Und es tat und tut auch unendlich gut, uns beiden, der Vermieterfreundin und mir, wenn ich anders als bei diesem Kurzbesuch jetzt dieses WE, sonst jeden Monat seit Frühling eine Woche kam und wir durch alle Phasen des Schreckes und der Trauer und der Stabilität, die wir beide aber erstmal weiterhin in Haus, Garten, Wohnung beibehalten wollten und so sehr brauchten, denn die Vermieterfreundin stand nun auch über kurz oder lang angesichts der neuen Entwicklungen ohne meine Mutter im Hause, sobald sie es klar sah, vor der Realität, sich lieber mit ihren 81 Jahren eine barrierefreie Wohnung im Stadtzentrum kaufen zu wollen, auch wenn sie noch so sehr an dem Haus hängt, in dem sie 60 Jahre wohnt, das Elternhaus ihres Mannes, das zu verkaufen ihr das Herz zerreißt, aber einfach sinnvoll ist für ein sorgenfreies und altersgerechtes Wohnen in ihrem Alter, das n o c h ohne Betreuung geht, aber wie schnell das anders werden kann, haben wir ja beide gerade mit meiner Mutter gesehen.
Die Kinder der Vermieterin, die auch ungefähr in meinem Alter sind, haben eigene Häuser und wollen das alte Haus nicht übernehmen, helfen jetzt viel mit dem ersten Sortieren von des Vaters ganzen Büchern etc., also im Grunde erleben die Vermieterfreundin I. und ich jetzt in gewisser Weise eine Wohndomizilaufgabe, an der das ganze Leben hängt.
Für uns beide ist das ein wahrer Segen, uns gegenseitig darin zu begleiten, denn unsere Familienangehörigen haben da eine bisschen andere Warte zu und auch nicht die Zeit wie wir beide Ruheständlerinnen, wenn wir jeden Monat eine Woche uns täglich mindestens einmal zusammenhocken und alles durchsprechen.
Daraus ergibt sich soviel weiterer Segen: Für I. bin ich eine liebevolle Fortführung der Werte von Mutti und er Kontinuität in mancher Weise, für mich ist I. auch eine neue wichtige Person, eine mütterliche Freundin, wo meine Mutti ging. Sie ist auch eine Erfahrung einer viel unkomplizierteren und unbelasteten Kommunikation mit einer Frau in Muttis Alter. Also ein wahrer Segen für uns beide.
Ebenso ergeht es A., der mehr als 30 Jahren mit meinen Eltern befreundeten Haushaltshilfe, die geradezu "verwaist" ist, wo meine Mutter ihr eine unkomplizierte und unbelastete mütterliche Freundin sein konnte. Auch da sind A. und ich uns schwesterlicher Segen, wo meine eigenen Schwestern und die von A. ausfallen!
Das tat auch meiner Mutter sehr gut, zu wissen, dass ich da für Kontinuität sorgte, dass A. sie weiter besuchte, weiter für mich die Wohnung in Ordnung hält und auch nicht von jetzt aus gleich eine Arbeit verlor, die finanziell, aber ebenso menschlich mehr als ein Vierteljahrhundert dauerte. Meine Eltern sahen A.´s Kinder aufwachsen, hüteten sie, wenn A. arbeitete, mein Vati fuhr sie immer im Auto heim, schwärmte für sie und beide machten sich einen Spaß daraus, wir alle.
Der Wohnort meiner Eltern war nie mein Wohnort. Zwar blieben sie im selben Bundesland, aber sie zogen an einen sehr schönen Altersruhesitz, den sie beide schon zuvor auf Reisen zu lieben gelernt hatten.
Dort fanden sie Erholungsreisemuße, dort hielt mein Vater auf Dienstreisen in der Gegend immer noch auf ein Feierabendbierchen an, bevor er zum Wochenende heim fuhr.
Dort wohnten meine Eltern schon, als ich mein Studium beendete, in die Berufstätigkeit ging. Dort besuchte ich sie, bevor ich 30 Jahre alt war, in ihrer ersten Wohnung jahrelang von Zeit zu Zeit mit meinem langjährigen Partner aus dem Studium.
Dort wohnte auch noch mein Bruder als "Junggeselle", bevor er in eine eigene Wohnung zog und dann auch bald mit seiner späteren Frau zusammenzog dort, bevor sie dann zusammen eine Eigentumswohnung erwarben.
Dort war eine riesige Obstwiese vor dem langen Wohnzimmer-Glasfront-Balkon. Dorthin kam noch mein geliebter Opa, der Vater meiner Mutter, zu Besuch. Meine Zwillingsschwester mit Freund, meine ältere Schwester mit Freund und dann Ehemann. Damals war noch keine große Distanz, aber Spannungen gab es immer.
Bei meiner Mutter war es so, dass sie zusammen mit meinem Vater immer wunderschöne Wohnungen für das Alter aussuchte, die ganz viel von unserem Kindheitszuhause weiter atmeten und ausstrahlten und doch was Neues waren.
Sie waren an wunderhübschem Wohnort, in schönen Wohnungen, sie machten viele Ausflüge, Urlaubsreisen, Sport, Kultur, Kirche, Freundschaften, Familienbesuche.
Und sowohl der Wohnort als auch deren Alltag und Umgebung strahlten ja all diese Wohligkeit der Entspannung nach anstrengenden Leben aus und meine Eltern waren ja noch fitte SeniorInnen, junge SeniorInnen.
Das h ä t t e so schön sein können, so heiter wie mein Vater war und so schwungvoll und neu wie auch unsere eigene Selbständigkeit als Kinder und Einmünden in Beruf und Ehen!
Aber in meiner Mutter stieg immer in schönstem Aufeinandertreffen und miteinander Spaß, Familienfreude und Leichtigkeit fühlend und lebend, eine innere psychische Bedrängnis regelmäßig jeden Tag auf, die aus ihrem Kriegskindheitstrauma resultierte, lauter verdeckte Flashbacks, die eine solche Wahrnehmungsverzerrung und innere Unruhe und Aggression mit sich brachten, dass Muttern unvermeidbar wieder die schönste Stimmung verdarb durch plötzliche Giftpfeile, Stimmungsabsenkung und Schikane.
Ihre inneren Qualen projizierte sie dann auf meinen Vater oder uns Kinder und das Beisammensein stürzte ab.
Heute sehe ich das ganz klar, aber auch mit dieser Klarheit wäre das nicht zu ertragen.
Vor allem wurde es immer schwerer, dann, wenn ihre Flashbacks vorbei waren, wieder die Scherben zu übersehen und so zu tun als sei nichts geschehen. Denn wenn wir dann sauer waren, waren wir es aus Mutters Sicht immer selber Schuld wie wir ja auch ihre schlechte Stimmung zuvor selber Schuld waren.
Wir waren damals alle noch jünger und ahnungsloser und waren dieses Auf und Ab ja von Kleinauf gewöhnt, aber die Verletzungen und Trigger summierten sich bei jeder von uns, so dass der Familiensegen oft schief hing und böse Briefe und Telefonate hin und her gingen und sich dann doch immer im Kreis drehten und nicht zum Kern des eigentlichen Traumas kamen.
Aber dennoch, im Nachhinein kann ich die Schönheiten dieses Wohnortes im erlösten Nachhinein noch nachgenießen und nachverkosten und dankbar sein für diese Erinnerungen.