Selten ist ein Schmerz in seiner ersten Wucht am schwersten zu tragen, da hält die Aufregung, die Überzeugung, daß man Opfer bringen müsse, der Wille, dies mit Heroismus zu tun, Leib und Seele in Spannkraft. Solange der Kampf, die Schlacht währt, da stürmen die Kämpfenden siegesfreudig, todesmutig dahin; erst wenn die Ruhe eintritt und man sieht, was verloren ging, erst bei den Leichen und Trümmern kommt die Trauer. So auf dem Schlachtfelde, so im Leben. Erst später, nachdem die Opfer gebracht sind, wenn alles vorüber ist, wenn das Scheiden zum Nimmerwiedersehen geschehen ist, das Losreißen von dem uns Liebsten und Teuersten auf Erden, erst dann folgt das heiße und nagende Weh, das nicht abläßt von uns, nicht Tag noch Nacht, und Herz und Leib verzehrt.
Sophie Verena (1826 - 1892), Pseudonym für Sophie Alberti, deutsche Dichterin
Quelle: »Über alles die Pflicht«, 1870