Ich habe meinen Bruder durch Suizid verloren

  • Hallo Leute!


    Mein Name ist Lars, ich bin 25 Jahre alt und habe vor drei Jahren meinen geliebten und älteren Bruder Matthias verloren. Die ersten 2 1/2 Jahre verliefen in Ordnung – Natürlich trauerte ich sehr, aber ich konnte mit dem Verlust einigermaßen umgehen, da ich meinen Wohnort wechselte, die Universität wechselte und mich durch viele Reisen abzulenken versuchte. Doch seit wenigen Monaten hat sich mein Zustand immer weiter verschlechtert. Derzeit ist es so, dass ich täglich mit Stressattacken und sehr negativen Gedanken zu kämpfen habe, selbst Suizidgedanken kommen immer wieder auf.

    Ist das alles noch normal? Wird es irgendwann wieder besser? Ich bin so jung und sehe einfach keine Perspektive mehr für mich. Ich weiß nicht, wie ich noch optimistisch in die Zukunft schauen soll. Ich versuche täglich ein Büchlein mit Dingen zu füllen für die ich dankbar bin im Leben: meine Familie, Freunde, Essen, Trinken etc.

    Zudem notiere ich mir jede positive Sache, die ich am Tag erlebt habe – selbst wenn es nur das Wahrnehmen der Sonne ist; und habe mit dem Schreiben eines Trauerbuchs begonnen. Ebenso bin ich seit wenigen Wochen nun in Therapie, aber wirklichen Erfolg hat diese bisher noch nicht gezeigt. Ein großes Problem, dass ich bei Suizid-Angehörigen sehe, ist, dass man als Trauernder sich mit psychischem Leid konfrontiert sieht und man anfängt, Parallelen zwischen sich und dem Verstorbenen zu ziehen. Nach dem Motto: Mein Bruder litt unter einer Depression, nun habe ich eine Depression, also werde auch ich an Suizid sterben. Hat jemand ähnliche dunkle Phasen in seiner Trauer durchlebt und konnte aus diesem Teufelskreislauf ausbrechen?


    Ich brauche dringend Hilfe!


    Ich bin dankbar für jeden Beitrag.


    Lieben Gruß,

    Lars

  • Hallo Lars,

    herzlich willkommen hier im Forum! Ich hatte eine sehr schlimme Trauerphase mit 18, als ich meine Mama verloren habe.

    Ich finde, Du machst sehr, sehr viel - Therapie etc. Bin beeindruckt!

    Habe jetzt nicht Zeit, viel zu schreiben. Wollte mich aber so schnell wie möglich einmal kurz bei Dir melden.

    Ich wünsche Dir alles, alles Gute <3

  • lieber Lars,


    ich schliesse mich für heute StillCrazy's Worten & ihrem "Lob" an dich an.


    Wollte dich hier auch herzlichst Willkommen heissen.

    Schön, dass du hierher gefunden hast und dich öffnen kannst !


    Heute ist Gartenarbeit angesagr, sonst verbummel ich mich hier wieder! ...


    Bis demnächst

    Stille Perle

  • Hi Lars. Mein aufrichtiges beileid zum. Verlust deines Bruders.

    Schreiben hat wirklich eine sehr therapeutische Wirkung. Da hast du ein Werkzeug in der Hand dass wie ein Schweizer Messer für deine Seele ist.


    Zu deiner Frage ob jemand es kennt dem gegangenen immer näher zu werden und auch Suizid begehen zu müssen Ja ich kenn das. Von mir. Lebe wie mein Sohn seitdem er gestorben ist auf den Tod hin. Eingeschlossen lesend schreibend schlafend. Und am Ende steht der Suizid. Fast zwanghaft.... Ich denke da braucht man was von aussen... Was beschutzendes oder... Keine Ahnung. Ich Weiss nicht wie dem entkommen. Sich damit auseinander setzen????


    Eine Freundin von mir meint Suizid ist ansteckend. Ja ist es... Weisst du warum. Dein Bruder gestorben ist??


    Alles Gute und eine warme umarmung

    Andrea

  • Lieber Lars,


    du trägst ein schweres Päckchen. Mit dem Suizid eines geliebten Menschen umzugehen, ist sehr schwer


    Ich weiß das, denn meine Mutter wählte auch diesen Weg. Sie war schwer depressiv und sie hat mich, als sie sich vor dem Zug warf, irgendwie mitgenommen. Ich war damals 11 Jahre alt. Erst mit über 50 Jahren, habe ich angefangen, mich diesem Suizid und seinen Folgen für mich, zu stellen


    Ich kann dir versichern ,dass all deine Fragen und all deine Gefühle völlig normal sind.


    Du tust schon viel für dich. Chapeau :!:Darauf kannst du stolz sein


    Du bist auf dem richtigen Weg!


    Vieles von dem was du schreibst, mache ich auch , z.B. schöne Dinge aufschreiben. Ich war auch in einer psychosomatischen Klinik.

    Therapie dauert lange, bis sich die ersten echten Ergebnisse zeigen.

    Hab Geduld mit dir!


    Und noch eins:

    Suizid ist NICHTansteckend, Ich denke da irrt Andreas Freundin. Allerdings litten viele, die ihr Leben selbst beendeten , an einer schweren Depression. und einer schwere Depression soll nach Aussagen von Fachleuten, eine genetische Disposition zugrunde liegen ( eine! unter vielen möglichen Ursachen ) Ich denke, dass hier eine Erklärung für die Häufigkeit von Suizid in einer Familie liegen könnte - eben durch die " vererbte Neigung zu Depression.


    Disposition heißt allerdings nicht, dass die Krankheit sich auch zeigen wird .


    Eine schwere Depression ist eine Krankheit sowohl des Körpers als auch des Geistes und beide besitzen die Fähigkeit zu heilen


    Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass zu einer schweren Depression Suizidgedanken dazugehören.Sie sind lediglich klinische Symptome der Krankheit , vergleichbar mit Fieber bei einer Lungenentzündung. Und sie vergehen ...irgendwann.


    Leider liegt die Sterblichkeitsrate bei Depressionen so zwischen 10 und 20%., bei einer bipolaren Störung noch höher.


    ABER


    Es gibt Wege aus der Depression:!: wenn man sich Hilfe holt. Man muss sich nicht töten.) obwohl die Hemmschwelle wohl niedriger ist, wenn ein geliebter Mensch diesem Weg gegangen ist )

    Der Weg zur Genesung ist hart, sehr, sehr steinig und keineswegs ein Zuckerschlecken, aber das ist eine schwere Dep. auch nicht!


    Wichtig ist, über alle Gefühle zu sprechen, sich den anderen zuzumuten ( und das ist ja gerade schwer in einer Dep. - ich weiß )


    Mehr kann ich heute nicht schreiben, denn es geht mir gerade selbst nicht gut und ich habe Mühe meine Gedanken zu formulieren


    Ich wollte dich aber hier willkommen heißen und dir sagen, dass deine Gedanken normal sind.


    Ich finde es gut, dass du den Suizid deines Bruders nicht tabuisiert. Das wird dir helfen.


    Rede, schreibe drüber


    Alles Liebe

    blaumeise, :24:

    die immer noch lebt und die dich, wen du magst, gerne hier ein Stückchen begleitet.

  • Lieber Lars, liebe Blaumeise,

    ich sehe es auch so: Suizid ist NICHT ansteckend. Auch in Familien, wo es Suizid(e) gegeben hat bzw. gibt, begeht die überwiegende Mehrzahl der Menschen NICHT Suizid.

    Die vielen wunderbaren Dinge, die Du für Dich tust, Lars, sind ein klarer Hinweis dafür, dass es da einen positiven Zugang zum Leben gibt. Der ist nicht immer so klar erkennbar, wird oft überlagert. Auch und gerade in Zeiten der Trauer. So ist das. Auch bei mir.

    Ich wünsche Dir, dass Du hier viel Bestärkung und Ermutigung findest!!!!!!!!

  • lieber Lars,


    auch diesmal möchte ich mich den 2 "Vorrednerinnen", Blaumeise und StillCrazy anschliesen !


    Ich finde es auch gut, dass du dich deinen Ängsten und Gefühlen stellen möchtest, sie angehst, anschaust und dir Hilfe holst um damit umgehen zu können.

    Ich selbst war aufgrund meiner/unserer eigenen Geschichte auch in psychologischer Beratung und habe in kleinen (oftmals auch ziemlich anstregenden Schritten) gelernt (& lerne immer noch) in Manchem anders zu denken,

    Manches stehen zu lassen,

    mich nicht mit-schuldig fühlen ...

    Das war für mich das Schwerste & auch Wichtigste um Frieden IN mir zu finden.


    Meistens (zumindest oft) gelingt es mir nun. :).


    Wie Blaumeise schreibt, lass dir Zeit dabei ...

    Alles benötigt Zeit und Kraft, Mut und auch etwas Humor um langsam heilen und sich verändern zu können.


    Wir hören dir gerne zu !


    Liebe Grüße

    Stille Perle

  • Lieber Lars,

    herzlich willkommen hier bei uns.


    Nein, Suizid ist nicht ansteckend. Trotzdem kann es durch das "vorgelebt bekommen" eine Nachahmung geben.


    Du bist sehr sorgsam mit dir, hilfst dir und lässt dir helfen.


    Trotzdem fühlt es sich bestimmt sehr schwer und manchmal hoffnungslos an.


    Wann hast du selber Suizidgedanken?


    Ich wünsche dir für heute, dass du die Sonne im Herzen spüren kannst, die Vögel in deiner Seele zwitschern hörst und einen wunderbaren Sommermoment - vielleicht mit einer Kugel Lieblingseis genießen kannst.


    Lg. Astrid.

  • Liebe Leute!


    Vielen Dank für eure verständnisvollen Beiträge. Es ist einfach eine unfassbar schwere Zeit, die oft endlos erscheint. In den letzten Tagen habe ich viel Kraft aus dem Gedanken schöpfen können, dass mein jetziges Leid, meine Panik und Angst doch nur möglich sind, weil ich mit meinem geliebten Bruder so verbunden gewesen bin. Solche Gedanken nehmen mir den Schmerz nicht ab, aber sie machen ihn in gewisser Hinsicht akzeptabler.


    Ich habe noch ein paar Fragen: Manchmal glaube ich, dass mir der Kontakt zu anderen Trauernden gut tun würde. Deshalb habe ich mich auch in diesem Forum angemeldet. Habt ihr zusätzlich noch Erfahrungen mit Trauergruppen gemacht, in denen ihr euch im "realen" Leben mit Leuten getroffen habt?


    Liebe Grüße

    Lars

  • hallo Lars,


    jaa da hast du sicher Recht mit deinen Gefühlen !


    Ich war im "realen" Leben in keiner Trauergruppe, neben Job, Kindern, Eltern hatte ich da keine Zeit dazu.


    Vll tut es dir gut & du probierst es einfach mal aus !?


    Viele Grüße

    Stille Perle

  • lieber Lars,


    erst mal möchte ich dir mein tiefstes beileid aussprechen. das schlimmste am suizid ist sicher auch die frage an sich selbst, warum man ES nicht hat verhindern können... also diese schuldfragen die aber doch halt keine antworten bringen. und dazu gibt es ja für dich keine schuld an allem, aber das will das eigene gehirn nicht so richtig verstehen... oft jedenfalls.


    du fragst nach den dunkelsten stunden - lieber lars - da kann ich dir sagen das diese dunkelsten stunden sicher viele von uns schon hatten, mit verlaub wage ich es hier für viele von uns trauernden zu reden...


    ich selbst auch. mein mann ist an seinem krebs gestorben... kein suizid - und doch habe ich wie andrea schreibt, das gefühl gehabt, diesen zwang gespürt, meinem mann immer näher kommen zu müssen. immer drängender wurde der gedanke zu ihm zu gehen....


    damit möchte ich einfach nur sagen - diese gefühle gibt es auch ohne suizid des angehörigen.... für mich haben diese eigenen suizid-gedanken garnichts mit verwandtschaft oder genetischer übereinstimmung zu tun, sondern lediglich mit absoluter verzweiflung und dem tiefen wunsch wieder mit dem liebsten partner/bruder/schwester/mutter/vater zusammen zu sein. sprich mit dem menschen mit dem man diese tiefe verbundenheit fühlte.


    ich sage also, es gibt da keine "ansteckung", lediglich die tiefe sehnsucht nach dem verlorenen menschen....


    lieber gruß zur nach von Bine

  • Lieber Lars. Werde im September mit einer Trauer Gruppe beginnen. Durch Suizid verwaiste Eltern Bruder Schwestern Kinder haben dort Platz.

    Am anfang also die ersten Monate war mir das nicht möglich.

    Dein bruder ist ja schon länger im Licht.. Würde ich dir deshalb schon empfehlen. Schau es dir ein paar mal an dann merkst du schon wie es läuft. Glaube es täte dir gut.


    LG und einen so gut wie irgend möglichen Sommer

    Andrea