In ein paar Tagen sind es genau dreienhalb Jahre dass Hannes tot ist.
Seit er nicht mehr da ist kämpfe ich mich Tag für Tag voran.
Zuerst ist mein Cousin mein Mitkämpfer gewesen, auch wenn wir nicht immer einer Meinung waren, so waren wir uns beide doch gegenseitig Halt und Stütze auch in den schweren Zeiten seit Corona.
Auch er ist gestorben, morgen ist es 7 Monate her.
Und nicht nur er ist gestorben, auch ein weiterer treuer Freund mit dem ich immer reden konnte, für den ich da war wann immer er reden wollte, so wie er für mich da war und immer versuchte mich aufzuheitern, wenn es mir wieder schlecht ging.
Das letzte Silvester, als mein Cousin Uli schon um 20h schlafen ging, weil es ihm nicht gut ging hat dieser Freund, sein Name ist Ludwig, mich angerufen und mich gefragt, was ich wohl mache.
Nichts habe ich gesagt, worauf er ankam mit einer Flasche Sekt und wir plaudernd, Toast essend und Sekt trinkend bei mir zuhause die Zeit bis Mitternacht verbrachten.
Inmitten des Silvesterfeuerwerks habe ich ihn noch die halbe Strecke nach Hause begleitet bevor wir uns verabschiedeten.
Dank Corona und Ulis Zustand war es das letzte Mal, dass wir uns so nahe waren.
Danach haben wir uns nur mehr auf der Straße getroffen, ich bemerkte im Frühjahr, dass es ihm nicht so gut ging, aber er wimmelte ab und ich bin der Sache nicht nachgegangen, weil ich mit der Pflege meines Cousins zu sehr beschäftigt war..
Ich habe ihm dann berichtet, dass Uli gestorben ist und er wollte es sich nicht nehmen lassen zur Beerdigung zu kommen.
Er kam nicht und ich war sehr beunruhigt, weil ich ihn als sehr zuverlässig kannte und er meinen Cousin immer sehr geschätzt hatte.
Auf dem Nachhauseweg von Ulis Beerdigung bekam ich den Anruf von einer Freundin, die er seit ihrer Krebserkrankung betreut hatte, dass man ihn in einer Blutlache liegend daheim aufgefunden hatte.
Am nächsten Tag durfte er sterben, was eine gute Nachricht war, denn ein lebenswertes Leben wäre nicht mehr möglich gewesen.
Ludwig war ein sehr eigenständiger, lebendiger, freiheitsliebender und freundlicher Mensch.
Er war ein Mann, ehrbar, humorvoll und ein echter Freund.
Ludwig war bereits der vierte Mann in meinem Leben der diese Welt verlassen hat, denn am 24. Juli 2017 ist mein geliebter Vater Josef, von allen liebevoll Teddy genannt im Alter von 93 Jahren als Erster von den Vieren friedlich in meinen Armen gestorben.
Auch ihn vermisse ich unendlich, denn er war mir sehr ähnlich, wir sahen nicht nur gleich aus, wir hatten auch den selben Humor und einen sehr ähnlichen Charakter.
In den letzten Jahren seines Lebens waren wir ganz eng miteinander verflochten, es ging ihm nicht mehr ganz so gut und wir waren fast immer zusammen, besonders, weil ich die letzten Jahre meines Berufslebens im Homeoffice arbeitete.
Auch mein Hannes hat meinen Vati geliebt, wir waren schon seit Muttis Tod im Jahr 2000 ein unzertrennliches Kleeblatt, weil auch Hannes Eltern bereits gestorben waren.
Ich lebte in einer Art Kokon aus Liebe und Geborgenheit mit aufrichtigen, tapferen und sehr liebevollen Männern seit dem Tod meiner Mutter.
Zuerst den Großteil meines Lebens mit Mutti, Vati und Hannes, nach der großen Katastrophe mit Uli, meinem Cousin und Ludwig, dem treuen Freund, den ich kurz nach Hannes Tod auf dem Friedhof kennenlernen durfte, vermutlich war er ein Engel, als Trost und Hilfe nach meinem großen Verlust vom lieben Gott zu mir geschickt.
Nun sind sie alle tot und ich bin alleine übriggeblieben.
Ich habe einige sehr gute Bekannte und meine alte Freundin und mit allen habe ich guten Kontakt, ja es ist sogar so, dass ich, seit ich alleine lebe mit viel mehr Frauen Kontakt habe als jemals zuvor in meinem Leben.
Ich möchte ihren Beitrag zur Stabilisierung meines Lebens nicht kleinreden, denn ich habe in diesen letzten grauenhaften dreieinhalb Jahren neue Rituale und Strategien des Überlebens entwickelt.
Zu diesen Strategien gehört ein stetiger Fluss an Kommunikation.
Noch nie in meinem Leben habe ich dermaßen viel telefoniert, geskypt und gezoomt als in den letzten dreieinhalb Jahren.
Dieser extreme Kontakt nach Außen war einfach damals nicht notwendig.
Ganz einfach.
Es war ein anderes Leben, mein Leben, unser Leben ...
Jetzt, in diesem neuen, ungewollten, ganz und gar nicht freiwilligen Leben hatte ich offenbar noch eine Art Schonzeit eingebaut mit liebevollen Männern, die mir eine nicht mehr vorhandene Struktur (Hannes und Vati) so gut sie konnten zu ersetzen versuchten.
Natürlich hat das nicht funktioniert, dennoch hat es mir den so dringend benötigten Halt gegeben bis die höheren Mächte befanden, dass ich jetzt reif wäre, die anderen Seiten des Lebens kennen zu lernen.
Mangel, Selbsthass, Wollust, Gier, ein ganzes Potpourri an Gefühlen der Angst und des Lebenskampfes.
War ich vorher sehr naiv, immer an das Beste in den Menschen zu glauben?
Nein, ich glaube nicht.
Ich glaube immer noch, dass alle Menschen dieser Erde sich nach Liebe sehnen und glücklich sein wollen.
Leider macht ihnen ihre Angst zumeist einen fetten Strich durch die Rechnung und es gibt Auswüchse an Verhaltensweisen von denen ich vorher entweder nichts wusste oder wenn dann nur vom Hörensagen.
Ich hatte nun dieses spezielle Erlebnis mit Wolfram, vor dem mich von Anfang an mein Bauchgefühl gewarnt hat.
Andererseits bin ich froh, dass ich mich darauf eingelassen habe, denn ich habe soviel daraus gelernt, wie man aus Büchern niemals lernen könnte.
Ich habe noch niemals erlebt wie sehr man empathisches Verhalten imitieren kann ohne echte Gefühle zu besitzen.
Ich habe diese Sache nun endgültig beendet und nur die Erfahrung, kein Bedauern, mitgenommen.
Das besondere daran ist, dass mich diese Erfahrung gestärkt hat anstatt mich niederzuschmettern, vermutlich habe ich sie gebraucht, um wieder ein Stück weiter zu mir selber zu finden.
Naja und immerhin weiß ich jetzt was ich unter keinen Umständen will und brauche.
Wolfram tut mir leid, weil er sich so sehr selber im Weg steht, aber da muss er selber drauf kommen, ich kann und will ihm da nicht weiterhelfen.
Ich gehe meine Weg weiter, die nächste Station ist REHA, wie ich hoffe eine weitere Stufe zu mehr Selbsterkenntnis.
Den Wunsch nach einer neuen Partnerschaft habe ich nicht aufgegeben, auch wenn ich die Chance, einen zu mir passenden Mann, der mich mag und mit mir von Herzen zusammen sein möchte, realistisch gesehen als sehr, sehr gering erachte.
Vielleicht ist mein Kontingent an liebvollen Menschen, mit denen ich in engere Beziehung treten darf, für dieses Leben ausgeschöpft?
Sehr viele Menschen haben soviel Liebe und Wohlwollen, wie ich erleben durfte niemals erfahren und wissen gar nicht wie sich das anfühlt.
Ich hoffe nicht, dass es so ist, aber wer weiß was noch alles kommt, vielleicht kapituliere ich früher oder später und wähle als Lebensbegleiter, so wie viele andere, einen Hund der mich aufrichtig liebt und den ich von Herzen umsorgen kann.
Ganz allein kann ich mir eine Zukunft mit einem lebenswerten Leben jedenfalls nicht vorstellen.