. Mein Mann weiß nicht recht mit meiner Trauer umzugehen und ihm wird das glaub ich zu viel (unsere fünfjährige Beziehung war von Anfang an von traurigen Dingen überschattet, Krebsdiagnose meiner Mutter, Hirntumor-Diagnose meines Bruders und dann das Rezidiv, das zu seinem Tod geführt hat...), wir sind gerade erst in unser selbst gebautes Haus gezogen, die Umzugskisten sind noch nicht ausgepackt. Alles viel zurzeit.


    Viele furchtbar traurige Grüße

    Ricarda

  • Oh liebe Ricarda... mein herzlichstes Mitgefühl für deinen großen Schmerz und fühl dich hier einfach ganz warm umfangen...

    Wir alle kennen diesen unsäglichen Schmerz, einen geliebten Menschen gehen zu lassen... ihn nicht mehr um sich zu haben... Das ist etwas, das einem ersteinmal den Boden unter den Füssen wegzieht...

    Dein Bruder wird auch weiterhin an euerem Leben teilhaben und bei euch sein - auf ganz andere Weise! Aber das braucht ganz viel Zeit bis das im Herzen und in der Seele ankommen darf...

    Bis dahin heißt es einfach Tag um Tag zu bestehen.


    Dieses Lied, das er euch geschenkt hat, sagt viel über deinen Bruder aus. Er muss ein sehr starker Mensch gewesen sein!


    Du kannst dich hier immer und immer ausweinen - hier ist immer jemand, der dir antwortet oder einfach nur "zuhört"...


    Ich wünsche dir und deiner ganzen Familie ganz ganz viel Kraft für den bevorstehenden Weg!

    Fühl dich sachte umarmt, wenn du das magst...


    Von Herzen!

  • Liebe Ricarda,


    Du hast bereits meinen Beitrag kommentiert

    (meine kleine Schwester ist gegangen). Ich fühle jedes Wort, was du schreibst. Auch dass dein Mann nicht so recht mit deiner Trauer zurechtkommt. Auch unsere Ehe/Beziehung war seit Beginn überschattet von düsteren Ereignissen. Erst der Brustkrebs meiner jüngeren Schwester, 3 Monate später erkrankte auch meine ältere Schwester an Brustkrebs. Zuletzt hatte der Krebs meiner verstorbenen Schwester ebenso ins Gehirn gestreut, von daher weiss ich was das mit einem Menschen macht. Zeitgleich brachte ich meine Tochter auf die Welt und wir zogen in ein Haus.

    Ich hatte keine Gelegenheit mich zu freuen oder irgendetwas zu genießen, da ich die letzten Wochen und Monate nur in Krankenhäusern bei meiner Schwester verbrauchte.


    Auch ich wollte dass meine Schwester meine Tochter aufwachsen sieht und mit ihr viele Dinge unternimmt. Ich hab mich darauf gefreut mit der ganzen Familie an einem Tisch zu sitzen mit meinem Baby auf dem Arm. Meine Mutter ist wie ausgewechselt, sie ist nicht mehr die Frau die sie vorher war. Sie hat monatelang mit meiner Schwester auf der Palliativstation gelebt und Dinge gesehen, gehört, gefühlt die einer Mutter erspart bleiben sollten.


    Wir hatten auch Zeit uns vorzubereiten aber es trifft einen wie du sagst doch ganz plötzlich mit voller Wucht. Als es hieß, dass es ihre letzten Stunden sind, wollte ich es nicht wahrhaben und habe immer noch an ein Wunder geglaubt.


    Morgen ist die Beerdigung. Ich weiss nicht wie ich das verkraften soll.


    Mein tiefstes Beileid an dich, es tut mir leid dass du das gleiche wie ich durchmachen musst. Du kannst mir gerne jederzeit schreiben wenn es dir hilft.

  • Wir alle kennen diesen unsäglichen Schmerz, einen geliebten Menschen gehen zu lassen... ihn nicht mehr um sich zu haben... Das ist etwas, das einem ersteinmal den Boden unter den Füssen wegzieht...

    Dein Bruder wird auch weiterhin an euerem Leben teilhaben und bei euch sein - auf ganz andere Weise! Aber das braucht ganz viel Zeit bis das im Herzen und in der Seele ankommen darf...

    Bis dahin heißt es einfach Tag um Tag zu bestehen.

    Liebe Ricarda,

    was manche ( viele) auf ihrem Erdenweg erleiden müssen ist so unfassbar.

    Hier wirst Du Menschen finden denen es genau so ergangen ist.

    Das ist ein kleiner Trost…

    Ich fühle mit Dir.
    Nicole

    Danke euch beiden für die netten Worte. Es tut wirklich gut, unter Menschen zu sein, die verstehen, wie es einem geht. Bei vielen anderen in meinem Umkreis fühle ich mich so unverstanden. Hab das Gefühl, dass jetzt, nach einer Woche, die Trauer schon "unbequem" wird. Oder ich hab das Gefühl, "die mit der traurigen Geschichte" zu sein, man hört sich alles an und denkt danach "Ach, wie gut, dass es mich nicht getroffen hat". Auch kein schönes Gefühl. Bin aber wohl auch empfindlich zurzeit. Man kann es mir nicht so leicht recht machen.


    Auch deine Worte fühle ich zu 100 %. Furchtbar, was du erleben musstest.

    Du sagtest auch, dass deine Beziehung auch so überschattet von allem war. Wie geht es deiner Beziehung? Hast du das Gefühl, die furchtbaren Erlebnisse und das gemeinsame Traurig sein schweißt euch zusammen oder trennt es dich eher noch weiter von deinem Partner?

    Und wie war die Beerdigung? Wie ist es dir seitdem ergangen? Hat dieser symbolische Abschied "gut" getan (naja, gut sicherlich nicht, aber ich hoffe, du weißt was ich mein) oder ist die "Leere" seitdem eher noch schlimmer?

  • Liebe Ricarda,

    Ich hab nicht das Gefühl dass es uns zusammenschweisst, da mein Mann meine Schwester nicht so gut kannte und entsprechend auch nicht wirklich traurig ist. Er bemüht sich mir zuzuhören und nimmt mich mal in den Arm, aber das wars...mehr kann er halt auch nicht tun.

    Wie ist es bei dir?


    Die Beerdigung war furchtbar, meine Eltern sind beide zusammengebrochen. Ich hab versucht ihnen Halt zu geben, obwohl ich eigentlich selbst keine Kraft hatte. Ich finde seitdem ist auch die Leere viel präsenter.

    Meiner Mutter geht es von Tag zu Tag schlechter, sie ist nicht mehr wiederzuerkennen. Nichts ist wie vorher...


    Ich möchte einfach nur noch aufwachen aus diesem Alptraum.


    Wie geht es dir mittlerweile?

  • Was du von der Beerdigung erzählst, klingt wirklich furchtbar. Dass, finde ich, ist auch eine der vielen Sachen, die einen Tod von Geschwistern so furchtbar macht: dass man seine Eltern so leiden sehen muss. Wie geht es deiner Familie inzwischen?


    Was du zu deinem Verhältnis zu deinem Mann gesagt hast, kommt mir bekannt vor. Mein Mann kannte meinen Bruder zwar schon recht gut, aber ich habe trotzdem das Gefühl, dass er meinen Schmerz nicht nachvollziehen kann und bin lieber bei meinen Eltern als bei ihm. Ich fühle mich ihm gegenüber auch manchmal schuldig, weil unsere Beziehung dauernd so belastet ist und ich nicht die lockere, gut gelaunte Ehefrau bin, und habe das Gefühl, ich muss bald wieder "normal" werden.


    Die Beerdigung meines Bruders war für mich irgendwie... komisch. Seinen Namen auf der Tafel auf dem Friedhof zu lesen, war furchtbar. Es war einfach so falsch. Auch meine Eltern haben dann sehr geweint. Als wir am Grab selbst dann waren... Ich weiß auch nicht... Irgendwie hatte ich dann auch ein Gefühl von "Jetzt ist alles so, wie er das geplant. Die Musik hat er ausgesucht, die Urne hat er ausgesucht, der Platz hätte ihm gefallen, die richtigen Freunde sind da, das Wetter ist schön". Diese richtigen "Rahmenbedingungen" haben mich irgendwie beruhigt, weil ich mir vorher viele Gedanken gemacht hatte, ob es alles so wird, wie er es gerne gewollt hätte. Durch die Beerdigung ist es für mich aber nicht realer geworden oder so, das war es vorher auch schon. Und Abschied genommen hatte ich, als er im Sterben lag bzw. auch noch kurz danach, aber für mich bedeutete die Beerdigung nicht Abschied nehmen.

    Dass das Gefühl der Leere danach noch deutlicher war, kann ich aber nachvollziehen. Jetzt hat man irgendwie nicht mehr so viel zu tun/zu planen und könnte eigentlich zur Normalität übergehen, wenn da nicht... Tja, wenn da nicht dieses furchtbare, fast körperlich schmerzende Vermissen wäre.


    Für mich ist mit meinem Bruder auch meine Kindheit gegangen, an die irgendwann nur noch ich Erinnerungen haben werde, unsere Running Gags, mein fester Rettungspunkt, zu dem ich immer fliehen konnte... Mein kluger, immer einen guten Rat gebender, großer Bruder. Warum nur...

  • Liebe Ride On,

    ich fühle mit Dir.

    Meine Schwester und ich haben in der Kindheit auch so viel erlebt. Viel Negatives. Auch positives. Man versteht einfach nicht, dass es passiert ist. Und diese Dinge, die einem verbunden haben, über die man nicht mehr reden kann, das tut weh.

    Ich wünsche Dir Kraft und positive Energie

    Nicole

  • Hallo liebes Forum

    Ich wollte einfach mal wieder "hallo" sagen, Hallo in eine Runde von lieben Menschen, die mich verstehen, weil sie ähnliches erlebt haben.

    Es ist jetzt ein halbes Jahr her und noch kein bisschen leichter. Ich denke unzählige Male jeden Tag an ihn und kann "es" immer noch nicht realisieren, geschweige denn akzeptieren. Vor allem abends, wenn ich meine Tochter ins Bett bringe und kaum Ablenkung habe, kommen die Gedanken. Die Erinnerungen daran, was er in seinen letzten Monaten aushalten musste, quälen mich. Und diese Endgültigkeit macht mich noch immer so unfassbar wütend. Mit allem Geld der Welt..Ich könnte mich auf den Kopf stellen und es gäbe keine Möglichkeit, ihn zurückzuholen. Ich möchte so gern mit ihm reden, so gern... Wie soll man das akzeptieren und damit leben? Ich habe das Gefühl, wir (unsere Eltern, seine Frau und Sohn, und ich) leben um ein großes schwarzes Loch herum. Er hat so eine große Lücke hinterlassen. Er fehlt einfach so...

    Meine Psychotherapeutin ist etwas verwundert angesichts meiner großen Trauer, sie kenne das eher vom Tod von Eltern oder Partnern. Kann ich nicht verstehen...

    Es wird alles nicht leichter. Es ist noch gar nicht lange her, der Schmerz ist noch unerträglich groß wie vor einem halben Jahr, und gleichzeitig ist es doch so lang her, dass ich das Gefühl habe, meine Umgebung erwartet, dass ich jetzt wieder "zur Normalität übergehe". Ich "funktioniere" ja eh, mache meinen Job, arbeite, tue. Aber "normal".... Normal wird für mich nie wieder irgendwas sein...

    Ich könnte hier seitenweise schreiben, aber die Nachrixht ist schon lang genug.

    Vielen Dank, dass ich euch hier zuquatschen und zujammern darf.

    Liebe Grüße an alle Menschen da draußen

    Ricarda

  • Liebe Ricarda

    die Geschwister mit denen man aufwächst, gemeinsame Eltern schöne Erinnerungen, Streit, Versöhnung

    die einem ungeschminkt in der Wohnung herumspazieren sehen, gemeinsam Lachen, gemeinsam Weinen gemeinsam erleben

    niemand der einem vielleicht neben den Eltern besser kennt als der Bruder oder die Schwester, enge Familie halt

    ich vestehe deine Trauer und dafür sind wir da zugequatscht zu werden und auch jammern gehört hier dazu:thumbup:

    dafür ist doch das Forum da

    Drück dich mal ganz toll:*:24:

    liebe Grüsse

    Ameliea

  • Liebe Ricarda,


    was ist ein halbes Jahr 6 Monate nichts...gar nichts.


    Deine Therapeutin kann ich schon wieder gar nicht verstehen, aber ja muss ich auch nicht.


    Du hast Recht nichts aber auch gar nichts kann Ihn Dir zurück bringen, was bleibt sind die Erinnerungen die so wertvoll sind.

    Was bleibt ist das Du weiter gehst mit Ihm zusammen immer bei Dir.


    Er wird immer da sein, es wird milder anders aber es dauert einfach eine ganze Zeit.


    Vlg. Linchen