Ich (Dirk, 55) weiß gar nicht, wo ich anfangen soll und ich habe nicht die geringste Ahnung, wie das alles enden soll.
Samstag, 31. August 2024, 18:02 Uhr. So steht es in der Urkunde, die das für mich unfassbare amtlich belegt.
Aber Mirja (54) schien erleichtert: Ihre letzten drei Atemzüge waren begleitet von erleichterten Seufzern.
30 Stunden am Stück habe ich sie auf der Palliativ-Einheilt begleitet. Dabei war bis Mai alles wieder in Ordnung mit ihrem vermaledeiten Krebs. Der Cervix-Tumor war komplett zurückgebildet, die berufliche Wiedereingliederung längst abgeschlossen und wir freuten uns auf den ersten Spanienurlaub nach Covid, Krebsdiagnose und Chemo.
Aber dann wurde plötzlich zum Sturmangriff, Blitzkrieg, was auch immer, gegen den Körper meiner über alles geliebten Frau geblasen. Stationär aufgenommen worden ist sie eigentlich zum Aufpäppeln, damit sie die nächste Chemo-Runde verkraften kann. Wochenziel war, sich aus eigener Kraft wieder auf die Bettkante setzen zu können. Aber dann wucherte das Monster und mir nichts Dir nichts war zu wenig Calcium für eine ausreichende Synapsenversorgung da.
Sie war so tapfer, sie hat gekämpft und hat erst losgelassen, als ich ihr versicherte "Mach Dir keine Sorgen um mich. Ich komme klar.", was eine glatte Lüge war,
Nach über 24 Jahren Liebe, fast exakt 20 Jahre nach dem Einzug in die erste gemeinsame Wohnung und fast 19 Jahre nach der Heirat zweier Eigenbrötler, die sich nie gesucht und doch gefunden hatten, stehe ich jetzt da mit all meiner Waldschratigkeit und weiß mit mir, meinen Tagen, meiner Arbeit, den wenigen sozialen Kontakten, meinen Hobbies (die in erster Linie - Möbel bauen, Haus und Garten verschönern, am Wochenende Festmahle für zwei zubereiten - vom Nestbau für uns beide geprägt waren) nichts mehr anzufangen.
Sie fehlt mir so entsetzlich. Und im Moment kommt es mir so vor, als würde ich für jede Minute,, in der mir dann doch die Ablenkung gelingt, mit einer Stunde tiefer entsetzter, verzweifelter Trauer bezahlen müssen.
Und ich bin wütend. (Beim Lesen hier im Forum hat es mich ein bisschen gewundert wie wenig hier geflucht wird.) Wütend auf die Welz, die sich einfach so weiterdreht, wütend auf mich, wie wenig von mir und meinem Zutrauen in mich selbst übrig geblieben ist und wütend auf den ein oder anderen Trauerüberwindungs-wird-schon-wieder-Trostspruch.
Ich solle mich glücklich schätzen, das gehabt zu haben, was ich mit meiner Supermaus (ja, unsere Kosenamen füreinander sind seltsam) über 20 Jahre lang gehabt hätte. Jemanden, der Geschmacks- und Geruchssinn verliert, tröstet man doch auch nicht damit, dass es mal eine Zeit voller Geschmäcker und Gerüche gab.
Sie fehlt mit. Mir fehlt der Halt, den sie mir gab, mir fehlt das Selbstbewusstsein, dass sie mir vermittelte, mir fehlt, dass ich ohne es zu merken über mich hinaus wuchs, um es uns beiden schöner, besser und - auch materiell - sicherer zu machen. Und da habe ich von unseren viele Berührungen, den Streicheleinheiten, dem ständigen Kuscheln noch gar nicht angefangen.
Ich konnte alles, so lange sie da war. Ich kann nichts mehr, seit sie weg ist. Und ich habe Angst, wieder so zu werden wie ich war, bevor ich sie traf.
So verzweifelt wie das klingen mag ist es zwar auch, aber - Disclaimer zur Beruhigung - suizidal bin ich nicht. Das war ich vor unserer gemeinsamen Zeit eigentlich fast immer, wenn auch nur in Gedanken, Da hilft es fast schon wieder, dass mir die Leute sagen, ich solle mich glücklich schätzen, so etwas gehabt zu haben.