Wir sind nicht gestorben, wir sind voran gegangen.

  • Der Zufall, nein eigentlich glaube ich nicht an den Zufall - das Schicksal muss mich hier her geführt haben.


    Meine Mum, der wichtigste Mensch in meinem Leben starb vor 13 Jahren im Alter von 41 Jahren. Ganz plötzlich - ohne Vorwahnrung. Ich war damals gerade volljährig und kam für ein paar Tage vom Studium nach Hause, einen Tag später passierte es. Hat sie gewartet? Habe ich es gefühlt? Ich war damals gerade volljährig und habe mich entschlossen, für meinen jüngeren Bruder zu sorgen.


    Da gab es aber noch unseren älteren Bruder - dieser ist vor 4 Wochen, im Alter von 33 Jahren gestorben. Ganz plötzlich - ohne Vorwarnung. Heute bin ich 13 Jahre Erwachsen - aber nicht unmittelbar mit der Situation gewachsen.


    Es fühlt sich alles an wie ein Dejavue, ein böser Schatten gefolgt von einem Hauch Negativität die sich einschleichen möchte, aber keinen Eingang findet.


    Ich funktioniere, aber gerade das ist es, was ich nicht möchte. Es war auch hier ein zweites Mal meine Aufgabe mich um alles zu kümmern. Und mit jedem Tag den ich mehr damit konfrontiert werde, desto mehr fühlt es sich an, innerlich zerissen zu werden. Manchmal werde ich das dumpfe Gefühl nicht los, das mit dem Tod meiner Mum und auch meines Bruder, ein Teil von mir mitgerissen wurde. Es ist eine Herausforderung dem Gefühl entgegen zu wirken - nicht unmöglich aber mal eine größere und mal eine kleinere Hürde.
    Beide sind alleine gegangen. für beide musste ich die Entscheidung treffen, hoffen und warten - oder befreien und gehen lassen.
    Ich bin nicht mein Gefühl und auch nicht mein Gedanke. Aber ein mensch mit Gefühlen und Gedanken die meinen Verstand manipulieren.


    Nachdem ich meinen Bruder im Grab meiner Mutter beisetzen lassen habe - habe ich gemerkt wie lange ich eigentlich schon vor der Wahrheit weg laufe und gewillt bin es auch weiterhin zu tun. Obwohl es letztlich doch nichts bringt.
    Nun ist alles über mir zusammen gestürzt und ich weiß für mich keinen Weg mehr als innerlich zu schreien und gegen Wände zu schlagen.
    Und die Angst, mein jüngerer Bruder könnte mir vorzeitig verloren gehen - wächst und gedeit wie eine Blume aus einem Samenkorn.

  • Liebe Fides!


    Willkommen im Forum, gut dass du hier her gefunden hast. Ich will dir mein aufrichtiges Mitgefühl für deine so schweren Schicksalsschläge ausdrücken.
    Leider ist es so - neue Trauer bringt auch die "alte" wieder zum Vorschein. Ich kann mir vorstellen, wie schwer es jetzt für dich ist.
    Weglaufen kann man eben nicht wirklich, man muss versuchen sich damit auseinanderzusetzen. So schmerzhaft es ist.


    Was kann helfen?
    Jeder muss zwar seinen eigenen Weg finden, damit zu leben und umzugehen, aber mir hat es sehr geholfen hier zu schreiben und die eigenen Gefühle ein wenig zu ordnen, einzuordnen.
    Mir hat es geholfen in verschiedensten Trauerbüchern zu lesen, zu erforschen, was da in einem vorgeht.
    Mir hat geholfen, dass ich an meine lieben Verstorbenen schreibe, in Gedanken und Gefühlen ganz bei Ihnen bin.


    Wir alle kennen das Gefühl, dass man glaubt, ein Teil von uns selbst wird mitgenommen, man fühlt sich halbiert, amputiert. Immer mehr finde ich jedoch zur Zeit zu dem Gefühl - ich bin nicht halbiert. Meine Lieben sind da, sie begleiten uns. Ich bin nicht halbiert, ich bin immer noch ich, mein Mann begleitet mich immer, ich bin jetzt also sogar doppelt!
    Und noch was: schreie nicht nur innerlich, lass es einfach raus, was da an Schmerz in dir ist. Ich gehe dann oft in die Natur, suche die Einsamkeit. Dann kann ich auch vor mich hin schimpfen auf das Schicksal, kann weinen, muss mich nicht "zusammenreißen". Meist geht es nachher dann wieder besser.


    Ich wünsche dir viel Kraft! Du kannst dir hier alles von der Seele schreiben, sich zu öffnen ist der erste Weg der Erleichterung.
    Ganz liebe Grüße Hedi

  • Liebe Fides,



    ganz herzliches Beileid zu deinem Verlust, es tut mir leid dass dein Bruder gestorben ist - und wie es ist wenn die Mama stirbt, das kenne ich.
    Ein wenig auch wenn einem etwas einholt, von dem man denkt man hätte es überwunden, überstanden... bei mir wars zum Beispiel die Erkrankung selbst ...musste es ausgerechnet wieder Krebs sein? Das hat so viele Erinnerungen hervorbrechen lassen dass ich erst einfach nur überwältigt war.


    Vielleicht oder eigentlich ja, das ist meine Erfahrung bestimmt ist es gut, auch wenn es hart ist dass du spürst, dass du verletzlich bist und dir nun Hilfe holst und auf dich gut achtest. Hier schreiben ist eine gute Möglichkeit...von deinem Bruder, deiner Mama erzählen wenn du magst...oder einfach wie es dir geht. Das ist eigentlich immer möglich, das forum ist ein 24h-Cafe ;-)


    Kannst du die Gefühle und Gedanken benennen die deinen Verstand manipulieren?
    Dass man in der Trauer, gerade noch mal am Anfang, ganz anders empfindet, in einer anderen Welt ist, nichts so ist wie sonst, ist normal...
    es wird ja besser...


    und ja, du bist nicht allein.


    Wie geht es dir denn heute?



    Liebe Grüße,
    Malena

    Die Wahrheit triumphiert nie, nur ihre Gegner sterben aus (Max Planck)


    rilke.de/briefe/160703.htm


    VORÜBUNG FÜR EIN WUNDER


    Vor dem leeren Baugrund
    mit geschlossenen Augen warten
    bis das alte Haus
    wieder dasteht und offen ist

    Die stillstehende Uhr
    so lange ansehen
    bis der Sekundenzeiger
    sich wieder bewegt

    An dich denken
    bis die Liebe
    zu dir
    wieder glücklich sein darf

    Das Wiedererwecken
    von Toten
    ist dann
    ganz einfach

    (Erich Fried)

  • Liebe fides,
    auch ein herzliches Willkommen von mir!


    Schreib hier, wann immer dir danach ist und lass deinen Schmerz und deine anderen Gefühle und Gedanken ruhig hier raus. Ich habe den Eindruck, du hast seit dem Tod deiner Mutter die Rolle der "Checkerin" in der Familie übernommen - du warst / bist die, die alles regelt, sich um alles kümmert. Wer kümmert sich aber um dich? Gibt es jemanden, der für dich da ist und stark ist, dass du auch mal schwach sein darfst? Gibt es auch einen Papa? Hast du einen Partner? Es ist wichtig, sich auch mal fallen lassen zu können. Immer stark sein, ist nämlich auf Dauer erschöpfend....


    Magst du erzählen, warum deine Mama und dein Bruder so jung sterben mussten?


    Alles Liebe
    Christine

  • Schönen guten Abend und vielen lieben Danke für eure Worte.


    Ich weiß manchmal nicht wo mir der Kopf steht. Eine Art Vermeidungsverhalten scheint mich zu umgarnen und mich vom Eigentlichen abzulenken. Umso schlimmer trifft es mich wenn ich keine Art und Möglichkeit zum Weglaufen finde. Jetzt bin ich mehr und mehr so weit, daran zu denken das ich nicht weglaufen kann, dass es für mich und alle weiteren Schritte die ich jemals anstreben möchte wichtig ist, das alles an mich heran zu lassen und zu bearbeiten und vor allem zu verarbeiten.


    Wie es mir geht? Ich fühle mich, als würde ich neben mir stehe und alle Geschehnisse von außen betrachten. Ich fühle mich, als würde ich durch Wolken oder Watte wandern und diese behutsam zur Seite schieben. Und dann.... dann fühle ich nur noch ein herabstürzen bis ich die Kraft habe mich zu aufzufangen und daran zu denken welche schönen Momente mir in den Sinn kommen, die wir gemeinsam erlebten.


    Meine Mum starb an einem Herzinfarkt. Die Rettung hatte sich verfahren und kam zu spät. Und die Arbeitskollegen wussten nicht besonders viel von Wiederbelebung und haben Sie nicht abgehört. Somit war ihr Gehirn zu lange ohne Sauerstoff - sie war Hirntod.


    Mein Bruder starb an einem Lungeninfarkt Infolge einer Thrombose. Bis einen Tag zuvor lag er im Krankenhaus. Er wurde morgens 4 Uhr vor dem Hauseingang gefunden. Und auch ihm konnte nicht mehr geholfen werden.


    Damals war ich 18 - mein jüngerer Bruder war 14 Jahre alt. Ich hatte keine Zeit zum groß nachdenken. Der ehemalige Partner unserer Mutter wollte uns nicht bei sich haben. Damit mein Bruder in keine Heimeinrichtung musste bin ich mit ihm nach Deutschland gegangen (wir sind Deutsche, aber in Österreich aufgewachsen) um die Vormundschaft rechtmäßig zu übernehmen. Demach habe ich meine Mum bestatten lassen und wir haben uns dann auf die Reise nach Deutschland gemacht.


    Unser Vater war Alkoholiker. Wir hatten nie so wirklich Kontakt zu ihm, weil er es auch nicht wollte.
    Ich habe in den Unterlagen meines verstorbenen Bruders die Sterburkunde unseres Vater gefunden. Demnach verstarb er Ende 2012.


    Ich habe leider niemanden der für mich da ist. Es fiel mir schon immer sehr schwer Kontakte zu suchen und zu knüpfen. Die Menschen machen mir Angst, dass macht es nicht unbedingt einfacher. Ich kann nicht besonders offen auf Leute zugehen und wenn ich es mal schaffe, so fühle ich mich in ihrer Gegenwart wie ein Fremdkörper.
    Selbst mein gewissen plagt mich, mich hier das erste Mal überhaupt zu öffen und meinen Unmut kund zu tun.
    Aber ich weiß genauso gut, dass ich so nicht mehr weiter machen möchte.


    Fides

  • Hallo Fides,
    Zufall, Schicksal - keine Ahnung; einfach schön, dass du hier her gefunden hast.


    Da hattest du viel zu stemmen in den letzten Jahren. Kein Wunder, dass kein Platz für dich selber war.
    In diesem Funktionieren müssen, ist kein Platz, um den Schmerz zu durchleben. Darum wird er zur Seite geschoben.
    Das ist einfach so - ohne ein gut oder schlecht. Es ist, wie es ist.
    Versuch die Vorwürfe hinter dir zu lassen. Auch wenn das leichter geschrieben, als getan ist.


    Hast du jetzt die Möglichkeit die Trauer um deine Mama und deinen Bruder zu leben?
    Wie geht es deinem kleinen Bruder?
    Was hast du denn früher getan, wenn es mal schwer war, in deinem Leben?
    Lesen, tanzen, Badewann, laufen, schreien, Musik hören, malen, töpfern, etwas zerschlagen, haltlos weinen, spazieren, schwimmen, meditieren, mit Tieren beschäftigen, ....????? Oder ganz was anderes?


    Liebe Fiedes, etwas möchte ich dir hier auf jeden Fall mitgeben:


    ich weiß für mich keinen Weg mehr als innerlich zu schreien und gegen Wände zu schlagen


    ich wünsche dir, dass du es RAUSschreist und wirklich gegen die Wände schlägst - vielleicht wäre ein Kissen davor nützlich. Lass deine Gefühle raus.


    Wenn du schreibst, dass du im Moment dich "neben dir stehend" wahrnimmst, dann ist das ganz normal. Die schreckliche Realität ist zwar in deinem Kopf erfahren - doch noch nicht im Gefühl angekommen. Es ist noch nicht real - und doch ist es wahr. Dieses neben sich stehen ist ein Schutz, dass nicht alles auf dich einprasselt.


    Ich wünsche dir ganz viel Kraft und Geduld mit dir und deinem Schmerz.


    Sei lieb gegrüßt
    Astrid.

  • Liebe Fides,


    wie geht es dir denn?
    Ich finde diesen Ort hier gut und passend, gerade wenn man Menschen in Fleisch und Blut nicht so gut erträgt - was ja auch noch mal zur Trauer gehört. Magst du ein wenig erzählen?
    Ich weiß wie es sich anfühlt wenn man niemanden hat dem man sich öffnen kann, oder wo es schwer fällt...und da ist dieser Ort hier gut. Du bist willkommen.
    Fides, du hast so viel ausgehalten, ich bewundere dich. Du warst so stark und fürsorglich, und warst so stark.
    Ich kenne auch das Gefühl von Watte und wie eingepackt zu sein, zu funktionieren aber die eigenen Gefühle sind irgendwo verpackt, auch vielleicht aus Selbstschutz.


    Magst du hier noch mehr erzählen, wie dein Bruder war, wie deine Mama war?
    Wie es dir heute geht?


    Ich denke an dich
    und schicke dir Liebe, Kraft und eine Umarmung,
    du bist nicht allein


    Malena

    Die Wahrheit triumphiert nie, nur ihre Gegner sterben aus (Max Planck)


    rilke.de/briefe/160703.htm


    VORÜBUNG FÜR EIN WUNDER


    Vor dem leeren Baugrund
    mit geschlossenen Augen warten
    bis das alte Haus
    wieder dasteht und offen ist

    Die stillstehende Uhr
    so lange ansehen
    bis der Sekundenzeiger
    sich wieder bewegt

    An dich denken
    bis die Liebe
    zu dir
    wieder glücklich sein darf

    Das Wiedererwecken
    von Toten
    ist dann
    ganz einfach

    (Erich Fried)

  • Liebe Fides,
    Herzinfarkt und Lungenembolie in so jungen Jahren, das kommt sehr selten vor .... damit rechnet man nicht und umso traumatischer ist dann der plötzliche Tod. Und ein Trauma aktiviert immer auch wieder alte Traumata .... deshalb deine Deja-vues.... Du erlebst jetzt nochmal, was damals vor 13 Jahren passiert ist und hast gleichzeit zwei Stränge der Trauer, an denen du zu arbeiten hast....bist aber noch im Schock, im nicht Wahrhaben-Können, einem Schutzzustand der Psyche, deshalb das Gefühl der Watte, der Unwirklichkeit. Das ist normal und löst sich ganz langsam auf - auch ein Schutz. Lass dir Zeit!
    Hast du dich von deinem älteren Bruder noch verabschieden können?
    Alles Liebe
    Christine

  • Hallo Astrid,


    wie lebt man Trauer?
    Wie erlebt man Trauer?


    Ich fühle mich seit Jahren wie ein wandelnder Steinklotz. Nur meinem jüngeren Bruder konnte ich ab und an zeigen wieviel er mir bedeutet, meist dann wenn er begann an sich selbst zu zweifeln und vor allem dann, wenn Dinge im Leben ihren Lauf nehmen auf die er stolz war und an dieser Stelle die Mutter gefragt gewesen wäre. Der Schulabschluss, der Ausbildungsabschluss.... die erste Freundin usw.


    Meinem Bruder geht es entsprechend gut. Es war wichtig das wir die Reise nach Österreich gemeinsam gemacht haben. Wir gemeinsam diese Beerdigung erlebt haben und uns am Ende des Tages über schöne Momente aus unserer Kindheit erinnert haben. Ich habe ihm ein paar Andenken zukommen lassen, dass hat für ihn eine große Bedeutung. Für diese hat er einen eigenen Platz für sich. Ich hingegen kann diese Dinge nicht ertragen.


    Was ich früher für Dinge für mich gemacht habe wenn es schwierig wurde? Funktioniert. Und nachdem ich nicht mehr funktionieren musste ist die Welt zusammen gebrochen, weil mir nicht klar war wofür ich sonst da bin.


    Mein stetiger Begleiter und die Möglichkeit mich auszudrücken, - das ist die Musik - mein Klavier, oder auch das Saxophon geben mir die Möglichkeit zumindest eine gewisse Art Gefühlsausdruck darzustellen.


    Ich denke nicht schlecht von und über mein Leben, ich finde nur, dass es zeitweise einfach etwas zu viel weh tut. Optimismus mag ich, ich schaffe es selbst aus einer grauen Wolke ein Fantasietier zu formen, es bedarf hier keiner weißen, dicken, flauschigen Wattewolke.


    Aber auch ich habe bestimmte Dinge nie gelernt und ich finde, diese im Alter zu entdecken sehr beängstigend und erschreckend. Die kindliche Neugier und der kindlich gelebte "Leichtsinn" macht es ab und an etwas einfacher bestimmten Erfahrungen offener gegenüber zu stehen. Die gelebte und bewusste Ernsthaftigkeit ist keine Hilfe, im Gegenteil - sie fördert mehr das Misstrauen und raubt die Neugierde.


    Nicole

  • Liebe Malena,


    hab Dank für deine Zeilen.


    Ich bin müde - diese Müdikeit schleppt sich von Tag zu Tag mit. Es fühlt sich an wie ein schwerer Schatten, den ich Schritt für Schritt zusätzlich tragen muss. Dieser Schatten hat weder Konturen noch ist er klar zu definieren. Er ist ein einzig in sich verschwommenes Bild, mit gehässigem und verzerrtem Lachen. Ich betrachte es ab und an gerne Bildlich, sagen wir es so - der bunte Spielmann in meinem Leben ist derzeit nicht auf der Suche nach seinen Instrumenten und Farben, sondern ist irgendwie ganz verschwunden. Die Suche nach ihm verläuft derzeit ergebnislos.


    Meine Mama war meine beste Freundin, mit ihrem Tod verschwand ein Hauch meines Mutes, mich gegen die unangenehmen Seiten des Lebens mit Kraft, Mut und Willen entgegen zu stämmen.
    Ich habe früh mit dem Studium begonnen, wir haben jeden Tag mindestens einmal telefoniert. Ich habe noch Jahre später darauf gewartet das mein Handy klingelt und ich ihre Stimme hören kann. Heute habe ich das Gefühl nicht mehr zu wissen wie diese wohl klang. Sie war ein sehr kreativer Mensch, das hat mich immer sehr beeindruckt. Und die Stärke, die ich heute empfinde muss ich ganz klar von ihr bekommen haben.


    Mein Bruder, ja - als Kinder konnten wir uns irgendwie gar nicht vertragen. Wobei auch das zeitweise sehr kurios war. Ich kann mich gut daran erinnern, wenn er in der Schule verprügelt wurde, dass ich ihn immer beschützt habe. Von der Körpergröße passte das gut, er war recht klein und ich zu groß. Somit dachten alle ich sei die älteste, was ich jedoch nicht ganz so lustig fand. Er sowie ich haben es geliebt die Elektrogeräte im Haushalt auf unsere Art zu entdecken. Diese Entdeckungsreise bestand darin, diese Geräte in ihre Kleinteile zu zerlegen um zu verstehen wie sie wohl funktionieren. Das diese hinterher nicht mehr funktionstüchtig waren interessierte uns doch recht wenig.
    Bedauerlicherweise schämte er sich aber nach dem Tod unserer Mutter, dass er nicht für uns sorgen und sich um uns kümmern konnte. Seine Therapeutin (er wahr leider Alkoholabhängig) erzählte mir, dass er gesagt hätte - er wäre stolz auf mich gewesen, dass ich alles so gut mit unserem jüngsten gemeistert hätte. Auch wenn ich gehen musste - er wäre gerne dabei gewesen, liebte Österreich aber zu sehr um sich davon trennen zu wollen.
    Er meldete sich nur noch sporadisch, dann Jahre lang gar nicht.... das letzte Mal habe ich Ende Dezember ein paar Zeilen von ihm erhalten.


    Ich denke an die Sonnenblumenfelder, die wir als Kinder zusammen durchlaufen haben. Wir haben versucht diese zu zählen. Wenn es zu langweilig wurde rannten wir einfach nur lachend hindurch - ohne sich Gedanken darüber zu machen wohin uns der Weg bringt und was unsere Orientierung mit uns macht. Heutzutage muss alles akribisch hinterfragt werden. Das finde ich ziemlich.... bedenklich.

    Und heute denke ich zu oft darüber nach mich meiner Müdigkeit hinzugeben.


    Nicole


  • Hast du dich von deinem älteren Bruder noch verabschieden können?


    Liebe Christine,


    nein das konnte ich nicht. Die Anreise war schon eine Farce - es ist alles im Chaos geendet und ich musste mich damit abfinden, an dieser Stelle keinen persönlichen Abschied mehr nehmen zu können.


    Erst habe ich meinen Flug verpasst, den nächsten sofort gebucht. Da ich aber dann zu spät in Wien war, mein Mietauto auch anderweitig vergeben wurde und ich die restlichen 2 Stunden mit dem Taxi hinter mich gebracht habe, war ich so spät im Krankenhaus das mir nur eine Tüte mit seinen Kleidungsstücken, eine Stück Papier (auf dem Stand woran ich jetzt bürokratisch zu denken hätte) und eine Telefonnummer, wo ich mich am nächsten Tag zu melden hätte - bekommen habe.... ist mir der persönliche Abschied verwehrt worden.
    Nachdem ich dann völlig kaputt war musste ich mir im Ort noch ein Zimmer suchen, denn es gab keine Möglichkeit mehr zum eigentlichen Hotel zu kommen. Außer wieder ein Taxi zu nehmen.
    Ich habe aus Wut und Furstration diese Tüte neben mir einfach auf der Station bei den Damen, die sie mir so knädig in die Hand gedrückt haben - fallen lassen und bin gegangen. Sie haben mir hinterher gerufen ich dürfte diese Dinge nicht einfach so da lassen..... es war mir egal - ich war wie erstarrt.... ich war so alleine.... ich war verletzt und bin einfach nur gelaufen.
    Am nächsten Tag habe ich brav diesen Anruf getätigt. In dem ging es nur darum, dass ich dafür zu sorgen hätte ein Bestattungsunternehmen zu beauftragen. Auf meine Bitte, ihn sehen zu dürfen wurde nicht eingegangen. Ich habe stumpf aufgelegt und bin wieder nur verletzt in den Tag gegangen und habe meine To-Do-Liste brav erfüllt und abgehakt.
    Am Abend ging dann mein Rückflug - ich habe Österreich mit dem Gefühl von Hass und Missmut verlassen. Wie vor 13 Jahren.
    Dabei war es mal so schön - dort gelebt zu haben.


    Nicole

  • Liebe Nicole,
    das klingt leider wieder einmal nach Pflegepersonal und KH-Mitarbeitern, die nicht sehr empathisch sind. Es tut mir leid, dass du diese Erfahrung machen musstest.
    Hattest du mit dem Bestatter mehr "Glück"? Konntest du dich dort auch nicht mehr verabschieden? Wie war die Beerdigung?


    Ja, da hast du zwei Trauerfälle, die aneinander gekoppelt sind. Deine Müdigkeit - kannst du erholsam schlafen?


    Deine Kindheitserinnerungen - die Sonnenblumenfelder, die untersuchten Elektrogeräte - haben mich sehr berührt. Auch dass dein Bruder so stolz auf dich war.


    Ich wünsche dir erholsame Nächte, den Freudenschimmer beim Klavier und Saxophon-spielen (du bist also auch ein kreativer Mensch, wie deinen Mama), ein Sonnenblumenfeld und ganz viel Geduld und Liebe für dich.
    Lg. Astrid.

  • Liebe Astrid,


    es sind die schönen Erinnerungen die mich jeden Tag daran erinner, dass ich mehr vom Leben erwarten darf als das was es mir bis jetzt gegeben hat. Ich bin der festen Überzeugung da muss mehr sein als nur schwarz und weiß - diese bunten Farben darf es nicht nur in einem dieser wundervollen Regenbögen geben.


    Nein, ich konnte mich auch beim Bestatter nicht mehr von ihm verabschieden. Zwischen dem Tod meines Bruders und seiner Beerdigung bin ich dreimal hin und her geflogen - ich hatte und habe zeitweise das Gefühl wahnsinnig zu werden. Ich fand es auch ziemlich erstaunlich, zur Beerdigung die Rechnung in die Hand gedrückt zu bekommen.... Ich bin aber leider ein Mensch der unheimlich lange braucht um aus sich heraus zu kommen.... meist stecke ich nur ein und versuche es irgendwie mit mir auszumachen um niemand anderem zur Last zu fallen.


    Meine Kindheitserinnerungen helfen mir dabei die Realität wahrzunehmen, mich im hier und jetzt zu bewegen. Zu sehen das es zwar meist schwierig war, aber dennoch Glück, Freude und das Gefühl von Geborgenheit und Famile da war.
    Zum Beispiel hat meine Mum aus ihrem Hochzeitskleid zwei Kinderkostüme für mich gemacht. Der untere Stoff diente für das Prinzessinenkostüm und der obere Stoff für die Schlafmütze.
    Oder, wir haben anfangs neben einem Kindergarten gewohnt. Und unsere Wochenendabendteuer war grundsätzlich - die lose Latte im Zaun zu finden um durchzukrabbeln und auf den Spielplatz zu verschwinden.


    Aber der fehlende Abschied von meinem Bruder versetzt mich auch in alte Verhaltensmuster. Denn auch der Abschied meiner Mutter wurde mir damals verwehrt. Und als es dann darum ging, dass mein jüngerer Bruder in eine Heimeinrichtung sollte, nur weil uns der ehemalige Partner unserer Mutter nicht haben wollte, gingen alle Alarmleuchten bei mir los. Dabei habe ich im Ganzen vergessen daran zu denken, dass ich auch auf mich selbst achten müsste.


    Schlaf ist ein Mangel. Diesen bewältige ich für gut 3-4 Stunden leider nur mit Hilfsmitteln. Aber hier war ich mir endlich selbst fair gegenüber, ich habe mir Hilfe gesucht. Es ist schwer für mich zu begreifen, dass auch ich Hilfe in Anspruch nehmen kann und auch darf. Mein Kopf sagt ja, meine Handlungen sind aber totale Widerspruch insich.


    Freude auszudrücken fällt mir schwer. Aber ich empfinde sie im Herzen - der Wendepunkt ist, dass ich es zumindest schon empfinden und klar definieren kann.
    Meine Vierbeiner reagieren gott sei dank nicht auf meine Gestik und Mimik, sondern auf meine Nähe die ich ihnen vermitteln kann. Das lehrt mich, etwas gutes zu fühlen.


    Nicole

  • Liebe Nicole,


    wie schön dass du hier erzählst!
    Dein Nick...Fides ... die Treue - ist auch wunderschön finde ich...


    Ja, ich kann mir Astrid nur anschließen, es ist wirklich schlimm dass du zu dieser Zeit keine emphatischen Menschen um dich hattest. Glücklicherweise sozusagen hast du ja Übung darin stark zu sein, also ich meine das anerkennend, und ich selbst kenne das Gefühl auch...manchmal auch dass man sich am liebsten erst mal nur auf die eigene Stärke verlässt ...und das ja auch ein guter Rettungsanker ist.


    Dass es dann auch gut tut los zu lassen, sich fallen zu lassen, in Müdigkeit, Schlaf, Erholung, Selbstfürsorge! - ist ganz wichtig. Was auch immer dir gut tut - was tut dir denn gut?
    Klavierspielen, ... andere Dinge? Gute Speisen? Spazierengehen? Und du hast (einen?) Vierbeiner?


    Ist dein kleiner Bruder für dich da? Ich finde es unglaublich tapfer wie du das geschafft hast, als so junge Frau. Wenn ich denke wie ich so mit 20 war, ich habe meine Mutter später verloren, um einiges später und ich bewundere deine Konsequenz und Klarheit. Vielleicht - so bin ich überzeugt - beschützt dich deine Mama auch, sie hat dir ja ganz viel mitgegeben an Liebe und Kreativität um auch mit so schwierigen Situationen fertig zu werden.


    Ja, ich kann nur hoffen dass dieser sehr frustrierende und traurige Moment in Österreich nicht deine letzte Erfahrung hier war...vielleicht kannst du in einem österr. Trauerforum ein wenig Trost finden ?


    Ich finde es gut dass du Hilfe angenommen hast, Schlaf finde ich ist ganz wichtig um gesund zu bleiben, -so meine Erfahrung - man verliert schnell den Überblick und die Nerven bei zu wenig Schlaf, und wird nervös, die dünne Haut wird dann noch dünner etc. aber das hast du ja schon gemerkt. Ich hoffe du kannst gut entspannen und hast auch den Raum dafür, und ich wünsche dir einen guten sanften Schlaf mit guten Träumen.


    Die Kindheitserinnerung mit den Sonnenblumenfeldern ist so schön, und ich wünsche dir dass du einfach nur die Sonnenblumen sehen kannst in deiner Erinnerung, wieder durchlaufen, ganz frei und losgelöst, den eigenen Atem spüren, ohne die Blumen zu zählen, ohne nach zu denken...du musst das Leben nicht verstehn, dann wird es werden wie ein Fest...schreibt Rilke....


    Und ja, last but not least
    was du schreibst...das dachte ich mir nämlich auch beim Lesen deines Threads...du hast dich so aufgeopfert - ja, warst so intensiv für andere da ... da frage ich mich ... bzw denke ... ist das jetzt nicht auch, oder kann es nicht auch ein "Weckruf" sein - wie Yalom (ein Autor den ich sehr mag) Todesfälle auch nennt? Insofern als die Frage, was du vom Leben willst, dir wünschst finde ich ganz entscheidend ist.
    Kannst du an so etwas denken? Eben wie du sagst...dass du mehr verdient hast, dass dir das Leben mehr zu bieten hat!


    Ich habe das Gefühl, dass dich diese Frage auch umtreibt. Darf ich das so offen schreiben - als Frage?


    Sei lieb gegrüßt,
    Malena

    Die Wahrheit triumphiert nie, nur ihre Gegner sterben aus (Max Planck)


    rilke.de/briefe/160703.htm


    VORÜBUNG FÜR EIN WUNDER


    Vor dem leeren Baugrund
    mit geschlossenen Augen warten
    bis das alte Haus
    wieder dasteht und offen ist

    Die stillstehende Uhr
    so lange ansehen
    bis der Sekundenzeiger
    sich wieder bewegt

    An dich denken
    bis die Liebe
    zu dir
    wieder glücklich sein darf

    Das Wiedererwecken
    von Toten
    ist dann
    ganz einfach

    (Erich Fried)

  • Liebe Nicole,
    ja, du musstest lange sehr stark sein und funktionieren.


    Jetzt ist vielleicht die Zeit um schwach sein zu dürfen. Dich um den wertvollsten Menschen in deinem Leben zu kümmern - Dich um Dich selber zu kümmern.
    Da fällt mir wieder das Flugzeugbeispiel von Malena ein: Atemmaske - zuerst mir oder dem Kind überziehen - das Kind hat nichts davon, wenn ich bewusstlos neben ihm liege - also zuerst mir und dann dem Kind - auch wenn das dem Instinkt widersprechen sollte.


    Ebenso ist es jetzt bei dir.
    Kümmere dich um DICH,
    DU bist es WERT -
    DU BIST EIN WUNDERBARER GEDANKE GOTTES (falls du damit was anfangen kannst - ansonsten durch Universum, der Erde, große Seele, Energie oder was auch sonst dein Bild ist, ersetzen)
    Ich bin einfach überzeugt, dass jeder Mensch so einzigartig ist und darum so wunderbar und so besonders.


    Hast du einen Hund oder Katze? Ein Schmusetier oder eher ein Energiebündel?


    Bist du bei einem Arzt in Behandlung, dass du von Hilfsmitteln beim Schlafen schreibst? Und trotzdem nur 3-4 Stunden (am Stück oder wachst du nach 3-4 Stunden auf und schläfst dann wieder ein oder wachst du immer wieder auf und hast insgesamt 3-4 Stunden geschlafen?)


    Was geht dir im Kopf herum, wenn du so schlaflos bist?


    Entspannungsbad, Honigmilch, und einen kalten Waschlappen - das sind meine Hilfsmittelchen, die auch ein Medikament ergänzen können. Kalter Waschlappen ist von Kneipp: einen Waschlappen mit kaltem Wasser auswringen und vom rechten Bein, linkes Bein, rechter Arm, linker Arm, Rücken, Nacken, Bauch, Gesicht abwaschen und dann so ins Pyjama oder gleich unter die Decke gehen - nicht abtrocknen. Dadurch wird der Körper wohlig warm und ganz viel Anspannung kann abfallen.


    Ich wünsche dir, dass du schlafen kannst, damit du dann auch besser für dich sorgen kannst.


    Lass doch zu, dass jetzt eine Zeit des Schwach seins und des Schmerzes ist.
    Das ist schwer und tut unendlich weh - doch der einzige Weg aus dem Schmerz heraus führt durch den Schmerz hindurch.


    Es gibt ein Bild von Trauer, das vielleicht deinem Empfinden gerade entspricht:


    Trauern ist wie ein großer Felsbrocken.
    Wegrollen kann man ihn nicht.
    Zuerst versucht man nicht darunter zu ersticken,
    dann hackt man Ihn Stück für Stück kleiner.
    Dem letzten Brocken schleift die Zeit seine Kanten rund.
    Man steckt ihn in die Hosentasche und trägt ihn ein Leben lang mit sich herum.

    Verfasser unbekannt: Quelle: https://die-trauer-karte.de/trauerzitate-und-sprueche/


    Ich wünsche dir, dass du die Geduld hast, die du dazu brauchst.
    Sei lieb gegrüßt
    Astrid.

  • Liebe Malena,


    hab Dank für deine Zeilen.


    Ich finde die Frage, was mir gut tut manchmal schwierig - manchmal... naja doch sehr häufig. Vor allem dann wenn der Kreislauf der Gedanken nicht abzuklingen scheint. Und jede Ablenkung eigentlich einer Art Weglaufen erscheint.
    Vierbeiner habe ich, einen Hund und ein Katerchen. Unser Familienhund, den ich als 10 Jähriges Kind von meiner Mutter bekommen habe - diesen musste ich vor 2 Jahren gehen lassen. Sie ist stolze 18 Jahre als geworden. Irgendwie war sie für mich immer noch eine reele Verbindung zu meiner Mutter. Als ich sie gehen lassen musste hat mich das zusätzlich sehr verwirrt.


    Auch hier gibt es einen schönen Moment. Babsy (die verstorbene Hundedame) hat vor Jahren ein kleines Kätzchen aus dem Wald mitgebracht. Ich wollte es nur aufpeppeln und dann abgeben. Daraus ist nichts geworden. Katerchen ist mittlerweile 10 Jahre alt und mischt mich ordenlich auf. Ich glaube er redet mehr am Tag als ich selbst. Sehr unterhaltsam.
    Und Merlin, er wurde der spätere Begleithund von meiner Babsy. Ist auch schon ein großer Senior. Alle drei haben es geliebt gestapelt im Hundekorb zu nächtigen.
    Stellt es euch so vor, schwarzer Schäferhund ganz unten, wilde struppelige Promenadenmischung - gefleckt wie eine Kuh, auf ihm und noch eine Etage höher dann der freche Kater. Jetzt habt ihr hoffentlich ein Bild, welches euch ein kleines Lächeln ins Gesicht zaubert.


    Ich fahre viel Kajak, ich genieße es mich auf dem Wasser treiben zu lassen und die Natur um mich herum zu betrachten. Manchmal wird die Stille unerträglich, aber ich versuche ihr so gut wie möglich immer etwas positives abzugewinnen.
    Lesen tue ich auch viel, ich mag Drachen steigen lassen oder einfach nur den Wolken hinterher schauen.


    Ja ich denke das Leben hat mehr zu bieten als das was es mir bis jetzt vorgegaukelt hat. Es war nicht immer schwierig oder anstrengend, dass möchte ich gar nicht sagen. Aber ich würde lügen wenn ich behaupten würde das ich es so akzeptieren, hinnnehmen oder gar annehmen könnte oder wollte.
    Ich stelle mir diese Frage regelmäßig, vor allem dann wenn ich wieder an den kleinen Dingen zu scheitern scheine.


    Wenn ich das so sagen darf, ich glaube schon das ich irgendwann gerne in der Position sein möchte - in der jemand an meiner Seite seine schützende Hand über mich legt. Mir beisteht, für mich da ist, mich begleitet - mit mir lacht und weint und das Leben zu einem neuen Abenteuer werden lässt. Der mir das Gefühl gibt nicht alles alleine auf den Schultern tragen oder gar ertragen zu müssen. Jemand der mich nicht belächelt wenn ich bin wie ich bin und der nicht von mir verlangt mich der Masse anpassen zu müssen nur um in ein gesellschaftliches Bild zu passen. Ich möchte ich sein dürfen und ich möchte Verantwortung abgeben und teilen können um das Gefühl von Erleichterung zu erhalten. Gelebte Wärme und Akzeptanz und nicht nur Stärke projezieren. Einen guten Freund oder Freundin fürs Leben.


    Nicole

  • Liebe Astrid,


    hab auch du vielen Dank für deine Zeilen.


    Was bedeutet es schwah zu sein - wie kann es sich anfühlen - das schwach sein?
    Sagen wir so, ich stelle diese Fragen weil ich in der Phase bin, meine jahrelange Abstumpfung von Gefühlen zu bewältigen. Ich lerne Gefühle zu definieren und sie für mich zu entdecken und zu nutzen. Im ersten Moment sind diese allerdings alle sehr erschreckend und beängstigend.
    Ist schwach sein ein Gefühl? Kann man das so sagen?


    Wie du vielleicht schon gelesen hast, ich habe beides - einen Hund und eine Katze. Merlin (der Hund) ist ein ruhiger Vertreter. Da er nicht mehr gut zu Fuß ist, liebt er es in seinem Fahrradhänger raus zu schauen, während ich versuche ihn möglichst immer bei mir zu haben. Am liebsten liegen wir faul auf den schönen Wildblumenwiesen. Wobei er die Angewohnheit hat diese platt zu kullern (oder genüsslich zu kauen).
    Katerchen hingegen ist eher der Raufbold mit einem Energiepensum welches er am liebsten Nachts verbraucht. Nämlich damit, um mit einer Riesenbommel den Flur hoch und hinunter zu rennen. Oder vielleicht auch mal einen Schuh mit interessanten Schnürsenkeln durch die Katzenklappe zu zerren.


    Mein schlechter Schlaf. Ich befinde mich aufgrund einer Ptbs in Therapeutischer Behandlung. 4 Stunden Schlaf sind wirklich Luxus. Aber wenn dieser nicht unterbrochen wird kann er auch erholsam sein. Ich habe gelernt das es nicht unbedingt eine Rolle spielt lange zu schlafen, aber zumindest ungestört. Ich schlafe diese Zeit durch. Danach ist es mir nicht möglich erneut einzuschlafen und Tagsüber sollte dies auch nicht gewollt sein. Es hat etwas mit dem Rythmus zu tun. Und ja, leider gelingt mir dies nur mit medikamentöser Unterstützung. Ich habe lange gebraucht um mich darauf einzulassen, aber ich habe genauso gut verstanden das es Zeiten gibt in denen es einfach notwendig ist. Dies aber nicht "für immer" bedeutet.


    Im Kopf geht mir in Bezug auf den Tod etwas durch den Kopf, was mich in Panik ausbrechen lässt. Ich neige dazu ab und an darüber nachzudenken wie es ist Tod zu sein. Das fühlt sich sehr sehr schlecht an. Ich kann das nicht wirklich beschreiben, aber es löst eine Panik in mir aus das ich wirklich zusehen muss Gedanklich davon weg zu kommen. Es hilft mir nur nicht bei der Bewältigung.
    Ich habe die Vorstellung des "Nichts" danach. Und genau das ist mein Problem. Wie kann man sich das denn vorstellen wenn der Gedanke an ein Leben danach - oder etwas ähnliches, zu entfernt oder verwerflich für einen ist?
    Dieses Denken begann bei mir mit dem Tod meiner Mutter und zieht sich seitdem regelmäßig durch mein Lebn und natürlich meinen Kopf.


    Nicole

  • Liebe Nicole (Edit: Verwechslung entfernt)


    jetzt bin ich einmal schlaflos ;-)


    ich habe es hier auch schon oft geschrieben...mir hat hier das Buch von Yalom "die Liebe und ihr Henker" und auch "und alles ist vergänglich" geholfen, das einzuordnen, zu begreifen, mich dem Gedanken zu stellen...er schreibt dass das Nichts nicht denkbar ist, und man es daher auch nicht zu fürchten braucht...und dass man ja auch dass "davor" also woher man kam, nicht fürchtet, und noch viele andere Gedanken die darauf hinauslaufen das Hier und Jetzt anzunehmen.


    Abgesehen davon finde ich auch die Vorstellung schön und legitim auf ein Wiedersehen zu hoffen, sich alle möglichen Zeitkonstrukte auszudenken, oder vorzustellen, zuzulassen, wo eben die Liebe e w i g ist.
    Dass eben die Endlichkeit nicht auslöscht, sondern Verwandelt.
    Alte Hüte, aber immer wieder aufgesetzt, anprobiert können sie Freude machen, und bewegen uns Menschen halt auch seit jeher.


    Dieses...glücklich sein über alles Gute was einem widerfahren ist.... so wie du von deiner Mama schreibst, aber auch überlegen ob sie es für dich gewollt hätte, dass du so leidest, sie sich sicher gewünscht hätte dass du deine Träume leben kannst, gut auf dich schaust (das wünscht sich eine Mutter für ihr Kind, das weiß ich aus Erfahrung ;-)).. etc. - - du hast ja so vieles so gut gemacht, vor allem hast du dich sehr um deinen Bruder gekümmert, und dem Schicksal getrotzt, und da verstehe ich dass du jetzt auch auf dich achten willst...



    mit lieben Grüßen,
    Malena

    Die Wahrheit triumphiert nie, nur ihre Gegner sterben aus (Max Planck)


    rilke.de/briefe/160703.htm


    VORÜBUNG FÜR EIN WUNDER


    Vor dem leeren Baugrund
    mit geschlossenen Augen warten
    bis das alte Haus
    wieder dasteht und offen ist

    Die stillstehende Uhr
    so lange ansehen
    bis der Sekundenzeiger
    sich wieder bewegt

    An dich denken
    bis die Liebe
    zu dir
    wieder glücklich sein darf

    Das Wiedererwecken
    von Toten
    ist dann
    ganz einfach

    (Erich Fried)

  • Liebe Fides,
    du hattest leider viel Unglück im Unglück, was die Verabschiedung und das Begräbnis deines Bruder betriffft - mit dem KH-Personal und dann mit dem Bestattungsinstitut. Das tut mir leid, das hätte anders laufen sollen/können .... Ein gelungener Abschied hilft aus der Gefühlstaubheit heraus, unterstützt das Fühlen .... Mich wundert nicht, dass du Österreich bitter enttäuscht verlassen hast....


    Ich zweifle auch an einem Leben nach dem Tod. Das Nichts ist für mich aber nicht unbedingt eine ungute Vorstellung. Natürlich wäre mir lieber, wir würden uns danach alle wiedersehen und weiterleben können, ich weiß nur nicht, wie das funktionieren soll und ob so ein ewiges Leben überhaupt gut gehen kann. Sehe ich dann alle wieder? Auch die, die ich nicht leiden konnte und die, die mich nicht leiden konnten? Wie sieht meine Seele aus, wenn mein Körper tot ist? Sieht die gleich aus wie ich, sodass ich erkennbar bin? Oder ist sie eine Art Energie ohne Identität?
    Für mich ist das alles eher unwahrscheinlich, aber ich hoffe und ich lass mich mal überraschen. :)


    Zum "Nichts": Die liebe Nebelfrau hat ja Yaloms Gedanken dazu schon beschrieben.


    Mir hilft auch Epikur immer, der gesagt hat: „Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn so lange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr." Oder Norbert Elias, der den Gedanken von Epikur aufgenommen hat und ein wenig frecher formuliert hat: „Der Tod ist ein Problem der Lebenden. Tote Menschen haben keine Probleme.“ :)


    :24:
    AL Christine

  • Liebe Fides,
    schwach sein ist für mich zuzulassen, was die Gefühle mit dir machen. Natürlich müsste das heißen stark sein, leider ist das in unserer Gesellschaft anders gesehen, denn so lange ich funktioniere, bin ich stark.
    Die eigentliche Stäre ist es zuzulassen und das tut weh - und macht, wie du oben schreibst auch Angst. Vertraue darauf, dass dein Körper, deine Psyche, dein Geist, nie wirklich mehr zulassen, als du im Moment erTRAGEN kannst.
    Hier darfst du über all das schreiben und auch all deinen Unmut ausdrücken. Auch wenn hier ganz liebe und achtsame Menschen sind, vertragen wir alle die Worte: ES IST EINFACH SCHEIßE, weil alle schon drinnen steckten. Manchmal bis zum Hals und dann wieder bis zu den Knöcheln und manchmal verwandelt sie sich - wie das Dünger tut - in eine wunderbare Blumenwiese, einen starken großen Baum oder was dir sonst so gefallen würde.


    Trau dich, dich dir selber und auch uns zu öffnen.


    Sei lieb gegrüßt.
    Astrid.