Lieber Josef - und alle anderen - die mir Kraft wünschen: vielen Dank dafür!
Liebe Astrid,
wie es mir geht???????? Es ist eine Berg- und Talbahn.
Vielleicht das Gute zuerst: meine Sehnenscheidenentzündung wird deutlich besser. (Was mich besonders freut, weil ich es als Zeichen nehme, dass mein Körper auch in der Lage ist, Dinge heilen zulassen und nicht immer nur neue Krisensymptome zu erzeugen).
Ich habe letzte Nacht verhältnismässig gut geschlafen. Meine übliche Medikation hat gereicht, es war nicht nötig (wie in den Tagen zuvor) Beruhigungsmittel zu nehmen. Das möchte ich, wann immer es geht, vermeiden - aus Angst vor einer eventuellen Abhängigkeit.
Bereits am Donnerstagabned, als das Trennungsszenario plötzlich so konkrete Konturen bekommen hat, hatte ich einen Infekt bekommen. Nase zu, Müdigkeit, Kopfweh, Schmerzen im Kieferbereich.
War in diesem Zustand am Freitag in der Arbeit und am Samstag auf einem (trotzdem sehr schönen) Ausflug. Der war schon lange geplant, wir sind mit meinem Bruder als Geschenk zu seinem 50er an einen See geafhren und waren zum Abschluß des Tages richtig, richtig fein essen.
Lisa und ihr Freund waren mit dabei. Wir haben und alle gut vertragen. Rudi hat den Ausflug sehr genossen. Ich auch.
Gestern habe ich dann versucht, den Infekt los zu werden. Was mir auch gelungen ist. Bin liegen geblieben, habe meine Schüssler Salze genommen, vor allem die heiße 7. Es hat wirklich gut getan.
Ich halte es nach wie vor für ein großartiges Bild, das Du da gebraucht hast: der Platz für Rudi, mich und die Krankheit ist zu eng. Immer, wenn sie in den Hintergrund tritt, ist ein gutes Miteinander möglich. Immer, wenn sie in den Vordergrund tritt, ist es die Hölle.
Ich habe gestern wieder versucht, mit ihm zu reden. Es ist halbwegs gegangen. Er hat mir (zum ersten Mal überhaupt) gesagt, dass es ihm auch oft zu viel wird.
Das war für mich bemerkenswert. Nicht, weil ich darauf in meiner Empathielosigkeit nicht gekommen wäre. Sondern weil es das erste Mal war, dass er das so ausgedrückt hat.
Ich würde ihm, mir, uns so sehr wünschen, dass er die bestehenden Hilfsangebote annehmen könnte. Beratung bei der Krebshilfe, Männergruppe in der Krebshilfe, ein Gespräch mit einem Psychoonkologen (das müsste er zahlen, in der KH-Ambulanz sind die nicht, nur auf der Station), Methoden der Komplementärmedizin.
Wir sind anfangs mit der Krebsdiagnose so recht und schlecht zurecht gekommen (nach dem ersten Moment des Schockes). Es war: wir beide gegen die Krankheit - wir trotzen ihr so viel Schönes wie möglich ab. Wir waren in Italien, es war wunderschön...
Dann kam die Info, dass es auch außerhalb der Knochen Metastaen gibt. Ungefähr zu der Zeit, als ich hier ins Forum gekommen bin. Und diese Diagnose hat die Prognose natürlich drastisch verschlechtert. Zuvor war es realistisch, noch von einigen Jahren mit guter Lebensqualität auszugehen. Jetzt ist das eher nicht realistsich. Die Ärzte hüllen sich über die Zukunft plötzlich in Schweigen (war zuvor nicht so war) - ich finde, das spricht für sich.
Nach dieser Hiobsbotschaft ist Rudi depressiv geworden. Wenn wir nichts unternehmen (da geht es ihm meist gut) sitzt er stundenlang da und starrt ins Leere. Wenn ich ihn anspreche sagt er immer: passt schon. Er ist grantig, grummelig, zieht sich zurück, reagiert nicht auf Berührung - wenn er sich überhaupt berühren lässt.
Ich kenne das von ihm, wir hatten das schon einmal ein paar Jahre lang. Aber das ist eine andere Geschichte.
Wann immer ich mit Fachleuten darüber spreche, bestätigen sie mir, dass es eine Depression im medizinischen Sinn ist - freilich (zum Glück) nicht in ihrer schlimmsten Erscheinungsform.
So gesehen sind wir eigentlich zu viert: Rudi, der Krebs, die Depression und ich.
Ich würde mir so sehr wünschen, ihm wünschen, uns wünschen, dass er etwas gegen die Depression tut. Da gibt es Möglichkeiten, das weiß ich doch aus eigener Erfahrung!
Das Zusammenleben mit dem depressiven Rudi ist für mich so unaussprechlich schwer (war es damals schon).
Insofern ist die Frage, ob ich ihn liebe, schwer zu beantworten: es gibt nämlich zwei Rudis. Den "normalen", den ich von Herzen liebe, und den depressiven, bei dem ich immer wieder gegen Wände laufe und mich auf's Neue verletze.
Und eine Frage, die weiterhin offen ist für mich: liebt er mich? Wenn ja, warum nimmt er dann nicht einmal die Baldriankapseln, die ich für ihn gekauft habe? Er würde vielleicht besser schlafen, sich vielleicht besser fühlen - und wir hätten es schöner miteinander.
Ist es ein unzumutbarer Aufwand, es zu versuchen? Er weiß, wie wichtig mir das wäre...
Ich spüre, wie in mir die Tränen aufsteigen, während ich darüber schreibe.
ich wende mich jetzt meiner Arbeit zu. Ich habe meine Notfalltropfen vor mir stehen. Ich werde diesen Tag gut bewältigen.
Und ich bitte Euch weiterhin: behandelt mich so, wie Ihr von anderen behandelt werden wollt. Einträge, die mir Egotripps, mangelnde Liebe oder sonstwas attestieren, werde ich nicht lesen. Man kommt ja relativ schnell drauf, in welche Richtung eine Mitteilung geht.
diese Botschaften haben mir die (ohnehin schon) schwierigen letzten Tage noch schwieriger gemacht.
Das kann ich für mich nicht brauchen - und Ihr könnt euer Engagement, das das Schreiben ja bedeutet, andernorts sinnvoller einsetzen.