Liebe Du_und_ich
Dieses "was wäre gewesen wenn" kennen ganz viele von uns - auch ich! SEHR. Bei Mama war auch einiges, das man nicht nachvollziehen konnte... und ich war auch wütend auf die Ärzte - besonders in der Dialyse... ich schlug innerlich um mich - aber es half nichts: Mama war fort!
Ich hatte viele Gespräche - mit einem Freund, der auf der Intensiv arbeitete und meine Mama sehr mochte, mit einem Seelsorger, mit einem Psychologen, mit einem sehr gläubigen Freund... ALLE Gespräche mündeten in ihrer Kernaussage darin, dass das Leben das wir geschenkt bekommen, eine fest vorbestimmte Zeit hat. Ist diese Zeit gekommen so ist sie unabänderlich da und egal was wir tun, wie sehr wir kämpfen... es geschieht.
Meine Mama war einige Male mehr tot als lebendig - sie hat sich immer wieder durchgekämpft und stand wieder auf... diesen einen, letzten Kampf hat sie verloren...
Sie liebte das Leben - egal wie beschissen dreckig es ihr ging nach jeder Dialyse... ich weiß noch einen Moment, an dem sie so verzweifelt war danach, kraftlos, voller Schmerz und sie sagte: Ich kann nicht mehr! Wir weinten zusammen und ich sagte: Mama, wenn du das nicht mehr willst, dann gehe ich auch diesen Weg mit dir und du gehst ab sofort nicht mehr zur Dialyse! Sie nahm mich in den Arm und sagte: Schätzle... dann hab ich ja gar keine Chance mehr und ich will doch bei euch sein! Also kämpfte sie weiter... Bis zu dem Wochenende im September 2019... Es war ein herrlicher Sonntagmorgen. Ich war mit dem Hund Gassi und brachte Brötchen mit, machte Frühstück... ich hörte sie oben im Bad und Schlafzimmer... da rief sie leise: Kannst du mal kommen? Ich ging hoch und sie stand da - frisch geduscht (sie liebte es zu duschen!) und schön angezogen... aber auf dem Teppich unter ihren Füßen war eine riesige Blutlache. Durch das Duschen sind ihre Beine, die schon offene Stellen hatten, noch mehr aufgegangen und bluteten wie verrückt durch die Blutverdünner, die sie nehmen musste. Ich drehte vor Schmerz und Angst schier durch! Verband sie, schickte sie runter und putzte wie eine Irre dieses Blut weg... was nicht ging... es sah furchtbar aus... ich schrubbte, weinte, schrie, heulte, war verzweifelt...
Als sich alles beruhigt hatte und wir zusammensaßen sagte sie: Ich wollt doch einfach nochmal duschen...
Dass es da das letzte Mal sein sollte, ahnte zu diesem Moment KEINER!
Sie war so klein, so zerbrechlich und ich schämte mich so sehr, dass ich so ausgetickt bin... ich tat es aus Angst, denn ich hatte eine wahnsinnige Angst sie zu
verlieren! Dass der Tag kommen würde, ahnte ich... aber ich wollte es doch NICHT!
Wir verbrachten einen relativ gemütlichen Sonntag... ich fragte: Was soll ich denn kochen? Sie sagte: Ach mach doch Pfannkuchen! Sie liebte Pfannkuchen - vertrug sie aber nicht... Was tat ich blöde Kuh? Ich machte natürlich keine Pfannkuchen sondern etwas leichtes, was das sie besser verträgt! Noch heute mache ich mir riesengroße Vorwürfe dass ich ihr diesen (letzten) Wunsch nicht erfüllt habe!!!!
Dann in der Nacht ging es ihr plötzlich schlecht. Sie erbrach, war nicht mehr ansprechbar... Notarzt, Intensivstation, Panik...
Montags sollte sie zur Dialyse - ich sagte: Bitte nicht! Das überlebt sie doch nicht! Aber sie stabilisierte sich einigermaßen so dass die Ärzte sie doch hinbrachten, weil kein Gerät auf der Station war...
Als ich das hörte raste ich in die Dialyse - da lag sie, sie konnte etwas sprechen und trank einen Schluck Kaffee...
Minimal beruhigt ging ich heim um Papa was zu kochen und nach meinem Hund zu schauen - sie sollte nach der Dialyse auf Normalstation...
Dazu kam es nicht mehr.
Sie kam auf Intensiv und was ich dort sah, passte mit dem Vormittag nicht mehr zusammen... dann hieß es plötzlich: Palliativ, wir können nichts mehr tun... vielleicht berappelt sie sich nochmal... Tat sie nicht! Diese letzten Stunden sind in mein Hirn eingebrannt, in mein Herz und in meine Seele...
Mein Papa durfte im Palliativzimmer bei ihr übernachten... ich ging heim, es war schon spät, und er legte sich neben sie... eine gute Stunde später klingelte das Telefon: "Mama atmete nicht mehr!!!! Ich bin doch nur kurz eingenickt!!!!" Ich raste ins KH. Da lag sie... meine kleine, liebste Mama... sie war nicht mehr da... einfach weggeflogen... einfach neben oder mit meinem Papa eingeschlafen...
Was ich dir damit sagen möchte:
Mama wußte irgendwie dass sie nicht mehr lange da sein wird... ("ich wollte doch nur noch einmal duschen...") aber das konnte ich erst begreifen, als ich einen ganz langen Weg gegangen war - denn auch ich ahnte es und wollte es absolut nicht wahrhaben!!! Ich hab die Dialyse zusammengestaucht... die Ärzte... Gott und die Welt mussten herhalten.... aber all mein Schreien und Strampeln, meine Wut und Ohnmacht brachten meine Mama nicht zurück...
"Wenn es richtig gelaufen wäre"... ja... aber das verdammte Lebensschicksal läuft einfach nicht richtig!
Entschuldige, dass ich das alles geschrieben habe... es brannte mir gerade so sehr im Herzen!
Wir können das Lebensrad nicht aufhalten.... es nicht lenken....
Ich versuche daraus zu lernen. Schaffe es nur bedingt und minimalistisch... Wir können nur unsere Zeit die wir haben, nutzen... sie mit Menschen verbringen die uns kostbar und wichtig sind... diese Erinnerungen bleiben bis wir uns wiedersehen. Und das tun wir! Das weiß ich sicher...
Liebe Grüße...
Danke, Miraliese, für das Teilen Deiner Geschichte. Sie ist unfassbar berührend und heftig, es tut mir so leid. Ich verstehe, was Du meinst.
Auch meine Mama hatte definitiv Vorerkrankungen, aber sie ist im April eichten Fußes ins Krankenhaus gegangen, zu einem geplanten Eingriff. Dieser lief sehr gut. Ich war bei ihrem Kardiologen und habe mit ihm schon darüber gesprochen, sein Statement war: "Das ist ein völlig ungewöhnlicher Verlauf und so in KEINSTER Weise zu erwarten.").
Ich wurde schon von Linchen gefragt und ich fasse den ganzen Verlauf mal zusammen und ggf. poste ich ihn auch oder schicke ihn Dir, wenn's ich geschafft habe, ihn nieder zu schreiben. Du kannst mir auch eine Nachricht schicken und schicke ich Dir das. Es gab viele Behandlungsfehler und Merkwürdigkeiten. Aber am Ende wurde sie m.M.n. auf der Intensivstation an einer behandelbaren Situation sterben lassen. In der Nacht! Da bin ich mir mittlerweile fast sicher. Und wären die vielen Fehler nicht passiert, wäre sie ja gar nicht auf der Intensiv gelandet.
Das bringt mir meine Mama nicht mehr zurück, ich weiß, aber es macht es doppelt bitter, weil sie noch da sein könnte! verstehst Du? Und jeder Tag, jeder Monat, jedes Jahr wäre für mich unbezahlbar gewesen. Das Schlimme ist, dass ich mir extreme Vorwürfe mache, sie nicht in eine andere Klinik verlegt zu haben, denn zwischendurch war immer das schlechte Bauchgefühl da. Aber es gab dann immer neue Entwicklungen und rationale Gründe, erstmal dort zu bleiben. Man konnte ja auch den Verlauf nicht ahnen. Aber ich hätte eben auf mein Bauchgefühl hören müssen...das Ganze bringt mich um...
Das mit dem Blutgerinner kenne ich übrigens - meine Mutter hat den auch genommen und letzten Herbst mal aus dem Fuß geblutet, da war das ganze Bad voller Blut, da tickt man natürlich aus, voller Angst, das ist normal...ging mir damals auch so...ja, und auch die anderen Gefühle kenne ich: wäre man nur IMMER auf ALLES eingegangen, was sich die Person gewünscht hätte...ja, ja und nochmals ja,....