Liebe Tina,
als allererstes möchte ich dir meine Anteilnahme am Tod deines Liebsten aussprechen. Ich kenne all die Gedanken und Gefühle die in deinem Kopf und Herzen kreisen sehr gut, deshalb möchte ich dir etwas erzählen, obwohl es mir auch jetzt noch, nach 35 Jahren nicht leicht fällt darüber zu schreiben, doch ich hoffe, daß du dir aus meiner "Geschichte" ein wenig Zuversicht holen kannst - die Zuversicht, daß auch nach einem solchen Schicksalsschlag das Leben wieder schön werden kann und lebenswert ist - irgendwann.
Ich lernte meinen "Seelenverwandten und Lebensmenschen" Heinz mit 17 1/2 Jahren kennen. Als wir uns das erste Mal die Hand gaben, traf es uns beide wie ein Blitz, uns war beiden von Anfang an klar: das ist "die große, "einzige" Liebe" und wir werden für immer zusammenbleiben. Es war schwierig - er lebte in einem kleinen Ort wo meine Eltern ein Wochenendhaus hatten, ca 120 km von unserer Wohnung entfernt. Und so sahen wir uns nur an den Wochenenden. Doch in Gedanken waren wir immer in Verbindung, wir "wußten" immer, wie sich der andere gerade fühlt. - Und die Telefonrechnung stieg ins Unendliche
Es vergingen 7 Monate, wir machten Pläne für die Zukunft und waren unendlich glücklich - auch wenn wir so viel getrennt waren.
Es war ein wunderschöner, heißer Augusttag, als ich Freitag Nachmittag bei meiner Freundin aus dem Auto meiner Eltern stieg, denn wir hatten vereinbart gemeinsam mit ihrem Freund zu viert etwas zu unternehmen.
Doch meine Freundin mußte mir sagen: Heinz hatte vor zwei Tagen einen Motorradunfall. Ein Traktorfahrer hatte ihm die Vorfahrt genommen, und er hatte schwerste Kopfverletzungen.
Auf einmal war die Sonne für mich untergegangen, und es hatte -20 Grad. Ich wußte bereits in diesem Moment, daß er nicht mehr aufwachen wird. Er starb in der folgenden Nacht, ich hatte ihn nicht mehr wiedergesehen.
Ich machte mir Vorwürfe: es war das einzige Mal in "unserer" Zeit, daß ich nicht gespürt hatte, daß es ihm "nicht gut ging".
Wenn ich zu ihm gefahren wäre, wenn ich darum gekämpft hätte zu ihm zu dürfen - es wäre mir gelungen, ihn aus dem Koma "zurückzuholen".
Und es hat sehr lange gedauert, bis ich einsah, daß ich nichts - gar nichts - hätte ändern können.
Oft stand ich auf einem unserer Lieblingsplätze auf einer 50m hohen Felswand und dachte: Warum springst du nicht, dein Leben ist doch so wie so zu Ende, du wirst nie wieder jemanden so lieben können wie ihn.
Gute 1 1/2 Jahre sah ich die Welt nur durch einen Schleier, "funktionierte" nur, hatte kein Gefühl außer der unendlichen Sehnsucht nach ihm. Und dem Schmerz in meinem Herzen.
Doch - damals fast unmerklich für mich - wurde es leichter.
Ich wollte nicht länger von meinen Eltern "abhängig" sein, machte den Führerschein und kaufte mir ein kleines Auto. Erst nur, um leichter zu seinem Grab zu kommen, aber egal - ich tat etwas.
Ich ließ mich von Freundinnen zu Kino-, ja sogar zu Disco-Besuchen überreden. Hatte danach oft ein "schlechtes Gewissen" und fiel wieder in ein Loch - doch diese Löcher wurden immer weniger tief. Und nach diesen ersten, zaghaften Schritten ging es dann sehr schnell bergauf.
Zwei Jahre und vier Monate nach dem Tod von Heinz lernte ich meinen Mann kennen, und knapp zwei Jahre später haben wir geheiratet.
Vielleicht ist es nicht "die" große Liebe - aber es ist "eine" große Liebe - denn sonst hätten wir es nicht bis jetzt immerhin gut 31 Jahre miteinander ausgehalten. Und ich bin glücklich und zufrieden mit meinem Leben.
Die große Wunde in meinem Herzen ist ganz langsam verheilt, blutete immer weniger, wurde zu einer Narbe, die auch jetzt noch schmerzt - aber nicht mehr immer. sondern nur mehr, wenn ich sie berühre.
Viele meinten: Ihr habt euch doch gar nicht richtig gekannt, wart doch noch so jung, wer weiß, ob ihr zusammengeblieben wärt. Solche Aussagen tun mir heute noch weh, denn ich "weiß" es einfach - er wäre mein Lebensmensch gewesen.
Tina - deine Antwort zu deinem Therapeuten stimmt auch mich sehr froh, sie zeigt, daß du sehr stark und auf dem richtigen Weg bist.
Laß dir Zeit, es war doch erst "gestern". Doch ich spüre, daß du es schaffen wirst, und - zur für dich "richtigen" Zeit - wieder glücklich und zufrieden durchs Leben gehen wirst.
Für diesen Weg wünsche ich dir die nötige Kraft und Ausdauer und alles Liebe
Jutta
PS: Ich hoffe, ich habe dir mit dem Anfang meiner Erzählung das Herz nicht zusätzlich schwer gemacht, aber ich weiß nicht, wie ich es sonst richtig "rüberbringen" soll