Hallo zusammen,
ich weiß gar nicht, warum ich nach einem Trauerforum gesucht habe. Es war so ein Impuls, irgendwie. Ich saß mit dem Smartphone draußen und habe danach gegoogelt. Dabei geht es mir in letzter Zeit ganz gut. Ich bin stabil, ich arbeite wieder, ich habe die mir zustehenden Therapiestunden aufgebraucht und ich versuche täglich, gut zu mir selbst zu sein und mein Leben nach meinen Wünschen zu gestalten.
Ihr kennt mich nicht, ich habe noch nie hier rein geschrieben, noch nie zuvor nach solch einem Trauerforum gegoogelt. Ich lege einfach mal los. Achso: Ich habe den Text eben in Word vorgeschrieben, um euch nicht mit tausend Rechtschreibfehlern zu belasten und jetzt beim Einstellen habe ich gemerkt, dass er viel zu lang ist und ich ihn aufteilen muss. Bitte seid mir nicht böse.
Es ist jetzt etwas über drei Jahre her, dass Tobias gestorben ist. Ich möchte gerne von ihm erzählen. Auch von mir. Von uns beiden.
Ich habe mich heute krankgemeldet, weil das Thema gerade so dringlich in meinem Kopf herumschwirrt und ich ihm Beachtung schenken mag, denn das wird schon seinen Grund haben, warum es gerade jetzt aufkommt, wo es mir in den letzten Wochen doch eigentlich so gut geht.
Unsere erste Begegnung war von meiner Seite aus „Liebe auf den ersten Blick“. Ich war fast 25 Jahre alt und machte grade – etwas später, als andere – die ersten Schritte in ein eigenständiges Leben. Das heißt: Zuvor war ich zuhause in meinem Elternhaus, habe meine psychisch schwer erkrankte Mutter begleitet und ertragen, kämpfte meinerseits selbst mit Depressionen und einer – wie ich heute weiß – posttraumatischen Belastungsstörung, schaffte es aber endlich, auf die Füße zu kommen und für mich zu kämpfen.
Ich wollte raus von zuhause. Weg von ihr, weg von ihren Problemen, die sie mir ein Leben lang übergestülpt und zu meinen gemacht hat.
Wir lernten uns in einem Berufsförderungswerk kennen – in der Orientierungsmaßnahme, einer Art Vorbereitungskurs.
Das Berufsförderungswerk ist eine Ausbildungsstätte für Menschen mit Behinderungen unterschiedlichster Art, dort werden Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben angeboten, wie es so schön heißt. Zu Deutsch: Dort kann man eine Ausbildung oder Umschulung machen und einen neuen Beruf erlernen, der einen dazu befähigt, auf dem ersten Arbeitsmarkt zu arbeiten.
Ich selbst hatte noch nie auf dem ersten Arbeitsmarkt gearbeitet. Seit meinem Realschulabschluss hatte ich nichts mehr auf die Kette gekriegt. Tobias schon, aber durchgehalten hatte er nichts – er hatte seit seiner Kindheit unter Depressionen gelitten, die immer wieder aufflammten.
Und da saßen wir uns nun gegenüber. Tobias, ein total knuffiger Kerl, intelligent, sarkastisch, zynisch, total witzig, immer einen krassen Spruch auf den Lippen, das schönste verschmitzte Grinsen ever im Gesicht. Und ich, die ich im letzten Jahr auf eigene Faust über 60kg abgenommen hatte, noch gar nicht wusste, mit meiner neuen Erscheinung umzugehen, eher etwas schüchtern, zurückhaltend und… schockverliebt. Ich ging an diesem ersten Tag im Berufsförderungswerk auf mein Zimmer – Internat – und schrieb einem Kumpel, dass ich verliebt bin und das Gefühl habe, den Mann meines Lebens getroffen zu haben.
Ziemlich überstürzt? Mag sein. Ich hatte dieses Gefühl. Dieses „das ist der richtige“-Gefühl. Er roch so unfassbar gut. Nicht viele von uns wohnten im Internat. Er schon. So trafen wir uns morgens zum Frühstück und abends zum Abendessen. Und wir lernten uns kennen. Ich schrieb ihn bei Facebook an, um besser in Kontakt zu kommen. Wir trafen uns nachmittags, schauten die Simpsons, lernten einander besser kennen.
Wir redeten so unglaublich viel miteinander. Das war schön! Und eines abends – am 25.01.2012 – lagen wir gemeinsam auf meinem Bett, sahen „Das Leben des Brian“ im Fernsehen und er legte den Arm um mich. Ich traute mich kaum, meinen Kopf auf seiner Schulter abzulegen, weil ich Angst hatte, er sei zu schwer! Total niedlich im Rückblick.
Der erste Kuss folgte prompt in der Werbung. Wir sahen uns tief in die Augen, die Luft knisterte regelrecht – und dieser wunderbare Kerl fragte: „Darf ich?“
Mein Gott, ich muss heute noch kichern, weil das so süß war!
Fortan waren wir zusammen. Anfangs konnten wir das selbst noch nicht so richtig glauben. Wir hatten Angst, dass wir uns verlaufen, dass es vielleicht doch nicht klappt mit uns, Angst, dass der jeweils andere feststellt, dass diese Beziehung doch nichts für ihn ist.
Wir erzählten uns unsere Lebensgeschichten, wir lachten und weinten miteinander, wir wuchsen zusammen. Wir entschieden uns jeweils für einen Ausbildungszweig und schöpften aus unserer Beziehung genug Kraft und Motivation, um diesen Weg gemeinsam zu bestreiten.
Zwei Jahre lang lebten wir gemeinsam auf 12m² Wohnfläche im Internat, meisterten unsere Ausbildungen mit Bravour und super Noten, fanden anschließend beide schnell Arbeit und zogen in unsere erste gemeinsame Wohnung in seiner Heimatstadt.
Wir haben unser Leben zusammen gemeistert. Wir hatten beide so unsere Probleme und Baustellen, aber als Team konnten wir gut damit umgehen. Nie zuvor hat mir ein Mensch so viel Sicherheit gegeben wie Tobias. Umgekehrt war das auch so. Sicherheit, Stabilität, Liebe, Geborgenheit, Vertrauen. Wir hatten eine schöne Zeit!
Im September 2016 haben wir geheiratet. Das war traumhaft! Unser Standesbeamter war ein guter Freund von Tobias Bruder, der sich wahnsinnig viel Mühe gegeben hat, uns eine total individuelle standesamtliche Hochzeit zu ermöglichen. Kirche wollten wir nämlich nicht, so war die standesamtliche Trauung ein richtiges Highlight und die anschließende Feier war grandios. Wirklich – es hätte nicht besser sein können!
Es war nicht alles völlig rosarot und glitzerfunkelnd. Unser Kinderwunsch erfüllte sich einfach nicht, deshalb forschten wir etwas nach und erfuhren, dass wir auf natürlichem Weg nicht schwanger werden können. Das machte uns beiden zu schaffen. Tobias noch etwas anders als mir, denn er fühlte sich schuldig. Wir wechselten die Krankenkasse für eine Kostenübernahme der Kinderwunschbehandlung, gingen in die Klinik, ließen uns beraten und untersuchen. Dann eben auf nicht-natürlichem Weg! (... muss unterbrechen wegen der 10.000-Zeichen-Begrenzung)