Mein geliebter Vater ist nach kurzer, schrecklicher Krankheit unerwartet einfach gestorben

  • Liebe Silvia,


    ich kann es dir so nachfühlen!

    Diese Phasen der Sprachlosigkeit habe ich auch immer wieder, und auch ich bin die letzten Tage sehr schlecht dran.

    Trauer wie schon lange nicht mehr, Antriebslosigkeit, große Unzufriedenheit und andere wenig schöne Gefühle plagen mich.

    Dazu noch banaler Alltagsärger (Nachbarstreitigkeiten; als ob es nichts Wichtigeres gäbe!)

    Mir reichts!

    Heute war ein ganz, ganz schlechter Tag, nur der Abend war positiv; wir hatten einen lieben Menschen zu Gast, haben gut gegessen und führten gute Gespräche. Das hat den Tag etwas aufgewertet.


    Wie du siehst, liebe Silvia, ist man selbst nach zwei Jahren nicht vor tiefen Trauerlöchern gefeit. Das ist irgendwie beängstigend.

    Als ob ich ausgelaugt wäre von all den intensiven Gefühlen.

    So fühle ich mich auch. Einfach nur platt und antriebslos. Diese permanente Trauer laugt aus.

    Momentan tröstet mich die (für mich) klare Tatsache, dass meine Mutter im Jenseits weiterexistiert, nicht wirklich.

    Ich vermisse sie hier! Und manchmal bin ich richtig wütend, dass sie mich hier allein zurückgelassen hat (obwohl sie das natürlich nicht wollte).


    Ich wünsche dir morgen einen besseren Tag!

    <3

  • Liebe Kerstin


    Solche Tage habe ich auch. Dieses "Mir reichts!" könnte auch ich ausgerufen haben! Die Sehnsucht nach meinem "alten", einfachen, sorglosen Leben ist gross. Obwohl es mir damals ja auch nicht nur einfach vorkam, aber im Vergleich zu jetzt...


    Das Leben kommt mir im Moment auch sehr schwer vor. Am Sonntagabend hatte meine Tochter noch einen kleinen Unfall, sie ist gestolpert und mit der Stirn an die Heizung geknallt. Resultat war eine stark blutende Platzwunde und ein Schock! Wir fuhren dann in den Notfall des Kinderspitals, wo zum Glück die Wunde gut versorgt werden konnte. Alles aber sehr nervenaufreibend. Wir mussten sie dann auch noch weiter beobachten, ob sich noch Zeichen einer Gehirnerschütterung zeigen würden, was zum Glück nicht der Fall war.


    Da mein Partner wieder hier ist, ist die Trauer ein Stück weit zurückgetreten, das heisst, nicht mehr so unmittelbar permanent da. Ich habe gerade abends nicht mehr die Möglichkeit, für mich selbst zu sein, und das fehlt mir unterdessen. Da hatte ich meine Zeit mit meinem Vater, ich konnte in Ruhe an ihn denken, Fotos anschauen, seine Weisheitskrümel lesen, meinen Gefühlen nachgehen und hier schreiben. Jetzt will mein Partner vieles besprechen, wir reden auch über meinen Vater, aber das wird je länger mein Partner hier ist immer weniger. Irgendwann ist alles gesagt und dann gibt es andere Themen, über die wir auch reden müssen. Und doch spüre ich, dass meine Trauer wieder mehr Zeit und Raum braucht. Die Verbindung zu meinem Vater, die ich vorher so intensiv gespürt habe, ist schwächer geworden, und das möchte ich nicht. Ich möchte ihn nicht auch noch in meinem Herzen verlieren, das ertrage ich nicht.


    Alles Liebe <3<3<3

  • Ihr Lieben


    Ich hatte eine seltsame Zeit. Es war wohl eine Art Verschnaufpause, aber keine schöne, keine erholsame. Irgendwie fühlte ich mich taub und leer, wie abgestumpft, teilnahmslos, lebte wie auf Sparflamme, war aber gleichzeitig ungeduldig und gereizt. Dieses unglaubliche Vermissen, diese Sehnsucht, die quälenden Bilder sind in den Hintergrund getreten. Weinen konnte ich nicht, es ging nicht. Die Augen blieben trocken, trotzdem der Kloss im Hals. Und ich hab mich meinem Vater nicht mehr so nah gefühlt, er war auf einmal viel weiter weg. Die Tage leben ohne ihn, das wurde einfach immer mehr Alltag. Niemand ausserhalb der Familie spricht mehr über ihn, und selbst da nimmt es ab. Manchmal hatte ich den Eindruck, als ob er gar nie hier gewesen wäre. Als ob er schon immer weg gewesen wäre. Nein, das will ich nicht. Ich will ihn doch nie vergessen, ich will ihn doch so lebendig wie möglich in mir behalten, damit ich meiner Tochter von seinem einzigartigen Wesen, von seiner Weisheit und seiner unermüdlichen Schaffenskraft und Kreativität erzählen kann. Und doch hatte ich irgendwie keinen Zugang mehr dazu. Abgeflacht alle Gefühle. Ich war auch gar nicht motiviert oder gar inspiriert zum Schreiben hier.


    Aber gestern hat meine Mutter ein Foto von meinem Vater in den Strandkorb auf unserer Terrasse gestellt, in dem er so gerne gesessen hat. Und da wurde mir auf einmal wieder voll bewusst, dass er nicht mehr hier ist. Wirklich eingesunken ist es, dass er nie mehr in diesem Strandkorb sitzen wird so wie er es all die Jahre so geliebt hat. Und da war sie wieder, diese Sehnsucht, dieses Empfinden, dass es doch nicht sein kann. Er gehört doch hier her, zu uns, zu den Lebenden. Er war doch erst 71 Jahre alt. Er hatte doch noch Pläne. Er sollte doch meine Tochter aufwachsen sehen und stolz auf sie sein.


    Heute vor sieben Wochen wurde mein Vater beerdigt. Es ist doch erst sieben Wochen her. Ich bin fast jeden Tag auf dem Friedhof auf dem Grab, an seiner letzten Ruhestätte. Ich bringe ihm jedes Mal frische Wiesenblumen mit. Immer noch ist es für mich ein Schock, wenn ich daran denke, dass sein Körper jetzt dort unten liegt. Es ist so unfassbar, ich weiss zwar, dass es so ist, ich habe es gesehen, wie der Sarg nach unten gesenkt wurde, ich habe seinen toten Körper im Sarg gesehen. Und doch kann mein Verstand damit nicht umgehen.


    Der Tod. Wie brutal er in mein Leben getreten ist. Ohne Vorankündigung. Ohne Warnzeichen. Und er wird auch mich ereilen und alle, die ich liebe. Was ist das nur für eine Welt. Warum kann es nicht einfach klar sein, dass es ein wenigstens ein Wiedersehen gibt?


    Wenn ich doch nur die Zeit zurückdrehen könnte und mit meinem heutigen Bewusstsein die Jahre noch einmal durchleben könnte! Aber selbst dann wäre der Tod immer ein Schock. Es ist immer schrecklich und schlimm und unerträglich. Das Band der Liebe verbindet uns zwar für immer, aber das Entsetzen des Getrenntseins lähmt alles.


    Ich höre gerade gerne das Lied von Unheilig "Ich würd dich gern besuchen"

    https://www.youtube.com/watch?v=VzF0AwRQtP8


    Ich glaub' daran,

    Dass die Sterne, die wir sehen

    All jenen den Weg leuchten

    Die einmal von uns gehen
    Ich glaub' daran,

    Dass ihr Licht vom Himmel scheint

    Die wir lieben dort zu Haus sind

    Sie selig sind und frei


    Ich würd' dich gern besuchen

    Wenn auch nur für einen Tag

    Noch einmal gemeinsam Glück erleben

    So wie es früher war
    Ich würd' dich gern besuchen,

    Deine Stimme und Gedanken hören

    Noch einmal will ich dich umarmen

    Und deine Nähe spüren


    Ich glaub' daran,

    Dass ein Funke in uns lebt

    Der die Zeit in sich aufnimmt

    Bis er zurück in die Heimat fliegt
    Ich glaub' daran

    Und halt' dich fest, so lang es geht

    Schließ dich in meine Arme

    Und wünsch' dir Glück auf deinem Weg


    Ich würd' dich gern besuchen

    Wenn auch nur für einen Tag

    Noch einmal gemeinsam Glück erleben,

    So wie es früher war
    Ich würd' dich gern besuchen,

    Deine Stimme und Gedanken hören

    Noch einmal will ich dich umarmen

    Und deine Nähe spüren
    Ich würd' dich gern besuchen,

    Und halt' dich fest, so lang es geht

    Ich würd' dich gern besuchen

    Und wünsch' dir Glück auf deinem Weg
    Ich würd' dich gern besuchen,

    Wenn auch nur für einen Tag

    Noch einmal gemeinsam Glück erleben

    So wie es früher war
    Ich würd' dich gern besuchen

    Deine Stimme und Gedanken hören

    Noch einmal will ich dich umarmen

    Und deine Nähe spüren
    Ich würd' dich gern besuchen

    Wenn auch nur für einen Tag

  • Liebe Silvia,


    für unser "Umfeld" dreht sich die Welt weiter. Für uns ist die Welt stehen geblieben.........


    Und sie denken, nach ein paar Wochen oder Monaten ist alles wieder gut.


    Sie sehen uns funktionierend, aber wie es in uns aussieht, wissen sie nicht..........


    :30::24:

  • Liebe Sveti, liebe Helga


    Ich danke euch für euer lieben Worte und euer Mitgefühl. Im Moment fühle ich mich sehr alleine. Ohne meinen Vater, in meiner Trauer. Aber lieber so intensiv traurig sein als in dieser teilnahmslosen Gefühlslage verharren zu müssen. Da hab ich mich auch schon fast wie tot gefühlt, einfach nur meine Zeit abgesessen und darauf gehofft, dass es mir irgendwann wieder besser geht. In der Trauer lebe ich wenigstens, und da liebe ich. Und da spüre ich etwas. Auch wenn es unfassbar hart ist und schwer und zuweilen unerträglich.


    Hier stürmt und regnet es. Ich war am späten Nachmittag im Regen noch auf dem Grab. Alles so trostlos. Wie soll ich je damit klarkommen, dass unter der Erde mein Vater liegt? Ich zwinge mich, nicht darüber nachzudenken, wie sein Körper jetzt aussieht. Aber natürlich funktioniert das nicht. Mein Gehirn tut es trotzdem. Ich kann mich nicht dagegen wehren. Alles, was ich an meinem Vater geliebt habe, liegt da unten im Sarg, zwei Meter unter der Erde. Seine Lieblingsblumen haben wir ihm mitgegeben, schöne Steine. Und jetzt wird er immer weniger. Sein liebes Gesicht, seine fleissigen Hände, sein grosses Herz, sein kreativer Geist. Er musste alles zurücklassen. So grausam. Er konnte uns nicht mehr mit seinen eigenen Worten sagen, was in ihm vorging in den letzten Tagen und Stunden seines Lebens. Was gäbe ich, wenn ich noch einmal mit ihm reden könnte! Wenn ich ihn besuchen könnte, wie Unheilig es in seinem Lied singt. Alles vergeblich, ich kann nie mehr mit ihm reden, nie mehr seine Stimme hören, nie mehr mit ihm im Auto über Gott und die Welt diskutieren.


    Bitte, lieber Gott, lass meinen Vater nicht sterben. Was habe ich gefleht und geklagt in der Nacht vor seinem Tod. Lass ein Wunder geschehen, BITTE! Bitte, Bitte, Bitte, Bitte... Immer und immer wieder. Die pure Verzweiflung. Und dann ist das Schlimmste eingetreten, er ist doch gestorben. Einfach weg. Es gibt ihn nicht mehr in dieser Welt. Und die Welt stand still. - Und jetzt, bald acht Wochen später, dreht sich die Welt zwar wieder, nur ist nichts mehr wie vorher.

    Und wird es nie mehr sein. Diese Zeit, als alles noch in Ordnung war, kommt nie mehr zurück. Ich werde mich nie mehr so vollständig geborgen und sicher fühlen wie zu der Zeit, als meine Eltern noch beide lebten.


    Ich verspreche meinem Vater jeden Abend, wenn ich ihm auf meinem Lieblingsfoto von ihm Gute Nacht sage, dass ich auf meine Mutter aufpasse. Sie ist auf dem Foto auch mit drauf, ein wenig verschwommen weiter hinten neben ihm. Ich spüre, dass ihm das wichtig ist, dass jemand auf seine geliebte Frau Acht gibt, die er zurücklassen musste. Und das gibt mir irgendwie Halt, dass ich in seinem Sinne etwas tun kann.


    Oft überlege ich mir, was mein Vater uns mitgegeben hätte, wenn er noch fähig gewesen wäre, wenn er mehr Zeit und Kraft gehabt hätte. Bestimmt hätte er gewollt, dass wir weiter über ihn sprechen, ihn auf diese Weise lebendig halten unter uns. Dass wir uns erinnern an gemeinsame Zeiten und diese Erinnerungen austauschen. Dass wir seine typischen und berühmt-berüchtigten Aussprüche zitieren. Dass wir auch mit ihm sprechen und mit seiner Seele so gut wir können in Verbindung bleiben. Er hätte uns beruhigt, dass er nicht sterben würde, sondern seine Seele weiterleben würde und zu neuen Horizonten aufbrechen würde. Dass er uns weiterlieben würde, auch wenn er nicht mehr hier wäre. Dass wir uns eines Tages wiedersehen würden. Daran hat er fest geglaubt. Und auch das gibt mir Halt. Ein bisschen.


    Unterdessen ist der Himmel total orange, das habe ich selten gesehen, es sieht wunderschön aus. Alles in ein oranges Licht getaucht, dazu noch Nebelschwaden. Unwirklich.

  • Liebe Silvia!

    Ja das ist ein schöner Gedanke,das wir uns alle einmal wiedersehen,das beruhigt einen sehr.Vielleicht war

    deas ein Zeichen von deinem Vater,das der Himmel so in orange getaucht aussah,wer weiß.

    Es ist ja auch noch nicht solange her und ihr hattet ein inniges Verhältnis,aber die schönen Erinnerungen,

    kann dir keiner nehmen.Auch ich habe meine Eltern über alles geliebt und zu anfang war es auch sehr

    schwer für mich damit klarzukommen aber dann ging es immer besser,aber ich vermisse sie immer noch sehr.

    Liebe Grüße Helga

  • Liebe Helga


    Das habe ich mir auch gedacht: Dass dieser tief-orangene, nebelverhangene Himmel ein Zeichen meines Vaters hätte sein können. Ein Zeichen seiner Existenz, seiner Liebe - ein Zeichen der Hoffnung: Ich bin noch da, hab keine Angst, vertraue.


    Heute war einer der besseren Tage. Nicht leicht, aber doch nicht ständig diese dunkle Schwere in und über mir. Die Trauer war heute milder und sanfter. Das ist einerseits beruhigend, und es gibt mir auch Hoffnung, aber gleichzeitig fühlt es sich nicht ganz richtig an. Als ob mein Vater mir entgleiten würde, wenn der Schmerz schwächer wird. Als ob sich mein altes Leben, in dem er einen grossen Platz einnahm, immer mehr in Luft auflösen würde. Und ich kann mich nicht dagegen wehren.


    Ich will mich doch nicht daran gewöhnen, an dieses Leben ohne meinen Vater, ich will doch mein altes Leben zurück. Aber mein Gehirn, oder ein Teil davon, hat wohl andere Pläne. Vieles verschwindet schon ein bisschen im Nebel, wird unklar und verschwommen. Ich finde neue Rituale, die die alten mit meinem Vater ersetzen. Das passiert alles gar nicht bewusst, sondern ist einfach entstanden dadurch, dass ich ja irgendwie weiterleben muss.


    Zwiespältig das alles.


    Auch heute Abend leuchtet der Himmel über dem See wieder orange. Mein Vater hat den See geliebt, er hatte ein eigenes Boot und ging sehr gerne schwimmen. Auch hat er die Monate vor seinem Tod fast jeden Nachmittag eine Stunde im Whirlpool draussen verbracht. Ich sehe ihn vor mir, wie er im warmen, sprudelnden Wasser sitzt und entspannt in die Weite schaut. Hätte ich mich doch nur öfters zu ihm hin neben dem Pool gesetzt, ein bisschen geredet oder mit ihm zusammen still in die Weite geschaut. Und immer noch zerreissen mir solche Gedanken das Herz. Denn das wird nie mehr möglich sein. Ich muss von meinen Erinnerungen zehren.

  • Liebe Silvia,

    Deine Worte sind so verständlich- so gern hätten wir die Gewissheit das es ein Wiedersehen gibt. Es bleibt nur die Hoffnung und der feste Glaube daran. Das die Erinnerungen mal etwas verschwimmen ist ganz normal. Das erzählen ganz viele Trauernde. Aber sie kommen auch wieder zurück.


    Es gibt für Trauernde auch so Erinnerungsalben in denen sie wertvolle Erinnerungen, Erlebnisse und Gedanken festhalten können. Vielleicht wär das eine Möglichkeit für dich.


    Ich wünsch dir heut einen etwas besseren Tag <3

    Isabel

  • Liebe Isabel


    Danke für deine lieben Worte. Ja, wenn ich nur einen festen Glauben an ein Leben nach dem Tod hätte, das wäre eine so riesige Erleichterung. Aber diese Gewissheit fehlt mir. Die Hoffnung ist da, und die ist riesig. Wie schön wäre das!


    Ein Erinnerungsalbum für meinen Vater ist eine schöne Idee, ich denke über den Tag verteilt so viele Gedanken, die sich um meinen Vater drehen. Ich glaube, es täte gut, die irgendwo festzuhalten, auch wenn es nur Gedanken-Splitter sind. Nur ist das im Alltag oft schwierig, da meine Tochter noch klein ist. Wirklich ruhige Minuten am Tag habe ich selten, und abends sind viele Gedanken dann eben schon wieder weg.


    Liebe Grüsse

    Silvia

  • Liebe Silvia,

    Das mit der Zeit kenn ich gut, und auch das die Gedanken dann weg sind. Da ich beruflich auch schreibe und mir im Alltag oft Gedanken kommen die ich gut finde aber über den Tagüber schnell vergesse, habe ich mir angewöhnt sie schnell aufs Handy zu reden wenn sie da sind. Das geht schneller als tippen und sie sind festgehalten wenn ich mich wieder zum Schreiben setze.


    Ich wünsch dir heut einen guten Tag... So gut es geht <3

    Isabel

  • Ihr Lieben


    Ich konnte gestern nicht schreiben. Ich hatte einfach keine Energie und auch keine Worte.

    Ich merke aber, wie gut es mir tut, mich hier mitzuteilen. Es hilft mir, mir klarzuwerden, was in mir vorgeht.

    Aber es geht halt nicht immer.


    Im Moment denke ich wieder sehr oft an den Krankenhausaufenthalt meines Vaters. Auch meiner Mutter geht es so. Wir haben heute Abend noch einmal alle sechs Tage Revue passieren lassen. Was er als letztes an Kleidung getragen hat, was er noch gegessen hat, was er noch gelesen hat, was er noch gesagt hat. Jedes Detail kam uns in den Sinn. Es kommt mir immer schlimmer vor. Dass er so leiden musste, dass wir nicht mehr richtig mit ihm reden konnten, dass er einfach sterben musste. Mit 71 Jahren. Ich habe mich immer auf der sicheren Seite gefühlt, weil er ja noch so jung war. Ich habe geglaubt, wir hätten noch mindestens 10 oder 20 Jahre zusammen. Und wenn meine Tochter dann ein wenig älter wäre, hätte ich auch wieder mehr Zeit zum Reden. Was für ein Trugschluss. Immer noch staune ich manchmal, wie ahnungslos ich war. Unvorstellbar jetzt, wo das Schreckliche geschehen ist. Wie konnte ich nur so denken? Wie konnte mir nicht bewusst sein, dass er nicht ewig leben würde? Ich wusste es einfach nicht. Ich hatte wirklich keine Ahnung.


    Ich denke auch oft daran, wie schnell so ein Menschenleben vorbei ist. Es waren bei meinem Vater ja immerhin 71 Jahre, fast 72. Mehr als sieben Jahrzehnte durfte er auf dieser Erde weilen. Er war auch mal ein Kind, ein Jugendlicher, ein junger Erwachsener, der zusammen mit meiner Mutter vier Kinder gross gezogen hat und nebenbei so viele Projekte vollendet hat, soviel Bleibendes geschaffen hat. Ich schaue die alten Fotos an, wie er war als kleiner Junge (gibt nur ein Foto), dann als junger Vater, wie er immer älter wurde. Und jetzt gibt es ihn einfach nicht mehr. Das ist so unwirklich. Er war doch eben noch da. Er hat all das geschaffen mit seinen eigenen Händen, und jetzt können diese Hände nie mehr etwas tun. Er hat sich so viele Gedanken gemacht, hat so vieles aufgeschrieben, bebildert und gestaltet, und jetzt sind seine Gedanken für immer weg. Nie mehr werde ich erfahren, wie er über etwas denkt, das mir wichtig ist. Nie mehr werde ich erleben, wie er sich über meine Erfolge freut oder über diejenigen meiner Tochter. Das ist so schwer auszuhalten. Wie sehr wünschte ich mir, er könnte noch bei uns sein. In mir formen sich die Worte "Bitte komm zurück", wohl wissend, dass es sinnlos ist, so etwas zu denken. Immer noch will ich es nicht akzeptieren, will ich aufwachen und alles ist wieder gut.


    Schon wieder ist der Himmel orange über dem See. Ich nehme es als Zeichen von meinem lieben Papa. "Ich bin da.", sagt er mir.

  • Liebe Silvia!

    Siehst du dein Papa ist noch da und er wollte dir ein kleines Lächeln aud dein Gesicht zaubern.Daist so sin schönes Zeichen von ihm.

    Und denke immer daran,das dir die schönen Erinnerung an ihn immer bleiben,die kann dir keiner nehmen.

    Und sicher wird es noch öfter Zeichen geben.Liebe Grüße Helga

  • Wie konnte mir nicht bewusst sein, dass er nicht ewig leben würde? Ich wusste es einfach nicht. Ich hatte wirklich keine Ahnung.

    Liebe Silvia,

    In "guten Zeiten" ist es für uns nicht vorstellbar, dass unsere Lieben mal nicht mehr bei uns sein könnten. Ich bin seit 10 Jahren Sterbebegleiterin, also eigentlich mein ganzes Berufsleben. Da sehe ich immer wie wenig Platz dieses Thema in der Gesellschaft hat und mit welchem Schlag es einen treffen kann. Aber ganz gleich ob man vielleicht auch durch Krankheit darauf "vorbereitet" wurde- es trifft einen immer hart und es ist kaum vorstellbar das ein Mensch (in physischer Form) nicht mehr da ist.


    Es zeigt uns auch immer unsere eigene Vergänglichkeit und auch die anderer lieben Menschen um uns herum. Auf soetws könnte man nie vorbereitet sein. Schön das du es so sehen kannst, das ihm 71 Jahre vergönnt waren, und er so viel schönes erleben durfte.


    Dir wünsch ich ganz viel Kraft und vorallem inneren Frieden mit der Situation <3

    Isabel

  • Ihr Lieben


    Gestern kam mein Neffe zur Welt, mein Bruder ist das erste Mal Vater geworden. Und das Baby hat zu Ehren seines vor acht Wochen verstorbenen Grossvaters dessen Namen als zweiten Vornamen bekommen. Das brachte mich zum Weinen. Ja, Freud und Leid liegen so nah beisammen. Es ist einfach nur traurig, dass mein Vater den neuen Erdenbürger nicht sehen und willkommen heissen kann und niemals in seine Arme schliessen kann so wie er es bei meiner Tochter noch konnte. Ich stelle mir immer wieder vor, wie sehr er sich gefreut hätte und es tut einfach nur weh, dass er nicht mehr hier und unsere Freude über die Geburt des ersehnten kleinen Menschen nicht teilen kann.


    Am 14. Juni wird bei uns in der Kirche für meinen Vater ein Gedenkgottesdienst gefeiert. Meine Mutter hat diese Information heute Morgen per Post bekommen. Sie hat geweint und ich auch. Es macht einem so bewusst, dass er tot ist, dass er weg ist und wühlt all die Gefühle wieder auf. Ich will keinen Gedenkgottesdienst feiern müssen; ich will, dass er wieder zurück kommt. Dass er mit uns am Tisch sitzt und mit uns darüber spekuliert, was aus seinem gerade erst geborenen Enkelkind einmal werden wird. Ich weiss nicht, ob ich es aushalten kann, an diesem Gottesdienst teilzunehmen. Die Beerdigung habe ich irgendwie überstanden, im Schockzustand. Aber jetzt - wo die Realität voll eingesunken ist, wo ich schon mehr als acht Wochen den Alltag ohne meinen geliebten Vater leben muss und merke, wie sehr er mir fehlt - kommt mir das fast unmöglich vor. Und doch möchte ich ihm die Ehre erweisen, weil ich weiss, dass auch er die Gedenkgottesdienste von seinen lieben Verstorbenen besucht hat.


    Ein schwerer Tag heute.

  • Liebe Isabel


    Du hast Recht, auf den Tod eines so sehr geliebten Menschen kann man gar nicht vorbereitet sein. Vor allem, wenn es das allererste Mal ist, dass jemand stirbt, der einem so nahe steht. Die Vorstellung, dass mein Vater eines Tages nicht mehr da sein würde, war nie so richtig bewusst in meinen Gedanken. Ich bin davon ausgegangen, dass er viel älter wird. Natürlich war mir klar, er wird sterben, so wie wir alle, aber das war immer weit weg. Und wie du schreibst, auch unvorstellbar. Und genauso unvorstellbar ist es eigentlich auch jetzt noch, aber jetzt ist es Realität und ich muss es aushalten, dass er nicht mehr da ist, nie mehr. Auch jetzt ertappe ich mich noch dabei, wie ich kurz denke, das bespreche ich dann noch mit ihm, bevor mir mit einem Stich ins Herz bewusst wird, dass er tot ist und dass ich nie mehr etwas mit ihm bereden kann. Schwer das alles.

  • Liebe Silvia!

    Ja Coron hat alles durcheinander gebracht und es wäre sicher für dich leichter gewesen,wenn die Trauerfeier

    am gleichen Tag von der Beisetzung gewesen wäre.Jetzt hast du sicher wieder das Gefühl,als passiert alles

    noch einmal.Ich war auch froh,das die die Beerdigung wenn auch sehr schwer überstanden habe und wenn

    ichmir vorstelle,das dann Wochen später eine Gedenkfeier wäre,das wäre sehr schwer.Ich verstehe das gut,

    aber du willst deinem Vater ja die Ehre erweisen.Da mußt du stark sein.Ja und das passt zwar nicht zum Text,

    aber herzlichen Glückwunsch zu deinem Neffen und schön,das er den Zweitnamen von dem Opa bekommen

    hat,der wäre jetzt ganz stolz.Ich wünsche dir alles Gute.Liebe Grüße Helga

  • Ich weiss nicht, ob ich es aushalten kann, an diesem Gottesdienst teilzunehmen. Die Beerdigung habe ich irgendwie überstanden, im Schockzustand. Aber jetzt - wo die Realität voll eingesunken ist

    Liebe Silvia,

    Schön, das es für ihn einen Gedenkgottesdienst gibt. Vielleicht tut es dir auch "gut" teilzunehmen. Ich empfehle Trauernden immer spontan zu entscheiden, weil es auch immer auf die Tagesverfassung ankommt.


    Wie geht es deiner Mutter damit?


    Liebe Grüße <3