Du liebe Esmussweitergehen...
Ich verstehe dein Schwanken sehr. Ich denke, jeder kennt dieses Schwanken, Hadern oder wie wir es nennen mögen...
Doch tief innen bin ich absolut überzeugt davon, dass es so ist, dass alles vorbestimmt ist und auch dass es weitergeht... Es sind Dinge in meinem Leben geschehen, die mir zeigten dass es wirklich so ist. In meinem alten Wohnzimmer schrieb ich davon... aber ich möchte es dir hier noch einmal erzählen...
Ich arbeite ja als Kindergärtnerin - schon viele viele Jahre... Als ich hier in meinem Heimatort einen neue Gruppe aufbaute und mit meinen 14 Kinderchen in einer alten Wohnung Kindergarten machte, geschah etwas ganz eigenartiges. Wir saßen alle zusammen beim Frühstück, es war ein sonniger und warmer Tag, die Kinder plauderten munter vor sich hin und schmatzten genüßlich. Plötzlich wurde es ganz seltsam still und ein kleiner Bub schaute in die Deckenecke hinauf und sagte: Hey Gott, warum streckst du deine Hand zu mir? Mir blieb das Essen im Hals stecken, die Kinder verstummten für einen Moment und der kleine Bub schaute ganz seltsam aus... es waren nur wenige Sekunden! Dann war es vorbei...
Die Kinder waren dann wieder wie immer und wir gingen fröhlich in den Garten...
Als ich heim kam, erzählte ich es meiner Mutter. Sie sagte nur: Das ist nicht gut...
Dann war es aber auch wieder vergessen und ich dachte nicht mehr daran... bis zu einem Tag in den Herbstferien, es war einige Wochen später. Da klingelte am Abend das Telefon und die Tante des kleinen Buben sagte zu mir: "Unser kleiner Bub kommt nicht mehr in den Kindergarten" ... ohnein, warum denn? Ich dachte sie wollte ihn abmelden oder so... aber dann weinte sie und sagte: "Unser Bub ist tot! Sie hatten einen Unfall. Man konnte nichts mehr tun."
Ich war geschockt, brachte keinen Ton heraus und wir legten auf...
Die Familie war auf einer Eisenbahnausstellung gewesen und auf dem Heimweg, sie konnten schon ihr Haus sehen. Da kam ihnen ein Irrer entgegen, der Vater konnte nicht mehr ausweichen und knallte gegen einen Baum. Den einzigen weit und breit. Die Eltern waren auch schwer verletzt, der Bub kam mit dem Hubschrauber in die Klinik...
Er war nicht mehr zu retten.
Die Mama wollte sterben. Sie lag lange im Krankenhaus...
Da fiel mir das Ereignis vom Sommer wieder ein und ein Bild, das der Bub gemalt hatte kurz vor den Herbstferien, kam mir ebenfalls in den Sinn. Es war ein ganz besonderes Bild: Er hatte sein erstes richtiges Männchen gemalt! Es war groß, lachte und hielt ein Schwert in der Hand, das bis zum Himmel hinauf reichte.
Ich setzte mich hin und schrieb alles für die Eltern auf... diesen Brief und das Bild packte ich zusammen und brachte es der Mutter ins Krankenhaus...
Wir sprachen nicht viel... es war ein so unbeschreiblich großer Schmerz und ich glaube, nur die Mütter hier, die ein Kind verloren haben, können diesen Schmerz fühlen...
Monate später besuchte ich sie zuhause und sie konnte über alles reden. Sie sagte, ohne diese Geschichte und ohne dieses Bild hätte sie nicht überlebt... Heute arbeitet sie in der Trauerhilfe.
Dieser kleine Bub brachte so viel Liebe in die Familie - sein Leben war rund... Er war ein kleiner Nachzügler, die Familie hatte schon eine große Tochter. Er war der Sonnenschein aller und brachte die Familie eng zusammen. Die Großeltern bauten den Garten um, dass er sich ja nirgends verletzte... alle gaben extrem auf ihn acht. Weil sie fühlten dass er ein Geschenk war... Aber nichts konnte diesen frühen Tod verhindern! 5 Meter weiter und das Auto wäre halt in die Wiese geschliddert... 10 Minuten früher und das Auto mit dem Irren wäre ihnen nicht begegnet...
Diese Geschichte zeigte mir, dass es WAHR ist, was ich den Kindern an ihrem Geburtstag erzähle (diese Geburtstags-Geschichte hab ich auch irgendwo hier augfgeschrieben...) und dass unser Leben "bestimmt" ist... auch wenn ich es manchmal total blöd finde, was in meinem Leben passiert und ich hadere...
Aber in dem Moment, in dem wir das annehmen was das Leben uns vor die Füsse legt - ob gut oder nicht - in dem Moment will es uns etwas geben.
Aus all den Krisen die ich durchleben musste, konnte ich am Ende stärker heraustreten als vorher. Auch nach dem Tod meiner Mama...
Glaub mir, es tut heute noch weh und meine Mama vermisste ihre Mutter über 30 Jahre jeden Tag... Auch wir werden unsere Mamas bis zu unserem Ende vermissen...
Und TROTZDEM sind unsere Mütter bei uns! Sie haben uns auf diese Welt gebracht... uns begleitet, uns all ihre Liebe mitgegeben... uns zu dem gemacht, was wir sind. Ja, sie leben in uns weiter weil wir ein Teil von ihnen sind! Für immer!
Das gibt mir Kraft in all dem Schmerz... der Trauer... des Zweifelns.
Auf deine Frage "Warum das alles" habe ich keine Antwort... vielleicht nur die: Dieses geschenkte Leben will gelebt werden... Mit allen Höhen und Tiefen. allen Freuden und allem Leid, allem Schmerz und allem Glück...
Und ich denke auch, dass es nicht vorbei ist wenn wir gehen...
Meine Mama sagte im Krankenhaus, als sie schon weit weg war: Und die Sonne geht auf! - das waren ihre letzten richtigen Worte... Mich hat es fast zerrissen und ich wollte es verhindern - mit aller Macht der Welt!
Unser Freund, der auf der Intensivstation arbeitete und Viele gehen sah, sagte: Sie ist schon ganz woanders... so war es wohl auch...
Aber diese Worte stärken mich jeden Tag! Denn jeden Tag geht die Sonne über unserem Leben und über dem der Gegangenen auf! Das schenkt mir Kraft...
Wir werden uns wiedersehen - wo und wie auch immer...
Ich wünsche euch allen viel Kraft für euere Wege... verzweifelt nicht an ihnen. Geht durch die Täler - Schritt um Schritt... ihr dürft gewiss sein: Es wird heller! Irgendwann... Verzagt nicht und verliert nicht eueren Mut...
Glaubt an die Liebe derer, die euch vorausgegangen sind! Diese Liebe ist unsterblich und sie wird euch immer umfangen und halten... auch, wenn ihr sie oft nicht spürt...
Fühlt euch umarmt!
Mirachen / Miraliese21