Gedichte, Geschichten, Zitate und Aphorismen für jeden Tag

  • Die Blätter fallen, fallen wie von weit,

    als welkten in den Himmeln ferne Gärten;

    sie fallen mit verneinender Gebärde.


    Und in den Nächten fällt die schwere Erde

    aus allen Sternen in die Einsamkeit.


    Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.

    Und sieh dir andre an: es ist in allen.


    Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen

    unendlich sanft in seinen Händen hält.


    Rainer Maria Rilke

  • Ein Vogel will sich in die Luft erheben, selbst wenn sein Käfig golden wär'.

    Ein Fluss gräbt sich seinen Weg ins Meer, selbst wenn ihn Dämme hindern wollten.

    Mein Herz ruft deinen Namen, selbst wenn du meinen vergessen würdest


    Khalil Gibran

  • Die schönsten Menschen, die ich kennengelernt habe, sind diejenigen, die Niederlagen erlebt haben, das Leid kennengelernt haben, den Kampf, den Verlust, und die ihren eigenen Weg gefunden haben, um aus diesen Tiefen wieder herauszukommen. Diese Personen haben eine Wahrnehmung, eine Sensibilität und ein Verständnis des Lebens, das uns mit Mitgefühl, Bescheidenheit und einer tiefen Unruhe der Liebe erfüllt.

    Elisabeth Kübler-Ross

  • Wer Schmetterlinge lachen hört

    Der weiß, wie Wolken schmecken

    Der wird im Mondschein

    Ungestört von Furcht

    Die Nacht entdecken

    Der wird zur Pflanze, wenn er will

    Zum Tier, zum Narr, zum Weisen

    Und kann in einer Stunde

    Durchs ganze Weltall reisen

    Er weiß, dass er nichts weiß

    Wie alle andern auch nichts wissen

    Nur weiß er, was die anderen

    Und er noch lernen müssen


    Wer in sich fremde Ufer spürt

    Und Mut hat sich zu recken

    Der wird allmählich ungestört

    Von Furcht sich selbst entdecken

    Abwärts zu den Gipfeln

    Seiner selbst blickt er hinauf

    Den Kampf mit seiner Unterwelt

    Nimmt er gelassen auf


    Wer Schmetterlinge lachen hört

    Der weiß wie Wolken schmecken

    Der wird im Mondschein

    Ungestört von Furcht

    Die Nacht entdecken

    Der mit sich selbst in Frieden lebt

    Der wird genauso sterben

    Und ist selbst dann lebendiger

    Als alle seine Erben


    Carlo Karges, Lutz Rahn

    • An meinem Grabe


      Da steht ihr nun, wollt mich betrauern

      ihr glaubt, dass ich hier unten bin:

      ihr mögt vielleicht zunächst erschauern -

      doch schaut einmal genauer hin.


      Ich bin nicht hier - wie ihr vermutet,

      mein Körper mag hier unten sein.

      doch während die Musik noch tutet

      bin ich schon lang nicht mehr allein.


      Seht ihr die Blätter dort im Wind?

      Es sind sehr viele - sicherlich -

      doch achtet drauf wie schön sie sind;

      und eins der Blätter - das bin ich.


      Seht die Wolken am Himmel ziehen,

      schaut ihnen zu und denkt an mich,

      das Leben war doch nur geliehen,

      und eine Wolke - das bin ich.


      Die Schmetterlinge auf der Wiese,

      perfekt erschaffen - meisterlich.

      Ich bin so fröhlich grad wie diese.

      und einer davon - das bin ich.


      Die Wellen, die vom Bach getragen,

      erinnern sie vielleicht an mich?

      Ihr müsst nicht lange danach fragen:

      denn eine Welle - das bin ich!


      Blumen erblühen in all ihrer Pracht.

      Die Rose und selbst der Wegerich.

      und alle sind für euch gemacht,

      und eine Blume - das bin ich.


      Ich möchte nicht, dass ihr jetzt trauert,

      für mich wär das ganz fürchterlich.

      Tut Dinge, die ihr nie bedauert:

      Denn EURE Freude - das bin ich!


      (Heinz Rickal)

  • Aus!


    Einmal müssen zwei auseinandergehn;

    einmal will einer den andern nicht mehr verstehn – –

    einmal gabelt sich jeder Weg – und jeder geht allein –

    wer ist daran schuld?


    Es gibt keine Schuld. Es gibt nur den Ablauf der Zeit.

    Solche Straßen schneiden sich in der Unendlichkeit.

    Jedes trägt den andern mit sich herum –

    etwas bleibt immer zurück.


    Einmal hat es euch zusammengespült,

    ihr habt euch erhitzt, seid zusammengeschmolzen, und dann erkühlt –

    Ihr wart euer Kind. Jede Hälfte sinkt nun herab –:

    ein neuer Mensch.


    Jeder geht seinem kleinen Schicksal zu.

    Leben ist Wandlung. Jedes Ich sucht ein Du.

    Jeder sucht seine Zukunft. Und geht nun mit stockendem Fuß,

    vorwärtsgerissen vom Willen, ohne Erklärung und ohne Gruß

    in ein fernes Land.

    Kurt Tucholsky


  • Wenn einer geht ins bessere Land, entsteht wohl eine Lücke in der Welt, kleiner oder größer, je nach des Menschen Stand und Bedeutung, aber schnell ist die Lücke zugewachsen in der Welt, schneller noch als das Gras wächst auf dem Grabe.

    Nur die Lücken in den Herzen wachsen nicht zu; wenn sie aufhören zu bluten, blüht ein freundlicher Gedanke auf, schöner, als je Rosen geblüht auf einem Grabe.

    Jeremias Gotthelf

  • Wenn einer starb, den du geliebt hienieden,

    So trag' hinaus zur Einsamkeit dein Wehe,

    Daß ernst und still es sich mit dir ergehe

    Im Wald, am Meer, auf Steigen längst gemieden.

    Da fühlst du bald, daß jener, der geschieden,

    Lebendig dir im Herze auferstehe,

    In Luft und Schatten spürst du seine Nähe,

    Und aus den Thränen blüht ein tiefer Frieden.

    Ja, schöner muß der Tote dich begleiten,

    Ums Haupt der Schmerzverklärung lichten Schein,

    Und treuer -- denn du hast ihn alle Zeiten.

    Das Herz hat auch sein Ostern, wo der Stein

    Vom Grabe springt, dem wir den Staub nur weihten;

    Und was du ewig liebst, ist ewig dein.

    Emanuel Geibel

  • Sprechen zu dürfen

    von dir

    mit denen, die dich kannten

    dich liebten

    Sprechen zu können

    von dir

    wie du warst

    dich in Worten

    wiedererleben

    nur ein paar

    Stunden lang

    Und dann

    einschlafen

    vor dem nächsten

    Alleinsein

    das doch

    unausweichbar

    wartet

    Gitta Deutsch

  • Ich denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer

    vom Meere strahlt;

    Ich denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer

    In Quellen malt.

    Ich sehe dich, wenn auf dem fernen Wege

    Der Staub sich hebt;

    In tiefer Nacht, wenn auf dem schmalen Stege

    Der Wandrer bebt.

    Ich höre dich, wenn dort mit dumpfem Rauschen

    Die Welle steigt.

    Im stillen Haine geh’ ich oft zu lauschen,

    Wenn alles schweigt.

    Ich bin bei dir; du seist auch noch so ferne,

    Du bist mir nah!

    Die Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne.

    O, wärst du da!

    Johann Wolfgang von Goethe