Lektion in Demut

  • Guten Abend ins Forum,


    erstmal - ich bin gerade sehr berührt und erfreut über das Glockenbimmeln oben rechts und könnte schon wieder heulen. Es passiert einfach so und unkontrolliert das, was gerade großes Therapiethema ist: Eruss ussem Kopp on rin in dat Jeföööhl...


    Ich besuchte heute eine Freundin aus unserer Friedenstanzgruppe. Freundin? Ja! Wir sind eine freie, interreligiöse Tanzgruppe, die gemeinsam singt, feiert, tanzt und betet, vor allem für den Frieden im Kleinen. Wir reisen aus verschiedenen Ecken an den Treffpunkt und verbringen einen Samstag miteinander, etwa alle sechs Wochen. In der Regel sehen wir uns nur zu diesen Treffen, weil zu weit entfernt voneinander. Ich bin derzeit in einer Auszeit, weil mir mit der Endphase meines Vaters alles zuviel wurde.


    Diese Freundin ist für den letzten Weg auf ihrer großen Straße zurück in die Heimat gekehrt und lebt nun im stationären Hospiz. Krankheitsbedingt war sie seit drei Jahren nicht mehr bei uns und zum Zeitpunkt, als die Krankheit bereits in ihrem Körper war und sie noch nichts wußte, teilten wir gemeinsam ein Zimmer bei einem Tanz-Wochenende - das war wunderschön und seither habe ich sie nie wieder gesehen und auch keinen direkten Kontakt mehr gehabt. Mal einen Kartengruß, oft dachte ich an sie und unser beider Alltage schlugen jeweils über uns zusammen. Seit sie im Hospiz ist, bin ich so mutig gewesen, den Kontakt noch einmal aufzunehmen, um die Beziehung rund zu bekommen und nochmal ein bisschen mit ihr sein zu können, immer vorausgesetzt, es geht ihr gut damit. So gehen die kurzen Nachrichten her und hin - boa, mir is so übel heute, ich muss ins KK, Wasser in der Lunge..., bin weggebeamt... ein Lied für Dich, eine Kerze, eine Sonnenblume...


    Heute also mein Gang ins Hospiz. Ich bin gut genug im Thema drin, um sowieso maximale Bescheidenheit zu üben, ich saß 20 Minuten, vielleicht eine halbe Stunde mit ihr. Hand halten, Fußball gucken, Ventilator aus, Ventilator an, boa, mir iss so heiß, nein, mir ist kalt, ich hab Fieber - und eigentlich hab ich nie Fieber... Was mag da denn noch alles auf mich zukommen...?? Nee Du, Schatzi, Krebs ist echt nix für Anfänger, Kicherseufzen, Hand halten, was, 2:0 steht es - wer spielt eigentlich? Ach, Frankreich? Und ich, die doch im Ehrenamt zu den Sterbenden geht, spüre Unsicherheit!

    Kraft meiner Vollberufstätigkeit bin ich im Altenheim im Einsatz, bei denen, wo keiner mehr hingeht, die vor sich hinsiechen, wo nix mehr geht und keiner so recht hin will und ehrlich, eine FREUNDIN nach Jahren des Nichtkontaktes auf der Zielgeraden zu erleben, das war eine maximale Überforderung. Ich WEISS, dass alles in dieser kurzen Zeit richtig und stimmig war. Ein bisschen Blubbern, Hand halten, versuchen, gemeinsam in einen Atemrhythmus zu kommen - da kam eine Rückmeldung, dass sie wieder etwas besser bei Luft sei im Moment, Fußball gucken und das tun, was gerade dran ist - Ventilator aus, Ventilator an.

    Die Lektion in Bescheidenheit ist die, dass alles, was während all den Modulen gelehrt, was ich mir an "Fachwissen" angelesen, bei den eigenen Eltern vielleicht praktiziert und sicherlich in den Begleitungen unter dem Schutz meiner Funktion getan habe, völlig zusammenbricht, wenn ich als Privatmensch mit dem Sterben einer mir nahen Person konfrontiert bin. Verbiss Sogyal Rinpoche, Monika Müller, Gebete, Gesänge und alles andere - wenn da jemand liegt, den du so unglaublich gern magst - dann ist da nur noch das, was jetzt grad dran ist und dir wird bewusst,welche Filzlaus du eigentlich bist angesichts der Größe des Todes.


    Es ist mir so unfassbar, dass sie bald nicht mehr unter uns sein wird. Eine andere Freundin besuchte sie vor einer Woche und bewunderte die großartige Ausstrahlung und Kraft dieser Frau und ich begegnete heute einer todkranken Person, die sehr gezeichnet ist von der Krankheit - und unverkennbar immer noch "sie selbst" mit all ihrer Offenheit, ihrer Verletzlichkeit, dennoch-Kraft und Liebenswürdigkeit. Es war schwer zu ertragen. Im Zimmer selbst war ich gelassen (und staunte innerlich) - doch den Moment, als ich draußen war und mir erstmal eine Sitzgelegenheit zum Sackenlassen suchte, war es vorbei mit der Fassung.


    Und dennoch Ja dazu. Die Toten der vergangenen sechs Monate spiegeln und lehren mich mein Leben. Wie ich mit mir umgehe, wie ich mit sogar mir nächsten Menschen umgehe. Meine Therapiephase zur Zeit ist sehr eindringlich und auch dazu sage ich ja. Gehe durch, mache kleine Mutsprünge und siehe, es geht. Es geht weiter, weiter, weiter.


    Danke fürs Zulesen.


    Hayat

  • Eine andere Freundin besuchte sie vor einer Woche und bewunderte die großartige Ausstrahlung und Kraft dieser Frau und ich begegnete heute einer todkranken Person, die sehr gezeichnet ist von der Krankheit - und unverkennbar immer noch "sie selbst" mit all ihrer Offenheit, ihrer Verletzlichkeit, dennoch-Kraft und Liebenswürdigkeit. Es war schwer zu ertragen.

    Kann es sein, dass die Freundin vor einer Woche ein anderes Bild sehen wollte - und du mit deiner Erfahrung in der Sterbebegleitung die todkranke Person wahr genommen hast - die unverkennbar immer noch sie selbst ist (Das Bild, das die Freundin vielleicht in den Vordergrund gerückt hat)


    Ein wunderschöner Ausdruck, den du hier für uns alle prägst:


    Danke fürs Zulesen :)

    Immer gerne - wenn auch momentan nur sporadisch wegen der Sommerferien.


    Lg. Astrid.

  • Mag wirklich sein. Vor einer Woche ging es ihr allerdings auch noch deutlich anders. Von Dienstag auf Mittwoch sammelte sich Wasser in der Lunge und sie bekam das Ganze eben im Krankenhaus punktiert und das bei der aktuellen Affenhitze hier und finaler Krebsphase. Es gibt Dinge, Umstände, Krankheiten..., die die Welt wirklich nicht braucht.


    Naja, und soooo erfahren bin ich in der Sterbebegleitung denn auch wieder nicht. Ich bin seit vielleicht drei Jahren aktiv dabei, davon ging eine Begleitung ein volles Jahr und mehr, die aktuelle seit einem halben Jahr und davor waren es immer nur sehr kurze Einsätze von wenigen Tagen und Wochen. Und auf meinen Wunsch hin in der Regel alte Menschen. Da ich hier ja einigermaßen anonym schreibe: Ich frage mich, ob es das ist, was ich mir unter dem Ehrenamtsdienst im ambulanten Hospiz vorgestellt habe? Die Dame, die ich gerade betreue, ist mopsfidel, ich verstehe kein Wort von dem, was sie brabbelt, sie ist knuffig - ich mag sie, doch ich denke schon darüber nach, dass sich um SIE doch nun wirklich auch eine direkte Ehrenamtliche des Altenheimes kümmern könnte. Was mir einfach auf dem Magen liegt ist das, was ich im Altenheim mitbekomme. Ich thematisiere es auch mit der für mich zuständigen Fachkraft, doch eigentlich ist die Szenerie mittelfurchtbar dort. Am schlimmsten finde ich immer wieder die krampfige Bespaßung dementer Menschen. Zwei rustikale Ehrenamtsdamen sitzen mit den Alten um den großen Tisch und machen Spiele, woran sich maximal zwei oder drei Personen wirklich aktiv beteiligen - die anderen sitzen drumherum, stehen auf, setzen sich, rennen hin, rennen her, die Ehrenamtlerinnen sind überfordert und genervt und verstecken es hinter eiserner, beißender Heiterkeit, das Pflegepersonal saust zwischendrin herum... Mit meiner mir anvertrauten Dame sehe ich immer zu, für eine Stunde Land zu gewinnen und mich aus dieser traurigen Comedyshow zu verziehen. Oder die Singstunde... Da steht dann ein bemühter, verzweifelter Herr und versucht, den Leuten Schlager näher zu bringen. Steht da, mimt den Entertainer, der er nicht ist, kein Instrument zur Unterstützung und leider auch keine mitreißende Stimme und kein Mensch hört wirklich zu - im Hintergrund ein ansatzweise rhythmisches Gebrabbel, das entfernt an Gesang erinnert. Und die alten Leute rennen halt weiter ihrer Wege, jede und jeder unterwegs in seiner Welt und in seinem jetzigen Augenblick.


    Mit so was kann ich umgehen, trotz meiner persönlichen Einstellung. Doch eine vertraute Freundin sterbend - da bin ich an der Grenze. Vielleicht wird es beim nächsten Besuch auch anders - nun weiß ich ja, woran ich bin und was mich erwartet.


    Vielleicht ist es für mich auch dran, mutiger in der Sterbebegleitung zu werden und mein starres Alterslimit zu erweitern.


    Liebe Astrid, ich danke einfach mal für Deine herzwärmelnde, freundliche Rückmeldung und danke - ;-) fürs Zulesen.


    Küsschen, Hayat


    Seit ich aktiv im Hospizdienst bin, hat sich meine Haltung sowieso noch einmal sehr verändert. Ich bin sehr ausgenüchtert. Die Fortbildung war schlicht und ergreifend wunderbar - sowohl was die Gruppe angeht als auch die Referenten - es waren reiche und bewegende Monate. Doch letztlich wird das Hospiz von wirtschaftlichen Kirchen- und Sozialriesen geführt. Die Fachkräfte leisten, wie überall in der Pflege, immense Mehrstunden und im Grunde wird hier die reine Sterbebegleitung fast ausschließlich über die Ehrenamtlichen abgewickelt und die Fachkräfte sind eigentlich nur für die Ersteinschätzung da, für Rückfragen und eher organisatorische Schwierigkeiten sowie für die Betreuung der Freiwilligen. Hier die noch etwas werbewirksame, ködernde Ausbildung und da das real existierende Altenheim, die menschelnden Familiensysteme und unsere Hilflosigkeit, die wir bestmöglich zu verstecken suchen.


    Zum Glück ist "meine" jetzige Fachkraft sehr mit mir und hat wohl eine ähnliche Grundhaltung, die mir die ein oder andere Freiheit erlaubt. So gibt es die Absprache, dass ich in der Therapie bestens versorgt bin und nicht noch anderes besuchen muss, "um mich zu stärken". Ich weiß noch nicht, wohin es mich zieht. Sterbebegleitung möchte ich auch gerne weiter tun, doch ich sinniere noch, wie und wo künftig. Abwarten und Tee trinken.




    Während des Kurses

  • Warum durchgeschüttelt?


    Ich persönlich mag bündig bei langen Texten sowieso nicht so gerne - finde Absätze und unterschiedliche Zeilenlängen feiner zu lesen.


    Schreib nochmal, was du unter durchgeschüttelt verstehst, dann können wir beobachten, ob das öfters vor kommt.


    Lg. Astrid.

  • Liebe Astrid,


    mit "durchgeschüttelt" meinte ich, dass die Darstellung anders erschien als ich den Text getippt hatte.


    Bevor ich mein Geschriebenes losschicke, gehe ich erstmal in die Vorschau und da sah er schon so komisch aus - die Absätze waren nicht da, wo sie hingehört hätten und auch die Grußformel, die eigentlich da saß, wo sie dem Grunde nach hingehört, tauchte plötzlich mitten im Text auf. Das machte mich stutzig, also ging ich wieder auf die Normalansicht, wo alles stand, wo es hingehörte und nach dem Abschicken dann dieser Durcheinander. Hmhmhm :/. Nujo, Hayat ist nun müde von einem doofen Tag, klampft noch ein büschen auf den Saiten herum und zieht sich dann gepflegt ins Bett zurück :19:. Ahoi, Aloa-he und schlaft recht schön!


    Hayat

  • Liebe Hayat,


    es tut mir sehr leid, das zu lesen.

    Ganz viel Kraft dir, und mein Mitgefühl.

    Wie schön, dass du für sie da warst.



    <3

    Die Wahrheit triumphiert nie, nur ihre Gegner sterben aus (Max Planck)


    rilke.de/briefe/160703.htm


    VORÜBUNG FÜR EIN WUNDER


    Vor dem leeren Baugrund
    mit geschlossenen Augen warten
    bis das alte Haus
    wieder dasteht und offen ist

    Die stillstehende Uhr
    so lange ansehen
    bis der Sekundenzeiger
    sich wieder bewegt

    An dich denken
    bis die Liebe
    zu dir
    wieder glücklich sein darf

    Das Wiedererwecken
    von Toten
    ist dann
    ganz einfach

    (Erich Fried)

  • Liebe Hayat,


    ich weiß jetzt gar nicht, was ich dir zum Tod deiner Freundin sagen kann. Daher nur :30:

    Ich nehme dich einfach mal in den Arm und halte dich solange , wie du es möchtest :24:

    Vor kurzem habe ich sinngemäß gelesen: Es geschehen Dinge auf Erden, bei denen wir nicht gefragt werden.Wir stehen machtlos und stumm daneben und können es nur so hinnehmen.


    Schön, dass du sie im Hospiz besucht hast und dich von ihr verabschieden konntest und dass es für euch "rund" war. Welch tröstlicher Gedanke.


    Viel Kraft wünscht dir


    blaumeise

    <3

  • Herzlichen Dank, liebe Blaumeise,


    das was Du sagst, schreibst, ist in jedweder Weise stimmig und richtig. Ich bin ja selbst auch durch den Wind. Ich hatte hier täglich das Kerzchen für sie am brennen und habe eigentlich nur gewünscht, dass sie friedlich gehen darf und nicht noch weitere Komplikationen auftreten - wissend und betrauernd, dass sie so jung ist. Mir ist in dieser Woche Grönemeyers "Der Weg" beinahe täglich durch den Sinn geklungen und mehr kann man dazu vielleicht auch gar nicht singen, denken, fühlen, tönen.


    Von Herzen:

    Hayat

  • Liebe Hayat,

    mein herzliches Mitgefühl!

    Ich erlebe deine Texte nicht durchgerüttelt oder durchgeschüttelt, was bei mir ankommt, sind Texte einer emotional durchgeschüttelten Professionistin, die in ihrer Arbeitswelt gesunde Distanz gelernt hat und dann plötzlich mit persönlicher Betroffenheit konfrontiert wird und diese Distanz nicht mehr aufrecht erhalten kann. Auch wenns dich verunsichert (hat) - es ist gut zu erfahren, dass auch wir Professionisten noch durchlässig sein können, wenn es darauf ankommt. Alles andere wäre ungesund und ein Zeichen emotionaler Taubheit, die ja bekanntlich ein Symptom vom Burnout ist.

    Sei lieb umarmt! Ein großes Kraftpaket schickt dir

    Christine

  • Liebe Christine,


    der eine durchgeschüttelte Text entzieht sich leider meinem Perfektionismus, der Böse, doch Du umschreibst es ansonsten sehr zutreffend. Ich bin wirklich grad etwas aus meiner emotionsverschnürten und distanzgepolsterten Mitte geschossen - und ja - erlebe das als durchaus bedrohlich und befreiend. Insbesondere das gestrige kurze Telefonat mit einem Freund rührte tief, tief an. Wir beide sind ziemliche Verstandesmenschen und krösen mitunter für Außenstehende furchtbar anstrengend, ermüdend und mitunter nicht immer verständlich in irgendwelchen Tiefen und Abgründen herum und hatten unter uns immer ein merkwürdig angespanntes Verhältnis. Schon Zuneigung und Respekt voreinander und gleichzeitig Abwehr und Augenverdrehen bzw. Kopfschütteln, weil der eine dem anderen eigentlich "nur Gutes will". Und gestern von ihm zu mir dann plötzlich und unvermittelt ein wirklich von Herzen kommendes "Danke" für meine Beiträge und mein Engagement in unserer Musik- und Tanzgruppe. Diese Form des getanzten Gebets hat mir viele Jahre fast alles bedeutet und gerade von ihm habe ich mich nie gesehen gefühlt - und ich war mit ihm oft in der Vater-Übertragung, nämlich zu Rudern, zu Tun, zu Mengen und zu Machen und ständig abzuprallen, weil all die anderen Kinder mehr geliebt und gesehen werden und wurden als ich...


    Das Kraftpaket ist angekommen - holla, ich breche unter dem Gewicht fast zusammen ;-)


    Herzgrüß,

    Hayat

  • Guten Abend ins Forum,


    nach einem regelrechten Daddel- und Faulenz-Wochenende in der Vulkaneifel sind wir nun leider wieder an den Rhein zurückgekehrt. Freitag sind wir per Wohnmobil vor 38 Grad Hitze geflüchtet und morgen geht es wieder bei 36 in die Vollen... Nein, der Sommer ist nicht meine Jahreszeit!!! Die beiden Tage taten einfach nur gut. Zweimal am Tag Schwimmen im See, ein bisschen auf die Fahrräder und ziemlich viel auf der Wolldecke im Schatten liegen, abends gepflegt im Biergarten sitzen und ein Weißbbier schlabbern - und ich konnte es kaum glauben, der Schreibfluss per Schneckenpost kehrte wieder zurück und ich füllte sogleich ein paar Seiten an meine Brieffreundin. Wie mich das gefreut hat!


    Und morgen wird unsere Tanzfreundin beigesetzt. Je näher das Ganze rückt, desto schwubberiger wird mir ums Herz. Sie hat verfügt, dass es keinen Blumenschmuck und keine Kränze etc. geben und wir Gäste bunt gekleidet sein sollen. Letzteres finde ich sehr angenehm angesichts der bestehenden Hitze. Wir werden uns als Tanzgruppe aktiv beteiligen, auf ihren Wunsch etwas singen und vielleicht sogar einen Tanz tanzen (Anmerkung: Es sind spirituelle, meditative/mantrische Kreistänze - die Musik kommt nicht von der CD sondern aus unseren eigenen Stimmen). Vielleicht spiele ich mit der Gitarre dazu, bin allerdings noch schwankend. Ich packe sie ins Auto und dann mal schauen, was wird. Bei meinem Vater habe ich sie gemeinsam mit einer Freundin gespielt, doch das war eine gänzlich andere Energie. Ich war Gastgeberin und Organisatorin - damals sowieso vollständig jenseits von Gut und Böse - das Instrument auf dem Knie nahm ich gar nicht mehr richtig wahr.


    Hier bin ich mit dem Herzen dabei. Als ich gestern die Vorschläge unserer Tanzleiterin durchspielte, ging mit Singen gornix bei mir. Das Instrument ja, aber die Stimme kippte immer wieder weg. Ich bin gespannt, wie mir zumute sein wird - ich pausiere seit etwa Dezember von der Gruppe und habe nur mit sehr wenigen Menschen daraus den Kontakt überhaupt gehalten und war nach dem Tod meines Vaters doch sehr gerührt, wie viel Mitgefühl mir aus diesem Kreis dennoch zuteil wurde. Die Feier beginnt um 14.30 Uhr - der vorherige Arbeitsmorgen wird nochmal ein Spießrutenlaufen und ich überlege gerade sehr ernsthaft, ob ich mir das (den Arbeitsmorgen!) wirklich geben soll. Ich bin noch unentschlossen und entscheide morgen früh spontan nach dem Aufstehen.


    Bitte verzeiht, wenn ich hier heute keine Rückmeldungen mehr gebe, obwohl mich vieles von dem, was geschrieben ist, sehr anrührt. Auch wenn ich jetzt pauschal mein Mitgefühl einfach nur in die Runde gebe, dann sind das keine billigen Allgemeinplätze - ich bin gerade nur sehr müde, sehr erfüllt vom Wochenende und sehr traurig angesichts dessen, was morgen wieder einmal bevorsteht und ich hoffe, es war dann für die nächste Zeit die letzte Beisetzung. Irgendwie reicht es gerade denn doch. Und Dir, Christine, einen wunderbaren, zauberhaften Urlaub!


    Herzgrüße von

    Hayat

  • Danke Hayat für deine Texte.

    Ich habe viele Menschen und deren Angehörigen beim Sterben begleitet. Mit Herz, Empathie und Professionalität. Und ja - mir geht es genauso wie dir:

    Meine Freundin ist gestorben. Ich war einfach nur hilflos.


    Ich hätte sie auch gerne im Hospiz besucht. Sie wollte niemanden bei sich haben - nur ihren Mann und ihre Kinder. Jetzt sitze ich da - immer noch trauernd - 16 Monate später.


    Wie geht es dir heute? Knappe 3 Wochen später?


    Herzliche Grüße

    Sandra

  • Danke für Deine Rückmeldung, liebe Sandra,


    jo, wie geht es mir drei Wochen danach...?


    Ich weiß nicht wie intensiv Du hier schon hineingelesen hast an den verschiedenen Stellen. Ach, ich schreibe jetzt an dieser Stelle einfach mal drauflos...


    Nach dem Tod meiner Mutter (dem binnen eines Jahres einige andere Tode in meinem Umfeld vorausgegangen waren) hatte ich mich entschieden, mit dem Tod oder der Tödin konfrontativ in den Sparring zu treten und meldete mich zu einem Hospizhelferkurs an. Es lag niemals in meiner Absicht, ernsthaft Sterbende begleiten zu wollen - allein der Gedanke war restlose Überforderung! Im Zuge dieses Kurses mussten wir auch eine bestimmte Anzahl praktischer Stunden in einer caritativen Einrichtung ableisten. Bei mir war es ein (hervorragender!) ambulanter Pflegedienst, an den ich klar die Bitte richtete, mich nicht zu schonen - ich wollte so viel mitnehmen, sehen und erfahren wie nur irgend möglich. Das bekam ich denn auch und muss feststellen, dass es das Allerbeste gewesen ist, was ich je mit Blick auf eine nie wahrgenommene und vollzogene Berufung getan habe in meinem Leben. Bei einem dieser Einsätze assistierte ich der Krankenschwester dergestalt, dass ich bei einer sehr alten Dame am Bett saß, während sie im Haus noch ein paar Dinge verrichtete. Die Frau lag für mein Empfinden im Sterben, ich betete mit ihr und sang nichtsdenkend "Bruder Jakob". Im Hintergrund läuteten die Glocken und in der Folgenacht ist sie gestorben. Mein Gesang drang durch das geöffnete Fenster nach draußen und muss Gesprächsstoff in der Gasse gewesen sein. DAS war so ene Initialzündung, vielleicht doch mindestens mal eine Sterbebegleitung auszuprobieren.


    Es folgten relativ ruhige Jahre, in denen ich meinen Vater betreute, dessen Haushalt führte, sehr, sehr viel auf der Arbeit um die Ohren hatte, meine Kinder verließen das Nest und rückblickend weiß ich nicht, wie ich durch die Zeit gekommen bin. Ich weiß es einfach nicht mehr. Obenauf denn doch: Sterbebegleitungen. Aufgrund meiner Arbeitszeiten und des Umstandes, rund um die Uhr ständig zu kommunizieren, habe ich im Hospiz darum gebeten, die hoffnungslosen Fälle begleiten zu dürfen - die, wo nichtsprachlich einander begegnet werden muss. Das ging auch immer gut. Dann begannen sich im November letzten Jahres die Sterbefälle in meinem nahen Freundeskreis zu summieren und mein Vater (sehr schwierige Beziehung) starb im Mai, danach noch weitere zwei Personen und vergangenen Freitag nun auch die ältere Dame, die ich seit März begleite.


    Das einfach nur die äußeren Umstände. Meine/unsere Tanzfreundin geht darin gefühlt eigentlich fast unter. Immer wieder weht mich im Bruchteil von Sekunden einer dieser Sterbefälle an - ganz hauchfein, fast nicht wahrnehmbar und in diesen Bruchteil Sekunden senkt sich ungefiltert, ungehört die bleierne Traurigkeit auf mich nieder und ich denke, jetzt hab ich sie endlich am Rockzipfel und es tut sich zum Teufel mal was in mir und schon ist alles wieder vorbei und am Ende bleibt keine bleierne Trauer, aber eine kaum auszuhaltende Erschöpfung und Müdigkeit. Zur Zeit stehe ich morgens wie gerädert auf und weiß nicht, wie ich den Tag herumbringen soll. Meine Arbeit ist beängstigend viel geworden und ich bekomme sie nicht geschafft, setze mich mut- und lustlos dran und frage mich täglich mit ansteigender Not, warum ich noch nicht den Abriss des Jahrhunderts bekomme, weil ich nichts vom Tisch bekomme. Naja, vielleicht steht mir irgend ein Schutz- oder Helferwesen zur Seite, auch wenn ich an sowas nicht glaube.


    Gestern bekam ich unter der Handy-Nr. eine Nachricht Ihres letzten Lebensgefährten, der wohl alle Kontakte über ihren Tod informierte. Ich gab ihm kurze Rückmeldung, bekam eine sehr freundliche Antwort und ja, sie ist tot. Unabänderbar tot. Wir hatten kurz vor ihrem Tod noch ein paar kurze Schreibereien und Sprachnachrichten her und hin, wo wir nochmal alles Wesentliche ansprachen, natürlich in der gebotenen Kürze und Wortkargheit, doch darin lag die Essenz dessen, was wichtig war. Ich bin mit ihr völlig im Frieden, habe nicht mehr den Drang, zum von mir ungünstig gelegenen Friedhof zu fahren und kann sagen, ja, es ist okay. Sie hat ihr kurzes Leben gelebt, wirklich gelebt. Ihr Thema war die LIebe, wie kann die LIebe zu ihr kommen, wie kann sie ihre unglaubliche Liebesfähigkeit unter die Menschen bringen - und das hat sie geschafft, zuletzt mit ihrem Tod. Für die Angehörigen, insbesondere die Kinder, ist dieser Verlust sicher unglaublich schmerzlich, ein Schmerz, für den es kein Wort gibt - und für mich als Freundin ist ihr Tod, ist ihr Sterben rund und angemessen, ihr Lebensziel, ihr Lebensinhalt erfüllt.


    Ich glaube jetzt, dass mich die Rolle als "Sterbegleiterin" im Kontakt mit den Menschen, die Unterstützung durch das Hospiz suchen, schützt. Ich bin sicherlich keine Maschine, die ihr Programm bei den Besuchen abspult - das bestimmt nicht. Doch es gibt einfach klare Strukturen, Besuche ein- bis zweimal die Woche. In der Regel gehe ich in Altenheime, da hat man sich eh ein Stück weit in die Gepflogenheiten der Einrichtung einzufügen, ich hänge nicht in den Familiendramen drin und bin emotional nicht so dicht bei und kann aus dieser Distanz heraus den Betroffenen eine ganz gute Unterstützung oder Fürsprecherin sein.


    Sterbende Freunde jedoch sind einfach eine ganz andere Hausnummer. Da ist das Herz mit im Spiel, da besteht eine Verbindung, an die Emotionen geknüpft sind, ich kenne oft die Familie und bin direkt betroffen, weil ja auch jemand aus meinem Leben geht. Je nach Intensität der Bindung kann das einfach entsetzlich weh tun und auch lähmen, wenn man den geliebten Menschen vielleicht leiden sieht. Meine Freundin war zum Glück durch die Therapie nicht entstellt, hatte ihre Haare noch, war nicht abgemagert oder aufgedunsen - einfach nur sichtbar mitgenommen, doch eben noch sie selbst. Das hat mir den Abschied erleichtert - ich durfte sie noch einmal sehen und erleben, wie sie nun einmal ist - eine liebenswerte Frau, jedoch vom Tod bereits markiert.


    In dem Fall war ich wirklich dankbar, dass sie nochmal Besuche zugelassen hatte - allerdings galt hier stets, spontan anrufen oder vorbeischauen und gucken, was geht. Bei mir war sie gerade ansprechbar - andere Freundinnen konnten sie nicht mehr besuchen, weil es ihr zuviel war. Ich glaube, eine solche Entscheidung dann zu akzeptieren, ist nicht leicht. Das sind dann die Erfahrungen, die uns vielleicht noch bevorstehen - gut für uns zu sorgen, auch wenn wir wissen, dass es Menschen gibt, die uns noch einmal sehen möchten und dennoch zu differenzieren, was geht und was mich am Ende vielleicht einfach nur noch belastet und noch mehr an die Erde bindet. Tiziano Terzani war am Ende ja sehr radikal und wollte von der Familie in Ruhe gelassen werden - selbst seine geliebte Frau hat er sehr vor den Kopf gestoßen. Als ich diese Passage im Buch las, gingen mir auch erst einmal die Nackenhaare hoch, doch Recht hatte er! Wir haben nur dieses eine Leben - hineinzukommen war schwer und anstrengend und hinauszugehen ist es nicht minder. Hinein brauchten wir viel Unterstützung, weil wir noch so klein und verletzlich waren, doch hinaus, das begreife ich mehr und mehr, geht es ganz radikal darum, uns zu reduzieren, abzugeben, abzustreifen und alles Getüddel, was wohlmeinende Menschen glauben, Sterbenden mitgeben zu müssen, ist vermutlich alles nur hilfloser Tüddelkram.


    Diese Erfahrung machte sich in mir in der jetzt beendeten Begleitung sehr breit. Die eigentliche Sterbegegleitung erfolgte durch den Sozialdienst des Altenheimes - ich war eigentlich immer nur für die Lückenphasen da. Die Sozialarbeiterin hatte eine Armada von Zeugs aufgefahren, was alles hilfreich sein soll, überschwemmte mich mit Tips und Ratschlägen und ich wurde genervter und genervter. Letztlich saß ich da, hielt Hand, sang ein bisschen vom wegtragenden Fluss - da wurde sie still, bei Hustenanfällen ob des trockenen Halses gab es ein paar Tröpfchen Wasser auf einen Schaumstoff-Stick und Schluss mit Wahnsinn. Meine Erfahrung ist die, dass die Menschen, die aus dem Leben gehen, einfach nur Ruhe und Stille brauchen und kein hektisches Verwöhnprogramm.


    Naja, soweit von mir. Ist viel geworden. Ich habe den Kopf einfach unglaublich voll und weiß nicht, wohin mit all dem Zoigs.


    Danke fürs Zulesen - ich hoffe, es war überhaupt etwas Sinnhaftes für Dich und alle Mitlesenden dabei...


    Herzgruß und Nacht, all Ihr Waltons!


    Hayat

  • Liebe Hayat,

    ja, die Armada von Zeugs ist oft nur dafür da, die eigene Hilflosigkeit zu kaschieren, wenn man es nicht aushalten kann, einfach "da zu sein" und nix zu tun, außer Körperkontakt geben und vielleicht singen, wenn es einem liegt...


    Es ist schon gut, dass es "viel Zeugs" gibt, das ein oder andere kann auch helfen, lindern, unterstützen .... passt vielleicht grad auch um jeweiligen Patienten, aber man muss nicht gleich alles auffahren und meine Erfahrung ist auch: Am Ende sind es die ganz unaufregenden Dinge, die hilfreich sind....

    AL Christine