Hallo Ihr Lieben,
eigentlich wollte ich zunächst auf den Text von StillCrazy antworten, aber ich kann mich heute nicht kurz fassen und muss etwas ausholen, irgendwie muss ich es erzählen, ich hoffe, es wird euch nicht zu lang, ich habe heute echt einen "Durchhänger". Es gibt vielleicht auch Sprünge zwischen den Themen, ich habe heute morgen im Büro angefangen zu schreiben und immer wieder unterbrochen, entweder weil ich arbeiten musste oder weil die Tränen geflossen sind.
Es stimmt, es hat auf der einen Seite natürlich seine Vorteile, dass ich es gewohnt bin, wochenlang alleine zu Hause sein. Natürlich bin ich täglich nach der Arbeit in die Klinik gefahren, aber zu Hause war ich es ja dennoch gewohnt, alleine zu sein und auch alleine zu schlafen.
StillCrazy, du hast Recht - durch eine gewisse Routine ist der Verlust dann nicht immer im Vordergrund, sondern ich kann einiges "gedankenlos" erledigen und einfach so laufen lassen wie immer. Das ist ein großer "Vorteil", sofern in dieser Situation irgendetwas von Vorteil ist. Und ja, ich bin sehr selbständig, habe nach und nach alles übernommen, soweit es mir möglich war (für manche Dinge fehlt mir das Verständnis,gerade technisch). Ich fühle mich durch deine Einschätzung immer irgendwie "gelobt", danke dafür
Dennoch trifft es mich zwischendurch, wenn mir bewusst wird, dass mein Harry für immer weg ist, wie wenn man mir von jetzt auf gleich den Boden unter den Füßen wegzieht, wie heute und ich einfach ein Häufchen Elend bin. Es wird mir noch nicht so oft bewusst, ich "umschiffe" diesen Gedanken noch sehr gut - ob das hilfreich ist, weiß ich nicht, ich kann den Gedanken an die Endgültigkeit nicht oft zulassen, es zerreisst mich innerlich und ich kann den Schmerz nicht ertragen.
Zu Hause kann ich mich mehr ablenken, in anderen Situation fällt es mir schwerer, z.B. im Büro, hier hat er mir mehrmals täglich Nachrichten per WhatsApp geschrieben.
Ich habe mir immer solche Sorgen um ihn gemacht, er hat mir Nachrichten geschrieben, damit ich weiß, dass alles soweit in Ordnung ist (einmal hat er sich den ganzen Vormittag nicht gemeldet und hat auch nicht auf meine Nachrichten reagiert. Damals habe ich dann sofort früher Feierabend gemacht, bin nach Hause gefahren, da lag er tatsächlich kaum ansprechbar im Bett - Ammoniak Vergiftung durch die Leberfunktionsstörung). Seitdem bin ich wahnsinnig geworden vor Sorge, wenn ich nicht regelmäßig was gehört habe - und er hat sich auch immer gemeldet, selbst als seine Hände am Ende so gezittert haben, dass er das Handy kaum halten konnte, dann hat er halt nur ein Herz geschickt, anstatt einen Text. Und jetzt ist mein Handy den ganzen Tag über so still ...
Auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte und wir nicht darüber gesprochen haben, mein Mann wusste wahrscheinlich unbewusst (oder bewusst?) dass er sterben würde. Ohne, dass ich es wirklich gemerkt habe, hat er mir nach und nach die Dinge erklärt, um die er sich immer gekümmert hat und mir gezeigt, wie alles funktioniert bzw. wo ich alles finde. Vor allem die Kleinigkeiten, über die ich mir vorher keine Gedanken gemacht habe, Druckertoner wechseln, wo sind die Ersatzglühbirnen, Ersatzsicherungen etc. Nach und nach hat er mir hintenrum dieses Wissen angeeignet. Am Sterbebett, kurz bevor er das Bewusststein verloren hat, hat er sich um sich keine Sorgen gemacht, sondern um mich und mir richtige "Anweisungen" gegeben, was jetzt zu tun wäre. Er muss sich das schon länger zurecht gelegt haben ... Ich wusste, dass er viele Behandlungen, die ihm Schmerzen bereitet haben, nur über sich hat ergehen lassen, weil er für mich gesund werden wollte und mich nicht alleine lassen wollte. Wie sehr ihn der reine Wille am Leben gehalten ist, ist mir erst an seinem letzten Tag bewusst geworden. Die Ärztin hat empfohlen, alle Medikamente bis auf das Morphium abzusetzen und gesagt, dass sie ihm nicht mehr helfen können, sie kann nicht sagen, wieviel Zeit ihm noch bleibt. Als er akzeptiert hat, dass nichts mehr geht, ist er innerhalb von wenigen Stunden gestorben - ich bin heute noch der Meinung, dass er schon lange nur durch seinen Willen für mich überlebt hat. Und ich weiß gar nicht, ob ich soviel Liebe verdient habe, soviel Selbstlosigkeit. Ich bin so dankbar für die Zeit, die wir gemeinsam verbringen durften. Und ich bin so traurig, weil ich mich nicht mal mehr daran erinnern kann, wann wir das letzte Mal zusammen gelacht haben - es muss sehr lange her sein.
StillCrazy, Ich glaube, dein Ratschlag, etwas Neues zu erleben, ist irgendwann genau das Richtige für mich. Noch nicht im Moment - ich habe festgestellt, ich fühle mich zu Hause auf unserem Sofa mit den ganzen Fotos von ihm um mich herum am Wohlsten. Aber irgendwann ist es für mich sicher das Beste, ganz langsam zu schauen, was ich gerne machen möchte bzw. mit wem ich Zeit verbringen möchte. Unsere "alten" Freunde sind mir irgendwie fremd geworden, vielleicht ändert sich das ja irgendwann wieder. Aber ich habe mich auch verändert und passe vielleicht einfach nicht mehr dazu oder habe zumindest das Gefühl.
Es hört sich jetzt komisch an - ich habe momentan ein schlechtes Gewissen meinem Harry gegenüber, wenn ich an Unternehmungen denke - weil er nicht mehr dabei sein kann und ich irgendwie das Gefühl habe, es würde das Gefühl vermitteln, als hätte ich schon vergessen und würde einfach weiter machen.
Und ich habe auch keine Freude daran , ich habe schon einige Sachen vorsichtig ausprobiert und wieder abgebrochen. Das einzige, ich hatte es schon irgendwo geschrieben, ich hoffe, ich wiederhole mich nicht, war das Mittelalterfest. Da hatte ich nicht wirklich Spaß, aber ich fand es angenehm, dort zu sitzen, den Gauklern zuzusehen und die Leute zu beobachten - obwohl ich sonst momentan gar nicht gerne unter Leute gehe. Ich kann es mir nur damit erklären, dass wir dort gerne zusammen hingegangen sind und ich habe mich dort auch irgendwie verbunden mit ihm gefühlt.
Obwohl ich schon Kritik aus der Familie bekommen habe, habe ich beschlossen, mein Wohnzimmer wird unser gemeinsames Zimmer bleiben und auch die vielen Fotos, die ich von meinem Harry aufgestellt und aufgehängt habe, werden bleiben. Das ist der Raum wo ich trauern und an unsere gemeinsame Zeit denken kann. Ich sitze oft und spreche mit ihm, erzähle, was ich den ganzen Tag gemacht habe und wie sehr er mir fehlt.
Und ich hoffe, dass ich weiterhin einigermaßen stark sein kann, auch für meinen Sohn, der zwar nicht mehr zu Hause wohnt und eigentlich sehr selbständig ist - aber obwohl er wenig sagt, merke ich, dass er leidet. Als er 9 Jahre alt war, ist sein Vater gestorben, dann hat er mit der Zeit Harry als seinen väterlichen Freund angenommen und diesen jetzt auch verloren. Er ist jetzt 22 und hat das Gefühl, sich um mich kümmern zu müssen, dabei ist er doch mein Kind und ich sollte für ihn da sein.
Wie gesagt, heute ist es echt schlimm und ich fühle mich sehr einsam und alleine ohne meinen Mann. Ich weiß, dass ich alle Herausforderungen meistern kann, vieles musste ich bisher auch allein erledigen, weil er sich einfach nicht mehr darum kümmern konnte. Aber ich konnte mich mit ihm besprechen, seine Meinung hören. Und vor allem fehlt mir auch seine Nähe, einfach mal eine Umarmung.
Ihr Lieben,
ich hoffe, ich habe euch nicht zuviel zugemutet mit dem langen Text,
ich wünsche euch einen erträglichen Abend
Tina