Liebe Sandra,
nach langer Abwesenheit bin ich wiedereinmal im Forum gelandet und habe beim Lesen schon wieder festgestellt, wie ähnlich sich unsere Schicksale sind.
Auch mein Mann starb sozusagen "aus dem Nichts heraus". Er war nie ernsthaft krank, hatte nie irgendwelche großartigen Beschwerden. Er wurde sogar zwei oder drei Jahre hintereinander von seinem Arbeitgeber mit einer Urkunde belobigt, weil er nicht im Krankenstand war. Er war ein richtiger Bär mit seiner unbeschreiblichen Kraft.
Er starb auf dem Weg in die Arbeit, nur ca. 40 Meter von zu Hause entfernt, an einer akuten massiven Lungenembolie. An dem Tag, an dem er starb, klagte er über krampfartige Schmerzen in seiner linken Wade. Außer einer leichten Schwellung konnten wir nichts an seinem Bein erkennen. Am nächsten Tag wollte er zum Hausarzt gehen. Mittlerweile weiß ich, dass die Schmerzen von einer Thrombose kamen, die sich durch's Gehen gelöst hat und in die Lunge geschwemmt wurde.
Wie auch du habe ich mir inzwischen schon viele tausende Male den Kopf darüber zerbrochen, was wir an diesem Tag falsch gemacht haben, welche Anzeichen wir übersehen haben, was wir anders hätten machen sollen oder können. Ein paar Wochen vor seinem Tod hat er bei Freunden die Wohnung tapeziert und beschwerte sich darüber, dass ihm die Beine schmerzten. Ich meinte damals, dass das kein Wunder sei, weil er ja tagelang auf der Leiter gestanden ist, was er nicht mehr gewohnt ist. Waren diese Schmerzen schon ein Anzeichen für die Thrombose oder war es wirklich die ungewohnte Arbeit?
Drei Tage vor dem schrecklichen Ereignis taten ihm wieder die Beine weh. Da hatte er fast 20 Schubkarren mit Erde voll geschaufelt und in unseren Garten gebracht. Mir täte davon der ganze Körper weh von den Haar- bis zu den Zehenspitzen, habe ich damals noch gescherzt. Der Hausarzt meinte, das hätte alles nix mit der Thrombose zu tun, weil ihn beide Beine schmerzten, aber trotzdem denke ich immer wieder, dass er früher zum Arzt hätte gehen sollen.
Auch wenn mir inzwischen schon viele Leute, inklusive Ärzten, versichert haben, dass wir gar nichts falsch gemacht haben, dass solche schrecklichen Dinge einfach passieren und wir alle dagegen machtlos sind und mein Verstand durchaus dieser Meinung ist, so nagen trotzdem immer wieder diese Gedanken, dass es einfach verhindert hätte werden müssen, an mir.
Der gut gemeinte Trost, dass er schnell gestorben ist und dass ihm vielleicht viel Leid erspart blieb, hilft mir nicht wirklich weiter. Dann denke ich mir immer: Und wer kümmert sich um mein Leid? Warum muss ich das alles durchmachen?
Ich mache mir auch Sorgen darüber, ob vielleicht genetische Faktoren eine Rolle spielen, weil sein Vater hatte mit 45 Jahren einen Schlaganfall. Kann man das herausfinden und wenn ja, ab welchem Alter? Tragen meine Kinder eine "Gen-Zeitbombe" in sich?
Zum Glück werden diese "Gedankenstürme" mit der Zeit seltener und weniger heftig. Ich denke, dass ist ein erster Schritt zum Akzeptieren dieser unbegreiflichen Tatsache. Und erst nach diesem Akzeptieren kann der langwierige Prozess der Heilung beginnen.
Ich wünsche dir ruhige, erholsame, schmerzfreie Nächte und schicke viele liebe Grüße aus Wien
Dschina