Liebe
Puzzle,
das
tut mir sehr leid. Ein lahmer Flügel ist schei…benkleister. Ich
hoffe, daß endlich die richtige Behandlung gefunden wird und Du
wenigstens einen schönen Besuch bei Deinem Vater hattest. Ich fühle
mich nicht von Dir genötigt zu antworten, möchte es aber trotzdem
möglichst zeitnah tun.
Auf
einen gemeinsamen Nenner werden wir so schnell aber wohl nicht
kommen. Mir fehlt die Gabe die Dinge so zurecht zu biegen wie ich es
gerne hätte. Dafür bin ich zu sehr Realist. Ich sehe sehr wohl
Licht und Schatten, sowohl in meinem Leben als auch im Leben von
anderen Menschen. Ich sehe wie Menschen unter einem Leben, das sie so
nicht gewollt haben, leiden. Und ich sehe wie viel Schlechtes und
Schlimmes in der Welt ist. Wobei es natürlich sehr unterschiedlich
ist in wie weit der Einzelne davon betroffen ist, und wie damit
umgegangen wird. Ob Pakete groß oder klein sind kann nur jeder für
sich selbst entscheiden. Aber Ich denke schon, es gibt Sonnen- und
Schattenseiten im Leben. Allerdings liegt es nur im Auge des
Betrachters auf welcher Seite er sich gerade befindet, da hast Du
völlig recht. Ich kenne Menschen die ihre Pakete als sehr groß und
ihr Leben als wenig schön empfinden. Was ich gut verstehen kann.
Vielleicht haben sie aber auch nur einen falschen Blickwinkel?
Möglich. Vielleicht ist es aber auch genauso vorgesehen daß wir
eben nicht alle gleich blicken, sondern unterschiedlich. Natürlich
machen Blickwinkel und Einstellung sehr viel aus, das bestreite ich
gar nicht. Jeder hat seine eigene Sicht ob etwas gut oder schlecht
ist, und ob es auch etwas Positives hat wenn einem Schlechtes
widerfährt. Auch damit hast Du völlig recht. Für mein Empfinden
gibt es aber Situationen in denen sich nichts Positives finden läßt.
Und damit sehr wohl Schatten. Für unsere Männer mag es eine Gnade
gewesen sein daß sie gehen durften. Aber wo ist das Positive für
uns? Oder spielt es für das große Ganze keine Rolle daß der viel
zu frühe Tod für uns einfach nur bescheiden ist? Geht es in diesem
Fall nur darum was für unsere Männer gut war, auch wenn wir deshalb
leiden? Kann man natürlich so sehen, aber das wird nie meine
Sichtweise sein, weil wir ja ganz erheblich mit betroffen sind.
Jemand sagte einmal zu mir: wärst du deinen Eltern egal gewesen, hätten sie dich nicht geschlagen
Möchte
mal wissen wer das von sich gegeben hat und warum. Es beruhigt mich
aber sehr, daß diese Ansicht sogar für Dich zu krass und vor allem
zu einfach ist. Meine Eltern haben zwar einiges, aber nichts wirklich
gravierendes aus ihrem vorelterlichen Leben erzählt. Sie sind Mitte
der 1920iger Jahre geboren, und mußten wie fast alle Menschen ihrer
Generation Flucht, Krieg und Nachkriegsjahre erleben. Über diese
Zeit wurde, wie in vielen anderen Familien auch, überhaupt nicht
gesprochen. Mir ist völlig klar, daß meine Eltern schwierige
Lebensbedingungen hatten, und nicht gerade auf Rosen gebettet waren.
Das will ich auch wohlwollend bedenken.
Ich
durfte aber über Jahre und Jahrzehnte ganz hautnah miterleben wie
zwei Menschen aus derselben Herkunftsfamilie und den gleichen
Lebensbedingungen sehr unterschiedliche Eltern geworden sind. Mein
Vater hatte zwei Schwestern. Die eine Tante, mein Onkel und meine
beiden Cousinen haben ganz in unserer Nähe gelebt. Meine Schwester,
die Cousinen und ich sind zusammen groß geworden, und wir haben sehr
viel Zeit miteinander verbracht. Meine zwei Jahre ältere Cousine und
ich waren ein Kopf und ein Ar…. , wie man so schön sagt, und das
ist bis heute so. Wir haben vieles gemeinsam erlebt und angestellt,
und zum Glück haben unsere Eltern nicht alles mitbekommen. Ich habe
also einen sehr genauen Einblick wie ihr Leben verlaufen ist. Meine
Cousinen hatten ein liebevolles Elternhaus, und das wissen sie auch.
Die schönen Erinnerungen aus meiner Kindheit und Jugend habe ich
durch sie und meine Tante.
Dein
Vater hat viel Gutes für Dich getan, auch wenn die Art und Weise
sicher nicht immer die glücklichste war. Ich kann mir lebhaft
vorstellen wie Du gespuckt hast als er mal eben so Deinen Garten
umgegraben hat. Und was für nette Gedanken Du für ihn hattest, als
Du den Garten über Monate hinweg wieder aufbauen mußtest. Die Hütte
ist aber wirklich schön geworden, und inzwischen bist Du froh daß
Du sie hast. Die Idee mit dem Partnercasting war allerdings mehr als
fragwürdig. Wo hat er die Männer eigentlich alle hergezaubert? Er
meinte es aber gut und wollte seiner Tochter helfen. Mir wäre das
auch noch mehr wie peinlich gewesen. Aber ja, es war ein Zeichen von
Liebe und Fürsorge, das sehe ich auch so. Nach der Hochzeit meiner
Schwester sagte mein Vater zu mir, warum findest Du eigentlich keinen
Mann? So häßlich bist Du doch nun auch nicht. Auch ein Zeichen von
Liebe und Fürsorge? Mein Hirn war gestern mal wieder leergefegt,
nochmal Entschuldigung, ich habe aber trotzdem mal überlegt was mein
Vater bzw. meine Eltern für mich getan haben. Mir ist einiges
eingefallen was sie in finanzieller und praktischer Hinsicht für
meine Schwester getan haben. Für mich überlege ich noch.
Etwas
würde mich aber mal interessieren, mußt Du aber auch nicht
beantworten. Du schreibst, aus der Sicht Deines Vaters waren die
Schläge mit denen er Dich bedacht hat ganz anders als für Dich. Das
wundert mich jetzt nicht wirklich, aber wie waren sie denn für ihn?
Warum hat er sie für nötig gehalten? Ein erwachsener Mensch sollte
doch wissen können was Schläge für ein Kind bedeuten. Ich vermute
mal daß er auch Schläge bekommen hat. Wie hat er sich danach
gefühlt? Du konntest Deinen Vater inzwischen aber verstehen, und er
Dich. Ihr habt Frieden geschlossen, und das gönne ich Dir von
Herzen.
Wegen
meiner Eltern kann ich nichts mehr herausfinden, sie sind ja schon
vor einigen Jahren gestorben. Ich versuche es auch nicht, denn es
läßt sich ja nichts mehr ändern. Ich will sie auch nicht als
Ungeheuer hinstellen. Das waren sie natürlich nicht, aber eben sehr
lieblos mir gegenüber. Mit ihrem Verhalten habe ich schon eine Art
Frieden gemacht, auch wenn die Erfahrungen, vor allem aus Kindheit
und Jugend, mein Erwachsenenleben nicht gerade einfacher gemacht
haben. Und wie würde Puzzle jetzt sagen? Wer weiß wozu es gut war.
Ja, wozu. Irgendwann werde ich es sicher wissen, und darauf bin ich
jetzt schon sehr gespannt.
Bis
zu einem gewissen Grad kann ich Deine Einstellung und Sichtweise
durchaus nachvollziehen. Vermutlich konnte ich aber wieder nicht
verständlich machen warum ich nicht nur Positives sehen, und auch
meinen Blickwinkel nicht mal eben so ändern kann. Das macht aber
nichts.
Ich
sehe gerade vor mir daß wir uns irgendwann im Jenseits begegnen. Mit
Antworten die wir hier nicht bekommen haben, und mit Wissen das uns
hier noch nicht zuteil wird. Dann blicken wir auf unser irdisches
Leben zurück und sagen, was war es doch so gut daß wir uns hier im
Forum austauschen, und auch so schön aneinander reiben konnten. Weil
auch das wichtig und richtig für uns war.
Wenn
Du das liest ist der letzte Tag des Jahres angebrochen. Ich wünsche
Euch daß der heutige Abend nicht so schwer erträglich wird wie es
der Weihnachtsabend war. Und nach Mitternacht heißt es wieder,
„Neues Jahr, neues Glück“. Ich lasse mich gerne überraschen…
Hier
noch ein Spruch der Dir bestimmt gut gefallen wird:
So
pessimistisch bin ich dann doch nicht, aber ich finde er hat was.
Liebe
Grüße und komm möglichst gut ins neue Jahr.
Lilifee