Liebe Anja,
es tut mir so furchtbar leid für dich, ich fühle mit dir!
Als ich deine Beiträge las, kamen mir die Tränen und ich dachte an manchen Stellen, das ist ja so wie bei mir und meinem Mann.
Dein Verlust ist noch so frisch, es ist ganz normal, wie du dich jetzt fühlst!
Die Welt da draußen dreht sich einfach weiter, doch für dich ist sie stehengeblieben. Es ist, als ob man durch ein Fenster nach draußen schaut und nur fassungslos bei allem zusehen kann.
Der seelische Schmerz ist grauenvoll, unbeschreiblich quälend, das Herz krampft sich zusammen, die Kehle ist wie zugeschnürt, im Kopf herrscht das blanke Chaos, das Mühlrad schwerer Gedanken dreht sich Tag und Nacht, die Tränen fließen unaufhörlich, meistens kann man nichts essen, der Appetit ist völlig verschwunden...
Wer so einen Verlust noch nicht erlebt hat, kann ihn nicht nachvollziehen.
Es ist schlimm, dass du in dieser Zeit gezwungenermaßen funktionieren musst.
Du brauchst Hilfe dabei, ohne geht es nicht.
Hast du noch Eltern oder Schwiegereltern, die dich unterstützen können, ggfs. auch finanziell?
Gute Freunde, die ein bisschen mithelfen könnten oder dich einfach regelmäßig zum Essen einladen?
Trage dein Herz auf der Zunge, fordere Hilfe ein und nimm sie an, wenn sie dir angeboten wird, denn du bist in einer Ausnahmesituation.
Manchmal ist ein Antidepressivum nötig und sinnvoll, es ist keine Schande, wenn man es nicht ohne schafft!
Wir alle hier wissen, wie du dich fühlst und werden versuchen, dir bestmöglich beizustehen.
Die Trauer ist ein langer, harter und steiniger Weg, wir gehen ihn gemeinsam.
Mein Mann ist Ende letzten Jahres mit 59 Jahren ganz plötzlich verstorben, ich habe ihn beim Heimkommen gefunden und hatte danach einen Schock.
Wir haben uns auch mit 20 kennengelernt, wollten für immer zusammenbleiben, zusammen alt werden.
So vieles hatten wir noch geplant, alles dahin.
Genau wie Stille Perle, habe auch ich von einem schönen gemeinsamen Lebensabend geträumt, von viel freier Zeit, die wir gemeinsam verbringen, von Enkelkindern, die wir gemeinsam verwöhnen...
Unsere beiden Kinder sind 38 und 28 Jahre alt und wohnen nicht mehr zu Hause.
Sie leiden auch, aber sie haben ihr eigenes Leben, einen Partner, viele Freunde und Ablenkungen, für sie geht das Leben inzwischen relativ normal weiter
und sie schauen nach vorne. Das ist auch gut so.
Das Alleinleben fällt mir unheimlich schwer, ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich für alles alleine sorgen und die Verantwortung tragen muss.
Wenn ich im Büro bin, geht es einigermaßen, aber wenn ich nach Hause komme, bricht alles über mich herein...
Reparaturen stehen an, ein riesiger Baum muss gefällt, ein neuer Zaun gesetzt werden... Manchmal habe ich das Gefühl, ein riesiger Berg an Aufgaben türmt sich vor mir auf und ein unglaubliches Verlassenenheitsgefühl überwältigt mich.
Mein Mann war auch der Sorglose in unserer Beziehung, hat in allem etwas Positives gesehen und Probleme, ganz gleich welcher Art, stets erfolgreich auf die Seite schieben können. So stand er zwischen mir und der Welt als eine Art Schutzwall.
Ich bin und war diejenige, die immer gleich Panik bekam und Ängste ausstand. Oft hat er zu mir gesagt, Sabine, warte doch erst mal ab, du machst dir Sorgen um ungelegte Eier...
Nicht immer, aber meistens hatte er recht damit. Aber oft habe ich mich auch über seine Sorglosigkeit geärgert und geschimpft.
Auch bei uns ist vieles unerledigt geblieben, mein Mann hat viele Sachen geschoben und lieber was Schönes unternommen.
Für die Beerdigung musste ich mir Geld von meinen Kindern leihen, weil ich keinen Zugriff auf das Konto meines Mannes hatte.
Ich musste erst den Erbschein beantragen, das hat gedauert. Viele Verträge gab es nur online, ich hatte keine Passwörter von ihm.
Leider hatte er in den Monaten vor seinem Tod unsere private Buchhaltung vernachlässigt, alles lag in großen Haufen ungeordnet auf seinem Schreibtisch im Keller. Ich fing an, darüber zu grübeln, warum er nichts davon gesagt hat, ich hätte ihm doch geholfen.
Das bedeutete Schreibkram ohne Ende, mein großer Esstisch war in den ersten Wochen über und über mit Papieren bedeckt.
Ohne die Hilfe meiner Kinder hätte ich das nicht geschafft. Mein Kopf fühlte sich oft an, als ob er gleich platzt.
Ich konnte mich überhaupt nicht konzentrieren, habe den Zugang zu meinem Onlinbanking zerschossen, die Pin für meine EC Karte ist mir entfallen,
ich habe ständig alles mögliche vergessen, es war einfach nur schrecklich.
Manchmal dachte ich, dass mich die Sorgen auffressen und habe mir gewünscht, ihm einfach nachzufolgen.
Im Nachhinein denke ich, er hat das Leben bestmöglich genutzt und ich bin sehr froh, das er noch einen letzten wunderschönen Urlaub mit uns verleben konnte.
Er konnte so gut genießen, hat sich auch über jede Kleinigkeit gefreut. Ich wünschte, ich könnte jedes ärgerliche, böse Wort zurücknehmen.
Er hätte es verdient gehabt, noch viele schöne Jahre zu erleben.
Ich vermisse ihn unendlich!
Auch heute, 9 Monate danach, bin ich immer wieder fassungslos, dass so was passieren darf und er nicht mehr bei mir ist.
Der Schmerz hat sich verändert, er ist nicht mehr so beißend wie am Anfang.
Wehmut ist gekommen, die Trauer um viele verpasste Gelegenheiten, um das, was noch hätte sein können.
Ja, alles war so selbstverständlich, das ist es jetzt nicht mehr.
Seit Ende März mache ich eine Psychotherapie, dazu nehme ich ein Antidepressivum, das hilft mir vor allem, besser zu schlafen.
Alleine etwas zu genießen, das gelingt mir immer noch nicht. Ich hoffe, dass dieses Gefühl irgendwann wieder möglich ist.
Liebe Anja, das Schreiben entlastet oft ein bisschen, also schreibe dir alles von der Seele!
Du kannst mir gerne auch eine PN schreiben.
Ich drücke dich ganz fest !
Liebe Grüße
Sabine