Hey,
ich bin kurz nach dem Tod meines Vaters auf dieses Forum gestoßen, lese seit dem fast täglich mit und habe mich nun dazu entschlossen, selbst hier zu schreiben.
Meine Trauer, meine Gedanken sind gerade so lähmend, dass ich zu kaum etwas in der Lage bin. Ich habe gute Freunde - merke aber, dass ich mich zurückziehe, da keiner auch nur ansatzweise nachvollziehen kann, wie ich mich fühle. Wie sollten sie das auch nachempfinden können.
Meine Mama starb fast auf den Tag genau vor 20 Jahren. Sie hatte eine unheilbare, neurologische Erkrankung (Trigeminusneuralgie). Ihrem Leiden hat sie nach 6 Jahren selbst ein Ende gesetzt und den Freitod gewählt, der Lokführer tut mir noch heute leid. Ich bin schon sehr zeitig mit dem Thema Trauer und Verlust in Berührung gekommen. Bereits 3-4 Jahre zuvor versuchte sie sich das Leben zu nehmen, erfolglos. Der Tod war dann fast eine Erleichterung, gerade die letzten Monate war sie von den starken Medikamenten dermaßen mitgenommen, dass sie eigentlich den ganzen Tag nur lag. Es sind 20 Jahre vergangen, es ist viel passiert, der Tod ist überwunden. Und eigentlich soll es auch um meinen Papa gehen.
Er ist vor 3 Wochen 66 Jahre alt geworden, das durfte er noch erleben. Er war zeitlebens fit, seit 1,5 Jahren baute er jedoch merklich ab - er lief wie ein 90-Jähriger, musste sich ständig hinsetzen und eine Pause machen, bewegte sich ganz langsam und bedächtig, konnte meinen Sohn (2,5 Jahre) lediglich ein paar Sekunden auf dem Arm halten, da ihn dann schon die Kräfte verließen. Ich schickte ihn zum Neurologen, der aber auch im Dunkeln tappte. Eine MRT Aufnahme des Kopfes zeigte Durchblutungsstörungen, ein Grund wurde aber nie gefunden. Sein Herz arbeitet wie das eines 30-Jährigen. Man konnte ihm fast monatlich beim Verfall zuschauen. Er ist auch mehrmals gestürzt, hatte schlimme Gelenkschmerzen.
Anfang Mai dann der Anruf seiner Lebensgefährtin - sie sind in der Notaufnahme, da sein rechtes Bein taub ist. Schlaganfall? Sofortige Überweisung in die Uniklinik und am Ende eine Entwarnung - kein Schlaganfall, aber mehrere Wirbel im Brustwirbelbereich sind angebrochen. Wie zur Hölle bricht man sich aber die Wirbel, wenn kein Unfall oder Ähnliches passiert ist? 4 Tage später wurde er operiert, seine Wirbelsäule stabilisiert (mit sehr langen Nägeln). Dabei war nicht nur der Brustwirbel-sondern vor Allem auch der Halswirbelbereich befallen. Sein Halswirbel war fast völlig "zerfressen" - das erklärte nun auch die ganzen Symptome. Eine Woche später das Ergebnis der histologischen Untersuchung: Blutkrebs, ein multiples Myelom - dieser Krebs befällt das Rückenmark und greift die Knochen an. Zwar schon Stadium 3, aber bei dieser Krebsart tut sich aktuell ungemein viel. Der Oberarzt, eine Koryphäe auf seinem Gebiet, gab ihm 6-8 Jahre, eventuell sogar länger. Großes Aufatmen. Ich war erleichtert, nun endlich zu wissen, was ursächlich für sein Symptome war (ich vermutete ja schon Parkinson) und auch, zu wissen, dass ihm geholfen werden kann. Problematisch war nur, dass er über 3 Woche bettlägerig war. Er konnte sein Bein nach der OP zwar wieder spüren, aber er war so geschwächt (und die Wirbelsäule auch noch zu instabil); sodass er nicht aufstehen konnte. Er bekam täglich 30 Minuten Physiotherapie (Radfahren im Bett, am Rollator laufen), aber er war zu schwach. Die Prognose, dass er wieder laufen können wird, stand aber gut. Ab dem 31.05. erhielt er seine erste Chemogabe, am 01.06. klagte er morgens bei der Visite über Luftnot, sein Puls war ganz niedrig, er bekam Sauerstoff und doch ging alles sehr schnell. 5 Minuten später ist sein Kreislauf zusammengebrochen, er wurde 2 Stunden reanimiert, erfolglos. Laut den Ärzten ein ungünstiges Zusammenspiel verschiedener Faktoren: Die Bettlägerigkeit (die natürlich die Gefahr einer Thrombose und somit Lungenembolie erhöht), die Chemo, die Strapazen der sehr langen OP (6-7 Stunden). Ich durfte ihn einen Tag später in der Pathologie sehen - der Anblick war entsetzlich, er hatte schon Totenflecken, der Tubus steckte noch im Hals. Da sich die Staatsanwaltschaft eingeklinkt hat, durfte nichts verändert werden, deshalb auch der noch vorhandene Schlauch. Ganze 2,5 Wochen haben sie ihn in der Gerichtsmedizin liegen lassen. Nun erfolgte seine Freigabe und ich werde ihn morgen ein letztes Mal, aufgebahrt im Bestattungsinstitut sehen dürfen.
Ich habe sehr gemischte Gefühle. Ich vermisse meinen Papa unheimlich, ich war immer ein Papakind. Unsere Bindung war etwas unkonventionell. Wir trafen uns abends oft auf ein Bierchen, gingen gemeinsam zu Rock-und Metalkonzerten und sogar zum Wacken Festival gemeinsam. Ich wurde oft beneidet, was für einen "coolen" und lockeren Papa ich habe. Ich leide unheimlich, mir fehlt die Kraft. Ich bin Lehrerin und schleppe mich seit 1 Woche wieder auf Arbeit, der Notenschluss steht an, ich will die KollegInnen nicht hängen lassen. Und immer wieder laufen mir die Tränen und ich habe schlimmer Bilder in meinem Kopf (wie er wohl nach Luft schnappte, die Todesangst, die er gehabt haben muss).
Auf der anderen Seite bin ich unheimlich dankbar, dass er so schnell sterben durfte - ohne Qualen, ohne Schmerzen, ohne Leiden. Wer weiß, was die Chemo und Bestrahlung mit ihm gemacht hätten. Er war ein sehr stolzer Mann. Wir mussten ihm bei allem assistieren - er konnte nicht mal alleine auf die Toilette. Täglich in den Rollstuhl gehievt. Man sah ihm an, dass es ihm schwer fiel, er wollte nie bedürftig sein.
Was mir Kraft gibt, ist, dass seine Partnerin und ich täglich dort waren. Vom 07.05. - 31.05. waren wir täglich dort, was für mich mit Arbeit und Kleinkind ein wahrer Balanceakt war. Ich hoffe, das nimmt er mit, dass er geliebt wurde und wir uns um ihn sorgten. Vor seiner Wirbelsäulen-OP hatte er große Angst, er hat den Abend so geweint - ich habe ihn noch nie so weinen sehen. Ich versprach ihm also, direkt am OP Trakt zu warten, egal wie lange die OP auch dauert, nur, damit er weiß, ich bin da. So war es dann auch, er war erleichtert und froh, dass ich sofort zur Stelle war, als er aufwachte.
Ich weiß, dass der Tod zum Leben dazu gehört, aber ich fühle mich gerade furchtbar einsam. Ich befürchte, dass mich keiner meiner Freunde recht versteht. Ich ziehe mich gerade zurück und fühle mich, als wäre ich nicht Teil dieser Gesellschaft. Mit Mitte 30 keine Eltern mehr, während alle anderen fast wöchentlich ihre Eltern besuchen. Der Neid zerfrisst mich, also ziehe ich mich lieber zurück.
Es tat ungeheuer gut, meine Gedanken hier nieder zu schreiben. Eventuell gibt es Leidensgenossen, die einen ähnlichen Weg gegangen sind und mir versichern können, dass am Ende doch alles wieder gut wird.
Liebe Grüße!