Mein Vater

  • Liebes Linchen, liebe Sverja und alle,


    lieben Dank für eure schönen Antworten. Ich hoffe ihr seid gut ins neue Jahr gestartet. Offenbar bleibt alles komisch, aber auch daran gewöhnt man sich ja offensichtlich:-).

    Linchen - es ist wirklich schön, dass du deine Mama zwischen euch spüren konntest, als ihr gekocht habt, das klingt schön. Ist die Leere ein wenig besser geworden? Ich bekomme immer keinen Druck auf der Brust, sondern kann nicht mehr schlafen und alles verkrampft sich, wenn ich richtig traurig bin. Manchmal geht es dann wieder weg, manchmal muss ich etwas machen, damit es besser wird - wie hier schreiben.


    Mein Vater ist zum Glück negativ geblieben. Wir konnten ihn dann nach Silvester sehen, was eher etwas gruselig war. Die Zeit in Isolation hat ihm gar nicht gut getan und ich war mit zum ersten Mal nicht sicher, ob er mich erkannt hat. Es ist als würde sich die Zeit runter zählen. Das letzte Mal, dass ich mit ihm ein ernsthaftes Gespräch hatte, ist drei Jahre her. Das letzte Mal, dass ich länger mit ihm sprechen konnte, zwei, dass er ohne Hilfe laufen konnte, ein Jahr, das letzte Mal, dass ich mir sicher war, er versteht mich, drei Monate und diesmal war er nur noch körperlich da. Er verschwindet. So langsam, als würde er ausbleichen. Während meine Schwiegermutter mit einem Knall gegangen ist und ein großes Loch zurück ließ, kappt mein Vater nach und nach seine Verbindungen zur Welt. Es fällt mir schwer, nicht betroffen zu sein, von diesem langsamen Rückzug. Er entzieht sich damit ja auch mir. Und irgendwann werde ich gar nicht mehr an ihn heran kommen. Dann wird er da sitzen und ich hier und da wird kaum noch etwas gemeinsames sein.


    Beim Schreiben fällt mir auf, dass diese Erkenntnis, dass er vielleicht nicht mehr wusste wer ich bin, in mir gebrodelt hat, seit wir ihn vor zwei Wochen gesehen haben. Ich bin ganz gut darin geworden, das nicht zu sehr an mich heran zu lassen, bezweifle aber, ob das wirklich gut ist. Aber es wahrscheinlich eine Möglichkeit mit dieser Machtlosigkeit umzugehen, die ich spüre, weil er so krank und ich so weit weg bin.


    Liebe Grüße an euch

    Cildie

  • Liebe Cildie,


    das ist etwas grausames und schlimmes wenn man genau das bemerkt.

    Man versucht es erstmal zu verdrängen damit es nicht zu einer erhöhten Belastung wird.

    Es ist gut wenn Du es Dir von der Seele schreibst, Du kannst auch schreien auch eine gute Alternative.


    Ich spüre meine Mama von Anfang an und bekomme wunderschöne Zeichen.

    Es ist vielleicht nicht mehr so oft und so viel ich glaube sie will mir damit sagen, Du musst weiter gehen allein aber ich werde immer bei Dir sein.

    Die Leere bleibt und es gibt schlimme Tage aber auch gute.

    Der Schmerz ist immer da mal mehr mal weniger auch wenn ich mich freue oder Spaß habe ist er präsent.

    Das wird wohl immer so sein.

    Trotzdem weiß ich das Sie möchte das ich weiter gehe Stück für Stück.

    Ich lebe mit Ihr und sammel alles schöne für unser Wiedersehen an das ich fest glaube.


    Vlg. Linchen

  • Liebe Cildie 💝

    mit dem Handy schreibe ich ja nicht so gerne, weil es doch manchmal zu seltsamen Wortschöpfungen vom Programm her kommt...

    Ja, deine Erfahrungen mit deinem Papa machen dich traurig was mehr wie verständlich ist...

    Ja, es ist Trauer wenn man immer mehr Abschied voneinander nimmt... Von Fähigkeiten die man als normal und selbstverständlich ansieht...

    Noch einmal will ich betonen, daß du meiner Meinung dich durchaus mit deiner Trauer auseinandersetzt...

    Es ist so viel im letzten Jahr passiert das du immer wieder notwendige kleine Pausen brauchst 💔💓...

    Bei. vielen schwer erkrankten Menschen, insbesondere die letzten Zeiten vor dem Tode "trennt" sich der schwer erkrankte auch von seinen geliebten Menschen...

    Doch

    sie alle spüren auf einer "anderen Ebene" die Liebe 💞💖 die wir ihnen geben... Und ich glaube auch sie uns...

    Doch ja, es ist bitter und traurig das du das langsame verabschieden erlebst...

    Nie so dahin geschrieben...

    TEILE immer wieder deine Trauer mit uns als deine mitfühlenden Weggefährten 💝💞💖

    Fühl dich umarmt von deiner 💗 Sverja

    PS Hoffe es sind nicht viele seltsame Wörter. Habe viel nachgeschaut, aber nicht immer

  • Liebe Sverja, liebes Linchen,


    danke, wie immer für eure mitfühlenden Worte. Ich habe grade gemerkt, dass es fast genau einen Monat her ist, dass ich hier geschrieben habe. Irgendwie kommt die Trauer in weiter auseinander liegenden Wellen - was irgendwie auch ganz gut tut. Sverja, danke, dass du gesagt hast, dass im letzten Jahr ja soviel passiert ist, dass ich manchmal kleine Pausen brauche - das stimmt und es ist gut sich das klar zu machen:-).

    Linchen, ich finde es wirklich schön, dass du deine Mama neben dir spürst. Ich weiß nicht, ob das bei meinem Vater auch so sein wird. Jetzt ist da grade ganz viel Leere, die mich sehr traurig macht. Wir fahren nächstes Wochenende, zu seinem Geburtstag hin, aber mit einem unsicheren Gefühl. Das Altersheim ist seit gestern grade wieder aus der letzten Quarantäne - mal schauen, ob es nächstes Wochenende überhaupt auf hat. Das ist etwas anstrengend. Aber selbst wenn es offen sein sollte, werde ich mit einem unguten Gefühl hingehen - meinen Vater dort, so zu sehen, ist nicht schön. Ich hoffe wir können ihn einmal mit nach Hause nehmen - das hatten wir eigentlich Weihnachten vor - aber da ging es ja nicht.

    Sonst ist heute ein trauriger Tag, weil meine Schwiegermutter heute Geburtstag gehabt hätte. Heute früh haben wir uns alle vier ins Auto gesetzt und sind in ihre Heimatstadt zum Friedhof gefahren, nur um dann vor einem "wegen Sturm geschlossen"-Schild zu stehen. Wer hätte gedacht, dass Friedhöfe bei Sturm schließen? Manchmal ist es schwierig mit uns und der älteren Verwandtschaft, die Dinge klappen nicht so, wie wir uns das vorstellen.

    Ich war überrascht von heute. Eigentlich war ich darauf vorbereitet, meinem Mann irgendwie durch den Tag zu helfen, dann musste ich verblüfft feststellen, dass die Kinder ganz schön mitgenommen waren und dann, dass ich auch nochmal viel an sie gedacht habe. Heute hätte sie uns und alle ihre Freundinnen zu sich eingeladen, unglaublich viel gekocht und die ganze Zeit aufgeregt hin und her gerannt. Wenn ich an sie denke, werde ich immer etwas nervös und angestrengt, weil sie das auch war und ich oft das Gefühl hatte, die ganze Aufgeregtheit ausgleichen zu müssen. Und trotzdem war ich heute verwirrt. Ich dachte eigentlich, ihren Tod hätte ich akzeptiert und auch ein Stück weit verarbeitet, aber heute war ich nur überrascht, dass sie nicht da war. Dass es keinen Gulasch im Brot gab, dass sie nicht panisch in letzter Minute daran gedacht hat, dass ich kein Fleisch esse und einen schrecklichen Lauchflamkuchen in den Ofen geschoben hat, dass sie nicht aufgeregt herumgeflattert ist. Wo all das war, ist nur Stille. Das fühlt sich heute surreal an. Wo ist sie? Ist ihre Wohnung wirklich weg? Haben wir das alles ausgeräumt, wohnt da jetzt wirklich jemand anderes. Dann ist es plötzlich doch noch nicht so lange her und kommt alles nochmal wieder. Kein einfacher Tag heute, jetzt muss ich runter mein Mann hat sich grade mit den Kindern gestritten...hoffentlich ist das morgen wieder besser.


    Ich grüße euch ganz lieb

    Cildie

  • Liebe Cildie 💕:24::30:

    wieder mit handy... und... Im Momen auch intensiven Zeiten .

    Ja, die Trauer Wellen haben einen eigenen Rhythmus den wir meinem Gefühl nach nicht völlig "steuern" können und dadurch ist auch das akzeptieren von dem Tod fragil...

    Ich weiss ja nicht wie der Friedhof bepflanzt ist doch bei diesen heftigen Stürmen war es wohl wichtig ihn zu sperren.

    Was ich immer sehr schön finde ist deine intensive Beschreibung von Handlungen und wie die Menschen reagieren, bzw. wie sie reagierten.

    Ich wünsche das du ohne eine bestimmte Vorstellung zu deinem Papa fahren kannst... Die "Leere" ist vielleicht wirklich die notwendige Pause, da du ja durch den Geburtstag deiner Schwiegermütter schon seelisch gefordert warst :24::30:

    Das dein Mann dann mit euren Kindern einen Streit hattet war meinem Gefühl nach durch die Trauer hervorgerufen worden.

    Fühl dich gedanklich umarmt :24::30: von deiner 💗Sverja

  • Liebe Sverja, liebe alle,


    ich hoffe euch geht es gut, in diesen heftigen Zeiten. Mir geht es nicht so gut und gleichzeitig kommt dann immer der Gedanke an die Menschen, denen es grade noch viel schlimmer geht. Alles nicht hilfreich.
    Wir waren am Wochenende bei meinen Eltern. Endlich hatte das Heim mal nicht wegen Quarantäne geschlossen und wir konnten meinen Vater zu seinem Geburtstag nach Hause holen. Seitdem fühle ich mich furchtbar erschöpft. Es war schon vorher zu viel - auf Arbeit habe ich ein dickes Aufgabenpaket dazu bekommen und auch wenn ich es eigentlich gern mache - das war zu viel für meine eh schon halb leeren Akkus. Und dann meinen Vater so zu sehen und mit absoluter Sicherheit zu realisieren, dass meine Mutter Demenz hat und, dass es sehr schnell geht. Die Erkenntnis, dass hier noch ein Abschied bevor steht, war fast Zuviel. Mittlerweile beobachte ich alle betagteren Menschen in meinem Umfeld mit Misstrauen - wirst du auch gleich sterben? Muss ich mich jetzt von dir verabschieden? Ich hab langsam das Gefühl nur noch Trauer in mir zu haben. Und von meiner Mutter, das wird ein schwieriger Abschied mit all der Liebe und all den nie ausgesprochenen Komplikationen. Oh Gott, ich hab so keine Kraft mehr dafür. Aber vielleicht ist das auch der Schlüssel. Nicht mehr dagegen ankämpfen, es einfach über sich drüber rollen lassen… Aber es ist wirklich viel.

    Euch alles Liebe, auf dass es euch gut geht.

    Cildie

  • Liebe Cildie ❤️


    Ich kann jedes Deiner Worte nachfühlen. So habe ich es erlebt und erlebe es noch.


    Es tut mir so leid ich weiss wie schwer das alles ist und wie weh das tut.


    Eines hast du richtig erkannt, hör auf zu kämpfen es sind verlorene Kämpfe und es kostet noch mehr Kraft als eh schon.


    Wir müssen es annehmen und das geht schon fast nicht und wir müssen es aushalten und durchgehen, weil wir keine andere Wahl haben.


    In Verstehen alles Liebe Pia

  • Liebe Sverja, liebe alle,


    ich hoffe euch geht es gut, in diesen heftigen Zeiten. Mir geht es nicht so gut und gleichzeitig kommt dann immer der Gedanke an die Menschen, denen es grade noch viel schlimmer geht. Alles nicht hilfreich.
    Wir waren am Wochenende bei meinen Eltern. Endlich hatte das Heim mal nicht wegen Quarantäne geschlossen und wir konnten meinen Vater zu seinem Geburtstag nach Hause holen. Seitdem fühle ich mich furchtbar erschöpft. Es war schon vorher zu viel - auf Arbeit habe ich ein dickes Aufgabenpaket dazu bekommen und auch wenn ich es eigentlich gern mache - das war zu viel für meine eh schon halb leeren Akkus. Und dann meinen Vater so zu sehen und mit absoluter Sicherheit zu realisieren, dass meine Mutter Demenz hat und, dass es sehr schnell geht. Die Erkenntnis, dass hier noch ein Abschied bevor steht, war fast Zuviel. Mittlerweile beobachte ich alle betagteren Menschen in meinem Umfeld mit Misstrauen - wirst du auch gleich sterben? Muss ich mich jetzt von dir verabschieden? Ich hab langsam das Gefühl nur noch Trauer in mir zu haben. Und von meiner Mutter, das wird ein schwieriger Abschied mit all der Liebe und all den nie ausgesprochenen Komplikationen. Oh Gott, ich hab so keine Kraft mehr dafür. Aber vielleicht ist das auch der Schlüssel. Nicht mehr dagegen ankämpfen, es einfach über sich drüber rollen lassen… Aber es ist wirklich viel.

    Euch alles Liebe, auf dass es euch gut geht.

    Cildie

    :30::30:

  • liebe Cildie<3

    dennoch bin ich "gluecklich " das dein Papa seinen Geburtstag zu Hause feiern konnte. <3


    was kann ich dir hilfreiches schreiben ? wie Linchen1 schon richtig schrieb muss es ja nicht ein schneller Verlauf bei deiner Mama sein !!


    Ein Zwischengedanke...

    WER ist im MOMENT bitte nicht erschöpft , extrem gefordert durch diese Weltereignisse.?

    Versuche nach wie vor dir kleine Ruheinseln zu erschaffen.

    Ich habe gelesen was deine Arbeit von dir gerade fordert. Das ist wahrhaftig beglueckend aber auch immens anstrengend und birgt neben all dem wertvollen vermitteln von Wissen auch die Erschöpfung...<3:30::24:<3


    ich möchte dir einmal wieder auch meine Sicht ueber die Demenz deiner Mutter schreiben und deine Gefuehle...

    wieder einmal...

    sitze ich hier und sinniere weil mir so viele Gedanken und Erinnerungen kommen...

    Manche Menschen wuerden auch sagen, "die Sverja baut ab"....


    Gut, eine gewisse Vergesslichkeit kommt im Alter wirklich vor.

    Das ist keine Demenz in dem Sinne . Doch sie wird häufig als solche von vielen Menschen als Demenz betrachtet.

    Das glaube ich keinesfalls das du diese Sicht hast.


    Doch du bist SEHR sensibilisiert durch deinen Vater jedes kleine Anzeichen einzuordnen in das Gesamtbild der Demenz.


    Einesteils hilft es dir besser Abschied zu nehmen von dem SEIN deiner Mama , aber natuerlich willst du ja auch die so wichtige Ruhe , Entschleunigung..


    Du hast in so unglaublich kurzer Zeit deine Schwiegermutter , dein Onkel verabschieden muessen "neben" dem eigentlichen Grund deines anmeldens hier ...<3

    Wenn man es ueberhaupt so beschreiben kann

    du trauerst um deinen Papa

    du trauerst um deine Schwiegermutter

    Du trauerst um deinen Onkel

    du trauerst im Moment ueber diesen Krieg

    und du trauerst um entschwindende Fähigkeiten deiner Mama:!::30::!:


    Wie ich aus deinem Herzensbericht auch herauslese möchtest du auch neben aller Liebe die du zu deiner Mama empfindest auch eigentlich macnhe Konflikte klären , befuerchtest aber dies nicht mehr zu können...


    Das kann durchaus sein das dies in der Art und Weise nicht mehr möglich ist...


    Jede Eltern und meistens sind es ja die Muetter die den grössten Anteil des Tages mit den Kindern oder Jugendlichen verbringen machen ihre Art von Fehlern die ja eigentlich keine Fehler in ihren Augen sind , weil sie das Bewusstsein der jeweiligen Meinung ueber Kindererziehung der sie umgebenden Gesellschaft anwenden...


    Wenn sie es NICHT so machen gibt es dennoch Schwierigkeiten mit ihren Kindern und Jugendlichen oder auch erwachsenen Kindern.

    Es bleibt sich also eigentlich "gleich" was man macht , wenn man die Wuerde des Menschen achtet den man ja geboren hat:). Das gilt fuer eigentlich alle Mamas und Papas.

    Fuer mich gehören Konflikte absolut zum Leben in einer Familie !!


    Doch

    eine Erfahrung die ich gemacht habe bei meinen Eltern und jetzt auch bei mir bemerke . ich möchte auch jetzt eine gewisse Harmonie in der Familie verspueren und bin auch nicht mehr so konfliktfreudig in Gesprächen...


    Eine gute Möglichkeit ist einen Brief zu schreiben oder eine Art "Mamatagebuch".

    Gut , da bekommst du keine Antworten , aber schreiben hilft ja uns allen.

    Du kannst hier auch immer in deiner lebendigen Schreibweise bestimmte Gedanken in Hinblick auf deine Mama jschreiben die dir Antworten und Sichten bescheren.


    Es geht ja NICHT um ein "schlecht machen", sondern es geht um Empfindungen die fuer dich nicht stimmig sind....


    ich bin jetzt einfach "rechtschaffen" muede nach diesem immer noch intensiven , nicht normalen Tag fuer uns und eigentlich die ganze Welt...


    wie schon geschrieben liebe Cildie<3:24::30::24::30:<3

    Fazit

    RUHEINSELN geistig erschaffen <3:saint:<3


    Diese RUHEINSELN bauen wir hier dennoch meiner Meinung nach stetig durch jeden Herzensbeitrag auf<3

    kram på dig<3:24::30:<3 din vän Sverja


    wirklich Ps. habe einen neuen PC mit der Tastatur nach schwedischer Art. Sie ist völlig anders.. Das erfordert auch ein erlernen von Neuem ;)

  • Ihr Lieben,


    danke für eure Worte. Es tut so gut hier zu sein und verstanden zu werden. Von anderen Menschen im meinem Leben versuche ich viel davon fern zu halten. Tod und Krankheit sind nicht grade gute Pausengespräche. Dabei wäre es sicher viel bereichernder, wenn wir mehr darüber reden würden.
    Ich versuche es auch grade positiv zu sehen, dass es mir so schlecht geht. Das heißt ja auch, dass ich in den letzten Jahren besser darin geworden bin Gefühle zuzulassen und nicht einfach nur zu funktionieren, wenn viel los ist. Trotzdem ist es manchmal hart, dass mich Dinge so umhauen. Ich hab mir jetzt ein paar Tage frei genommen (wie immer mit schlechtem Gewissen), aber ich brauche grade etwas Ruhe, um alles in mir zu ordnen.
    Mit meiner Mutter: wir haben lange gehofft, dass die immense Vergesslichkeit nur von der Anstrengung kommt, meinen Vater zu pflegen. Zu Weihnachten war es aber noch immer so, dass sie uns abends fragte, was wir zum Frühstück wollen und dann am nächsten Morgen am Tisch saß und nicht wusste, was sie decken sollte, weil sie sich nicht mehr erinnerte. Das war schon schlimm. Letztes Wochenende aber habe ich ihr innerhalb von zwei Stunden viermal sagen müssen, wann wir meinen Vater abholen. Sie hat es einfach sofort wieder vergessen. Das war wirklich hart. Jetzt müssen wir versuchen, sie zum Arzt zu bekommen - sie will nicht, ich glaub sie will es nicht wissen. Kann ich auch verstehen.
    Du hast Recht Sverja, ich glaube die meisten Mütter (und Väter) versuchen ihre Kinder so gut wie möglich zu begleiten. Meine Mutter hat das in vielen Dingen toll gemacht. Besonders habe ich als Erwachsene geschätzt, dass sie meine Entscheidungen respektiert hat, nicht versucht hat sich einzumischen und ihre Meinung nur gesagt hat, wenn ich sie gefragt habe - das habe ich dann auch gerne gemacht. Wir haben als Erwachsene eine Ebene gefunden auf der ich mich liebevoll über die Dinge an ihr lustig machen durfte, die mich als Kind viele Nerven gekostet haben. Das waren gute Zeiten. Über vieles haben wir aber nie gesprochen und ich vermute, das wird nochmal schwer mit dem Abschied. Zumal die letzten Jahre der Pflege viele Dinge dann doch wieder problematisch waren. Aber ihr habt auch Recht: Es muss nicht so schnell gehen. Vielleicht haben wir Glück und noch etwas Zeit.


    Alles Liebe

    Cildie

  • Hallo ihr alle,


    wie geht es euch? Ich muss mal wieder schreiben, weil es grade nicht so einfach ist. Die Trauer, die schon manchmal leichter geworden war, senkt sich grade bleischwer auf mich. Ich versuche es zuzulassen, aber es ist nicht schön, fast immer niedergeschlagen zu sein, sicher kennt ihr das auch. Ich kann gar nicht sagen, woran es liegt. Vielleicht auch an der frustrierenden weltpolitischen Lage. Da hat man sich jahrelange gewünscht, dass die Pandemie endlich vorbei ist und dann kommt die nächste Krise - noch viel erschreckender. Ich bin viel zu jung, um irgendeinen Krieg mitbekommen zu haben (was für ein Geschenk), aber ich bin Geschichtslehrerin und habe mein ganzes Lehrerinnenleben gegen Krieg und diese Art von Konfliktlösung unterrichtet. Und jetzt ist es so nah. Ich schaue noch immer voller Erstaunen auf die die Menschen, die mitten in Europa vertrieben werden und kann nicht glauben, dass so etwas möglich ist. Was für ein Wahnsinn. Und was für ein Leid. Wenn ich mir überlege, wie schwer es mir fällt, meine Eltern gehen zu lassen - wie schlimm ist es dann jemanden zu verlieren, bei dem man vielleicht nicht das Gefühl hatte, das Leben war gelebt? Ganz oft versuche ich es zu verdrängen, weil es mich so belastet und ich mich gleichzeitig ohnmächtig fühle. Aber ich glaube es ist immer da.

    Vielleicht trägt man ja auch immer ein Stück mit, an den traurigen Dinge, die in der Welt passieren. Ich finde es immer wieder faszinierend, Studien über Glück zu lesen. Die glücklichsten Menschen leben immer in Ländern, in denen sehr geringe Unterschiede im Lebensstandard herrschen. Unglücklich sind dagegen auch reiche Menschen, in Ländern, in denen es vielen schlecht geht. Vielleicht steckt ja doch auch in Oligarchen, die sich 160m lange Yachts bauen lassen Empathie und das Gefühl, es sei nicht richtig so. Wenn ja, würde es ein wenig Hoffnung machen, in dieser echt doofen Lage.


    Viele liebe Grüße

    Cildie

  • Liebe Cildie 💗

    ich sitze gerade auf der Veranda im friedlichen Schweden... Und will dir jetzt nur schreiben das ich und ganz viele dich verstehen... MEHR wie verstehen.


    Ich mache jetzt doch einmal "Werbung" die für dich auch hilfreich sein könnte.

    Es ist der neue thread

    GLOBALE TRAUER


    den Isabel L.K. Für diese auch von dir beschriebenen Gedanken und Gefühle eröffnet hat. ☮️🙏🕊️. Schau ihn dir einmal an.

    Ich geniesse noch ein wenig die Sonne.

    Bis später du liebe, einfühlsame Frau und garantiert tolle Geschichtslehrerin 💗☮️🙏

    deine 💗Sverja

  • Liebe Cildie 💗

    Es ist schon seltsam das ich dir so häufig schreibe

    "nur kurz...."

    Doch wie duu ja gelesen hast bin ich gestürzt. DOCH ich bin auf dem Weg der Besserung !

    Dann schreibe ich wieder einmal ausführlicher.

    von entspannten Zeiten kann ja leider, leider keine Rede sein.

    Ich wünsche dir dennoch einen bestmöglichen Sonntag mit allen deinen Lieben. 💞

    🙏☮️🌍🌎🌏☮️🙏

    deine 💗Sverja

  • Liebe Sverja und alle,


    schön von dir zu hören, Sverja und vor allem schön, dass du auf dem Weg der Besserung bist! Ich freue mich immer von dir zu hören:-).

    Ich finde die Zeiten grade auch überhaupt nicht entspannt und irgendwie lassen die Weltereignisse mich meinen Vater und meinen Onkel mehr vermissen. Es ist so merkwürdig, dass die Menschen, dir mir ein Leben lang meine Welt erklärt haben, plötzlich nicht mehr an ihr teilhaben. Und noch merkwürdiger ist es, dass die Welt gar nicht so richtig merkt, dass sie fehlen. Ich habe früher oft gelesen, dass jemand nach dem Verlust eines geliebten Menschen fassungslos war, dass die Welt einfacher weiter machte - jetzt kann ich das ein wenig verstehen.

    Mein Vater war das, was man wahrscheinlich meinungstark nennen würde. Das heißt, er hatte zu den meisten Dingen eine Meinung oder war zumindest interessiert daran. Wenn er sich ganz sicher war etwas zu wissen, konnte er auch sehr nachdrücklich werden. Ich fand immer, dass die Geschichte, wie er beim Mittagessen mit Arbeitskollegen den Finger so nachdrücklich auf den Tisch hauen wollte, dass er sich einen langen Holzsplitter unter den Fingernagel zog, das schön illustrierte:-). Aber er war niemand mit unbegründeten Meinungen. Wir haben uns furchtbar gestritten, in meiner Teenagerzeit. Und was ich am schlimmsten fand war, dass ich seine Ansichten nicht einfach blöd finden konnte. Sie waren zu gut begründet. Meine (da ich 15 war), eher nicht. Er hat mich gelehrt, keine Angst vor Diskussionen zu haben, andere Meinungen zu prüfen und aber auch anzuerkennen, wenn sich jemand anderes einfach viel besser auskennt. Und er hat immer eigenständig nachgedacht. Es war immer interessant sich mit ihm zu unterhalten. Obwohl er viel konservativer war als ich, konnte ich seine Ansichten oft nachvollziehen. Er war Naturwissenschaftler, aber so breit interessiert, dass ich erst am Ende meines Geschichtsstudiums wirklich mehr über Geschichte wusste als er.

    Heute vermisse ich seinen Input so sehr. Ich habe nicht in Allem mit ihm übereingestimmt, aber er war mein Radar. Jemand, der immer interessante, eigenständige Betrachtungen einfließen ließ und an dem ich überprüfen konnte, ob meine eigene Sicht etwas taugte. Wenn er sie in fünf Minuten zerlegt hatte, musste ich wohl besser nochmal nachdenken. Ich würde mir wünschen, dass er heute etwas zum Russland-Ukraine-Konflikt sagen könnte. Wie würde er das bewerten? Was würde es in ihm wachrütteln? Würde er denken, dass es von Dauer ist oder ein letztes Aufflammen eines autoritären Regimes?

    An manchen Tagen fühlt es sich so an, als seien die letzten zwei Jahre eine Zäsur gewesen. Einige meiner Kollegen meinen es werde nie wieder "so wie früher". Vielleicht ist das so. Für mich wird das durch das Gefühl, dass meine Eltern kaum noch zu dieser Welt gehören, verstärkt. Als würde sich die Welt in eine teilen, die ich mit meinen Eltern zusammen erlebt habe und in die, in der wir grade leben. Bisher, muss ich sagen, reißt mich das hier nicht zu Begeisterungsstürmen hin.

    Vielleicht fühlt man sich so allein, wenn die Eltern sterben. Aber ist trotzdem schrecklich traurig. Ich würde so gern mit meinem Vater reden. Das haben wir immer getan. Aber wenn ich ihn besuche, sitzt er mir gegenüber. Seine Augen gleiten über mich hinweg, schauen mit manchmal ängstlich an. Dann ist er wieder verwirrt und ich merke, wie ihm das viele, das er nicht mehr versteht, Angst macht. Dann versuche ich ihn zu trösten und denke, dass ich grade so viele Menschen tröste. Meine Kinder, wenn sie sich weh getan haben, meinen Mann, der um seine Mutter trauert, meine eigene Mutter, die noch immer Schuldgefühle hat, weil mein Vater im Heim ist und meinen Vater. Nur die, die mich immer getröstet haben und mir Sicherheit gegeben haben, sind weg.

    Sverja, du hast irgenwann mal von einem Schutzmantel geschrieben, den man sich nach und nach strickt. Ich glaub meiner ist noch etwas löchrig:-). Und hätte mir vor ein paar Jahren jemand erzählt, wie schmerzhaft das Leben sein kann, ich hätte es kaum geglaubt.


    Ich wünsche euch allen einen guten Abend!

    Liebe Grüße

    Cildie

  • Liebe Cildie,


    Ich habe gerade mit grosser Aufmerksamkeit deinen Beitrag gelesen. Ich war vollkommen darin vertieft und habe so mitempfunden. Ich kann jedes Wort von dir nachvollziehen.

    Wenn alles nicht so traurig und schmerzhaft wäre, würde ich sagen, du hast toll geschrieben.

    Auch ich würde so gerne meinen Vater wegen des Weltgeschehens fragen und er könnte mir mit Sicherheit etwas dazu sagen, was mich etwas ruhiger machen würde.

    Und ich kann dir so sehr nachfühlen, wenn dein Vater dich verwirrt anschaut, hilflos ist und auch ängstlich, weil er wahrscheinlich für einen kurzen Moment realisieren kann, dass er im Vergessen lebt.

    Es ist hart, es ist schwer und so traurig.

    Ich muss auch mittlerweile meine Mama trösten und beruhigen, weil sie angesichts der Weltlage regelrechte depressive Tage hat, so kenne ich sie nicht und ich fühle mich gerade selbst überfordert und aufgewühlt angesichts Corona und Krieg und noch dazu alltäglichen Anforderungen und Sorgen.


    Was nur kann ich dir zum Trost sagen... herzlich wenig, du hast mit deinem Geschriebenen eher mich tröstend angesprochen, da ich mich so ähnlich fühle wie du.


    Ich wünsche dir alles erdenklich Gute und viel Kraft für alles was noch kommt ❤️

    Pia

  • Liebe Cildie 💝💔💓

    Ich habe alles schon von " draussen" gelesen und kann auch nur wieder leider schreiben das ich zu einem späteren Zeitpunkt dir ausführlicher antworten WILL 🙏


    Was ich aber unbedingt schreiben möchte ist das du mit deiner so eindringlichen, bildhaften Sprache eine eigene Art von einem menschenwürdigen Geschichtsbuch verfasst.

    Es sind doch Menschen, die in allen Positionen die Geschichtsbücher füllen...

    Und am Ende sterben sie/wir alle...

    ALLE...


    Muss leider wieder pausieren.🙏

    Ich hatte gestern einen Intensivtag und heute eigentlich auch sehr ...

    Doch,

    das will ich auch noch schreiben.

    Je mehr du schreibst , dich austauschst umso fester, wärmender wird dein "Schutzmantel"...

    wärmend luftdurchlässig 💝

    und genau dadurch ein "Schutzmantel" bildhaft beschrieben.


    Ich hatte übrigens AUCH eine ganz fantastische Geschichtslehrerin wie Du 💗 eine für deine Schüler bist 💯. 😊


    Danke 🙏🌍🌎🌏☮️ für deine Sichten

    deine 💗Sverja