Guten Abend ins Forum,
erstmal - ich bin gerade sehr berührt und erfreut über das Glockenbimmeln oben rechts und könnte schon wieder heulen. Es passiert einfach so und unkontrolliert das, was gerade großes Therapiethema ist: Eruss ussem Kopp on rin in dat Jeföööhl...
Ich besuchte heute eine Freundin aus unserer Friedenstanzgruppe. Freundin? Ja! Wir sind eine freie, interreligiöse Tanzgruppe, die gemeinsam singt, feiert, tanzt und betet, vor allem für den Frieden im Kleinen. Wir reisen aus verschiedenen Ecken an den Treffpunkt und verbringen einen Samstag miteinander, etwa alle sechs Wochen. In der Regel sehen wir uns nur zu diesen Treffen, weil zu weit entfernt voneinander. Ich bin derzeit in einer Auszeit, weil mir mit der Endphase meines Vaters alles zuviel wurde.
Diese Freundin ist für den letzten Weg auf ihrer großen Straße zurück in die Heimat gekehrt und lebt nun im stationären Hospiz. Krankheitsbedingt war sie seit drei Jahren nicht mehr bei uns und zum Zeitpunkt, als die Krankheit bereits in ihrem Körper war und sie noch nichts wußte, teilten wir gemeinsam ein Zimmer bei einem Tanz-Wochenende - das war wunderschön und seither habe ich sie nie wieder gesehen und auch keinen direkten Kontakt mehr gehabt. Mal einen Kartengruß, oft dachte ich an sie und unser beider Alltage schlugen jeweils über uns zusammen. Seit sie im Hospiz ist, bin ich so mutig gewesen, den Kontakt noch einmal aufzunehmen, um die Beziehung rund zu bekommen und nochmal ein bisschen mit ihr sein zu können, immer vorausgesetzt, es geht ihr gut damit. So gehen die kurzen Nachrichten her und hin - boa, mir is so übel heute, ich muss ins KK, Wasser in der Lunge..., bin weggebeamt... ein Lied für Dich, eine Kerze, eine Sonnenblume...
Heute also mein Gang ins Hospiz. Ich bin gut genug im Thema drin, um sowieso maximale Bescheidenheit zu üben, ich saß 20 Minuten, vielleicht eine halbe Stunde mit ihr. Hand halten, Fußball gucken, Ventilator aus, Ventilator an, boa, mir iss so heiß, nein, mir ist kalt, ich hab Fieber - und eigentlich hab ich nie Fieber... Was mag da denn noch alles auf mich zukommen...?? Nee Du, Schatzi, Krebs ist echt nix für Anfänger, Kicherseufzen, Hand halten, was, 2:0 steht es - wer spielt eigentlich? Ach, Frankreich? Und ich, die doch im Ehrenamt zu den Sterbenden geht, spüre Unsicherheit!
Kraft meiner Vollberufstätigkeit bin ich im Altenheim im Einsatz, bei denen, wo keiner mehr hingeht, die vor sich hinsiechen, wo nix mehr geht und keiner so recht hin will und ehrlich, eine FREUNDIN nach Jahren des Nichtkontaktes auf der Zielgeraden zu erleben, das war eine maximale Überforderung. Ich WEISS, dass alles in dieser kurzen Zeit richtig und stimmig war. Ein bisschen Blubbern, Hand halten, versuchen, gemeinsam in einen Atemrhythmus zu kommen - da kam eine Rückmeldung, dass sie wieder etwas besser bei Luft sei im Moment, Fußball gucken und das tun, was gerade dran ist - Ventilator aus, Ventilator an.
Die Lektion in Bescheidenheit ist die, dass alles, was während all den Modulen gelehrt, was ich mir an "Fachwissen" angelesen, bei den eigenen Eltern vielleicht praktiziert und sicherlich in den Begleitungen unter dem Schutz meiner Funktion getan habe, völlig zusammenbricht, wenn ich als Privatmensch mit dem Sterben einer mir nahen Person konfrontiert bin. Verbiss Sogyal Rinpoche, Monika Müller, Gebete, Gesänge und alles andere - wenn da jemand liegt, den du so unglaublich gern magst - dann ist da nur noch das, was jetzt grad dran ist und dir wird bewusst,welche Filzlaus du eigentlich bist angesichts der Größe des Todes.
Es ist mir so unfassbar, dass sie bald nicht mehr unter uns sein wird. Eine andere Freundin besuchte sie vor einer Woche und bewunderte die großartige Ausstrahlung und Kraft dieser Frau und ich begegnete heute einer todkranken Person, die sehr gezeichnet ist von der Krankheit - und unverkennbar immer noch "sie selbst" mit all ihrer Offenheit, ihrer Verletzlichkeit, dennoch-Kraft und Liebenswürdigkeit. Es war schwer zu ertragen. Im Zimmer selbst war ich gelassen (und staunte innerlich) - doch den Moment, als ich draußen war und mir erstmal eine Sitzgelegenheit zum Sackenlassen suchte, war es vorbei mit der Fassung.
Und dennoch Ja dazu. Die Toten der vergangenen sechs Monate spiegeln und lehren mich mein Leben. Wie ich mit mir umgehe, wie ich mit sogar mir nächsten Menschen umgehe. Meine Therapiephase zur Zeit ist sehr eindringlich und auch dazu sage ich ja. Gehe durch, mache kleine Mutsprünge und siehe, es geht. Es geht weiter, weiter, weiter.
Danke fürs Zulesen.
Hayat