Meine Lieben!
Jetzt gerade zwischen dem 21. Dezember und dem 6. Jänner, befinden wir uns in den so genannten "Rauhnächte" oder "toten Tagen": Der alte Mondkalender aus zwölf Mondmonaten umfasste nur 354 Tage. Wie in allen einfachen Mythologien werden die auf die 365 Tage des Sonnenjahres fehlenden elf Tage – beziehungsweise zwölf Nächte – als „tote Tage“ eingeschoben. Tote Tage befinden sich „außerhalb der Zeit“, das heißt, außerhalb der Mondmonatsrechnung.
Von solchen Tagen wurde in früherer Zeit oft angenommen, dass die Gesetze der Natur außer Kraft gesetzt werden und die Grenzen zu anderen Welten fallen. Die Grenze zum Jenseits wird durchlässig, Geister und Dämonen können aus der anderen Welt herüberkommen, Tiere können sprechen und die Raunächte, besonders aber die Nacht vom 31. Dezember auf den 1. Jänner eignen sich gut zum Orakeln: Man kann das nächste Jahr voraussagen und auch beeinflussen.
Frau Holle – oder je nach Region auch „die Percht“ – steigen der Sage nach in der Nacht vom 5. auf den 6. Jänner zur Erdoberfläche auf.
Frau Holle mit den großen schiefen Zähnen ist die Märchenfigur, die wir alle kennen. Sie schüttelt die Betten und dann schneit es auf der Erde. Die Figur aus dem Märchen der Gebrüder Grimm geht auf die germanische Totengöttin Holda oder Hel zurück. An der Seite von Hel stand Odin bzw. Wodan, der Göttervater, Kriegs- und Totengott. Die beiden führten die Wilde Jagd an, eine Horde aus der Geisterwelt, die in den Raunächten auf ihren Besen durch die Lüfte reitet. Im Alpenraum entspricht Frau Holle, Holda oder Hel auch der Wintergöttin Perchta. Die Perchtenumzüge stammen von daher.
Frau Holda, Hel, Holla oder Holle und die Percht sind so genannte „Weiße Frauen“. Vor der Christianisierung waren diese Weißen Frauen sehr positive Gestalten und standen für den Zyklus von Geburt und Tod, galten als Schirmherrinnen der Hausfrauen, der Hausarbeit, der Weber und Spinner und nahmen sich vor allem der Kinderseelen an: Die Kinder kommen aus ihren Brunnen oder Seen auf die Welt. Wenn ein Kind stirbt, kehrt es über den Brunnen oder das Gewässer zurück und die Weiße Frau nimmt es mit in ihren Garten, in dem es schöner ist als auf der Welt. Dort gibt es Äpfel und Gebäck, glaubte man. An zahlreichen Teichen und Seen in Deutschland, Österreich und der Schweiz wurden Holla oder Perchta verehrt und diese Gewässer galten als Orte der Fruchtbarkeit. Ein Bad in ihnen sollte Kindersegen bringen. Diese Weißen Frauen kamen in der letzten Raunacht, aus ihren Gewässern und hatten die Aufgabe nachzusehen, ob die Hausfrauen in den Raunächten Ruhe gaben, um Kraft zu schöpfen für den Neubeginn, den Frühling, den neuen Zyklus von Werden und Vergehen. Sie waren Göttinnen der Regeneration und Wandlung und gingen ursprünglich auf die Gottheit „Nerthus“ aus der germanischen Mythologie zurück. Nerthus war geschlechtslos und symbolisierte Fruchtbarkeit, Ernte, Geburt und Tod. Im Volksglauben und in der deutschen Sagenwelt spielten mythologische Gestalten wie die Weiße Frau trotz der Christianisierung lange Zeit weiterhin eine große Rolle – offenbar bis heute.
Der Holunder – auch Holler genannt – gilt als Pflanze, die der Frau Holle geweiht ist. Er wurde bis vor einigen Jahrzehnten noch als Sitz der Ahnen verehrt. Jedes Haus hatte seinen Holerstrauch, der niemals abgeholzt werden durfte und beim Vorbeigehen gegrüßt wurde. Lange hielt sich der Brauch, dass Männer ihre Hüte zogen, wenn sie bei einem Holerstrauch vorbeigingen. In manchen Gegenden gab es nach dem Tod eines Kindes den Brauch, einen Holerstrauch mit Stoffbädern zu behängen, um der Holla oder der Percht anzuzeigen, dass hier eine Kinderseele mitzunehmen sei, denn die Weißen Frauen waren ursprünglich gute Totenmütter, die sich in der Anderswelt um die Kinder kümmerten. Im deutschsprachigen Sagenraum gibt es zahlreiche Trostmärchen für Mütter verstorbener Kinder.
Erst im Zuge der Christianisierung wurde Frau Holles oder Perchtas „Anderswelt“ – der schöne Apfelgarten – zur „Hölle“ dämonisiert. Hölle stammt von „Hel“ und „Holla“ ab. Es wurde ein Ort, an den die Heiden und Nicht-Gläubigen kommen und die Dämonen wohnen. Nach und nach verändert sich die Rolle der Weißen Frauen ins Negative: Sie werden zu schönen Weißen Frauen, die Kinder ins Jenseits locken und entführen. Schließlich vermischt sich ihre Rolle mit der der Hexen: Die Frau Holle bekommt im Märchen furchterregende schiefe und große Zähne, und aus der schönen Weißen Frau wird die böse bucklige Hexe, die in den Raunächten zwischen Weihnachten und Dreikönig ihr Unwesen treibt und Kinder holt.
Warum schreib ich das? Weil ich mit vielen Müttern und Vätern, die ein Kind verloren haben, den Holunderstrauch im Garten oder irgendwo in der Natur, auf ihrem Spazierweg zu einem Ort gemacht habe, an dem sie symbolisch oder als Begräbnsort einen Ort der Verbindung und der guten Wünsche für ihr verstorbenes Kind definiert habe. In der Nacht vom 5. auf den 6. Jänner hängen Eltern dann oft ein weißes Tüchlein in den Strauch, um der Frau Holla einen Gruß und gute Wünsche an ihr Kind mitzugeben.
Natürlich glaube ich nicht an die Frau Holla und ihre "Wilde Jagd", aber um das geht es nicht. Es geht darum, dass wir über diese alte Sage und das Ritual am Holunderstrauch Sehnsüchte und Wünsche zum Ausdruck bringen können, dass wir eine Verbindung zu diesen verstorbenen Kindern herstellen oder festigen können, weil uns das hilft und tröstet. Weil solche alten Geschichten und Rituale uns etwas ausdrücken lassen können, was Worte alleine einfach nicht schaffen.
Vielleicht eine Idee für die Betroffenen unter euch. Macht euch auf den Weg und sucht einen Holunderstrauch und überlegt euch, ob ihr nicht ein weißes Tüchlein hineinhängen wollt in diesen Tagen, mit all euren guten Wünschen und Gedanken.....
AL Christine