Liebe Indian Summer,
das Märchen ist sehr schön, und ich finde es berührend dass darin ein auch Tabuthema "Tod eines Kindes" verarbeitet und angesprochen wird, ein Thema mit dem viele Menschen - Familien, Mütter auch zu alleine gelassen sind, auch meinem Empfinden nach.
Es hat mich zuerst auch wütend gemacht, auch da ich selbst Mama bin, einerseits wehr man/ich es ab (die größte Angst), andererseits dachte ich schon auch - der Andersen hat leicht reden, er ist ein Mann, er ist kein Vater, er kann einfach nicht wissen wie eine Mutter/Elternteil fühlt, dessen Kind stirbt.
Dann diese Pflicht, weiter machen zu müssen, auch für die anderen Kinder da zu sein, natürlich ist das so, es ist bestimmt auch der einzige Anker manchmal, noch Sinn im Leben zu sehen wenn man so einen Schicksalsschlag zu verkraften hat, und das Märchen stammt aus einer Zeit in der sehr oft Kinder gestorben sind, oft mehrmals in einer Familie, und die Menschen das ertragen und dann irgendwie weiter machen und überleben mussten, und das spiegelt sich stark in dem Märchen finde ich.
Dass die Liebe zu einem Verstorbenen, auch einem verstorbenen Kind einen beschützt im weiteren Leben (am Leben erhält dass so unmöglich scheint) auch nach dessen Tod, Tod des geliebten Menschen, geliebten Kindes weiter trägt, dass das eine "Botschaft" sein kann die man von dem geliebten verstorbenen Wesen, auch einem Kind, annehmen kann und darf, das finde ich sehr berührend und schön.
Erst kürzlich las ich in der Biographie von Beethovens Mutter nach...sieben Kinder hatte sie, nur drei überlebten das Säuglingsalter, das hat mich sehr berührt, kann man sich den Schmerz der Frauen vorstellen, auch noch viele Frauen unserer Zeit, vor allem in anderen Ländern, ärmeren Ländern, wo Schwangerschaft und Geburt ein so hohes Risiko sind, wo die Kindersterblichkeit so hoch ist?
Ich weiß nicht wie die Situation für Menschen ist, für die so einschneidende Trauermomente sehr wahrscheinlich eintreten, also es häufig vorkommt, die Lebensbedingungen einfach sehr hart sind...wie wirkt sich das auf die Trauer aus...welchen Trost braucht es da?
Zurück zu unserer Situation hier in Europa...wo es glücklicherweise wesentlich seltener als anderswo oder es früher der Fall war erschütterndere Lebensereignis ist, dass ein Kind stirbt, ... aber vielleicht fühlt man sich dadurch als betroffene Eltern auch mehr alleine mit dem Thema? Isolierter? Abgesehen davon dass der Tod an sich heute eine andere Rolle spielt in der Gesellschaft finde ich.... das sind sehr interessante Fragen.
ich finde es aber wichtig über das Thema zu sprechen, über die Gefühle, und insofern ist das Märchen für sich schon sehr wertvoll finde ich, als Diskussionsthema...abseits seinem Zweck als "Trostmärchen"...so war es wohl gedacht scheint mir?
Ich empfand auch so beim Lesen dass diese Idee, dass die Trauer den Verstorbenen beschwert, Druck macht. Es ist aber auch befreiend finde ich daran zu denken dass man nicht trauern "muss" oder dass die Intensität der Trauer kein Äquivalent für die Liebe ist. Dass einen die Trauer nicht zerstören soll oder darf, und dass wir uns auch schützen dürfen. Und wenn man die Trauer einmal nicht so intensiv spürt oder sie nachlässt es nicht heißt, dass man nicht geliebt hat (das beschäftigt mich gerade).
Dass es oft ein Schlag in die Magengrube ist von außen gesagt zu bekommen "reiß dich zusammen" und das auf verschiedene Arten, und dass man das Märchen so auffassen kann, das sehe ich schon auch.
Ich bin aber auch etwas befangen, ich mochte Andersen als Kind überhaupt nicht, ich empfand ihn rückblickend als destruktiv depressiven Spinner mit sadistischen Tendenzen zumindest mich haben seine Märchen gequält und ich lese sie meinem Kind auch nicht vor, auch wenn sie sprachlich schön und melancholisch sind.
Wahrscheinlich sind es eher Märchen für Teenager und Erwachsene.
Und die Auseinandersetzung jetzt, mit diesem Märchen und dem Gedicht unten ist eigentlich ein wenig eine Versöhnung mit diesem Autor, und seinen Werken...danke dafür Monika...
Ich möchte mich aber bei dir dafür bedanken dass du es hereingestellt hast weil ich finde dass es ein schöner Ausgangspunkt für eine Diskussion ist und um über Gefühle zu sprechen.
Denn alles, was trauernde Eltern erleichtert, stärkt, ist richtig und ich denke über die eigenen Gefühle zu sprechen, kann sehr erleichternd sein.
Und ich glaube so kann man es verwenden, indem man das Märchen nimmt, um über die Gefühle zu sprechen, die so unaussprechlich oft sind und keinesfalls als "moralische Richtschnur" (Trauer und Moral sind ohnedies zwei sehr schwierige Themen, und wir haben hier ja schon oft gesprochen) ... man könnte es gemeinsam lesen und dann darüber sprechen, wie man es empfindet...
dass man es vielleicht irgendwann so sieht dass natürlich auch das verstorbene Kind will /wollen würde dass es einem gut geht, dass die Trauer irgendwann einmal anders werden darf...
verwendest du es so in deiner ehrenamtlichen Arbeit?
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Das Märchen selbst hat mich beschäftigt und auch fasziniert, und so habe ich ein wenig nachgelesen...auch dass Andersen recht jung war als er es geschrieben hat, und er sehr jung auch folgendes - wie ich finde sehr, mich sehr berührendes Gedicht geschrieben hat...
dieses "gehen lassen" (müssen) ist finde ich sehr einfühlsam beschrieben
(das Holprige kommt von der Übersetzung).
Mit lieben Grüßen,
M.
DAS STERBENDE KIND
Mutter, ich bin müde, lass in Deinen
Treuen Armen schlummern nun dein Kind,
Doch versprich mir erst nicht mehr zu weinen
Heiss und brennend Deine Tränen sind
Hier ist es kalt, und draussen Stürme wehen,
Doch im Traum ist alles licht und klar,
Engelkinder hab ich dort gesehen,
Immer wenn mein Aug geschlossen war.
Sieh! Da steht schon eins an meiner Seite,
Hör, wie süss es klingelt, Mutter, sieh
Doch die Flügel, weiss und glänzend beyde!
Mutter, gab ihm unser Vater die?
Gold und Blumen mir vor Augen schweben
Gottes Engel streut sie um mich aus.
Sag, bekomm ich Flügel auch im Leben,
Oder erst in seinem Sternenhaus?
Warum drückst Du meine Hand zusammen,
Warum so an meine, Deine Wang?
Sie ist nass und brennt doch wie die Flammen,
Bey Dir bleib ich ja mein Lebelang.
Laszt nur deine Thränen nicht mehr fliessen
Musz auch weinen, wenn Du traurig bist.
O wie müd! – Es will mein Aug sich schliessen
Sieh doch – sieh – wie auch der Engel küszt.