Hallo Zusammen,
ich sitze hier und starre den Monitor an und weiß eigentlich nicht was ich schreiben soll. Natürlich könne ich hier die Faken erzählen, so wie ich es schon dutzende male habe tun müssen und ich denke, dass zumindest die Hintergrund-Infos auch wichtig sind, um zu verstehen wer meine geliebte Frau war, wo ich jetzt stehe und was ich durchmache, aber ehrlich gesagt ... mir fehlen die Worte um das wirklich zu beschreiben (und das als Hobby-Schriftsteller).
Aber gut, fangen wir da an wo alles begann ... am Anfang:
Ich lernte meine Frau vor 13 Jahren in Irland kennen. Wir beide arbeiteten dort - sie in Killarney, ich in Dublin. Wir lernten uns über das Internet kennen und stellten bald fest, dass wir uns sympathisch waren. Nach ca. 1,5 Jahren schloss meine Firma in Irland und mein neuer Job war in Deutschland. Ich sollte vielleicht noch erwähnen, dass meine Frau ursprünglich aus Thailand stammte und nun ebenfalls kurz vor dem Ende ihrer Arbeitsvertrages in Irland stand. Da ich sie nicht verlieren wollte und sie mich nicht - entschlossen wir uns zu heiraten.
Es dauerte etwas über ein Jahr, alle Unterlagen und Genehmigungen zu bekommen, doch im August 2012 war es dann endlich soweit und wir heirateten. Wir waren glücklich...
4 Jahre später waren wir immer noch glücklich - hatten uns zusammengerauft und blickenten positiv in eine gemeinsame Zukunft, als bei einer Routineuntersuchung festgestellt wurde, dass meine Frau Brustkrebs hatte. Es war natürlich ein Schock für uns, doch die Prognosen der Ärzte waren gut.
Das war vor 6 Jahren. 6 Jahre lang kämpften wir gegen den Krebs mit allen Mitteln. Hormontherapie, Bestrahlung, diverse OPs - meine Frau stellte ihre Ernährung komplett um, nahm Mineralien und Vitamine, führte diverse alternative Therapien durch etc. etc.
Ich unterstützte sie so gut ich konnte - OK, mit einigem war ich nicht einverstanden, wie z.B. das sie mehrfach die Hormontherapie abbrechen und nur ihre Thai-Kräuter-Kur weiterführen wollte. In diesen 6 Jahren hatten wir vielleicht 4, 5 oder 6x richtig Streit - meistens, weil sie wieder genug von der Therapie hatte und diese abbrechen wollte. Es war schwer für sie, dass weiß ich und es war oft eine Qual. Doch ich bestand darauf, dass sie die Therapie weiterführte und unterstütze sie dabei so gut ich konnte. Ging mit ihr zu jedem Arztbesuch, kaufte ihr alle alternativen Mittel die sie wollte, versuchte mit ihr alle Therapien die uns einfielen.
Anfang diesen Jahres dann erhielten wir die Nachricht, dass die Hormontherapie nicht mehr wirken würde (wir waren mittlerweile beim dritten Hormonmittel) und das es keine Alternativen geben würde. Ok sie hätte noch eine starke Chemo machen können, aber das wollte sie nicht und ich verstand das auch. Selbst unsere Ärztin meinte, dass dies ihr höchstens einige Monate mehr an Leben verschaffen würde. Einige Monate mehr ... doch zu welchem Preis? Nein, dass wollte sie nicht. Die Prognose lautete: 6 bis 12 Monate.
Ursprünglich hatten wir geplant im Juni nach Thailand zu reisen um dort Urlaub zu machen und die Familie zu besuchen. Das änderten wir sofort und entschlossen uns, dass sie schon im Februar zu ihrer Familie fliegen würde und ich (da meine Frau länger bleiben wollte), einige Wochen später nachkommen sollte.
9 Tage vor meinem Abflugtermin erhielt ich die Nachricht, dass sie im Krankenhaus sei. Sie spielte es runter - meinte sie wäre nur da um sich zu erholen und ruhe zu finden. Was für mich durchaus verständlich war, da es im Heimatdorf meiner Frau weder Klimaanlage, noch ein "richtiges" Bett und schon gar keine Ruhe gab (dutzende Hähne die jeden Tag krähen, halb-wilde Hunde die ständig bellen und kämpfen und natürlich dutzende Verwandte die ständig da sind).
Ich machte mir zwar Sorgen, aber verstand es noch nicht als kritisch. Das änderte sich, als sie in ein anderes Krankenhaus verlegt wurde (näher an ihrem Heimatort). Aus ihr konnte ich nicht herauskitzeln warum genau oder wie es ihr wirklich geht und da ich in ihrem Dorf niemanden kannte, der genug Englisch sprach, war es für mich schwierig. Es ließ mir aber keine Ruhe und so kontaktierte ich ihre Ex-Schwägerin in Bangkok (die fließend Englisch spricht) und bat sie da mal nachzuforschen.
Das Ergebnis war niederschmetternd. Es ging ihr sehr schlecht.
Ich buchte sofort den nächsten freien Flug (1,5 Tage später) und flog nach Bangkok. Von dort aus brauchte ich noch ca. 1 Tag bis in ihre Heimatprovinz und in das Krankenhaus. Sie sah furchtbar aus. So schwach und zerbrechlich und doch war es schön ihre Augen aufleuchten zu sehen, als sie mich sah.
Wir verbrachten über eine Woche im Krankenhaus. Die ersten Tage schlief ich noch im Hotel, dann auf der Couch in ihrem Krankenzimmer. Sie baute schnell ab. Ich versuchte ihr noch so viele kleine Freuden zu bereiten wie möglich, aber vieles war einfach nicht möglich. Das Zimmer z.B. konnte sie nicht mehr verlassen, da es keinen mobilen Sauerstoffkonzentrator gab - außerdem gab es in der Provinz auch nichts wo wir hätten hingehen können. Staubige Straßen - Geschäfte und Hitze waren alles. Ich weiß, sie hätte so gerne noch mal einen Waldspaziergang gemacht oder am See gesessen und die Blumen, Vögel und Menschen beobachtet - aber das war einfach nicht möglich.
Am Samstag den 18. März wurde sie dann zum Sterben nach Hause gebracht und am frühen Morgen des 19. verstarb sie. Ich will hier und heute nicht auf die Einzelheiten ihrer letzten Stunden eingehen - vielleicht ein anderes mal - aber soviel sei gesagt: es war für mich furchtbar.
Die nächsten vier Tage lang fand die Buddhistische Trauerfeier statt. Ich hatte das Glück das ihr Cousin (der in der Nähe wohnte) früher Chef-Koch in einem Touristen-Restaurant und seine Frau eine Bedienung war. Daher sprach sie relativ gutes Englisch und die Beiden übernahmen die Organisation der Trauerfeier. Ich wäre damit völlig überfordert gewesen.
Vier Tage lang essen, beten und Zeremonien, die mir keiner Erklärte und die ich nicht kannte. Trauer so wie wir das kennen, gab es nicht. In Thailand wird der Tod eher "gefeiert". Ich verstehe und bewundere das vom Verstand her ja - der/die Tote soll mit einem guten Gefühl gehen und ihr nächstes Leben ohne Sorgen beginnen - aber für mich war es eine kleine Hölle. Weinen konnte ich nur Nachts allein in meinem Hotelzimmer.
Während der viertägigen Trauerfeier gab es natürlich auch diverse "Überraschungen". Ich war z.B. überhaupt nicht darauf vorbereitet, dass am vierten Tag der Sarg noch mal geöffnet wurde (kurz vor der Verbrennung). Niemand hatte mir das gesagt (natürlich nicht, für die Thais war das ja selbstverständlich) und es war ein Schock - oder als die Mitarbeiter des Tempels kamen um ihren Sohn (aus erster Ehe) und mich zu holen, weil angeblich ihr Körper nicht richtig verbrannte und wir Haare opfern und sie auffordern sollten zu gehen. Natürlich gingen wir hin - nur um zu erfahren, dass alles Ok sei. Der "Brennmeister" meinte dann noch: Wollt ihr mal schauen und öffnete die Klappe zum Ofen...
Nach dem Ende der Trauerfeier verabschiedete ich mich dann auch recht schnell und flog nach Hause.
Hier bin ich jetzt seit vier Monaten damit beschäftigt ihre Sachen auszusortieren, die Behördengänge zu erledigen und zu versuchen zu verstehen was passiert ist. Ich arbeite, ich interagiere mit Menschen, ich gehe sogar in unseren Tempel und bete dort für sie (ja, ich bin ebenfalls Buddhist). Doch oft erwische ich mich dabei, dass ich darauf warte ihren Gesang in der Wohnung zu hören oder ihren Entsafter in der Küche. Ich warte darauf das sie in mein Büro kommt um mit mir zu sprechen oder mit mir durch den Park spazieren geht.
Sie fehlt mir so sehr. Jeder Tag ist anders - an manchen geht es, an anderen bricht meine Welt wieder zusammen. Ich fühle mich oft so leer und hoffnungslos und frage mich, wie es weitergehen soll...
Mittlerweile habe ich mich bei einer Trauergruppe angemeldet (fängt aber wohl erst Ende August an), versuche mich sozial zu engagieren und bemale "Erinnerungssteine" und bringe diese zu Orten die uns wichtig waren oder gebe sie Leuten, die sie kannten und schätzen. Es ist Beschäftigungstherapie - es hilft für eine kurze Zeit, aber oft wenn ich in den Spiegel blicke, zerbricht die Maske und ich sehe die Leere und Verzweiflung dahinter.
Ich weiß, meine Frau würde jetzt mit mir schimpfen - sie würde wollten, dass ich glücklich bin, dass ich die Trauer überwinde und sie "loslasse" - doch das kann ich nicht. Bis auf meine Erinnerungen ist die Trauer alles was ich von ihr noch habe.
Jetzt sitze ich hier und mir laufen die Tränen über das Gesicht und dieser Post ist nun um einiges länger geworden, als geplant.
Danke fürs lesen.
Gruß
Rüdiger