Liebe Ros, liebe Sverja,
es ist so,und ich befürchte, fast alle hier mussten sich dumme und verletzende Kommentare anhören. Inzwischen habe ich davon eine umfangreiche Sammlung. Angefangen von anfänglichen Beileidsbekundungen, die im zweiten Satz von eigenen Erfahrungen, ungefragte Informationen über gestorbene Omas und Erlebnisse nach Scheidungen, etc. Scharfe Nachfragen einer Vorgesetzten, weshalb ich keine Beruhigungsmittel nehme und mich quäle und weshalb wir die Wohnungsräumung unseres Jungen keiner Firma überlassen haben, weshalb wir uns selbst um alle seine Sachen kümmern, und...und... und. Die Krönung war ihre Frage: Sagen Sie mal, brauchen Sie das? Brauchen sie es, zur Arbeit zu gehen? Nach diesem Gespräch fiel dann das Urteil, dass ich eigentlich nicht arbeitsfähig bin, mir jedoch gestattet wird, da zu sein, wenn ich es tu Hause nicht mehr aushalte. Sprachlos... Ich arbeite, erfülle meine Aufgaben und dies tue ich gut .Für dss Entertainment der Kollegen bin ich nicht zuständig. Der nächste Schritt war für mich Teilzeit, um diese Demütigungen nicht den ganzen Tag zu ertragen. Der weitere Schritt Antrag auf Home Office am Nachmittag. Ja, solche Dinge lehren einen, zu verstummen, um sich selbst zu schützen. Anfänglich in Verteidigungshaltung gegen alle blöden Äußerungen, jetzt rede ich nur noch mit wenigen über Privates.
Viel habe ich in den vergangenen Wochen gelesen und versucht und angefangen, nachdem ich wieder einigermaßen klar denken konnte. Aber ich sehe auch das Elend anderer, vor allem meiner Familie. Mit unwahrscheinlich großer Anstrengung versucht man immer, sich gegenseitig aufzubauen. Aber irgendwie bricht man auch immer wieder zusammen. Das Schlimmste ist für mich nicht das eigene Leid. Für mich ist das Schlimmste, dass mein Sohn einfach so gehen musste. Es gibt keine Diagnose, wahrscheinlich aber plötzlicher Herztod. Er hat am Abend mit seinen Kollegen ein wenig Fußball gespielt. Es gibt von diesem Vergnügen ein letztes Foto mit ihm. Jeden Donnerstag Abend höre ich den verzweifelten Anruf seiner Freundin, jeden Donnerstag Abend sehe ich uns im Auto zu ihm rasen, sehe uns im Hausflur auf der Treppe sitzen, weil die Polizei uns nicht zu ihm lässt, habe ich die Befragung der Kripo im Ohr, sehe in sein Gesicht im Schockraum, ... Jeden Donnerstag werden unsere Wecker umgedreht, um die Uhrzeit nicht zu sehen. Jeden Donnerstag Abend trinke ich zu meinem Beruhigungstee 1 Glas Wein und gehe ins Bett, um möglichst schnell einzuschlafen. Ich ertrage es nicht, dass er, der niemanden etwas getan hat, ein fröhlicher Sonnenschein... so schnell, so unangemeldet und ohne Abschied gehen musste. Ich habe solche Angst, irgendwann sein Gesicht und sein Lachen nicht mehr zu hören und seine Stimme, wenn er zu mir Mutz sagt oder Orrr Mutter, wenn er genervt ist.
Aber wem sage ich das. Eigentlich ist es furchtbar, dass man wildfremden Menschen mehr erzählt, als dem eigenen Umfeld. Chiao Ihr Lieben. Muss jetzt arbeiten.