Hallo,
Meine Mutter ist letzten Oktober verstorben, im Schlaf, nach einigen Monaten sehr schlechten Gesundheitszustandes. Es schien alles besser zu werden, mein Vater, ich und meine Mutter selbst hatten Hoffnung, dass alles wieder in Ordnung kommt, dass es ihr wieder besser gehen würde, waren optimistisch.
Doch dann dieser Anruf. Und dieser eine Satz, den mein Vater zu mir sagte. Ich habe noch nie in meinem ganzen Leben einen so grossen Schmerz gespürt, einen so tiefen Stich in meinem Herzen und noch nie habe ich so geschrien und geweint ... ich habe die Nachricht im Ausland erhalten, und die Stunden der Rückreise waren unerträglich. Die nächsten Wochen habe ich wie in einem Rausch erlebt, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass meine Mutter weg war. In der Wohnung war alles wie gewohnt, ihre Sachen waren überal. Ich erwartete eigentlich immer, dass sie einfach zur Wohnungstür rein kommt. Aber sie kam nicht wieder.
Nun ist es schon etwa 6 Monate her, ich bin wieder zurück gegangen ins Ausland, einen neuen Job anzufangen, mein Vater hatte mich beinahe dazu gedrängt, etwas ganz Neues anzufangen, eine Distanz zu gewinnen. Nun sitze ich hier, mein Vater zuhause. Wir sind beide alleine, so alleine, und am liebsten würde ich alles packen und auf der Stelle zurückgehen. Ich habe hier niemanden, mit dem ich über alles reden könnte: enge freunde habe ich hier nicht, meine Freunde zuhause will ich damit nicht belasten, schon gar nicht per mail oder skype.
So habe ich angefangen, eine Art Doppelleben zu führen: nach aussen, im Job, immer ein Lachen, am Wochenende manchmal am Abend nett unterwegs. Bloss niemandem zeigen, wie es wirklich ist, seine liebe Mutter zu verlieren, niemanden eine Angriffsfläche bieten, wenn man nicht so funktioniert, wie es die anderen erwarten. Niemandem zeigen, wie gelähmt man eigentlich ist, am Ende sich selbst belügen und denken, es gehe einem eh gut ... Aber dann, zuhause, am Abend, kommen all diese Bilder wieder, das letzte Telefonat, all die Fragen, all die Vorwürfe und die Vorstellung, wie denn genau das alles passiert ist. Und diese Ungläubigkeit: eigentlich kann das gar nicht wahr sein, das kann irgendwie nicht sein, oder? Und der Schmerz, der dich einnimmt von oben bis unten und manchmal nicht weggeht bevor du weinend einschläfst.
Ich habe in den letzten Wochen unglaublich traurige und einsame Momente erlebt, die im Innersten, Innersten unwahrscheinlich weh tun. Irgendwie kann es niemand nachvollziehen oder die richtigen Worte finden...Am wenigsten ich selbst. Ich weiss nicht, wie ich mit mir selbst umgehen soll. Ich habe Angst vor meinen eigenen Emotionen, und vor allem, mit diesen Emotionen alleine zu sein, weil sie so weh tun...Ich habe mir einen Ratgeber zugelegt, von Doris Wolf, er liegt neben meinem Bett. Aber ich kann einfach nicht anfangen, ihn zu lesen, aus lauter Angst. Angst davor, zu lesen, nicht "richtig" zu trauern, wie all die anderen, vielleicht auch davor, einzusehen, dass man loslassen muss und nichts rückgängig machen kann. Und das schlechte Gewissen, weil ich irgendwie nach aussen hin immer ein Lächeln bereit habe, und die Frage, ob meine Mutter genauso getrauert hätte wie ich?
Meine Mutter war erst 56, ich bin 23, habe noch mein ganzes Leben vor mir, aber sie nicht an meiner Seite... ich kann es irgendwie nicht akzeptieren, obwohl ich weiss, dass ich das muss. Es muss weiter gehen, und ich weiss, dass meine Mutter mir das auch gesagt hätte. Aber es ist so schwierig, und kostet so viel Kraft, die ich einfach nicht habe....
Ich hoffe auf ein paar Eindrücke von Euch, vielleicht könnt Ihr mir sagen, wie Ihr mit dem Verlust umgeht und woher Ihr Eure Kraft nehmt, wie ihr mit all den Fragen und Zweifeln zurecht kommt...
Ein ganz liebes Dankeschön fürs Lesen!
Anja