Habe meine Frau verloren.

  • Lieber Christoph,
    das erste Jahr ist aus einem Grund anders, als die Kommenden: Alles, jede Minute, jede Stunde, jede Nacht und jeden Tag zum ersten Mal.
    Die vielen ersten Male ohne deine Frau, das zermürbt.
    Die ersten Male werden weniger. Im zweiten und dritten Jahr ist schon ein bisschen mehr Platz für das Neue, als im ersten Jahr.


    Vorbei wird die Trauer noch länger nicht sein. Doch die schmerzleichteren Tage werden mehr und es werden manchmal sogar 1-2 Wochen, dann wird wieder eine Welle der Trauer und des Schmerzes kommen und dann wieder eine längere Zeit der Erholung. Es bleibt nicht so wie es ist - und es ist schmerzvoll.


    Der Frage aus deiner ersten Therapiestunde ist ganz wichtig. Bist wirklich du es, der dich daran hindert? Das Etwas in dir, das dich glauben lässt, du hättest deine Frau nicht genug geliebt, wenn der Schmerz weg ginge, was ist das? Versteh mich nicht falsch, dieses Etwas ist in fast allen Trauernden.


    Hast du schon manchmal das Gefühl, dass deine Frau bei dir ist, auch wenn du gerade nicht an sie denkst? Wenn du dieses Gefühl kennst, kannst du nachspüren, in welchen Situationen das ist und wie oder durch was du deine Frau bei dir weißt. Vielleicht kannst du ihr ganz bewusst einen Platz in deinem Herzen zuordnen - vielleicht auch in Gedanken visualisieren.


    Nein die nächsten 2-4 Jahre gehen nicht so weiter, wie bisher. Es ist schön zu beobachten, wie du für dich sorgst. Hilfe in Anspruch nimmst und offen davon schreibst. Hättest du vor einem halben Jahr schon so für dich gesorgt?

    Kann man es schaffen? Ich glaube du kannst es in dein Leben integrieren oder für mich fast das schönere Wort, in dein Leben aufnehmen. Als Teil der dazugehört - manchmal schmerzhaft und manchmal einfach nur da und irgendwann eine Sehnsucht und ein Wissen um das Schöne und das Schwere in deinem Leben.


    Ich wünsche dir Geduld - und die Kraft und den Mut die Geduld zu haben. Denn auch mit der Therapie (die wahrscheinlich eher Begleitung ist) ist die Trauer nicht schneller abzuarbeiten und doch durch das bewusste Umgehen damit, manchmal leichter zu tragen.


    Alles Liebe
    Astrid.

  • Lieber Christoph und auch an die anderen "Antwortgeberinnen"!


    Christoph du klingst echt traurig und da hast du sicher den richtigen Schritt gemacht, dass du dich um Hilfe umschaust.
    Ich frage mich nur gerade, wie kennt man auseinander, ob man "nur" in intensiver Trauer steckt und ab wann es eine Depression ist, die ja dann wirklich ärztlich begleitet werden müsste?
    Das ist doch teilweise wirklich schwer auseinander zu halten, oder?


    Christoph ich wünsche dir einfach nur von ganzem Herzen, dass es dir bald ein bisschen leichter wird ums Herz!
    Lg Hedi

  • Liebe Hedi ,


    Also ich glaube auch nicht das es eine Depression ist , es ist einfach starke Trauer ich würde diesen Zustand, nicht nur den von Christoph sondern unser aller zustand als Anpassungsschwierigkeit bezeichnen ( das wir eben nicht damit zurecht kommen nach soviel gemeinsamen Jahren , das wir nun ohne Partner sind ) was aber manchmal ohne professionelle Hilfe nicht bewältigt werden kann . Ja es ist alles unendlich schwer .
    LG Petra

  • Ich bin ziemlich hin und her gerissen, wenn ich meinen Zustand reflektiere und eure Antworten hier lese.


    Bin ich nun depressiv oder ist es "nur" so, dass die Trauer länger als ein Jahr anhält ?
    Eure Antworten würden eher auf zweiteres schliessen.
    Ich selbst tendiere eher schon zu ersterem. Darum hab ich auch beschlossen, Hilfe
    in Anspruch zu nehmen.
    Oder soll ich mir gar nicht den Kopf darüber zerbrechen, ob traurig oder depressiv ?


    Im Moment bin ich ziemlich frustriert über mein Leben/Schicksal.
    Und darüber, dass ich es selbst nicht schaffe, aus dem Tief heraus zu kommen.
    Alle bisherigen Schwierigkeiten in meinem Leben konnte ich mehr oder weniger leicht selbst lösen.
    Hier bin ich mit meinem Latein am Ende.


    Christoph

  • Lieber Christoph!


    Hast du die Links durchgelesen, ist da vielleicht ein Anhaltspunkt es unterscheiden zu können?


    Hilfe ist sowieso in jedem Fall nicht verkehrt.
    Und entschuldige, dass ich hier Stereotype bemühe, aber das klingt ziemlich typisch männlich, dass man mit allem alleine fertig werden will (muss).
    Das musst du nicht und das ist auch nicht schwach, das ist einfach nur vernünftig!
    Sei doch ein bisschen gnädiger zu dir, wenn ich das so sagen darf.


    Ganz liebe Grüße Hedi

  • Hallo ihr Lieben,
    bitte seid vorsichtig mit "Selbst-Diagnosen" oder Diagnosen über andere.


    Manches in den Links wird auf dich zutreffen anderes nicht. Ich finde den Text aus "Gute Trauer" recht kompakt geschrieben. Der andere Text ist schon leicht veraltet. Verena Kast, die dieses Phasenmodell entwickelt hat, sagt selber, dass es Zeit für neue Ansätze ist, sie aber jetzt zu alt ist, nochmal in die Forschung zu gehen. William Worden hat ein Aufgabenmodell beschrieben. Für mich gehören immer mehrere Modelle zusammen und ganz wichtig, nur weil ich mich gerade in "Phase 4" sehe, heißt das nicht, dass ich nicht morgen schon in Phase 2 zurück katapultiert werde. Und das ist nicht krankhaft. In diesem Text stehen auch fragliche Worte: die Betreuung, eines Trauernden.... will jemand von euch betreut werden?


    Liebe indian summer - danke für dein Bemühen und es tut mir leid, dass ich den 2. Link so kritisiere. Doch mir sind einfach zu viele Mythen in den Köpfen der Menschen, wenn es um Trauer geht und dazu gehören die Trauerphasen, die Trauerarbeit, das Loslassen MÜSSEN, der Gedanke zu wissen, wann etwas krankhaft ist und wie Trauer zu funktionieren hat.


    Ja, manches hat seine Berechtigung und ich bin vielleicht ein bisschen rigoros.
    Doch manchmal müssen Worte verändert werden, um die Gedanken ändern zu können.
    Liebe Indian summer, ich danke dir für den Link zu "Gute Trauer" dort habe ich noch was über Irrtümer gefunden.
    http://www.gute-trauer.de/inhalt/trauer/trauer_irrtuemer


    Trauer ist, wie wir alle wissen, ein schmerzhafter Prozess, der nicht abgearbeitet, eingeteilt oder losgelassen werden kann. Trauer ist so individuell wie die Menschen selber. Manchmal ist es nützlich zu sehen, was schon alles geschafft und durchlebt wurde. Doch, was noch vor einem Menschen liegt, weíß niemand.


    Ich wünsche euch allen heute ein paar Sonnenstrahlen im Gesicht und die Wärme auf dem Rücken.
    Lg. Astrid.

  • Lieber Christoph,
    hast du manchmal das Gefühl oder den Eindruck: Das war jetzt schön.
    Kannst du, wenn du bei der Arbeit bist, die Trauer zurück stellen?
    Bist du fähig dich zu überwinden, auch wenn du etwas nicht magst - bsp. ich sollte jetzt aufstehen - sich noch ein paar Minuten länger Zeit geben hat nichts mit nicht überwinden zu tun ;) Das kennen die meisten.
    Kannst du über deine Trauer reden so wie du magst oder hast du manchmal den Eindruck: Es redet dir - ohne Punkt und Komma?
    Bist du dir selber wichtig - wertvoll?
    Wenn es hier mehrere Antworten gibt, die dich fraglich stimmen, dann frag doch bei deiner nächsten Therapiestunde nach. Dann bist du an der passenderen Stelle, um eine Diagnose zu bekommen.


    Es ist für dich jetzt schon eine lange Zeit, in der es dir schlecht geht und auch ist es eine so kurze Zeit, ohne deine Frau. Du willst da raus und das scheint mir doch ein sehr positiver Ansatz zu sein. Lieber Christoph, Trauer dauert MEHR als ein JAHR. Das Trauerjahr ist bezeichnend, dass es alles zum erste Mal für dich bereit hält. 3 Jahre werden oft angegeben. Die sind aber nicht vergleichbar mit dem ersten Jahr.


    So lieber Christoph, ich spüre deine Verzweiflung, dass das endlich aufhören soll und so wünsche ich dir:
    Eine Schmerzwellen-arme Zeit - Zeit zum Erholen, Zeit zum Kraft tanken, Zeit um für dich zu sorgen und Zeit für....(du darfst dir auch was wünschen) Und diese Schmerzarmen Zeiten sind keine vergeudete Trauerzeit, denn in den Therapien (Physio, Logo,...) Sind gerade die Pausen wichtig.
    Einen erholsamen Abend.
    Lg. Astrid.

  • Liebe Astrid ,


    Ich sehe hier nicht das irgendjemand der schreibenden eine Diagnose gestellt hat , denn es waren Ratschläge ( Infos ) für Christoph das er vollkommen normal durch seine Trauer geht , denn depressiv ist Christoph auf gar keinen Fall und das wollten wir alle die hier kommentiert haben zum Ausdruck bringen , denn es würde sich keiner hier erlauben eine Diagnose zu stellen. Trauer und lange und schmerz volle Trauer ist normal wir sind nicht krank nur traurig und wenn man einen guten Therapeuten zur Seite hat ist das absolut hilfreich , denn auch der Therapeut weiß das Christoph keine Depression hat sondern trauert .
    Das mit den Anpassungsschwierigkeiten war so gemeint das wir das alle haben ohne eine Störung, denn nach langer Zeit ohne seinem Herzens Partner zu leben bringt das automatisch mit sich , denn wir wissen alle es ist ein komplett anderes Leben, einer Geburt gleich kommend.
    Die links was Monika geschickt hat finde ich gut es war nur eine Form der Orientierung für Christoph und als Orientierung finde ich diese links daraus passend und sinnvoll .
    Liebe Astrid ich wünsche dir einen wunderschönen sonnigen Frühlingsabend.
    LG Petra

  • Lieber Christoph,


    Es ist gut wie du es machst, und
    der Therapeut wird dir hilfreich zur Seite stehen . Das du deinen schmerz nicht mehr fühlen willst ist durchaus verständlich mir geht es genauso und es wird mir auch in jahren noch so gehen .
    Sei nicht irritiert es ist einfach so das wir alle leiden und das noch sehr lange und wir froh sind einfach nur einigermaßen zu überleben , Hilfe zu suchen ist immer gut und professionelle Hilfe noch besser .


    Ich sende dir von Herzen warme abendsonnenstrahlen
    Verstehende grüße
    Petra

  • Ich glaube diese Diskussionen habe ich "angezettelt". Mich hat es einfach persönlich interessiert, wie man das eigentlich auseinander halten kann.
    Ich habe mich nur hier bei Christoph dazu berufen gefühlt zu fragen, da er eben sagte, dass er unter seinen depressiven Grundstimmung leide. (Was ja eben nicht automatisch eine Depression bedeutet.)
    Ich glaube auch, dass hier niemand Diagnosen stellen will und wollte. Aber ich fand es trotzdem interessant sich damit auseinanderzusetzen wie man was erkennt.
    Lg Hedi

  • Liebe Hedi ,
    Du hast garnichts angezettelt, du hast nur dein Mitgefühl und Interesse gezeigt sonst nichts , und das ist auch gut so . Du hast alles richtig gemacht und das wissen wir alle wir stellen keine Diagnosen denn wir durchleiden alle den gleichen schmerz , ich glaube Astrid hat da einfach etwas falsch verstanden .
    LG deine Petra

  • Guten Morgen,


    Soll ich euch was sagen.
    Mir ist es auch ziemlich egal, wie man meinen Zustand nennt. Will mir darüber
    gar nicht den Kopf zerbrechen.


    Astrid : zu deinen Fragen:
    Ja, ich bin fähig mich zu überwinden. Eigentlich kostet fast jede Tätigkeit Überwindung.
    Auch Dinge, die früher viel Spass gemacht haben.
    Genauso hab ich auch Schwierigkeiten, mich für Dinge zu interessieren, die mir früher auch wichtig waren.
    Freudige Ereignisse, die um Umfeld (Freunde, Kollegen, Familie) passieren, nehme ich zwar nicht ganz teilnahmslos zur Kenntnis, doch wirklich mitfreuen kann ich mich dabei nicht.
    Über meine Trauer reden kann ich sehr gut. Nur frag ich mich, mit wem soll ich diese Trauer noch bereden.
    Wer will das noch hören. Tut es mir selbst überhaupt gut, weiterhin darüber zu reden ?
    Stichwort Selbstwertgefühl: auch das Selbstwertgefühl hat stark darunter gelitten.
    Die feste Einstellung, dass mich das Schicksal bis an mein Lebensende bestraft hat (und zwar mit der höchsten Strafe, die ich mir vorstellen kann), bekomme ich nicht weg.
    Und mich plagen auch nach wie vor Schuldgefühle, in dem Sinne, dass ich meine Frau nicht genug geliebt habe. Und sie unglücklich mit mir war.
    Es gibt zwischendurch natürlich auch Lichtblicke. Momente, wo ich meinen Rucksack nicht spüre.
    Momente, wo ich nur im hier und jetzt fühle - oder mich gedanklich von dieser Welt entferne (und träume).
    Sobald ich nur ein wenig wieder in die Realwelt zurückkomme, und vielleicht auch noch an die zukunft denke, tut es wieder sehr weh.
    Es ist jeder Tag ein Kampf. Ich hoffe aber nach wie vor, dass sich das alles irgendwann wieder lohnt.
    Und ich wieder etwas zurückbekomme. Aber wahrscheinlich muss ich es mir selbst holen.
    Weiss nur noch nicht wie und wo.

  • Lieber Chris,
    danke für deine Antworten. Wie ist es, wenn ich dir solche Fragen stelle?


    Gerne würde ich dir auch zu zwei deiner Sätze Fragen stellen. Wenn du magst beantworte sie hier, vielleicht beantwortest du sie nur für dich oder wenn du das nicht magst, lass sie einfach stehen.


    Die feste Einstellung, dass mich das Schicksal bis an mein Lebensende bestraft hat (und zwar mit der höchsten Strafe, die ich mir vorstellen kann), bekomme ich nicht weg.


    Zuerst keine Frage sondern ein Gedanke aus dem Buch von Barbara Pachl-Eberhart: "Warum gerade Du?"
    Auf diese Frage: Warum gerad du, schreibt sie: Warum durftest gerade du leben - und mit mir leben? Und noch viele ähnliche Fragen.


    Wenn du vom Schicksal schreibst, das dich straft, war es auch das Schicksal das euch zusammen führte?


    Gerade habe ich ein kleines Kind vor Augen, das Schokolade stibizt und die Mama erwischt es - und schimpft. Das Kind würde vielleicht sagen: "Und die Schokolade war es wert!" Auch wenn der Vergleich hinkt, denn diesen Trauerschmerz wünschen wir niemandem. Und doch liegt ein Körnchen Wahrheit darin:


    Ein Leben lang ohne die Person oder doch lieber eine wunderschöne Zeit an die du dich erinnern kannst?
    Und aus der du auch zehren kannst? Und mit den Erinnerungen langsam wieder in ein neues Leben gehen kannst - wenn auch nur im Schneckentempo?


    Und mich plagen auch nach wie vor Schuldgefühle, in dem Sinne, dass ich meine Frau nicht genug geliebt habe. Und sie unglücklich mit mir war.


    Welche Erinnerungen und Gedanken bringen dich zu diesem Eindruck, dass du deine Frau nicht genug geliebt hast?
    Willst du dich selbst strafen, in dem du dich hinderst, die Freude wieder zu spüren (Du hast ja geschrieben, dass du in der Therapiestunde herausgefunden hast, dass nur du selbst dich daran hinderst.)


    Lieber Chris, ich wünsche dir, dass du heute ein paar Sonnenstrahlen genießen kannst und dich für einen Moment freuen kannst - ohne danach wieder im "Loch" versinken zu müssen.
    Du darfst dich freuen - deine Frau wird dadurch nicht vergessen.
    Du darfst glücklich sein - du bist es wert.


    Lg. Astrid.

  • Ich stell mir gerade die Frage, wie mein Leben verlaufen wäre ohne die 16 schönen Jahre.
    Ich hab in dieser Zeit vieles schönes erlebt und vieles gelernt.
    Bin dafür auch dankbar.
    Dennoch: ist nicht etwas-zu-verlieren schlimmer als etwas-nie-gehabt-zu-haben ?


    Wenn die nächsten 30 Jahre ähnlich verlaufen wie das letzte Jahr. Dann muss ich
    klar sagen, dass die schönen Momente den permanenten Schmerz nicht ausgleichen können.
    Ein von Geburt an Blinder wird mit dem Nicht-Sehen besser zurecht kommen als einer, der jemand, der im Laufe seines Lebens erblindet. Natürlich wäre ich bis dorthin lieber der Sehende, danach wäre ich lieber der von Geburt an Blinde.


    Spruch #1: es ist besser, geliebt und verloren zu haben, als niemals geliebt zu haben (samuel butler)
    Spruch #2: wenn ich gewusst hätte, wie schwer es ist, deine Hand loszulassen, hätte ich sie niemals berührt


    Ich sollte mich an #1 orientieren, tatsächlich trifft #2 auf mich eher zu.


    Geliebt hab ich meine Frau wirklich. Daran hab ich keine Zweifel.
    Ich frag mich nur, ob sie mit mir glücklich war. Und zwar aus folgendem Grund:
    In der Zeit ihrer Erkrankung hat sie vieles mit sich selbst ausgemacht. Hat praktisch nie ihr Leid mir gegenüber geklagt.
    Deshalb stell ich mir die Frage, ob sie auch davor nicht offen zu mir war. Und Beziehungsprobleme
    mit mir nicht offen diskutiert hat. Wie schon gesagt, aus meiner Sicht hatten wir keine echten Probleme.
    Es war weitgehend harmonisch und wir haben sehr viel Zeit miteinander verbracht - und diese Zeit auch genossen. Es gab praktisch keinen Streit.
    Trotzdem ist diese Angst in meinem Hinterkopf. Angst, in der Beziehung etwas (oder zu viel) falsch gemacht zu haben.


    Zu deiner Frage zu Beginn: wie es ist, wenn Du solche Fragen stellst.
    Ich habe damit überhaupt kein Problem. Im Gegenteil. Vielleicht komm ich dadurch
    auch ein Stück weiter in der Bewältigung.
    Darum freu ich mich auch auf die nächste Therapie-Stunde (Freitag).
    Ich hoffe, dass ich wieder etwas dazu lerne. Aus der Stagnation und Lähmung rauskomme.


    Ja, wer sonst ausser mir, soll ein Hindernis sein, wieder glücklich zu werden ?
    Ich weiss auch nicht, in wie weit mich diese Frage weiter hilft.
    Klar bin ich es, und meine Unfähigkeit, diese grosse Lücke irgendwie zu füllen.



    Werde nun ein paar Sonnenstrahlen einfangen.


    LG Christoph

  • Lieber Chris,


    wie geht es dir heute?


    Wenn du schreibst dann löst das viel Resonanz in mir aus, auch bei anderen glaube ich weil du Fragen stellst, sehr offen und auch ehrlich zu dir selbst die gar nicht so leicht zu stellen sind.


    Ich meine das so dass du auch unangenehme Fragen stellt. Sehr menschliche Fragen.
    Jemanden bei einer Krebserkrankung zu begleiten sehr schwer ist , so habe ich es erlebt und das haben wir beide erlebt - wenn auch ganz verschieden naturgemäß - und auch die damit verbundenen Facetten an Gefühlen. Die Hilflosigkeit, das Bangen, Zittern. Die Wut auf die Krankheit, manchmal - bei mir auch die Wut dass meine Mutter nicht mehr die Alte war. Auch die Erleichterung selbst nicht die Krankheit zu haben, und das Gefühl mich wegen dieses Gedankens sehr schäbig zu fühlen. Gleichzeitig die Sehnsucht nach Gesundheit und jetzt die Dankbarkeit dafür, dieses ewige Damoklesschwert nicht gerade über meinem Haupt zu haben, man schätzt die Gesundheit erst wenn sie einem genommen ist, so dachte ich bei mir .


    Meine Mutter und ich haben uns auch "vorgemacht" dass alles gut wird, sie hat mit mir nie über das Sterben gesprochen, wenn nur in Chiffren. Sie war eine starke autonome Frau. Sie war aber auch so dass sie, so glaube ich, mich schonen wollte einerseits (so wie ich sie) und andererseits das auch gebraucht hat um selbst nicht zu verzweifeln.
    Yalom, ja ich muss ihn schon wieder zitieren schreibt auch dass Menschen die todkrank sind, oder Todesangst haben, oder beides oft erleben dass sich andere von ihnen zurück ziehen, und gleichzeitig sich auch selbst zurück ziehen (auch aus Angst die anderen zu brüskieren). Ich kann mir das bei meiner Mutter vorstellen, und kann es nicht auch bei Andrea so gewesen sein?
    Also eine Phantasie jetzt von mir dazu, dass sie dich einfach nicht belasten wollte? Dass sie auch noch deine Frau, und nicht nur deine Last sein wollte?


    Sie hat sich ja für die 16 Jahre entschieden, eine so starke Frau wäre nicht bei dir geblieben, so mutmaße ich, wenn sie unglücklich gewesen wäre oder es ihr nicht gepasst hätte.
    So jemand steht auf und geht, oder?


    Ich habe auch erst bemerkt dass ich noch immer das Leben betrauere, dass wir nun nicht mehr hatten, auch ihr unbelebtes Leben von dem ich weiß dass sie es so gerne gehabt hätte. Mir das einzugestehen ist schwer.


    Wie geht es dir da?
    Ich stelle mir auch diese so vertraute Umgebung mit familiärer Anbindung schwer vor...


    und wenn ich mir vorstelle, ja, der Partner...man hofft ja gemeinsam alt zu werden, oder was auch immer, aber man stellt sich nicht vor dass einer so viel früher geht.


    Im zweiten Trauerjahr finde ich man ist nicht mehr so vollkommen eingepackt und verschoben, "verrück", wie im ersten, so schmerzverzerrt. Aber, es findet sich bei mir eine tiefe, sehr tiefe innerste Trauer, ein wissen dass sie gestorben ist, dass sie zwar bei mir ist aber dass es eben so ist wie es ist.


    Ich spüre jetzt auch dass die letzten Jahre irre waren, und ich sie immer noch verdaue.
    Wie lange hat euer Krankheitsweg gedauert? Bei mir waren es nicht ganz 3 Jahre.


    Lieber Chris, ich wünsche dir viel Kreativität beim Beantworten der Fragen.
    Ich finde es sehr lässig dass du Hilfe angenommen hast, und wünsche dir viel Energie und einen langen Atem, was du halt so brauchst,


    liebe Grüße
    MLena

    Die Wahrheit triumphiert nie, nur ihre Gegner sterben aus (Max Planck)


    rilke.de/briefe/160703.htm


    VORÜBUNG FÜR EIN WUNDER


    Vor dem leeren Baugrund
    mit geschlossenen Augen warten
    bis das alte Haus
    wieder dasteht und offen ist

    Die stillstehende Uhr
    so lange ansehen
    bis der Sekundenzeiger
    sich wieder bewegt

    An dich denken
    bis die Liebe
    zu dir
    wieder glücklich sein darf

    Das Wiedererwecken
    von Toten
    ist dann
    ganz einfach

    (Erich Fried)

  • Liebe Malena,


    Du bringst auch sehr interessante Argumente.
    Der Gedanke, dass eine starke Frau nicht 16 Jahre unglücklich mit jemand verbringt, hat natürlich etwas für sich. Und ich habe aus ihrer Familie (Eltern, Bruder) und aus ihren Bekanntenkreis genau das gleiche zu hören bekommen. Ich soll mir darüber nicht den Kopf zerbrechen. Es gibt keinen Anlass dazu.
    Dennoch kommen diese Überlegungen immer wieder hoch. Ich weiss nicht warum.
    Ein anderer Gedanke dazu: selbst wenn sie mit mir unglücklich war, hätte sie jederzeit gehen können.
    Und somit trifft mich keine unmittelbare "Schuld". Eigentlich ist es falsch, hier einen Schuldigen zu suchen.


    Du hast auch sicher recht damit, dass meine Frau mich nie belasten wollte mit ihrer Krankheit.
    Und vor allem nicht, dass es für uns einen vorzeitigen Abschied geben wird. Ich glaube, dies offen an- und auszusprechen, wäre für uns BEIDE eine unerträgliche Belastung gewesen. So gesehen ein Verhalten, welches nicht nur mich, sondern auch meine Frau selbst hilfreich war.
    Die Krankheitsphase hat knapp 2 Jahre gedauert. Mit dem jetzt hinter mir liegenden Trauerjahr sind es 3 Jahre meines Lebens, die mich sehr stark belastet und auch verändert haben.
    Das erste Krankheitsjahr war natürlich geprägt von Sorgen und Ängsten. Nur gab es in dieser Phase noch keine physischen Beschwerden und ich dachte im Traum nicht daran, dass es so enden wird.
    Erst nach ca. 1,5 Jahren machte ich mir wirklich ernsthafte Sorgen und ab den letzten 3-4 Monaten wusste ich, dass keine Heilung mehr möglich ist. Und seit diesem Zeitpunkt bin ich nicht mehr derselbe.


    Das zweite Trauerjahr bei mir:
    Der unmittelbare Schmerz ist anders geworden, vielleicht etwas leichter. Ich weine auch weniger.
    Was aber im ersten Jahr aber leichter war: ich hab wirklich nur von Tag zu Tag gelebt. War vom Schmerz so benebelt, dass ich keine klaren Gedanken fassen konnte. Nicht fähig war, über die Zukunft nachzudenken.
    Wollte eigentlich nur mitsterben. Dachte ohnehin, dass ich das erste Jahr nicht überleben werde..
    Jetzt bin ich noch immer da ... und so weit, dass sich der Nebel gelichtet hat. Der Verlust in seiner Endgültigkeit steht da - unübersehbar - wie ein unverrückbarer Felsen.
    Und 2 Dinge tun jetzt mehr weh aus vor einem Jahr.
    Erstens:
    Jetzt weiss ich bereits, was mich erwartet (Feiertage, Ostern, Weihnachten,...).
    Und ich weiss nun, es wird wieder weh tun.
    Das macht mir nun mehr Angst als damals vor einem Jahr, wo ich das alles über mich ergehen liess.
    Zweitens:
    Ich mach mir über die Zukunft Gedanken und fürchte, nie mehr einen annähernd stabilen Zustand zu erreichen. Das Wort "glücklich" möchte ich noch gar nicht in den Mund nehmen.


    Und du schreibst: du bist erleichtert, dass du diese Krankheit nicht hast. Mir geht es da anders...
    Ich hab viele Momente, wo ich mir die gleiche Krankheit oder ähnliches wünsche, damit ich
    so schnell wie möglich wieder vereint bin - mit meiner Andrea.
    Dabei sehe ich die Pflege meiner Frau als letzte sinnvolle Aufgabe in meinem Leben.
    Alles weitere sehe ich als Zugabe / Leidensverlängerung, die sich niemand wünscht, die niemand braucht.


    Und dennoch scheint der Überlebenstrieb in mir noch zu existieren. Mache mir Hoffnung auf Besserung,
    auch wenn alles noch sehr vage, undeutlich ist.
    Sonst würde es mich nicht mehr geben, bzw. würde nicht Therapie machen.
    Und ich möchte irgendwann den Zustand erreichen, wo ich mir sagen kann:
    ich bin froh, am Leben zu sein, nicht aufgegeben zu haben.


    Liebe Grüsse, Christoph

  • Lieber Christoph!
    Malena hat richtig vermutet, du löst ganz schön was aus mit deinen Fragen!


    Ich habe sehr viel nachgedacht über die Frage, ob es nicht besser wäre, wenn man gar nicht diese Liebe gehabt hätte, wenn man sie dann wieder verliert und dies solche Schmerzen mit sich zieht.


    Aus meiner Sicht bin ich nun zu einem Ergebnis gekommen (aber sicher ich leide auch erst seit nun etwas mehr als 6 Wochen, du schon so lange).


    Ich habe mir vorgestellt, ich wäre vor der Entscheidung gestanden, mir hätte man in meinem Leben sozusagen ein „Mitspracherecht“ eingeräumt.
    Hätte man mich gefragt: „Willst du 27 Jahre deines Lebens einen Partner an deiner Seite haben, mit dem du dich eins fühlst, mit dem du die meiste Zeit glücklich bist und ihr euch wunderbar ergänzt? Oder ist es dir lieber, diesen Partner gibt es gar nicht und du bleibst alleine, sicher nicht so erfüllt und glücklich, aber halbwegs zufrieden?“
    Ich sage dir jetzt was, ich glaube, ich hätte mich wieder für ihn entschieden. Der Schmerz ist zwar groß, aber ein „halbwegs zufrieden“ wär mir nicht genug gewesen.
    Vielleicht folgt auf die Zeit der Trauer dann den Rest meines Lebens ein „halbwegs zufrieden“, wär auch o.k. Aber, was wir hatten, hatten wir, und das war sehr viel!


    So kann ich es im Moment für mich sehen.Übrigens glaube ich auch, dass das, was Malena sagt, zutreffen könnte. Deine Frau wollte dir und auch ihr nicht alles zumuten.
    Ich habe meine Schwester damals bei ihrer Krebserkrankung (die leider ebenso mit dem Tod endete) auch begleitet.
    Wir führten nicht immer die offensten Gespräche, ließen Vieles nicht zu, es wäre wahrscheinlich zu schmerzhaft gewesen.


    Ich kann es dir nachfühlen, dass auch die Zeit der Erkrankung sehr intensiv war. Wenn mich Leute bedauern, dass mein Mann so plötzlich verstorben ist, muss ich eigentlich widersprechen. Ich empfinde es als Segen, dass wir uns nicht so lange verabschieden mussten. Es nimmt dir den Schmerz ja nicht, er kommt trotzdem und begleitet dich so lange.


    Lieber Christoph, viel Kraft auf deinem Weg ( und ich denke, es ist ein guter, auch wenn er sich nicht gut anfühlt, wenn du verstehst was ich meine)!
    Hedi